1 Vorwort
Zweifellos gehört das Haus Tudor zu einer der bedeutendsten Dynastien Großbritanniens, welche auch heute noch großes Interesse in der öffentlichen Kultur und in der historischen Wissenschaft findet. Dieses Faktum wurde jüngst in einer Umfrage der britischen Historical Writers’Association nach dem »schlechtesten« bzw. »besten König der Geschichte« von über 60 Autoren weitgehend bestätigt: Diese bewerteten Elisabeth I. mit Abstand als Best Monarch in History, d. h. in der Weltgeschichte (mit 36 % der Stimmen), während ihr Vater Heinrich VIII. als Worst Monarch (mit 20 % der Stimmen) – vor den englischen Königen Eduard VIII., Karl I. und Johann Ohneland – bezeichnet wurde.
Trotz dieses anhaltenden Interesses am Schicksal der Tudors ist die Zahl der Gesamtdarstellungen zu deren Historie in Relation zu den zahllosen biographischen Werken für einzelne Königinnen und Könige dieser Dynastie vergleichsweise überschaubar.1 Zudem ähnelten sich zahlreiche Gesamtstudien hinsichtlich Struktur bzw. Aufbau und beschränkten sich zumeist auf die weitgehend unverbundene Abhandlung der Regierung der sechs Monarchinnen und Monarchen in chronologischer Reihenfolge. Hierbei wurde nur im Ausnahmefall eine analytische Gesamtschau hinsichtlich des Wirkens bzw. der historischen Bedeutung dieser Dynastie in der englischen bzw. europäischen Geschichte vorgenommen. Weitergehende systematisch-strukturelle Analysen, die epochenübergreifend und problemorientiert angelegt sind, unterbleiben in diesen Werken oftmals. Auch die Bilder, die hierbei von den einzelnen Herrscherinnen und Herrschern entworfen werden, ähneln sich weitgehend. Es dominieren zum einen biografische Betrachtungsweisen, in welchen Familien- und Ehe-Probleme im Vordergrund standen und die mit der Entwicklung von Stereotypen bzw. der Verkündigung zeitgebundener Verdikte (insbesondere über Heinrich VIII. und seine Ehen) verbunden waren. Zum anderen wurde oft eine »anglozentrische Perspektive« bei der Analyse der politischen Ereignisgeschichte gewählt, in welcher die Berücksichtigung außenpolitischer Probleme nicht selten auf die Beziehungen Englands zu den »keltischen Reichen« (d. h. Irland, Schottland, Wales) beschränkt blieb.
Schon das erste Werk »wissenschaftlicher Geschichtsschreibung« im 19. Jahrhundert des viktorianischen Historikers J. A. Froude, das eine Gesamtdarstellung der Tudor-Dynastie bot, war von den ebengenannten Strukturen geprägt (1862–1870). In der 12-bändigen, auf Archivstudien beruhenden Untersuchung gab der Autor neben detaillierten biographischen Ausführungen eine materialreiche Darstellung der konstitutionellen Entwicklung des Landes, der Rolle des Parlamentes und der Veränderungen im englischen Verwaltungswesen. Hauptschwerpunkt der nützlichen Darstellung waren die Regierungen von Heinrich VIII. und Elisabeth I. Diese wurden in viktorianischer Manier als »gott-gesegnete Monarchen« verherrlicht, welche die »Ehre« des Commonwealth in existentiellen Krisen gerettet hätten.2
Noch vor dem Ersten Weltkrieg erschienen umfangreiche Darstellungen zur Political History of England in der Tudorzeit von H. A. L. Fisher und A. F. Pollard (21910, 41919). In diesen Werken wurde wieder ausführlich »politische Ereignisgeschichte« beschrieben, jedoch erweitert durch Hinweise auf Grundprobleme der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie der Bildungshistorie. Erneut betrachtete man Heinrich VIII. und Elisabeth I. als Hauptprotagonisten, die als bedeutende Leiter ihres Landes erschienen und dieses zu einer frühen Blüte führten. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfasste S. T. Bindoff (1950) für die bekannte Pelican History of England einen Band über »Tudor England«, in welchem er außer einer Historie der »Staatsaktionen« der Tudor-Herrscher einige stärker strukturell-systematisch angelegte Kapitel bot (u. a. über »The English«, das Parlament und religiöse Konflikte). Im Anschluss an dieses Erfolgswerk schrieben J. A. Williamson (1953) und C. Morris (1955) jeweils eine Überblicksdarstellung für die Tudors in traditionell verherrlichender Tendenz, gefolgt von G. R. Potter, G. R. Elton und R. B. Wernham (Eds.), die im Rahmen der »New Cambridge Modern History« (1957–1968) ebenso wie E. F. Jacob, J. D. Mackie, J. B. Black und G. Davies in der »Oxford History of England« (1959–1966) eine thematisch weiter gefasste und weniger »nationalistisch« geprägte Darstellung der Tudor-Epoche bzw. der Regierung Jakobs I. schufen. Zwar boten die Beiträge solide Informationen von der Politischen Geschichte bis zur Kulturgeschichte, dennoch war ihr Tenor grundsätzlich ähnlich, indem auch sie Heinrich VIII. und Elisabeth I. als Schöpfer der Grundlagen für das British Empire und für England als Weltmacht verklärten.3
Nachdem M. Levine die dynastischen Probleme der Tudors untersucht (1968) und D. M. Loades die Effizienz des Central Government unter den Tudors im Vergleich zu den kontinentalen Reichen gewürdigt hatte (1974), wählte G. R. Elton für seine Darstellung einen anderen Ansatz, indem er den Königshof sowie die Räte in den Mittelpunkt der Analyse stellte (21974). Gemäß seiner Hauptthese (von einer Revolution in Government unter Heinrich VIII.) behandelte er hierbei ausführlicher dessen Innovationen bzw. Cromwells in der Herrschaftsorganisation sowie im Finanz- und Verwaltungswesen. Diese Ansätze verfolgte er in der New History of England weiter, während sich die übrigen Autoren des Handbuchs (J. R. Lander, P. Collinson) auf eine eher »konventionelle« Darstellung (etwa von Government and Society bzw. Politics) beschränkten (1977–1980). Die nächst folgende Tudor-Geschichte von A. Plowden setzte diese Tendenzen mit einer stark auf die Herrscherpersönlichkeiten bezogenen Darstellung fort (1976), während dagegen J. A. F. Thomson und A. G. R. Smith in ihrer mehr strukturgeschichtlichen Analyse der Foundations of Modern Britain u. a. Probleme der Transformation des mittelalterlichen Englands, des Verwaltungswesens und der Tudor-Krisen behandelten (1983–1984).4
In den 1990er Jahren berücksichtigte der Elton-»Schüler« J. Guy in seiner materialreichen Darstellung (mit Schwerpunkten auf Heinrich VIII. und Elisabeth I.) ebenfalls die Rolle des Hofes bzw. der königlichen Berater sowie Aspekte der Political Culture eingehender und führte den politischen Erfolg der Tudors vor allem auf deren Einbeziehung von Adel bzw. Oberschicht in die Entscheidungsprozesse zurück (1990).5 Die folgenden Werke von J. Lotherington (1994) und P. Williams (1995) stellten wieder eher »konventionelle« Gesamtdarstellungen der Tudor-Epoche dar, wobei stärker Probleme der politischen Institutionengeschichte und Außenpolitik thematisiert wurden. Eine ähnliche Akzentuierung wiesen die Studien von M. Nicholls und D. L. Smith über die Geschichte der Modern British Isles auf, in welchen besonderes die Bedeutung der jeweiligen Monarchen für die Entwicklung der beiden regna England und Schottland bis 1603 als auch für die folgende Vereinigung beider Reiche unter den Stuarts verdeutlicht wurde (1998–1999).6
Während die wenigen Gesamtdarstellungen der Tudor-Historie von deutsch-sprachigen Autoren wie P. Wende und H. Haan bzw. G. Niedhart Probleme der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in den Vordergrund rückten (1985, 1993), wandte sich die Engländerin S. Brigden intensiver der Religions- und Kultur-Geschichte zu. Sie beschäftigte sich mit Lost worlds, die durch Renaissance und Reformation untergingen, und mit den New Worlds, welche durch dieselben Bewegungen sowie durch die Entdeckung der Neuen Welt erschlossen wurden (2000). Neue thematische Akzente setzte auch J. Ridley in seiner Historie des Tudor Age, indem er vorrangig die Geistes- und Sozialgeschichte und das Alltagesleben in dieser Epoche quellennah behandelte (2002).7
Zur gleichen Zeit legte R. Rex eine Studie über »Englands Aufbruch in die Neuzeit« vor, in welcher er die Politik der jeweiligen Tudor-Monarchinnen und -Monarchen aus deren Sicht ebenso darzustellen versuchte wie die politischen Konsequenzen ihres »persönlichen...