GEDANKEN ZUR AUSBILDUNG
(Foto: Alison Marburger)
Die Ausrüstung, der Umgang und auch manchmal die Art und Weise zu Reiten, erscheint uns in den Ursprungsländern der Working Equitation oft rau, grob und vorsintflutlich, während wir auf unserem angenehm befeuchteten, mit Textilfasern aufbereiteten Reitplatz unsere Runden drehen und uns Gedanken darüber machen, ob der Boden zu hart oder zu weich ist oder doch nochmals abgezogen werden sollte.
Gänzlich andere Gedanken hat der Reiter in der rauen Landschaft der Camargue oder in den Bergen der Maremma, der seit Stunden einige abgängige Jungrinder sucht.
Auch unser Sichtweise könnte sich ändern, wenn wir selbst das fünfte Mal einen steilen Berg hinauf, und noch schlimmer wieder herunter reiten müssten, da wir unser Pferd und unser “Handwerk” nicht beherrschen und es nicht schaffen ein Kälbchen von A nach B zu treiben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würden wir dann auch deutliche treibende Hilfen einsetzen, bevor uns das Kälbchen erneut entwischt.
Auch könnte es sein, dass wir in dem entstandenen Durcheinander froh sind, wenn unser Pferd eine ausreichend dimensionierte “Bremse“ bei sich führt. Allerspätestens dann, wenn wir knapp davor feststellen, dass wir auf einen zugewachsenen Stacheldrahtzaun oder einen tiefen Graben zu galoppieren.
Das ist kein Plädoyer für den groben Umgang mit dem Pferd, nichts liegt mir ferner! Es ist lediglich eine Erinnerung daran, wo die Arbeitsreitweisen ihren Ursprung haben. Doch nun zurück auf unseren frisch abgezogenen Reitplatz und zur Ausbildung unseres Worker-Pferdes, die sich zumindest anfangs nicht wesentlich von der Ausbildung eines Dressur- oder Westernpferdes unterscheidet.
Gemeinsam gehen wir den Weg der Ausbildungsskala und es gibt keine Lektion aus der klassischen Dressur und dem Westernreiten, die nicht auch unseren Worker-Pferden zur Gymnastizierung dienen würde. Erst nach der Grundausbildung zeigen sich Unterschiede im weiteren Ausbildungsweg. Doch bevor wir in die Ausbildung unseres Greenhorns einsteigen, einige allgemeine Gedanken vorweg.
Speedtraining – anfangs nicht immer spannungsfrei. Eine extra laute Brücke ohne seitliche Begrenzung erschwert das Hindernis. (Foto: Alison Marburger)
Auszubilden bedeutet zu lernen
Betrachtet man heute die Welt der Pferde, erhält man den Eindruck, alles ginge irgendwie von selbst in der Ausbildung eines Pferdes: Etwas guter Wille, viel Liebe, froher Mut, ein wenig Geschick und viele Leckerlis scheinen auszureichen, um ein Pferd auszubilden.
Bis zu einem gewissen Grad möchte ich diesen positiven Eindruck auch bestätigen. Will ich mit meinem mittelmäßig temperamentvollen Pferd im Schritt ausgedehnte Spazierritte in Wald und Flur unternehmen, vielleicht auch mal etwas traben oder galoppieren, so dürfte das bei etwas Gefühl für Pferde auch problemlos klappen. Dagegen ist nicht das Geringste einzuwenden, solange es dem Pferd dabei gut geht und der gesamte körperliche Zustand dies schadlos ermöglichen. Schwieriger wird es dann, wenn Probleme oder Unstimmigkeiten im Umgang und der Ausbildung aufkommen oder noch häufiger dann, wenn der eigene reiterliche Anspruch wächst.
Auslöser, sich mit der Ausbildung des Pferdes zu befassen, können vielschichtig sein: Pferd und Reiter ist das Spazierenreiten zu wenig, das Pferd “funktioniert“ nicht mehr oder man bekommt einfach Lust auf mehr – mehr können, mehr tun, mehr verstehen. Bei näherer Betrachtung tut jeder Reiter gut daran, sich Gedanken darüber zu machen, warum und wie er sein Pferd bestmöglich und pferdegerecht ausbilden kann. Denn Pferde sind nicht auf die Welt gekommen, um von uns erzogen und geritten zu werden. Sie kämen wunderbar ohne uns Menschen zurecht, wenn wir sie nur ließen.
Uns sollte also vorher klar sein, was wir mit unserem Versuch der Ausbildung tatsächlich tun: Wir steuern, kontrollieren, konditionieren, grenzen ein, erzeugen Druck, fordern und vieles mehr. Aber wir loben auch, wir liebkosen, bieten Sozialkontakt, stellen abwechslungsreiche Aufgaben, übernehmen Verantwortung und Führung.
Damit unser Pferd während der Ausbildung nicht zu einem willenlosen Befehlsempfänger oder ewig renitenten “Neinsager“ wird, ist es wichtig, sich das Lernverhalten seines Pferdes bewusst zu machen. Dies auszuführen würde hier selbstverständlich den Rahmen sprengen. Dennoch sollten Sie lernen, warum ein Pferd sich in bestimmten Situationen wie verhält und welche Motivation das Verhalten Ihres Pferdes bestimmt. Es sind gar nicht so viele Lerngesetze, die das Handeln unseres Pferdes erklären. Auch die daraus resultierenden Verhaltensmuster sind meist nicht so komplex und kompliziert, wie es sich anfangs anhört. Jedem, der sich wirklich mit der Ausbildung befassen und sein Pferd besser verstehen will, kann ich nur empfehlen, sich mit dem Lernverhalten auseinanderzusetzen. Selbst schon lang anhaltende Missverständnisse können aus dem Weg geräumt werden. Mit etwas Geschick und Wissen ist es sogar möglich, ein Pferd völlig neu zu “programmieren“. Ich habe Pferde erlebt, die binnen eines Jahres ihr Verhaltensrepertoire um 180 Grad gewandelt haben. Sowohl in die eine, die positive, als auch in die andere Richtung. Wir sind wahrlich unseres Glückes Schmied. Ausführliche und wichtige Informationen zu diesem Thema finden Sie zum Beispiel in dem Buch Das Lernverhalten der Pferde von Linda Weritz.
All jene, die sich mit dem Lernverhalten Ihres Pferdes nicht beschäftigt haben, lassen sich von den vielfältigen Anforderungen der Working Equitation dazu verleiten, ihren Schützling einfach an alles zu gewöhnen. Immer in der Hoffnung, dass das Pferd dann auch auf dem Turnierplatz alles erkennt und funktioniert. Große Tonnen, kleine, blaue, grüne, Stangen und alle möglichen Arten von Brücken, Folien und Fahnen – es ist ein sehr langer Weg, das Pferd in allen Bereichen zu desensibilisieren. Und noch dazu wenig vielversprechend, denn Pferde haben eine andere Art der Wahrnehmung und Logik. Dies muss von uns Menschen erst erlernt und verstanden werden. Andere Begleitumstände, eine andere Anordnungen der Hindernisse, eine andere Atmosphäre und schon wird das Pferd erneut unsicher und scheu, bis hin zur Panik.
Die einzige Konstante, die unser Pferd immer begleitet und einziger Fixpunkt in einer sich ständig ändernden, oft scheinbar gefährlichen Welt sind wir Reiter. Wir sind jene, auf die sich das Pferd verlassen können sollte. Was liegt also näher, als genau dieses Vertrauensverhältnis auszubauen und zu vertiefen? Das Vertrauen und der Gehorsam gegenüber uns Reitern ermächtigt das Pferd dazu, Leistungen auch unter Umständen zu erbringen, die uns immer wieder in Erstaunen versetzen. Dieses Vertrauen können wir nicht erkaufen, weder mit Geld noch mit Tonnen von Leckerlis. Wir bekommen dieses Vertrauen von unseren Pferden als Gegenleistung für unsere Sorgfalt, Korrektheit, Berechenbarkeit und Konsequenz während der Ausbildung geschenkt, jedoch nicht für Unterwerfung. Indem wir sie lehren zu lernen und selbst zu agieren statt nur zu reagieren, werden wir Erfolg in Form von echter Partnerschaft, Leistungsbereitschaft und Harmonie ernten.
Das wichtigste „Werkzeug“ auf dem Weg zu einem unerschrockenen Pferd ist das Vertrauen zu seinem Reiter und nicht die Summe der Gegenstände, die Sie Ihrem Pferd zur Desensibilisierung zeigen.
TÜR AUF, TÜR ZU
Ziel unserer Ausbildung ist es, dem Pferd das Gefühl zu geben, selbst eine Lösung für ein gestelltes Problem gefunden zu haben. Nichts macht unserem Pferd mehr Spaß, als das Gefühl zu haben, sich selbst etwas beigebracht zu haben.
Diese Methodik verlangt vom Ausbilder viel Gefühl, aber auch Fantasie und Cleverness, spielt sie sich doch hauptsächlich in unserem Gehirn ab.
Dazu stellen wir uns eine kreisrunde Arena mit zum Beispiel zwölf Türen vor, die wie auf dem Zifferblatt einer Uhr angeordnet sind. Diese zwölf Türen stehen auch sinnbildlich für einzelne Verhaltensweisen, Reaktionen oder Bewegungsabläufe.
Zunächst stehen alle Türen offen, das Pferd könnte also durch jede davon gehen. Das entspricht aber nicht unserem Vorhaben, wenn wir zum Beispiel eine Volte nach links abrufen wollen. Diese Volte nach links, wird durch die Tür auf drei Uhr symbolisiert. Wir wollen also weder rechts herum noch rückwärts, seitwärts, hüpfen, steigen oder losrennen, wir wollen ausschließlich diese Linksvolte reiten oder führen. Was tun wir also, um dies auch zu erreichen? Wir schließen, besser noch verrammeln alle anderen elf Türen.
„Tür auf” – auch wenn der innere Zügel noch deutlich vorherrscht, muss der äußere Zügel jetzt schon mitgenommen werden. (Foto: Alison Marburger)
Darüber hinaus verwandeln wir die Tür auf drei Uhr in ein Scheunentor, wenn es sein muss in ein zweiflügeliges Riesentor.
Wie wir die elf falschen Türen verrammeln und wie wir den Fokus auf das Scheunentor lenken, liegt in unserem Ermessen, Können und unserer Fantasie. Pferde gehen immer den Weg des geringsten Widerstandes, es sei denn, sie sind in Panik oder auf der Flucht. Also...