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E-Book

Gegen den Verfall

Wie die Digitalisierung Europa retten muss

AutorHelmut Fallmann
VerlagMorawa Lesezirkel
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783990498651
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ursachen für das Abfallen Europas in technologischer Hinsicht gibt es viele: Wir handeln zu schwerfällig, sind auf nationale Befindlichkeiten fokussiert. Es fehlt an Risikokapital für Start-ups. Die Regelungen zum Datenschutz machen uns verwundbar für Spionage-Akte aus Übersee. Und fatalerweise ist sich die Bevölkerung über die Auswirkungen der digitalen Revolution noch gar nicht ganz im Klaren. Dieses Buch zeigt, welche Schritte in Europa dringend notwendig sind, um unseren Kontinent technologisch wieder auf Vordermann zu bringen. Es braucht einen digitalen Binnenmarkt, der - ganz nebenbei - endlich auch das schwächelnde europäische Zusammengehörigkeitsgefühl aufwerten kann. 'Helmut Fallmann ist nicht nur ein erfolgreicher IT-Unternehmer, sondern auch ein Vordenker über die Chancen der Digitalisierung für Europa. Er verankert den europäischen Datenschutz als Grundpfeiler seiner Vision für eine weltweit vorbildhafte digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Dieses Buch muss jeder lesen, dem die Zukunft Europas am Herzen liegt.' Jan Philipp Albrecht Mitglied des Europäischen Parlaments 'Die mächtige IT-Branche flüstert nur. Endlich bricht ein prominenter IT-Unternehmer das Schweigen. Fallmanns Warnungen und Visionen sind eine Sensation. Das derzeit wichtigste Buch für Europas Unternehmer.' Prof. Helmut A. Gansterer trend-Essayist, Buchautor

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Leseprobe

TEIL 2


Technologische Applikationen sind bequem und verspielt. Beinahe niemand kann sich mehr ein Leben „ohne“ vorstellen. Dafür wird ein hoher Preis bezahlt, denn die Anbieter saugen massenhaft Nutzerdaten ab und verwenden sie kommerziell weiter. Mit Datenhaufen, auch Big Data genannt, und den entsprechenden Algorithmen sind Überwachungsmaßnahmen und Prognosen in bisher ungekanntem Ausmaß möglich. Eine digitale Grundgesetzgebung muss diesem unhaltbaren Zustand schnellstens ein Ende machen. In Brüssel haben sich Verfechter einer europäischen Datenschutzreform trotz des massiven Lobbyings großer IT-Konzerne endlich durchgesetzt: Anfang 2018 soll die Datenschutz-Grundverordnung in Kraft treten.

MENSCHENRECHTE IN DER DIGITALEN GESELLSCHAFT


Jefferson bedankte sich seufzend. Was wisse man hier schon? Man sei eine kleine Protestantengemeinde am Rand der Welt. Unendlich weit von allem.

Schriftsteller Daniel Kehlmann lässt den dritten US-Präsidenten Thomas Jefferson sehr bescheiden sprechen. Der lud im frühen 19. Jahrhundert den preußischen Naturforscher Alexander von Humboldt ein, um ihn über seine Abenteuer und Entdeckungen in Südamerika auszufragen.75 Als einen „Hinterwäldlerpräsidenten“ hatte Humboldt den Präsidenten zuvor in Anwesenheit eines Journalisten bezeichnet. „Wen interessiere schon, was der denke!“76

Mittlerweile scheinen wir Europäer zu Hinterwäldlern geraten zu sein. Die Digitalisierung hat die Weltwirtschaft in einen Zustand befördert, der mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert vergleichbar ist – nur, dass die aktuelle wirtschaftliche Revolution in rasantem Tempo abläuft und von vergleichbar wenigen Köpfen gesteuert wird. Und die befinden sich eigentlich alle in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Wir tauschen uns via WhatsApp und Facebook aus, lassen uns mit dem Taxidienst Uber kutschieren und übernachten in Airbnb-Unterkünften. Betäubt von diesen unkomplizierten und durchaus beglückenden Diensten übersehen wir, dass die Betreiber unser tägliches Leben protokollieren, einfach kontinuierlich unsere Daten absaugen, die wir ohne viel Nachdenken herausrücken. Wir schenken unsere persönliche Freiheit her und merken es, abgelenkt von so viel Komfort und Unterhaltung, nicht einmal. Scheibe für Scheibe werden damit wichtige Menschenrechte amputiert, etwa das Recht auf Freiheit, Eigentum und Sicherheit der Person oder die Freiheit von willkürlichen Eingriffen in die Privatsphäre – darunter fällt unter anderem die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Briefgeheimnis.

Wissen ist Macht

„Wissen ist Macht, und Wissen über einen Menschen bedeutet Macht über diesen Menschen“, sagt die Juristin und Schriftstellerin Juli Zeh.77 Bürgern, die vor ihrem unsichtbaren Gegner einknicken oder behaupten, sie hätten ohnehin nichts zu verbergen, scheint nicht klar zu sein, dass die Dienste im Internet eben nicht gratis sind, sondern mit der Währung Identität bezahlt werden wollen. Jene Daten, für deren Schutz in der realen, dreidimensionalen Welt jahrhundertelang gekämpft wurde, was aber einen Atemzug später nicht mehr gelten soll. Denn plötzlich umhüllt uns die Kuppel einer weiteren, einer digitalen Gegenwart. Unser Gleichgewichtssinn, scheint’s, ist dadurch aus dem Lot geraten. Schwindelig schalten wir lieber auf Anpassung, vor allem, da die neue Welt in rosa Zuckerwatte gepackt ist. Bei Juli Zeh schrillen alle Alarmglocken: „,Ich habe nichts zu verbergen’ ist somit ein Synonym für ‚Ich tue, was man von mir verlangt’ und damit eine Bankrotterklärung für die Idee des selbstbestimmten Individuums.“

Was passiert denn, wenn man sich auflehnen würde und mit seinen Daten knausert? Die Konsequenzen sehen eher düster aus: Die Kreditwürdigkeit sinkt, aus der Beförderung wird doch nichts, die US-Behörden lehnen die Einreise ab. Sozialversicherungen erhöhen die Prämie, wenn man nicht alles über die Pflege seiner Gesundheit preisgibt. Autoversicherungen werden teurer, weil das Fahrverhalten im Sensor-gespickten PKW nicht der Norm entspricht.

Es geht soweit, dass US-amerikanische Versicherungsunternehmen auch die Daten europäischer Kunden kaufen.78 Falls sie einmal ihre Geschäfte auf den „Alten Kontinent“ ausweiten sollten, können sie bessere Tarife als die europäischen Kollegen anbieten. Warum? Die europäischen Konzerne dürfen ihre Kundschaft nach EU-Recht nicht derart gründlich ausspionieren – und könnten dadurch letztendlich einen Wettbewerbsnachteil erleiden.

Bisher geben Konsumenten ihre Daten ohne viel Nachdenken her. „Ich habe nichts zu verbergen“, sagte mir ein Kapitän der Lüfte vor Kurzem. Das glauben viele. Dass der Pilot jedoch aufgrund harmloser, aber für die NSA verdächtige Details in seinen E-Mails von einem Tag auf den anderen die Einreisegenehmigung in die USA verlieren könnte und damit seine Fluglizenz und in Folge seine Existenz – soweit kann und will er nicht denken. Big-Data-Expertin Yvonne Hofstetter dazu in einem Interview79:

Das ist das Problem, weil die Konsumenten ziemlich naiv sind. Denken Sie an Versicherungen, die wahnsinnig scharf auf Gesundheitsdaten sind. Die möchten optimieren. Aber nicht unsere Gesundheit, sondern ihr eigenes Geschäft. Mit den Daten kann ich eine Person sehr viel besser bewerten, quantifizieren und einen sehr viel genaueren Tarif berechnen.

Portale wie Trackography.org zeigen auf, welche Datensauger am Werk sind, wenn man seine Zeitung online lesen will. Dass Google, der Goliath unter diesen Firmen, dazu gehört, ist eigentlich schon klar. Von den 25 Daten sammelnden Unternehmen, die global operieren, geben nur elf an, wie lange sie die Daten speichern.80 Übrigens: Nur drei der weltweiten Datenverwerter kommen NICHT aus den USA.

Die Betreiber des in Berlin ansässigen Tactical Technology Collective zählen zehn Gründe auf, warum die Aussage „Ich habe nichts zu verbergen“ noch einmal genauer überdacht werden sollte81:

Wenn wir nichts zu verbergen haben, sollten wir erst gar nicht unter Beobachtung stehen.

Privatsphäre ist ein Grundrecht, das im Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) festgeschrieben steht.

Im Zusammenhang mit Ärzten oder Anwälten besteht man auch auf Verschwiegenheit.

Unser digitaler Schatten kann unterschiedlich interpretiert werden. Wir haben kaum Kontrolle darüber, was wir tatsächlich von uns zeigen oder verstecken.

Unsere Daten erzählen über uns Geschichten, die wahr oder unwahr sein können. Wenn unsere Daten behaupten, wir wären Terroristen, wird es schwierig, sich gegen eine Regierung zu verteidigen.

Es gibt keine Beweise, dass Geheimdienste und Unternehmen unsere Daten zu hundert Prozent sicher aufbewahren können. Oder dass sie das überhaupt beabsichtigen.

Massenüberwachung erzeugt Misstrauen in der Gesellschaft, in der wir alle als schuldig angenommen werden, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Unsere Daten werden gespeichert, und wir wissen nicht, was damit in Zukunft geschieht. Allein die Vorstellung, was passiert wäre, wenn Stalin oder Hitler Zugang zu riesigen Datenbeständen mit Informationen zu jedem Bürger gehabt hätten!

Überwachung ist schon immer gegen Menschenrechtsaktivisten auf der ganzen Welt eingesetzt worden.

Überwachung war auch ein entscheidender Faktor bei Attacken per Drohne, was auch schon zum Tod unschuldiger Zivilisten geführt hat – Kinder inbegriffen.

Um diesem schwer greifbaren Horror zu entkommen, braucht es eine digitale Grundgesetzgebung, und zwar so rasch wie möglich. Denn der Mensch gewöhnt sich schnell an vieles, auch seine Züchtigung. Gegenbewegungen haben es vor allem anfangs schwer und brauchen für ihren Erfolg oft lange Zeit. Man erinnere sich an die Arbeiter- oder die Umweltbewegung, die soziales und ökologisches Bewusstsein durchgesetzt haben. Und man muss sich nur seine persönliche Sphäre vergegenwärtigen:

Nichts ist dem Menschen so natürlich wie die Einzäunung eines Stück Landes und die Aufstellung eines Schilds, auf dem „meins“ geschrieben steht. Jeden Versuch, ohne sein Einverständnis in diese Sphäre vorzudringen, wird er als Respektlosigkeit empfinden und mit Empörung zurückweisen. Voraussetzung dafür ist aber die rechtliche Anerkennung von Zaun und Schild.

Kinder wollen sich nichts von den Eltern vorschreiben lassen. Bespitzelung durch...

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