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E-Book

Annette von Droste-Hülshoff

AutorHerbert Kraft
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644575615
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) war die Schriftstellerin ohne Vorbilder, ihre Texte haben in der Literaturgeschichte Maßstäbe gesetzt: «Die Judenbuche» für Novelle und Erzählung, «Der Knabe im Moor» für die Ballade, die «Haidebilder» für die Landschaftsdichtung, das «Geistliche Jahr» für die religiöse Lyrik. Hinzugefügt werden kann jetzt: «Noth» für das sozialkritische Gedicht, «Grüße» für das biographische Gedicht. Und zu dem Gedicht «Im Grase» passt schon keine Einordnung mehr. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Herbert Kraft, geboren 1938 in Walsum (Niederrhein), Dr. phil. Tübingen 1962, Habilitation für Deutsche Philologie Tübingen 1970, o. Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte Münster 1972, Gastprofessor Armidale/Australien 1982 und 1985, Gastprofessor Kairo 1988, D. Litt, h. c. Sheffield 1997. Emeritiert 2003.Veröffentlichungen: «Mondheimat. Kafka», 1983; «Editionsphilologie«, 2. Aufl. 2001; «Someone like K.: Kafka´s Novels». Translated from the German by R. J. Kavanagh, 1991; «Musil», 2003; «Literaturdidaktik. Mündigkeit als Lehr- und Lernziel», 2004; «Kleist. Leben und Werk», 2007; «J. M. R. Lenz. Biographie», 2015.Editionen: «Schillers Werke. Nationalausgabe», Bd. 11 (Demetrius), 1971; Bd. 12 (Dramatische Fragmente - mit Klaus Harro Hilzinger und Karl-Heinz Hucke), 1982; Bd. 5N (Kabale und Liebe, Semele, Der versöhnte Menschenfeind, Körners Vormittag - mit Claudia Pilling, Gert Vonhoff, Grit Dommes und Diana Schilling), 2000; «Andreas Streichers Schiller-Biographie», 1974.

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Leseprobe

Sehnsucht nach dem immer Anderen und Einen


In Bökendorf 1813 spielten sie auch wieder «Kämmerchen vermieten», diesmal Annette von Droste-Hülshoff, 16 Jahre, Jenny von Droste-Hülshoff, 18, Ludowine von Haxthausen, 18, August von Haxthausen, 21, Caroline von Haxthausen, 23, Wilhelm Grimm, 27. Daneben das Singen von Volksliedern, das Erzählen von Märchen: durch Wilhelm Grimm geriet es zu einem regelrechten Sammeln. «Die Fräulein aus dem Münsterland», berichtete er seinem Bruder Jacob, «wußten am meisten, besonders die jüngste». (G 74) Dennoch blieb Annette Drostes Beteiligung eher gering, obwohl sie es anders versprochen hatte, um Wilhelm Grimm, den sie Unwille und Unmuth genannt hatte, zu versöhnen. (8,3) Im Gedächtnis behielt sie, was sicherlich der Grund für den Spott gewesen war: dass sämmtliche Cousinen Haxthausischer branche, sie selber eingeschlossen, durch die bittere Noth gezwungen waren, sich um den Beyfall der Löwen zu bemühn, die die Oncles von Zeit zu Zeit mitbrachten, um ihr Urtheil danach zu reguliren, wo sie dann nachher einen Himmel oder eine Hölle im Hause hatten, nachdem diese sie hoch oder niedrig gestellt; sie kamen sich, die noch unverheirateten adligen Töchter, wie arme Thiere vor, die ums liebe Leben kämpften. (10,128f.) Wilhelm Grimm sagte dagegen über Annette Droste bloß: «Es war nicht gut mit ihr fertig zu werden. […] Sie wollte beständig brilliren». (G 74) Verwandte – wie der Onkel Werner von Haxthausen – nannten sie «überaus gescheut, talentvoll»; sie sei «voll hoher Eigenschaften und dabei doch gutmütig», «eigensinnig und gebieterisch, fast männlich», habe «mehr Verstand» als «Gemüt», sei «durchbohrend witzig». Fremde – wie 1820 Friedrich Beneke, Kaufmann aus Hamburg, ein Bekannter Werner von Haxthausens – schilderten sie als «eine sehr feine, kleine Figur, sehr stark blond, ein hübsches Gesicht, ein Paar bedeutende blaugraue Augen». «Eine solche scharfe Klarheit des Verstandes, so unbefangen und tief ist mir selten vorgekommen», notierte Beneke weiter in seinem Tagebuch; «schon oft» habe er «von diesem seltsamen Mädchen früher gehört», dass «sie, ohne je magnetisch zu seyn, alle die Erscheinungen habe, die in das Gebiet des ‹Klarsehens› gehörten.» (G 114f.) Verschiedentlich wurde erzählt, sie besitze die Gabe des «Wassertretens»: in Hülshoff beobachteten die Bedienten, dass Annette Droste, anstatt die Brücke über die Gräfte zu benutzen, über das Wasser lief; ein Fischer in Meersburg sah sie über den See gehen nach Konstanz zu.[27] Und wie Annette Droste in Hülshoff einmal ihr Nebelgesicht erblickt hatte, wurde daraus die Fabel zur Ballade Das Fräulein von Rodenschild. Carl Carvacchi, Finanzrat in Münster, meinte 1834, Annette Droste sei die «einzige geistreiche Natur», der er in Münster begegnet sei. Der Schwager Joseph von Laßberg nannte sie 1836 ein «entsetzlich gelehrtes Frauenzimmer». Werner von Haxthausen berichtete 1837: «Wir disputieren schrecklich, Nette, Ludowine, Fritz» – und den Namen «Nette» unterstrich er zweimal. Adele Schopenhauer sagte 1840, Annette Droste sei das «geistreichste Wesen», das sie «unter Frauen» kenne. (G 191,218,226,300) Im Nekrolog schrieb Schlüter 1848 über ihre «Gabe, die verwickeltsten Zustände zergliedernd zu entwirren»; «Nichts war vor ihrem psychologischen Anatomiemesser sicher», fügte er hinzu. (R 105) 1855 berichtete er davon, dass ihn immer «ihr Subtilisiren», «ihr Beobachten im Kleinen und Feinen» gestört habe, weil es «in seiner Partikularität», «seiner Entfernung vom Allgemeinen des Begriffes» auf ihn «mehr den Eindruck des Komischen» machte (N 123) – und nicht gesehen hatte er, dass Annette Droste, anders als er selber, in Metaphern dachte. Sie konnte erzählen, erzählen. Wenn Sonntag oder Feiertag war, setzte sie «sich zu den ‹Völkern›, Knechten, Mägden und was sonst sich aus der Nachbarschaft an Groß und Klein zugesellen mochte, an den Herd» und erzählte.[28] Oft waren es Gespenstergeschichten, oder sie inszenierte «ihre mündlichen Lustspiele», auf Plattdeutsch, nachher auch auf Kölnisch, schließlich noch auf Alemannisch. (R 113)

Welche Tätigkeiten, Eigenschaften ihr zugestanden waren und welche nicht, das wusste sie so genau, wie es in ihrem Drama Bertha steht: sticken statt denken, Weiblichkeit für Träume, Gewöhnung anstelle von Entwürfen, Sittsamkeit statt Freyheit. Bertha aber ist umschwebt von Bildern einer wilden Phantasie, ihr Geist malt die Bilder einer fremden Welt. (6,92,121) Mein Plagedämon, schrieb Annette Droste einige Jahre danach, heißt «Sehnsucht in die Ferne». Durchaus in ihr selbst liege dieser unglückselige Hang zu allen Orten, wo sie nicht sei, und allen Dingen, die sie nicht habe. Ich bin keinen Augenblick mit meinen Gedanken zu Hause, gestand sie, wo es mir doch so sehr wohl geht, […] und wenn ich allein bin, besonders des Nachts, […] kann ich weinen wie ein Kind, und dabey glühen und rasen, wie es kaum für einen unglücklich Liebenden passen würde. (8,26–28) Sie war zu ungeduldig, als dass sie sich in die langsamen Konventionen gefügt hätte. Ihr Charakter, sagte sie selber, enthielt einen starken Zusatz von Sauerteig. (8,153) Oft war sie traurig oder übler Laune, freilich besonders als Kind (8,30), später überwog das Selbstbewusstsein. Dann mischte sie in endlosem Umherfahren der Phantasie (8,230) ihre Meinung in die Gespräche, ging mit ihrer Besserwisserei und den Übertreibungen nicht wenigen auf die Nerven. Sie fällte ein schnelles Urteil über andere und verspürte Freude, wenn es zutraf. Überhaupt, sobald «ihr etwas Freude» machte, setzte sie sich «über alles» hinweg. (W 123) Sie war eigensinnig (10,158), zugleich misstrauisch. Also brauchte sie es – wie der eine oder andere –, dass auch das Geschriebene gewogen würde zusammen mit dem Gesagten und Getanen, die paar Seiten, die richtig waren, was aber ihre Umgebung nicht gelten ließ. Indem sie immer von fieberhafter Unruhe (8,11) beherrscht war, verlängerten sich ihre Krankheiten. Häufig hatte sie Kopfschmerzen und Zahnweh, litt ziemlich an den Augen, durfte dann «nicht denken, schreiben noch lesen» (G 100), und sie klagte über heftige Gesichtsschmerzen. Dabei war die Gewohnheit ihre Tyranninn; was einmahl mein ist, bekannte sie in einem Brief, müste sehr schlecht seyn, wenn ich es ganz und für immer missen möchte, ich glaube wahrlich nicht mahl die Mücken. (8,153)

In Raßmanns «Münsterischem Epigrammen-Cyklus» stand 1809: «‹Eine Dichterin nähm’ in der Musterkarte sich wohl aus.› / Himmel! wir haben sie ja, blühend im heitersten Lenz! / Aber daß ich der zarten Jungfrau aufdecke den Schleier, / Wollen die Horen noch nicht; streng ist der Horen Gebot. / ‹Busch› voll schwellender Rosenknospen, wer fein dich betrachtet, / Sieht das Emblem, und kommt auch auf den Namen vielleicht.»[29] Annette Droste nannte Catharine Busch (nachher die Mutter Levin Schückings) in einem Gedicht Westphalens Dichterin und Meisterin. (1,102) Wie Raßmann zählte Catharine Busch zum Kreis um Anton Mathias Sprickmann, mit dem sie weitläufig verwandt war. In Göttingen hatte Sprickmann dem Hainbund angehört, in Münster dem Freundeskreis um die Fürstin Gallitzin und den Generalvikar von Fürstenberg. Spötter sagten, in Münster, das sei die heilige Familie gewesen. «Vater der westfälischen Dichtkunst» wurde Sprickmann auch genannt (HT 27); endlich war ihm aber nichts anderes geblieben, als ein ordentlicher Professor in Münster zu sein. Seit 1812 war er für Annette Droste so etwas wie ein literarischer Mentor; durch ihn hätte sie den Eintritt in die literarische Öffentlichkeit erreichen können. Und er hatte sich von Breslau aus, nachdem er 1814, mit 65 Jahren, doch noch einem Ruf an die dortige Universität gefolgt war, bei ihr erkundigt, was ihre «Muse» denn mache, ob sie ihr «nichts» für den «fernen Freund gegeben» habe. (11,4)[30] An Sprickmann also schickte Annette Droste im März[31] 1816 dasjenige Gedicht, welches sie als konzentrierten Ausdruck ihrer selbst empfand. Und zur Erläuterung fügte sie im Brief hinzu: Das Gedicht mahlt den […] Zustand meiner Seele vollkommen, obschon diese fast fieberhafte Unruhe, mit Verschwinden meines Uebelbefindens einigermaßen sich gelegt hat. War das, was sie vorher verfasst hatte, aus Bildungswissen und enger Erfahrung entstanden, schrieb sie jetzt mit dem Bewusstsein eines Selbst, das im Geschriebenen sich als Ich erkennt.

Mit seiner Überschrift benennt das Gedicht Unruhe die menschliche Konstitution, die jedoch ein gesellschaftlicher Zustand ist. Laß uns hier ein wenig ruhn am Strande / Foibos Stralen spielen auf dem Meere / Siehst du dort der Wimpel weiße Heere / Reisge Schiffe ziehn zum fernen Lande: dahinziehende Schiffe erwecken das Bild einer unendlichen Weite. Aber in der Betrachtung erfüllt sich die eigene Vorstellung noch nicht: Mit den hellen Wimpeln möcht ich ziehen. Und der Reim auf ziehen – O! ich möchte wie ein Vogel fliehen – verrät, dass beim Ritual der Ruhe die Unruhe die tatsächliche Verfassung des...

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