KAPITEL 1
VOM GESUNDEN BAUCHSPECK
Ständig hört man davon und liest darüber, vor allem, wenn die Frühjahrssonne lockt. Alle Welt diskutiert es, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat es bereits: Übergewicht! Zu viel Gewicht! Aber zu viel wofür?
Zu viele Kilos bezogen auf die Körperlänge, so definiert es der BMI, der berühmte Body-Mass-Index. Jeder erfolgreiche Bodybuilder wird an dieser Stelle protestieren. Profis in Wettkampfform erreichen einen BMI von 30, womit sie per Definition adipös beziehungsweise »fettsüchtig« wären. Sind Bodybuilder mit definierten Muskeln und minimalem Körperfettgehalt fettsüchtig?
Welch ein untaugliches Instrument der BMI ist, um über die Gesundheit zu urteilen, wird in diesem Buch immer wieder anklingen. Hier, am Anfang, sollen zunächst die gesundheitsrelevanten Aufgaben der verschiedenen Fettzellen vorgestellt werden.
Die längste Zeit in unserer Entwicklungsgeschichte standen uns Pflanzen und Tiere nicht 24 Stunden am Tag an jeder Ecke mit einem Minimum an Aufwand als Nahrung zur Verfügung. Es war oft zu kalt oder zu heiß, zu trocken oder zu nass, als dass diese »Nahrung« existieren konnte. Manchmal war es für uns Menschen auch zu gefährlich, sich diesem »Essen« zu nähern. So mussten Menschen immer wieder lange Tage darben und hungern. Wenn ihnen das Glück beschied und Nahrung in Fülle vorlag, dann nutzten sie gerne die geniale Einrichtung des Körpers, mehr essen zu können, als sie an Nährstoffen und Nahrungsenergie benötigten, um alles in Fett umzuwandeln und es in den Energiespeichern unter der Haut für schlechte Zeiten zu bunkern. Überschüssige Energie für Zeiten aufzubewahren, in denen die Energieversorgung darbt, war ein enormer Überlebensvorteil in einer unsicheren Umwelt mit arg knapper Kost.
Niemand will fett werden, aber es ist ohne jeden Zweifel für unseren Körper am sinnvollsten, überschüssige Energie als Fett zu speichern. Denn so lässt sich pro Gramm Vorratshaltung mehr als doppelt so viel Energie in Form von Fett speichern als in Form von Proteinen oder Kohlenhydraten, und der Speicherplatz bleibt entsprechend kompakt.
Man stelle sich einen jungen und sehr schlanken Mann mit 75 Kilogramm Körpergewicht und 15 Prozent Körperfett vor. Er trägt somit gut elf Kilo Fett im Körper. Da Fettgewebe nicht zu 100 Prozent aus Fett besteht, sondern auch aus Bindegewebe mit Proteinen und Wasser, rechnet man pro Kilo mit 7.000 Kilokalorien. Das sind 77.000 Kilokalorien und damit könnte der junge Mann theoretisch die halbe Tour de France ohne Verpflegungsstopp bewältigen – oder (mehr oder weniger) locker einen Monat ohne Essen überleben!
Fettzellen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht – etwa nach Lage und Funktion oder auch nach der Farbe unter dem Mikroskop. Es gibt weißes und braunes Fettgewebe und sogar »beige« Fettzellen, die, je nach Aktivierung, die Funktion der weißen oder der braunen Fettzellen übernehmen können. Nicht nur Mäuse – wie lange Zeit vermutet –, sondern auch Menschen besitzen sie, die braunen Fettzellen. Sie dienen nicht der Energiespeicherung, sondern haben einen anderen Zweck: Wärmeerzeugung. Wenn man sich »artgerecht« verhält, kann man in der kühlen Jahreszeit diese Zellen erfolgreich aus ihrem Tiefschlaf erwecken, was in einem späteren Kapitel noch vertieft wird.
Das weiße Fettgewebe hat mengenmäßig bei Weitem den größten Anteil am Gesamtkörperfett. »Weiß« heißt es, weil es zur feingeweblichen Betrachtung unter dem Mikroskop üblicherweise aus den zu untersuchenden Proben ausgewaschen wird, sodass die Fettzellen leer sind und entsprechend weiß erscheinen. Ohne Präparierung erscheint dieses Fettgewebe makroskopisch, also beim Anblick mit unbewehrtem Auge, hingegen tief gelb. Weißes Fett kann – eingelagert in das lockere Bindegewebe – fast überall im Körper vorkommen. Im eigentlichen Fettgewebe, das heißt in den dafür speziell vorgesehenen Körperregionen, bilden diese Fettzellen größere Einheiten und sind als Läppchen zusammengefasst.
Weiße Fettzellen dienen vor allem als Energiespeicher (Depotfett) und als Baufett. Letzteres hilft dabei, innere Organe in einer bestimmten Lage zu fixieren. Fettpolster sind zudem ein ziemlich druckelastisches Material, das uns nach außen recht gut vor Ecken und Kanten und spitzen Steinen schützen kann. Außerdem haben wir Baufett um die Nieren, um die Augäpfel, in den Kapseln der Kniegelenke, am Kehlkopf, an den Wangen, an den Handtellern und an den Fußsohlen eingelagert.1 Wenn man zum Abnehmen Diät hält, wird es sinnvollerweise an diesen Stellen zuletzt abgebaut. Auch bei krankhafter Auszehrung (Kachexie) kann man den Schwund der Baufettdepots beobachten.
Weiße Fettzellen besitzen einen Durchmesser von 20 bis 120 Mikrometern. Innerhalb der Zelle befindet sich ein zentraler, mehr oder weniger großer Fetttropfen, der fast den gesamten Raum der Zelle einnimmt und den Zellkern und die anderen Zellorganellen an den Rand drückt. Dieser Fettzelltyp soll zum einen die aus der Nahrung stammenden überschüssigen Fettsäuren in Triglyzeridmoleküle packen und in dieser Form ablagern. Gleichzeitig soll er überschüssige Kohlenhydrate, genauer gesagt Glukose (Traubenzucker) aus dem Blut aufnehmen, diese in Fett umwandeln und ebenfalls als Triglyzeride einlagern. Dieser Prozess des Fettaufbaus wird Lipogenese genannt. Zum anderen sollen die Fettzellen bei einem Energiebedarf anderer Gewebe ihre Triglyzeride wieder in ihre Bausteine aufspalten und als »freie Fettsäuren« an das Blut abgeben. Diesen Vorgang nennt man Lipolyse. An Eiweiße (Albumin) gebunden, werden die Fettsäuren über das Blut dann an energiebedürftige Zellen in der Peripherie verteilt.
Die Aufnahme von Fettsäuren wie auch von Glukose in die Zellen wird von dem »anabolen«, d. h. aufbauenden Hormon Insulin gesteuert, während die Entleerung der Fettzellen dementsprechend von abbauenden, also »katabolen« Hormonen geregelt wird; dies sind zum Beispiel das Adrenalin, das Noradrenalin und das Glukagon. So können sich die Fettzellen zur Energiespeicherung problemlos füllen und sich dabei ausdehnen oder aber zur Energiebereitstellung entleeren und dabei schrumpfen.
Ist die Aufnahmekapazität der weißen Fettzellen erschöpft, werden aus Stammzellen beziehungsweise den Vorläuferzellen (Präadipozyten) neue kleine weiße Fettzellen gebildet. Wie effektiv dieser als »Hyperplasie« bezeichnete Effekt abläuft, hängt unter anderem auch von der individuellen genetischen Ausstattung und den Bedingungen in der Gewebematrix ab. Je besser man das kann, desto mehr kleine Fettzellen legt man an. Wer diese Neubildung weniger gut beherrscht, hat eher weniger Fettzellen, aber dafür umso größere, was mit »Hypertrophie« bezeichnet wird.2 Je mehr Fettsäuren die Fettzellen abgeben, desto mehr schrumpfen sie. Lange Zeit dachte man, dass entleerte Fettzellen ein Leben lang erhalten bleiben. Aber das stimmt nicht: Fettzellen werden wieder abgebaut! Sie begehen quasi Selbstmord. Es gibt einen genetisch programmierten Zelltod, der Apoptose genannt wird. An der Stelle der abgebauten Fettzellen werden wieder neue gebildet. Dieser Austausch alte gegen brandneue Zellen ist eine sehr gesunde Sache. Pro Jahr tauscht der Körper etwa zehn Prozent seiner Fettzellen durch neue aus, sodass er in etwa einer Dekade seine Fettdepots runderneuert hat.3 Zwischen 40 und 120 Milliarden Fettzellen trägt ein Erwachsener mit sich, je nach Fettansatz. Dabei gilt, dass Übergewichtige im Durchschnitt vor allem voluminösere Fettzellen besitzen als Schlanke. Bei massivem Übergewicht findet man sowohl zahlreiche als auch besonders große Fettzellen.2
Die einzelnen Adipozyten sind in ein Netzwerk zugfester Bindegewebsfasern eingebettet. Zudem tummeln sich im Fettgewebe noch jede Menge Hormone, Boten- und Entzündungsstoffe sowie Immun- beziehungsweise Fresszellen (Leukozyten und Makrophagen).4 Makrophagen sind eine besonders interessante Spezies. Sie übernehmen in verschiedenen Geweben wichtige Aufgaben des Immunsystems. So sind sie beispielsweise in der Leber an den Verbindungsstellen zwischen den Leberzellen angesiedelt, wo sie den Namen »Kupfferzellen« tragen, oder auch im Gehirn, wo man sie als »Mikroglia« bezeichnet. Und sie sitzen an Blutgefäßen und Nervensynapsen.
Reichlich Makrophagen finden sich auch noch im Darmtrakt, wo sie die Funktionsfähigkeit des Darmepithels bewahren und im Störungsfall wiederherstellen sollen: Wenn sie einen Hilferuf von verletzten Darmschleimhautzellen empfangen, senden sie umgehend Befehle an die im Darm lagernden Stammzellen aus, sich als Ersatz...