Kapitel 1. Unternehmenswandel und Mediation
Mit der Wirtschaftsmediation etabliert sich in den letzten Jahren ein weiteres Beratungsangebot für Unternehmen und Organisationen für den sensiblen Bereich der Konfliktregelung. Das hängt vor allem damit zusammen, dass in Zeiten hoher Unsicherheit und Komplexität die Konflikte und damit auch die Konfliktkosten zunehmen. Führungskräfte in Unternehmen stehen vor dem Problem, dass für viele wichtige Entscheidungen nicht klar ist, was »richtig« oder »falsch« ist.
Der Soziologe Ulrich Beck hat dies folgendermaßen ausgedrückt:
»Im Übergang zu einer anderen, reflexiven Moderne stehen die Institutionen ... vor der Herausforderung, eine neue Handlungs- und Entscheidungslogik zu entwickeln, die nicht mehr dem Prinzip des ›Entweder-Oder‹, sondern dem Prinzip des ›Sowohl-als-Auch‹ folgt. Entscheidungen bedürfen neuer Begründungen und Verfahren.«
(Beck 2004:16)
In dieser Situation haben viele bisher übliche Formen der Konfliktregelung an Wirksamkeit verloren. Gerichtliche Klärungen sind oft zu langwierig und kostenintensiv. Mediationsverfahren bieten neue Alternativen zur Konfliktbearbeitung. Am 28. 06. 2012 verabschiedete der Bundestag das »Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Formen der außergerichtlichen Konfliktbeilegung«. Das Mediationsgesetz hat die Standards und rechtlichen Rahmenbedingungen für die weitere Anwendung der Wirtschaftsmediation in Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen im Bereich sozialer Dienstleistungen geschaffen.
1.1 Veränderte Rahmenbedingungen für Unternehmen
»Zeiten des Übergangs sind Zeiten der Mediation« schreibt der Schweizer Mediator Joseph Duss-von Werth in seiner Darstellung der Geschichte der Mediation in Europa. (Duss-von Werth 2005: 31) Unternehmen, Verwaltungen und Institutionen der sozialen Dienstleistungen befinden sich in einem »Übergang« und einem ständigen Wandel. Die zunehmende Globalisierung, die gestiegenen Anforderungen auf Umweltverträglichkeit und nachhaltiges Wirtschaften, die internetbasierte Kommunikation mit all ihren Chancen und Risiken, die Turbulenzen an den Kapitalmärkten und die Überschuldung der Staatshaushalte sind Entwicklungen, auf die Unternehmen ständig reagieren müssen.
VUCA heißt das Kürzel, das zunehmend Eingang in Strategiedebatten in Unternehmen findet. (Schumacher 2013: 180) Die einzelnen Buchstaben stehen für
• V = Volatility
• U = Uncertainty
• C = Complexity
• A = Ambiguity.
Mit den Begriffen Flüchtigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Vieldeutigkeit sind die Herausforderungen für Unternehmen gut umschrieben.
»Es ist heute praktisch nichts mehr so, wie es einmal war – und wenn es etwas gibt, das sich verlässlich vorhersagen lässt, dann dies: Es wird nie mehr so sein, wie es einmal war. Für viele Menschen aber – nicht nur in der Wirtschaft – hat sich die Veränderung zu schnell vollzogen. Manager und Führungskräfte sind plötzlich und zum Teil unerwartet vor ganz neue Aufgaben gestellt und diese Aufgaben erfordern zum Teil völlig neue Kenntnisse und Fähigkeiten« fassen Doppler/Lauterburg in ihrem Buch »Change Management« die Situation zusammen. (Doppler/Lauterburg 2002:36)
1.2 Umgang mit Problemen und Konflikten
Längerfristig betrachtet wissen wir, dass Übergänge zu etwas Neuem führen und viele Chancen enthalten. In den Zeiten des Übergangs aber stehen die Probleme und Risiken im Vordergrund. Unsicherheit und Komplexität im Umfeld der Unternehmen bestimmen auch das Verhalten ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter. Der steigende Arbeitsdruck und die ständigen Veränderungen in Strukturen und Abläufen schüren Ängste und führen zu Konflikten zwischen Mitarbeitern, Mitarbeitern und Führungskräften sowie in Teams und Arbeitsgruppen. Es kommt zu Verzögerungen in den Arbeitsabläufen, Verschlechterungen in den Arbeitsbeziehungen, Krankheiten und zusätzlichen Ausfällen. Die daraus resultierenden Konfliktkosten führen in vielen Unternehmen zu einer erheblichen Wertvernichtung.
Nach der Konfliktkostenstudie der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft belasten Fehlzeiten, Fluktuationskosten, Abfindungszahlungen und Krankheitskosten wegen innerbetrieblicher Konflikte die Unternehmen jährlich mit mehreren Milliarden Euro. Gleichzeitig führt die Zunahme von Konflikten am Arbeitsplatz zu einer Überlastung der Führungskräfte. »30–50 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit von Führungskräften werden direkt oder indirekt mit Reibungsverlusten, Konflikten oder Konfliktfolgen verbracht.« stellt die KPMG-Studie fest. (KPMG 2009: 20) In vielen Fällen wird dieses Dilemma noch dadurch verstärkt, dass für jedes Problem zusätzliche Betriebsanweisungen und Regelwerke entwickelt werden. Diese Tendenz zur Überregulierung bringt selten mehr Sicherheit, sondern führt oftmals zu neuen Problemen und Belastungen. Die zunehmende Formalisierung und juristische Absicherung der Kommunikation am Arbeitsplatz stellen auch klassische Konfliktanlaufstellen im Betrieb vor neue Probleme. Die späte Erfassung von Konflikten und formalisierte Verfahren behindert zunehmend eine flexible Lösungssuche.
1.3 Neue Kompetenzen
Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die Problemlösungsfähigkeit von Unternehmen der entscheidende Faktor für ihr Überleben im Markt und für die Sicherheit der Arbeitsplätze ist. Mitarbeiter und Führungskräfte brauchen ein höheres Maß an sozialer Kompetenz, um sich in unsicheren Zeiten und unübersichtlichen Situationen orientieren zu können. Dies gilt besonders für Führungskräfte.
Peter F. Drucker, einer der Begründer der Organisationsentwicklung, sagte dazu:
»Sie müssen lernen, mit Situationen zurechtzukommen, in denen sie nichts befehlen können, in denen sie selbst weder kontrolliert werden noch Kontrolle ausüben können. Das ist die elementare Veränderung. Wo es ehedem um eine Kombination von Rang und Macht ging, wird es in Zukunft Verhältnisse wechselseitiger Übereinkunft und Verantwortung geben.« (Zitiert nach Doppler/Lauterburg 2000: 73/74)
Oder anders ausgedrückt: Um die Zukunft der Organisation zu sichern, brauchen wir auf allen Hierarchieebenen eines Unternehmens mehr soziale Kompetenz. Die sogenannten weichen Faktoren –
• persönliche Haltung,
• Kommunikation,
• Verhandlungs- und Vermittlungskompetenz,
• Feedback –
werden zunehmend die wirklich harten Faktoren. Klaus Doppler spricht weiter von der
• Prozesskompetenz, als der »Fähigkeit, Informationsprozesse, Entscheidungsvorgänge und Arbeitsschritte sorgfältig auf das Aufnahmevermögen und die Lernkurve von Menschen und Gruppen abzustimmen.« und von der sog.
• Chaos-Kompetenz, als der »Fähigkeit, in akuten Konflikt- und Krisensituationen, wenn alles drunter und drüber geht, ruhig Blut zu bewahren und handlungsfähig zu bleiben ... gut zuzuhören und auf Menschen einzugehen ... und mit Urvertrauen in die Selbststeuerungsfähigkeit von Menschen und Gruppen ... dem intuitiven Wissen, dass die«chaotische»Situation nicht ein sinn- und willenloses Durcheinander darstellt, sondern lediglich einen Grad der Komplexität aufweist, der sich im Moment unserer Bewältigung entzieht.« (Doppler/Lauterburg 2002: 72)
Der US-Amerikaner Karl E. Weick verstärkt diese Forderung nach neuen Kompetenzen in seinem Konzept eines »achtsamen Managements«. Im Zentrum steht dabei die Forderung nach einer hohen Sensibilität für Abläufe und Beziehungen. Denn ob und welche Informationen unten an der Basis gehört und nach oben an die Managementebene gegeben werden, hängt vor allem von der Qualität der Beziehungen ab. »Wenn Manager nicht untersuchen wollen, was zwischen den Menschen in ihren Unternehmen vor sich geht, werden sie nie verstehen, was in diesen Menschen vorgeht.« (Weick/Sutcliffe 2007:26)
Eine wertschätzende Kommunikation und Vertrauen in interessensorientierte Verfahren – all diese Kompetenzen können Mitarbeiter und Führungskräfte in Organisationen durch die Beschäftigung mit Mediation erlernen und vertiefen.
Diese Ansätze repräsentieren ein neues Denken zu den Themen Management, Führung und Veränderungsprozesse, das getragen ist von einer gewissen Demut, von Respekt vor der Komplexität und Unwägbarkeit gesellschaftlicher und...