Schon der große Historiker, Römerforscher und Nobelpreisträger Theodor Mommsen hat angemerkt: „… über den germanischen Anfängen liegt ein Dunkel, mit dem verglichen die Anfänge von Rom und von Hellas lichte Klarheit sind.“
Als ich im Jahr 2000 begann meinen ersten Band „Die Harz-Geschichte“ zu schreiben und darin auf römische Hinterlassenschaften in der Harzregion hinwies, vertrat die Fachwelt noch fast einhellig die Meinung, dass die Römer das rechtsrheinische Germanien nur sporadisch aufsuchten und ihr Vorhaben, eine Provinz Germania magna zu errichten – nach der totalen Niederlage in der Varusschlacht – endgültig aufgegeben hatten. 15 Jahre später wird diese Einschätzung auch in Fachkreisen so nicht mehr vorgenommen.
Aber der Reihe nach: Das erste Mal, dass ein Zusammentreffen von Römern und Germanen schriftlich überliefert ist, stammt aus dem Jahr 113 - 101 v. Chr. Der germanische Volksstamm der Kimbern, der vermutlich aus Jütland stammte, zog um das Jahr 120 v. Chr. zusammen mit Teutonen und Ambronen aus Nord- und Mitteleuropa nach Süden: Sie waren auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten. Als Grund für diese Völkerwanderung werden Klimaveränderungen angenommen, antike Quellen berichten von gewaltigen Sturmfluten. Die uns überlieferten Informationen über die Kimbern, Teutonen und Ambronen stammen aus dem „Leben des Marius“, einer Biographie des römischen Feldherrn Gaius Marius, verfasst vom griechischen Geschichtsschreiber Plutarch. Weitere historische Quellen stammen von Appian und Strabo. Demnach trafen Kimbern, Teutonen und Ambronen erstmals im Jahr 113 v. Chr. in der heutigen Steiermark auf die Römer. Die Germanenstämme wollten, auf der Suche nach Siedlungsland, friedlich Richtung Süden weiterziehen. Der römische Konsul Gnaeus Papirius Carbo ließ die Alpenpässe jedoch sperren, um die Germanen am Marsch in Richtung Rom zu hindern. Damit aber noch nicht genug: Die Römer lockten die gutgläubigen Germanen in einen Hinterhalt, indem sie ihnen einen Führer zur Seite stellten. In der Nähe von Noreia, einem nicht lokalisierten Ort im östlichen Alpenraum, griffen zwei römische Legionen die Germanen an. Mit verheerenden Folgen: In dieser Schlacht wurden die zwei Legionen vernichtend geschlagen.
Die Römer hatten die germanischen Stämme nicht aufhalten können, diese zogen weiter über Helvetien (heute Schweizer Mittelland) nach Gallien. Im Jahr 109 v. Chr. trafen sie auf ein römisches Heer unter dem Befehl von Marcus Iunius Silanus und konnten den Römern an einem nicht genauer bekannten Platz in Gallia Transalpina, nahe der italienischen Grenze, erneut eine Niederlage beibringen. Die germanischen Stämme zogen danach mehrere Jahre nach Westen über die Iberische Halbinsel, bevor sie sich wieder Richtung Italien wandten. Auf dieser Ostwanderung fassten die drei Stämme eine verhängnisvolle Entscheidung: Sie trennten sich. Die Teutonen und Ambronen zogen von Westen nach Italien, die Kimbern versuchten ihr Glück von Norden her. Diese Trennung sollte das Schicksal der Stämme besiegeln.
Im Jahr 102 v. Chr. trafen zunächst die Teutonen unter ihrem König (Stammesfürsten) Teutobodus und die Ambronen auf ein römisches Heer unter dem Befehl von Gaius Marius und wurden von diesem bei Aquae Sextiae (heute Aix-en-Provence) vernichtend geschlagen. Ein Jahr später, 101 v. Chr., wurden die Kimbern in der Po-Ebene unter ihrem Stammesführer Boiorix von den römischen Truppen des Marius sowie denen des Quintus Lutatius Catulus vernichtend geschlagen.
Mit dem Zug der Kimbern sowie der Teutonen und Ambronen begann eine lange Reihe von Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen.
Die Aufzeichnungen des Geschichtsschreibers Plutarch, der unter anderem 300.000 kampffähige Germanen angibt, gelten in der Geschichtsforschung als nicht sehr glaubhaft, da er vorrangig dem römischen Feldherrn Marius ein Denkmal setzen und ihn zum Retter Roms hochstilisieren wollte. Diese Art Geschichtsschreibung zieht sich jedoch durch die gesamte Epoche.
Die Römer benutzten zu jener Zeit das Wort „Germanen“ noch nicht, sie bezeichneten die Kimbern und Teutonen mit ihrem Namen (Cimbri Teutonique).
Der Begriff Germanen wurde wahrscheinlich zuerst von dem griechischen Geschichtsschreiber, Philosophen und Geographen Poseidonios im 30. Buch seiner Historien (ca. 80 v. Chr.) verwendet, jedoch ist keines seiner Werke erhalten. Teile seiner Schriften sind uns nur von anderen Autoren überliefert, was deren Wahrheitsgehalt anzweifeln lässt.
Danach herrschte anscheinend einige Jahrzehnte Ruhe zwischen Römern und Germanen. Erst der große Gaius Julius Caesar kam dann erneut häufiger in Kontakt mit germanischen Stämmen. Nachdem er 59 v. Chr. vom römischen Senat zum Konsul gewählt worden war, hatte er sich zahlreiche Feinde gemacht. Um seinen Ruhm zu mehren und sich dadurch mit seinen Gegnern versöhnen zu können, begann Caesar den prestigeträchtigen Gallien-Krieg. Dort traf er im Jahr 58 v. Chr. auf die in Gallien eingedrungenen Germanen vom Stamm der Sueben. Da entsprechende Verhandlungen zwischen Caesar und dem suebischen Stammesfürsten Ariovist scheiterten, kam es zur Schlacht am Rhein (vermutlich im Elsass bei Mühlhausen). Die Römer konnten die Sueben sowie weitere Krieger aus sieben Stämmen schlagen. Die römischen Schriftsteller berichten von 80.000 gefallenen Germanen. Diese Anzahl wird als völlig übertriebene römische Propaganda angesehen. Caesars Werke, er wirkte selbst als Schriftsteller, vom Gallischen Krieg stellen für uns eine der bedeutendsten historiografischen Quellen der Römischen Republik dar. Dass diese nicht objektiv sein können erklärt sich von selbst. In seinen Berichten begreift er als Sueben die östlich der Ubier und Sigambrer wohnenden Germanen und berichtet, dass sie 100 Gaue mit je 1.000 streitbaren Männern gezählt, sich aber bei seinem Rheinübergang weit nach dem Wald Bacenis silva (die deutschen Mittelgebirge, die nach Caesar die Sueben von den Cheruskern trennten), zurückgezogen hätten.
Im Jahre 55 v. Chr. fielen erneut zwei germanische Stämme in Gallien ein, die Usipeter (von der Ostseite des Niederrheins) und die Tenkterer (von der Ostseite des Niederrheins nördlich der Usipeter). Römer und Germanen führten Verhandlungen: Während des Waffenstillstandes in diesem Verhandlungszeitraum kam es zu einem militärischen Zwischenfall beider Parteien. Es war wohl ein guter Vorwand für Caesar die germanischen Stammeshäuptlinge, die zu Caesar gekommen waren um sich zu entschuldigen, gefangen zu nehmen. Dann ließ er die führerlosen Germanenstämme angreifen und niedermetzeln, wer entkommen konnte rettete sich auf die östliche Rheinseite. Caesar selbst berichtete von 430.000 getöteten Germanen, wobei kein einziger toter Römer Erwähnung fand. Die Angaben darf man daher stark in Zweifel ziehen. Trotzdem gilt dieses Massaker als erstes Beispiel eines Völkermordes. Caesars Widersacher, der Senator und Feldherr Cato der Jüngere, beantragte sogar die Auslieferung Caesars an die Germanen. Sicherlich hatte sich dieses heimtückische Massaker bei den germanischen Stämmen herumgesprochen und Hass sowie Rachegelüste gegen diesen übermächtigen Gegner weiter geschürt.
Nach eigenen Schilderungen, in seinem Werk „De bello Gallico“, unternahm Caesar zweimal Strafexpeditionen gegen die Germanen auf rechtsrheinisches Gebiet. Das erste Mal baute er dafür im Jahr 55 v. Chr. eine Rheinbrücke, deren Standort bisher ungeklärt ist. Mit einer Legion zog er nach Germanien, jedoch hielt er sich nur 18 Tage dort auf; eine zweite Legion bewachte indes die Brücke. Nachdem die römische Legion auf ihrem Rückweg die Brücke überquert hatte, wurde sie umgehend zerstört.
Eine zweite Strafexpedition folgte im Jahr 53 v. Chr. – erneut in Verbindung mit dem Bau einer Rheinbrücke – auch diese Strafexpedition dauerte nach Caesars Angaben nur 18 Tage. Danach wurde die Brücke, die stromaufwärts der ersten Brücke bei Urmitz errichtet war, ebenfalls zerstört.
Caesars Rheinbrücke aus Sa. Reinach, Guide illustré du Musée de St. Germain, Ch. Eggsmann-Paris
Bleibt folgende Frage: Warum hat Caesar den Brückenbau- und Zerstörungsaufwand für nur zweimal 18 Tage betrieben? Weit kann er nicht ins Landesinnere vorgedrungen sein – 9 Tage Einmarsch, 9 Tage Rückmarsch. Es gibt Annahmen und Legenden, Caesar sei einmal am Harz gewesen und sogar ein Vorstoß bis zur Elbe (Region Magdeburg) wird ihm mitunter zugeschrieben. Das ist jedoch nicht möglich, wenn sein Vormarsch jeweils nur 9 Tage angedauert hat. Man kann davon ausgehen, dass die Legion bei normalem Marschtempo etwa 20 - 25 km (je nach Geländebeschaffenheit) am Tag zurücklegte. Die Reichweite der Truppen betrug also beide Male zwischen 180 und 270 km. Vom Rhein bei Köln bis zum Harz sind es jedoch ca. 400 km und bis zur Elbe noch einmal 100 km mehr. Warum hatte er also diese aufwendigen Expeditionen, die er als Strafexpeditionen bezeichnete, vorgenommen. Nur aus Prestige für Rom? Oder war er auf...