I. René Descartes
René Descartes wurde am 31. März 1596 in La Haye (Touraine) – heute Descartes genannt – als drittes Kind des Juristen Joachim Descartes und seiner Frau Jeanne geboren, die bereits 1597 stirbt. Von 1607 bis 1615 (1606-1614?) wird er am Collège Royal der Jesuiten in La Flèche (Anjou) ausgebildet und lernt die scholastische Philosophie sowie die neue Naturwissenschaft kennen. Aus Gesundheitsgründen genießt er manche Privilegien; er darf z. B. länger schlafen. 1616 erwirbt er in Poitiers das Lizentiat der Rechte.
1618, im Jahr des Beginns des 30jährigen Krieges, tritt er in Moritz von Nassaus Armee ein, wird in den Niederlanden ausgebildet und reist in den folgenden Jahren quer durch Europa. Er wechselt in die Dienste Maximilians von Bayern und erlebt im Winterlager in Neuburg an der Donau im November 1619 eine Erleuchtung, die ihn von seinen Zweifeln befreit.
1620/21 beendet er sein Soldatenleben und kehrt nach Frankreich zurück, reist zwei Jahre später nach Italien und lebt von 1625 bis 1628 in Paris. Doch dann emigriert er in die Niederlande, um dort ungestört und frei arbeiten zu können. Er wechselte oft seinen Aufenthaltsort, hatte aber briefliche Kontakte mit bedeutenden Gelehrten seiner Zeit. In diesen Jahren dürfte er mit den unvollendet gebliebenen und erst 1701 veröffentlichten »Regulae ad directionem ingenii« (Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft) begonnen haben. Einen praktisch vollendeten Traktat über die Welt veröffentlichte er nicht, als er 1633 von Galileis Verurteilung erfährt, dessen Standpunkt er teilte. 1635 gebar ihm in Santport Hijlena Jans eine Tochter namens Francine, die aber schon 1640 starb.
1637 veröffentlicht er anonym den »Discours de la méthode« (Erörterung der Methode), dem je eine Abhandlung über Optik (La dioptrique), Himmelserscheinungen (Les météores) und die von Descartes erfundene analytische Geometrie (La géométrie) beigefügt ist.
1641 erscheint die erste Auflage der »Meditationes de prima philosophia« (Meditationen über die erste Philosophie). Descartes hatte das Manuskript einigen Gelehrten, darunter den ihm befreundeten Theologen Mersenne und Arnauld sowie den empiristischen Philosophen Hobbes und Gassendi zukommen lassen und deren Einwände samt seinen eigenen Erwiderungen angefügt. Die 1642 erschienene zweite Auflage enthält zudem noch die Einwände des Jesuiten Bourdin.
1644 kommen die »Principia philosophiae« (Prinzipien der Philosophie) heraus, eine Zusammenfassung der Metaphysik und Naturphilosophie Descartes’. Diese beiden Schriften erscheinen 1647 in französischer Übersetzung.
1644 und von 1647 bis 1648 hält sich Descartes in Frankreich auf. 1649 erscheint die Schrift »Les passions de l’âme« (Die Leidenschaften der Seele), die durch die Korrespondenz mit der Prinzessin Elisabeth von der Pfalz angeregt worden war, die Descartes auch zu Präzisionen seiner Leib-Seele-Lehre veranlasst hatte. Im September/Oktober desselben Jahres zieht Descartes auf Wunsch von Königin Christine nach Stockholm, der er frühmorgens philosophische Unterweisungen geben soll. Anfang 1650 erkrankt er dort an Lungenentzündung und stirbt am 11. Februar. Sein Sarg wurde 1667 nach Frankreich überführt und 1819 in die Pariser Kirche Saint-Germain-des-Prés gebracht. Um 1900 brachten Charles Adam und Paul Tannery eine Ausgabe der gesamten Werke Descartes’ heraus, auf deren Band- und Seitenzahl man sich seither üblicherweise bei Zitationen bezieht (»AT«).
Literatur:Alquié 1962; Beck 1967, 1987; Beyssade 1979; Broughton 2008; Cottingham 1992, 1998, 2014; Marion 1991, 1996, 2002, 2004; Perler 2006; Röd 1995; Williams 1996; Wilson 1991
1. Die Methode
Die Suche nach gewissem und zuverlässigem Wissen hat Descartes schon sehr früh beschäftigt. Da der Verstand »die bestverteilte Sache der Welt« (Disc. I Anf.) ist, muss nur die richtige Methode angewandt werden, um wahre Erkenntnis zu erlangen. Die herkömmliche Logik trägt zur Mehrung unserer Erkenntnis nichts bei und wird von Descartes darum nicht geschätzt.
Das gesamte Wissen, das er neu begründen will, vergleicht Descartes in seinem Brief an den Übersetzer der »Prinzipien« ins Französische mit einem Baum. Die Wurzel bildet die Metaphysik, die Physik ist der Stamm, während Mechanik, Medizin und Moral die Äste darstellen. Auf diese drei letztgenannten Wissenschaften, die der Mensch für sein Leben braucht, zielt also alles ab. Dies setzt aber voraus, dass wir durch die Naturwissenschaft gleichsam zu »maîtres et possesseurs de la nature« (Herren und Eigentümer der Natur; Disc. VI, 2. Abs.) geworden sind. Andererseits hängt aber alles von der Wurzel ab, weshalb Descartes zunächst einmal die Fundamente der Metaphysik neu legen will. In den unvollendet gebliebenen Regulae ad directionem ingenii (Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft) lehnt sich Descartes an die Methode der Mathematik an und gibt Anweisungen, wie vom intuitiv evidenten Grundwissen methodisch sorgfältig zu komplexerem Wissen vorangeschritten werden muss. Schon in diesen Regeln fordert Descartes die Beschränkung auf gewisse und unzweifelhafte Erkenntnis und die Ablehnung jeglicher bloßer Wahrscheinlichkeit.
Die grundlegenden Erkenntnismethoden sind Intuition und Deduktion. Wie später im Discours fordert Descartes, die Objekte der Forschung in eine methodische und systematische Ordnung zu bringen und sich durch eine Aufzählung zu vergewissern, keinen relevanten Aspekt übersehen zu haben. Die Vermögen des Geistes gliedert Descartes in Verstand (intellectus), Einbildungskraft (imaginatio), Sinne (sensus) und Gedächtnis (memoria).
Nach einer ausführlichen Erörterung der einfachen Dinge und Naturen fasst die 12. Regel noch einmal die bisher gewonnen methodischen Erkenntnisse zusammen:
1. Gesicherte Erkenntnis entspringt nur evidenter Intuition (intuitus) und notwendiger Deduktion; 2. Die intuitiv erfassten Grundsachverhalte (einfachen Naturen) können nicht weiter erklärt werden; 3. Wissenschaft ist die Erkenntnis, wie alles andere aus diesen einfachen Naturen zusammengesetzt ist; 4. Alle echten Erkenntnisse sind gleich klar; 5. Nur ganz bestimmte Zusammenhänge erlauben eine Deduktion. Damit schließt der erste Teil und es beginnt die Untersuchung der vollkommen einsehbaren Fragen.
Jedes Problem ist von Unwesentlichem zu befreien, auf die einfachste Form zu bringen und in kleinste Teile aufzulösen. Dann muss man sich seine geometrischen Verhältnisse auf die rechte Weise klarmachen. Dazu können sich geometrische Figuren, Zahlen oder algebraische Buchstaben eignen. Schließlich zeigt Descartes in der 18. Regel, wie die mathematischen Aufgaben gestellt werden müssen, damit sie allein mit den vier Grundrechenarten ausgerechnet werden können. Die letzten drei Regeln (19-21) für den Umgang mit Gleichungen hat Descartes nur noch angedeutet, aber nicht mehr ausgeführt.
2. Discours de la méthode
a) Überblick
Der »Discours de la méthode« verbindet eine stilisierte Autobiographie mit einem Überblick über die wichtigsten philosophischen Lehren. Der Erste Teil beginnt mit der These, der »bon sens« (gesunde Menschenverstand) sei die bestverteilte Sache der Welt, es fehle nur an der rechten Anwendung, und das heißt, an der richtigen Methode. Dann berichtet Descartes von seiner Enttäuschung über die Vielheit der Meinungen in Wissenschaft und Philosophie. Nur die Mathematik scheine sich als zuverlässige Wissenschaft zu erweisen, aber ihr wahrer Nutzen sei ihm damals noch nicht aufgegangen.
Der Zweite Teil beginnt mit einem Bericht über die berühmte Erleuchtung in einem geheizten Zimmer, die wahrscheinlich in Neuburg an der Donau stattfand. Was systematisch geplant wurde, meint Descartes sodann, ist dem historisch Gewachsenen überlegen. Da er in der Jugend den Verstand noch nicht korrekt benützt habe, da andererseits schon jeglicher Unsinn behauptet wurde, bleibt Descartes nichts übrig, als selbst damit zu beginnen, sein Wissen systematisch neu aufzubauen.
Dazu dienen die vier Regeln, die eine Art Quintessenz dessen bilden, was in den »Regulae« steht. Man könnte sie die Regeln der Evidenz, der Analyse, der geordneten Synthese und der Vollständigkeit nennen. Denn zuerst darf nur das als sicher und evident Erkannte für wahr gelten. Sodann muss jedes Problem in so viele Teile zerlegt werden, als zur...