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E-Book

Natürliche Autorität im Klassenzimmer

Körpersprache gezielt einsetzen - souverän mit Störungen umgehen - erfolgreich unterrichten

AutorKarl Zerle
Verlagscolix
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783403703990
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
harmlos ist oder nicht, und wie Sie situationsangemessen einschreiten sollten.

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Leseprobe

Wechselwirkung Lehrerhaltung – Schülerverhalten


In diesem Buch will ich versuchen, Ihnen ein Instrumentarium mit Typenkunde und Anleitung an die Hand zu geben, damit Sie den Schulalltag überleben. Gut, das werden Sie vermutlich auch so. Aber man muss nicht immer den harten Weg gehen. Eine Einschränkung mache ich jedoch von vornherein: Ich kann keine Patentlösungen anbieten. Pädagogik ist Erfahrungssache und weitgehend personengebunden.

„Wer alle Schüler gleich behandelt, ist ungerecht.“ Diesen Satz habe ich lange nicht verstanden; er stammt von meinem ersten Schulleiter. Aber der Mann hat recht. Doch, schon. Denn das gleiche Mittel kann bei drei verschiedenen Schülern drei unterschiedliche Effekte hervorrufen.

Nehmen wir doch mal das Beispiel der Einstellung zu den Hausaufgaben. Da gibt es die ganz fleißigen Schüler, die ausführlich und sauber arbeiten. Daneben noch Otto Normalschüler, der dieses Zeug halt so gut erledigt, dass er voraussichtlich keinen Rüffel kriegen wird. Und dann laufen noch Schüler herum, denen jeder Tadel auf gut Deutsch einfach Wurst ist. Hausaufgaben? Wieso denn nur? Was will dieser Lehrer eigentlich?

Im ersten Fall kann ein tadelndes Wort über einen Leichtsinnsfehler zu Tränen führen. Der zweite Schüler wird eine Rüge, auch wenn sie deutlich ausfällt, akzeptieren, weil das für ihn dazugehört. Beim dritten Schüler sollte man vielleicht besser mit der Wand reden. Die gibt wenigstens ein Echo.

Ein Schüler, der ständig seine Hausaufgaben fehlerhaft oder gar nicht hatte und dem jeder Tadel offensichtlich gleichgültig war, wurde von seiner Lehrerin dazu verdonnert, nach dem Unterricht noch eine Stunde dazubleiben, damit er unter Aufsicht seine Aufgaben machen konnte. (Selbstverständlich wurde die Mutter vorher schriftlich darüber informiert. Das ist – falls Sie neu im Geschäft sind – unbedingt erforderlich, aus rechtlichen Gründen, Aufsichtspflicht.) Diese Lehrerin blieb sowieso jeden Tag etwas länger und erledigte alle schulischen Aufgaben vor Ort.

Gut, die Stunde war vorbei. Was geschah dann? Der Schüler schaute seine Lehrerin mit strahlenden Augen an und fragte, ob er jetzt jeden Tag eine Stunde länger dableiben dürfe.

Weil die Lehrerin wusste, dass die Mutter alleinerziehend war und das Kind häufig nach Hause kam, wenn niemand da war, willigte sie ein. Wieder wurde alles schriftlich geregelt.

Diese Sache verlief so weiter, dass das Kind (nach telefonischer Absprache) hin und wieder als Strafe gleichzeitig mit den anderen Schülern die Schule verlassen musste.

Es ist also notwendig, Schüler unterschiedlich zu behandeln. Wichtig dabei ist, dass Sie Ihr Instrumentarium zur Steuerung der Schüler kennen und in etwa abschätzen können, welche Wirkung es hat. Darum werde ich im Folgenden immer wieder auf Körpersprache eingehen. Wussten Sie, dass 80 % der Wirkung einer Aussage nonverbal übermittelt werden? Zumindest gilt das für den interkommunikativen Bereich, also den Informationsaustausch zwischen mehreren Beteiligten.

Und glauben Sie nicht, dass Kinder mit diesen körpersprachlichen Signalen nicht vertraut sind. Nach Chris CASWELL (2003) kennen sie den größten Teil bereits mit fünf Jahren. Und mit 12 bis 14 Jahren verstehen sie sie wie Erwachsene. Ausnahme: Asperger-Autisten. Diese sind vor allem nicht transferfähig und müssen dieselben Signale in unterschiedlichen Situationen stets neu erklärt bekommen. (Das ist eine eigentlich unzulässige Kurzfassung, das gebe ich gern zu. Sie trifft aber das für Sie Wesentliche.)

Weil gerade das Stichwort gefallen ist: Asperger-Autisten. Wenn Sie die Möglichkeit haben, eine Schulung über den Umgang mit diesen Schülern mitzumachen, so nutzen Sie diese!

Eine Realschule, an der ich als Schulbegleiter eines solchen Jugendlichen tätig war, bot mir die Möglichkeit, einen Vortrag für Lehrer zur Problematik im Bereich Schule zu halten. Dazu muss man wissen, dass in derselben Jahrgangsstufe insgesamt drei Asperger-Autisten waren. Sie waren auf drei Klassen aufgeteilt, zwei hatten je einen Begleiter, der dritte nicht.

Ein Lehrer sprach mich am nächsten Tag an. Er sagte sinngemäß: „Ich bin der Mann mit dem Asperger ohne Begleitung. Ihre Ratschläge habe ich befolgt. Ich hatte in dieser Klasse noch nie so saubere und vollständige Einträge bei allen Schülern.“ Es kann sich also lohnen, sich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Auch für den Umgang mit „normalen“ Schülern sei Folgendes gesagt: Selbst wenn ich nicht für jede Situation eine sichere Lösung anbieten kann, ein paar allgemeine Aussagen zu Aktion und Reaktion lassen sich durchaus treffen. Denken Sie an Ihre eigene Schulzeit.

Die Klasse – also Sie und Ihre Mitschüler – ist gerade in einer Null-Bock-Phase. Dann kommt eine Lehrkraft, die ausgesprochen langweiligen und monotonen Unterricht verbricht. Haben Sie die Situation selbst erlebt? Und? Die sozial verträglichste Schülerreaktion besteht hier aus Nägel lackieren und Papierflieger bauen (oft auch mit Testflügen). Ach so, derartige Dinge haben Sie nie gemacht ... Eigentlich schade. Denn merke: Gute Diebe werden die besten Polizisten.

Und die Lehrkraft? Vermutlich resigniert sie ein Stückchen weiter und stellt fest, dass „mit diesen Schülern kein vernünftiger Unterricht möglich ist.“ Hier die wörtliche Aussage eines Gymnasiallehrers (Kollegstufe, Grundkurs Deutsch, 6. Stunde): „Dann halten wir halt wieder einmal eine Vorlesung. Was anderes ist bei denen ja nicht drin.“ Nun, vielleicht lag es wirklich nur an den Schülern. Zugegeben, Freitag, 6. Stunde, Grundkurs Deutsch: Das ist Schwerarbeit und grenzt an Fron.

Noch ein Beispiel: Die Klasse ist unruhig und schwer motivierbar.

Und die Lehrkraft steht so vor den Schülern!

Alles klar? Hier kann man darauf wetten, dass dieser arme Kerl größte Schwierigkeiten mit der Disziplin bekommt. Logisch. Fatal: Der entstehende Hauch von Anarchie bleibt in der Luft hängen und beginnt sofort zu wirken, wenn die Klasse und diese Lehrkraft wieder zusammentreffen.

Man kann natürlich vorbeugende Maßnahmen treffen. Sie stellen am Beginn der Stunde fest: „Dieses Thema ist wirklich spannend!!!“ Sprechen Sie diesen Satz bitte laut aus, einmal mit und einmal ohne Rufzeichen. Das macht schon einen Unterschied. Und das Gleiche jetzt bitte mit dem Satz: „Bei Disziplinlosigkeit werde ich sofort durchgreifen!“

Nun? Sie betonen wirklich eindrucksvoll, Kompliment. Das hätten Sie sich aber sparen können. Denn für Zyniker sind solche Aussagen ideal und werden (vor allem die zweite) gerne als Herausforderung verstanden. Und kommen Sie mir nicht mit dem Einwand „Aber es sind doch Kinder!“ Ich verrate Ihnen jetzt ein offenes Geheimnis: Es gibt Kinder, die sind körperlich gerade erst zehn Jahre alt. An Zynismus gemessen liegen sie aber zwischen 30 und 40. Und genau das werden Sie zu spüren bekommen.

Versuchen Sie es anders: Sagen Sie nichts von „spannend“. Teilen Sie Ihren Inhalt stattdessen mit nonverbalen Mitteln mit. In der Grundschule kann das bereits eine kleine Pause im Satz und ein geheimnisvoller Tonfall sein. Die Kinder sind gefesselt, vor allem, wenn die Lehrkraft dabei eine „Verschwörerhaltung“ einnimmt. (Schultern etwas nach innen gezogen, Kopf leicht gesenkt, verschwörerische leise Stimme. Probieren Sie das mal vor dem Spiegel.)

Das Wort „spannend“ wird nicht erwähnt. Die Kinder entnehmen es aus dem geheimnisvollen Getue selbst und akzeptieren es damit.

Eine andere Situation, diesmal zur Disziplin: Herr Braun kam neu in eine Klasse (Mittelschule, 8. Klasse, Nachmittagsunterricht). Nach etwa fünf Minuten (er hatte sich gerade vorgestellt und mit dem Jahresprogramm begonnen) gähnte ein Schüler ostentativ und legte die Füße auf den Tisch. Herr Braun sprach ruhig weiter, öffnete in seiner Nähe ein Fenster und bat den Schüler, dort Platz zu nehmen, weil er Sauerstoff brauche. Der war so verblüfft, dass er der Aufforderung nachkam. Als er sich in der Stunde am nächsten Tag auch nur bequem zurücklehnte, hob dieser Lehrer sehr deutlich die Augenbrauen, deutet mit einem Finger auf den Schüler und mit der anderen Hand zum Fenster. Folge: Ein kurzes Grinsen und dann normgerechtes Verhalten.

Was war geschehen?

Herr Braun hatte zu keinem Zeitpunkt etwas von Strenge gesagt. Er hatte auf eine schwierige Sache kurz und mit einem Hauch von Witz reagiert und beim Ansatz zum zweiten Versuch mit rein körpersprachlichen Mitteln gezeigt, dass er zur Konsequenz neigt. Diesen Schluss hatte der Schüler selbst gezogen und damit akzeptiert. Ab diesem Moment hatte er Vertrauen zu Herrn Braun und ließ sich vielfältig bei Organisationsaufgaben einsetzen. Dieser Nebeneffekt war höchst erfreulich.

Und durch die kleinen Jobs erhielt der Junge das zusätzliche Maß an Aufmerksamkeit, das er offenbar brauchte.

Randbemerkung: Er war einer der Leithammel der Klasse.

Warum sollte man versuchen, die Klasse an der kurzen Leine zu führen und Ausreißer sofort einzufangen? Ist das autoritär? (Sie selbst schrecken vor diesem Begriff offenbar nicht in einem bedingten Reflex zurück. Sonst hätten Sie dieses Buch nicht gekauft.)

Aus einem bestimmten Blickwinkel sicher. Es entspricht jedoch der Erwartungshaltung der Schüler. Chris CASWELL (2003) hat Schüler zum Thema „Was erwartet ihr von eurem Lehrer?“ befragt. Nach Wichtigkeit,...

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