TRÄUME BIETEN NEUE LÖSUNGEN
50 000 Stunden träumt ein Mensch durchschnittlich in seinem Leben. Jede Nacht eineinhalb bis zwei Stunden, in vier bis fünf Etappen. Gut genutzt und wohl entwickelt, ist das ein unglaubliches Reservoir der Lebensenergie und der seelischen Erneuerung. 50 000 Stunden, das sind nicht weniger als zwei Drittel der Berufsarbeitszeit im ganzen Leben (durchschnittlich gesehen). Zur Verdeutlichung: Wer in seinem Beruf eine Zwei-Drittel-Stelle besetzt, der oder die arbeitet genau soviel im Leben wie er oder sie träumt!
Nun vergleichen Sie bitte: Wie viel Aufwand treiben Sie für Ihren Beruf und wie viel für Ihre Träume? Sie werden schnell feststellen: Die Träume kommen meistens zu kurz! Jedenfalls in der Wertigkeit, dem Stellenwert, den wir ihnen zu geben bereit sind.
Nicht zuletzt aus diesem Grund hat schon vor geraumer Zeit etwa der bekannte Philosoph und Psychologe Erich Fromm dafür plädiert, die Symbolsprache der Träume als „einzige Fremdsprache, die jeder von uns lernen sollte“, zu betrachten und in den Unterrichtsplan aller Schulen und Hochschulen aufzunehmen. Wir wollen es hier ein wenig bescheidener und praktischer ausdrücken: „Im Allgemeinen hilft es bereits sehr viel weiter, wenn wir täglich ebenso viel Aufwand wie für die Brotzeit auch für die Traumzeit betreiben und uns mit derselben Selbstverständlichkeit wie die tägliche Körperpflege auch eine alltägliche Seelenpflege gönnen.“
SCHÖNE TRÄUME – SCHLIMME TRÄUME
Die Beachtung, die wir den nächtlichen Träumen schenken, steht in direkter Beziehung zu der Aufmerksamkeit, die wir für unsere Lebensträume aufbringen.
Ein konkretes Beispiel: Ein junger Mann fand seine Träume erst beachtenswert, als er im
Alter von 29 Jahren geschieden wurde. In dieser Situation machten sich seine nächtlichen Träume unübersehbar für ihn bemerkbar. Er erinnerte sich morgens und tagsüber viel besser an das, was er nachts geträumt hatte. Und zur selben Zeit tauchte in ihm die Erinnerung an seine „Träume“ wieder auf, die er mit siebzehn oder achtzehn Jahren gehabt hatte. Diese Jugendträume – wie zum Beispiel auf dem Land zu leben und Musik zu machen – waren seither untergegangen, hatten keine Rolle mehr in seinem Leben gespielt und kamen ihm erst jetzt, unter dem Eindruck des großen Umbruchs in seinen persönlichen Verhältnissen, wieder zu Bewusstsein.
Wie in diesem Fall, stellen viele Lebenskrisen eine besondere Chance des persönlichen Wachstums dar. Es ist kein Zufall, wenn die „andere“ Realität der Traumwelt in demselben Moment wichtiger wird, in dem ein gewohnter Tagesablauf ins Wanken gerät. Das bewusste Ich ist vielleicht verletzter, aber auch offener und motivierter, bestimmte Wünsche und Ängste zuzulassen und zu verarbeiten.
Ob Sie sich gut oder schlecht an Ihre Nachtträume erinnern, kann also ein Spiegel dafür sein, wie Sie es mit den Träumen für Ihr Leben halten. Die nächtlichen Träume zu ignorieren bedeutet möglicherweise auch eine Missachtung oder Unterschätzung der persönlichen Lebensträume. Wer dagegen seine Träume regelmäßig beobachtet und ernst nimmt, hat sicher auch Wünsche und Traumvorstellungen in seinem Leben, die ihn beeinflussen und auf deren Verwirklichung er hinarbeitet. Es liegt also an Ihnen, die Nachtträume ebenso wie die Lebensträume zu erinnern, damit Sie wissen, was sie wirklich bedeuten, das heißt, was Sie praktisch mit ihnen anfangen können.
Wir träumen jede Nacht. Jeder Mensch, ausnahmslos. Nur wie viel wir davon bemerken, fällt von Mensch zu Mensch und je nach Lebensphase unterschiedlich aus. Psychologen und Neurologen haben in Experimenten eine eindrucksvolle Beobachtung gemacht: Unsere (nächtlichen) Träume sind unerlässlich für unsere Gesundheit und unser seelisches Gleichgewicht. Forscherinnen und Forscher können die Testpersonen in sogenannten „Schlaflabors“ so beeinflussen, dass sie nur am Träumen, nicht jedoch am Schlafen gehindert werden. Die Ergebnisse einer solchen tatsächlichen Traumlosigkeit sind verheerend. Schon nach wenigen Tagen kontinuierlichen Traumentzugs stellt sich eine seelische Krise ein oder der Mensch erleidet einen Nervenzusammenbruch. Wohlgemerkt, das sind „nur“ die Folgen von fehlenden Träumen, selbst bei völlig ausreichendem Schlaf.
Übertragen wir diese nachgewiesenen Resultate eines fortgesetzten Traumentzugs auf die „Träume“ in ihrer weiteren Bedeutung, so heißt das: Wenn unsere Lebensträume keine Chance zur Entfaltung erhalten, können sie eine seelische Krise oder sogar einen Zusammenbruch auslösen. Das gesamte bisherige Lebenskonzept kann in Frage gestellt weden. Daher erklärt sich der bereits angesprochene Zusammenhang, dass seelisch bewältigte Krisen zu einer verstärkten Neubesinnung auf die eigenen Träume führen.
WENN TRÄUME UNS WACH HALTEN
Wenn verschüttete Lebensträume wieder zum Vorschein kommen, kann sich im Übrigen eine paradoxe Reaktion einstellen: Es kann zu Schlaflosigkeit kommen, gerade weil bestimmte wichtige Träume ins Bewusstsein drängen. So schrieb ein dichterisch begabter, siebzehnjähriger Schüler in sein Tagebuch: „Nachts auf einmal – dann, /wenn ich nicht schlafen kann, /denke ich an Neuanfang. /Es ist doch und es müsste gehen – /denn eigentlich bei Nacht besehen – / ganz anders, tiefer und auch schöner. /(...) An Freunde denk’ ich, Freude, Kuss, /an Besseres, es herrscht kein Muss /nachts, wenn ich nicht schlafen kann...“
In diesem konkreten Fall war es für den Betreffenden notwendig, um seine Träume tatsächlich zu kämpfen. In seinem rigiden Elternhaus drohten seine eigenen Ansprüche auf Liebe, Freundschaft und Glück in einer Fülle geregelter Pflichten unterzugehen. Zunächst trug er selbst auch wenig zur Ablösung von seinen Eltern bei. Die Träume waren „sein“ Reich, hier hatte er seinen Rückzug und eine Ersatzheimat gefunden. Erst als die Schlaflosigkeit ein Problem wurde, versagten die Träume als Fluchtpunkt, und ein zweijähriger mühsamer, aber erfolgreicher Weg der Emanzipation führte den Schüler nach seinem Abitur zur Abkoppelung vom Elternhaus und zu einer eigenen „Existenzgründung“, wie er es nannte.
Wie bei diesem Schüler, so gehört vielfach ein Kampf dazu, die eigenen Träume ernstzunehmen. Aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich meist, dass der Kampf vor allem darin besteht, Mut zu eigenen Entscheidungen und Vertrauen in den persönlichen Weg aufzubringen. Wer seine Träume verwirklichen will, vermag dies nicht im Traum. Schlaflosigkeit kann unter diesem Aspekt ausnahmsweise heilsam sein – solange sie ein notwendiges Erwachen darstellt.
Viele nächtliche Träume sind Ausdruck dafür, dass der/die Träumende sich eingesperrt fühlt.
Vom Erwachen handelt jedoch auch eine ganz andere Gruppe von Träumen, die wir eher loswerden und vergessen als annehmen und umsetzen möchten: Die Alb- und Schreckensträume. „Heute schon geträumt?“ – „Lieber nicht“, möchten wir antworten, falls wir uns in einem Lebensabschnitt befinden, in dem unsere Träume mehr von Sorge, Angst oder Not als von allem anderen erfüllt sind.
Die Deutung dieser Träume ist ein heikles Thema, weil hier mit viel Liebe, aber oft auch mit viel Kritik, Trauer oder Wut eine persönliche Vision, der geeignete Hoffnungsschimmer am Horizont gefunden werden muss. Wenn uns Albträume nachts aufschrecken, kann dies entweder ein Hinweis darauf sein, dass wir in unserem Tagesbewusstsein „erwachen“ sollten, um ein bestimmtes Problem selbst zu lösen, oder es macht uns klar, dass wir uns auch tagsüber zu sehr erschrecken lassen und mehr Ruhe und Frieden finden müssen.
ANGST- UND ALBTRÄUME
Es gibt einen sogenannten Tagesrest im Traum. Damit bezeichnete Sigmund Freud Fantasien und – oft bruchstückhafte – Erinnerungen von bestimmten Ereignissen des vergangenen Tages, die der Traum benutzt, um damit eine ganz eigene Geschichte darzustellen. Wenn Sie zum Beispiel tagsüber in einer Reinigung verschmutzte Kleidung abgegeben haben, so kann der Traum diese Szene anschließend aufgreifen und in anderem Zusammenhang wiedergeben, etwa dem, dass unter Ihren Kolleginnen oder Kollegen „schmutzige Wäsche“ gewaschen wird.
Neben solchen Tagesresten im Traum kennt die Traumpsychologie auch umgekehrt „Traumreste“ im Tagesbewusstsein. So kann es zum Beispiel geschehen, dass wir tagsüber Kleider in die Reinigung bringen, weil wir nachts zuvor davon geträumt haben (vielleicht ohne es am Tag danach bewusst zu erinnern), dass wir eine gewisse Angelegenheit bereinigen möchten.
In dieser wechselseitigen Verquickung von Tagesbewusstsein und Traumleben haben...