Die Entscheidung
Ich hätte meinen ganzen Kram an der Flugbasis am Nimpo Lake, achtzig Kilometer von der Passhöhe, lassen können, denn das meiste davon musste genau wie der Heuwender eingeflogen werden, aber im Gegensatz zum Lonesome Lake, der im April schon eisfrei ist, ist der Nimpo Lake, der viel höher liegt, noch immer zugefroren. Das kann bis in den Mai hinein andauern, und bis dahin ist die Flugbasis geschlossen. Deshalb fuhren mein Hund und ich nun mit einem Teil unserer Habe über den Heckman Pass ins Bella-Coola-Tal hinunter.
Die Fahrt ins Tal unterscheidet sich dabei in gewisser Weise kaum vom Fliegen, denn über die Kühlerhaube des Wagens hinweg sieht man zumeist auch nur ins Leere. Die Straße selbst ist nicht viel mehr als ein besserer Saumpfad, den Geschäftsleute aus den umliegenden Siedlungen, die ihre Zeit und ihre Planierraupen zur Verfügung stellten, zu beiden Seiten des Passes angelegt hatten, als sich die Regierung weigerte, die Arbeit zu übernehmen. Die Haarnadelkurven ziehen sich langsam den Steilhang hinunter, und obwohl die Straße im Lauf der Jahre immer wieder verbessert worden ist, gibt es darauf noch immer Steilstücke mit Steigungen von bis zu achtzehn Grad, viele Abschnitte, die nur von einem Fahrzeug zu befahren sind, und über den bröckelnden, unebenen Straßenrand hinweg herrscht gähnende Leere. Mühsam windet sich der Weg, wie es scheint, direkt ins Erdinnere hinein, denn bei der Abfahrt erheben sich zu beiden Seiten steile Felswände, die jegliche Sicht auf den Himmel über uns versperren. Und im April ist es auch eine Art Zeitreise, denn in den Höhen bedeckt Schnee das Land, und der Winter hat den stillen, fast baumlosen Pass noch fest in der Hand, während tausend Meter darunter der Frühling bereits Einzug gehalten hat.
Dort verschwindet die Straße in den Bäumen, und die Luft ist geschwängert vom Duft der Balsamtannen. Föhren strecken uns ihre knorrigen Äste entgegen, und an den mit Geröll übersäten Ufern des brausenden Atnarko halten Zedern auf massiven roten Stämmen mit ihren ausladenden Zweigen Wache. Um die Gipfel ballen sich Wolken, brechen auf, und ballen sich erneut zusammen. Von überhängenden Felssimsen donnern Lawinen in die Tiefe, und über steil aufragende Felswände strömt das Wasser in schäumenden Sturzbächen herab.
Am Fuß des Hills angelangt führt der Highway, der über die letzten achtzig Kilometer nun zweispurig verläuft und bequem asphaltiert ist, bis Bella Coola im Westen. Ich biege mit meinem voll beladenen Wagen aber auf einen Transportweg ab und bahne mir ratternd und schlingernd einen Weg, so weit es geht – zu dieser Jahreszeit etwa elf Kilometer weit. Unter unserer holprigen Fahrbahn erstreckt sich schillernd der Fluss, Adler schweben um die zerklüfteten Klippen über uns, und Maultierhirsche springen durch den kaputten Zaun eines aufgelassenen Anwesens und hinterlassen auf dem durchhängenden rostigen Drahtgeflecht ganze Büschel ihres Fells.
Die Fahrt vom Highway dauert eine Stunde. Danach ist es eine Wohltat, die betäubende Enge des Fahrerhauses gegen die vom Tosen des Flusses erfüllte Wildnis einzutauschen. Endlich kann ich langsam und für mich allein wieder Kontakt zum Boden gewinnen. Ich kann die Bäume mit ihren rauen Rinden und das Gefühl der Felsen unter meinen Stiefeln genießen. Ich kann dem Gesang des Flusses lauschen. Ich habe schon so manche Wildnis in verschiedenen Teilen der Welt kennen gelernt, aber wie fremd sie mir anfangs auch schien, ihrem Rhythmus habe ich mich immer gleich angepasst, und ihre Wunder und Verworrenheiten hatten sofort Sinn für mich.
Das ist die Route, die ich für gewöhnlich vom und zum Lonesome Lake nehmen werde, denn ich habe nicht vor, regelmäßig zu fliegen. Ich möchte aber mindestens einmal im Monat die Post abholen. Ich hasse Fliegen, doch es gibt noch viele andere Gründe, weshalb es für mich nicht in Frage kommt, ein Flugzeug zu chartern. Allen voran sind da die Kosten. Das Geld zum Einfliegen meiner Fracht werde ich auftreiben müssen, aber ich kann es mir wirklich nicht leisten, hundert Dollar für einen Flug für mich und meinen Hund auszugeben. Und es wäre auch keine Lösung, die eine Strecke zu fliegen und die andere zu Fuß zu gehen, denn der kürzeste Weg zwischen dem Lonesome Lake und dem Nimpo Lake ist für einen Fußmarsch zu unwegsam, und ich müsste mich daher an das Atnarko-Tal halten. Aber die Stelle, wo es auf die Straße mündet, ist über hundert Kilometer von der Flugbasis entfernt.
Mein Rucksack schmiegt sich bequem an mein Kreuz, und meine Hündin, eine ergraute, struppige, mittelgroße Straßenmischung, ist über die Aussicht auf einen Spaziergang hocherfreut. Ich marschiere über eine kleine Brücke und beginne unsere Wanderung auf einem Pfad, der ursprünglich von Ralph Edwards angelegt worden ist und jetzt von den Wegwärtern des Provinzparks erhalten wird. Lang werde ich nicht darauf verbleiben können, denn er führt bald aus dem Tal hinaus und zu einem Aussichtspunkt, von dem der Wanderer einen herrlichen Ausblick auf die Hunlen Falls hat – eine der Sehenswürdigkeiten des Naturparks. Fünf Kilometer weit kann ich aber auf dem Pfad bleiben, der über Klippen hinauf- und dann wieder durch dichte Zedernwälder hinunterführt, bis ich schließlich am Ufer des Stillwater angelangt bin.
Das ist der See, der ehemals Wiesenland war. Eine Reihe gebleichter Stämme und schwarzer Baumstümpfe ist alles, was von den Pappeln übrig ist, die ehemals das Flussufer säumten. Der Pfad, den die Siedler angelegt hatten, verschwand genau wie die Wiesen und Blockhütten in den Fluten, und da die Ufer des Sees zu steil waren, wurde die Fracht nun mit dem Floß transportiert. Ebenso die Pferde und ihr Heu, das mitgebracht werden musste, da es auf diesem Abschnitt kein Futter für sie gibt. Das Verpacken der Transportgüter war so aufwändig und Zeit raubend, dass alle die Eröffnung der Flugbasis in Nimpo mit großer Erleichterung begrüßten. Die Turners haben hier noch immer ein Boot, mit dem sie mich bei meinem ersten Besuch über den See gebracht haben, aber jetzt bin ich allein und zu Fuß unterwegs. Ich muss über Steinhalden das Ufer entlangklettern und durch Sumpf und Morast waten, während mich Heckenrosen zerkratzen und Weidenzweige gegen mein Gesicht und meinen Rucksack schlagen.
Aufwärts vom Stillwater teilt sich der Fluss in mehrere gewundene Arme, die durch dunkle Zedernwälder sprudeln. Die Landschaft erinnert in ihrer grünen Düsterheit an die Werke der kanadischen Künstlerin und Schriftstellerin Emily Carr. Es ist ein Ort, wo im Sommer die Mücken plagen und im Herbst die Grizzlybären umherstreifen. Die gerippten, mächtigen Stämme der blassen Pappeln ragen ins dichte Blätterdach, und an den Ufern der sumpfigen Bäche windet sich Teufelskeule wie eine stachelige Schlangenbrut. An manchen Stellen sind noch Überreste des ehemaligen Siedlerpfads sichtbar, da er aber kaum benutzt wird, wird er auch nicht mehr erhalten. Windbruch liegt in einem wilden Durcheinander darauf verstreut, und ein Großteil der ursprünglichen Route wurde auch von den Kapricen des Flusses ausgelöscht. Der Weg endet ganz plötzlich an einer ausgewaschenen Rinne, die noch immer etwa einen Kilometer vom Ufer des Lonesome Lake entfernt ist, wo dieser den Schwemmkegel unter den Hunlen Falls überschneidet.
Der Hunlen Creek ist ein Nebenfluss des Atnarko. Er entspringt einer Bergkette, die eine im Westen gelegene Hochebene umringt, verbindet sieben Seen miteinander, und bevor er sich dem Atnarko nähert, stürzt er in einem tosenden Strom über eine dreihundert Meter hohe Felswand und landet in gischtigen Schwaden am Fuß eines steilen, zerklüfteten Cañons. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich Gestein tonnenweise von diesem Cañon gelöst und den Atnarko eingedämmt; so ist der Lonesome Lake entstanden.
Von der Rinne, die den Pfad unterbricht, kann ich nur den oberen Teil des Wasserfalls, eine glatte, schmale Wassersäule erspähen, die geheimnisvoll hinter einem Vorsprung im Cañon verschwindet. Der Aussichtspunkt für die Touristen, der den eindrucksvollsten Höhepunkt des Naturpfads bildet, auf dem ich meine Wanderung begonnen habe, befindet sich im oberen Teil des Wasserfalls. Nur wenige Leute kommen unten vorbei, denn der Bach, der sich zwischen den aufragenden, gekrümmten Wänden des Cañons durchzwängt, kann nur zu Zeiten besonderer Trockenheit überquert werden. Sobald sich das Wasser aber nach dem Aufprall über den Schwemmkegel ergossen hat, versickert das meiste davon, und im April rieselt nur ein schmales Band klaren Wassers über das zerborstene, gefleckte Granitgestein der tiefen Wasserrinne. Das Chaos, das mich auf dem nächsten Kilometer meiner Wanderung erwartet – die klaffenden Auswaschungen und abgetriebene Gesteinsblöcke, aus denen mitgerissene Bäume ragen, deren Stämme von den Felsen und der Wucht des Wassers abgesplittert und ausgehöhlt sind –, beweist nur allzu deutlich, dass dieser so sanft anmutende Bach zu Zeiten mit solcher Gewalt anschwillt, dass er tatsächlich Berge versetzen kann. Bei jedem Hochwasser werden neue Kanäle gegraben und neue Barrieren aufgetürmt, und der ganze Boden bebt, bis das Wasser wieder zurückgeht.
Ich bahne mir einen Weg durch Felsblöcke und verwitterte Wurzelstöcke und stehe ganz plötzlich am Ufer des Lonesome Lake. Genau wie der Stillwater füllt er die ganze Talenge, so dass die steilen Felsklippen an den Ufern direkt ins Wasser abfallen. Der Tag neigt sich dem Ende zu. Hinter dem Cañon versinkt die Sonne, und die abendlichen Schatten erstrecken sich immer weiter über die Ostseite des Tales hinauf.
Ich habe noch eine Strecke von sechzehn Kilometern um die steil abfallende Küste des Lonesome Lake vor mir. Ich weiß, dass es einen Pfad gibt, aber ich habe ihn...