GRUNDLAGEN DER AUSBILDUNG
DIE BEDEUTUNG DER STELLUNG
„Die Kopfstellung ist das Mittel, der Gang der Zweck der Dressur.“
(Alois Podhajsky, Die klassische Reitkunst, Kosmos, 1998)
Die Unterscheidung von Stellung und Biegung gehört regelmäßig zu den ersten Fragen, die ich einem neuen Schüler stelle. Überraschend vielen fällt zur Stellung gar nichts ein. In der Literatur führt sie ein stiefmütterliches Dasein. Dabei hängt die Qualität der Biegung von der Qualität der Stellung ab. Die Stellung ist der Ursprung der Biegung, die Biegung ist eine verstärkte Stellung. Die Stellung ist der Schlüssel zum guten Reiten. Schiefentherapeut Klaus Schöneich verdeutlicht den Begriff „Stellung“ mit der menschlichen Anatomie:
„Stellen Sie sich mit leicht gespreizten Beinen hin, und lassen Sie die rechte Schulter fallen … Sie stellen jetzt fest, dass die rechte Seite Ihres Rückens loslässt, sie ist ganz locker – bis zur Hüfte! Das ist Stellung! Somit geht die Stellung bis zur Hüfte. Bleiben Sie so und biegen Sie nun Ihren Körper in einer Rumpfbeuge nach rechts. Das ist Biegung!“
(Gabriele Rachen-Schöneich und Klaus Schöneich, Die Schiefentherapie, Müller Rüschlikon, 2010)
Jede Ecke ist eine Viertelvolte und verlangt Stellung. Lusitano Brilhante in Stellung: Der Mähnenkamm ist in die Biegung gekippt, das innere Ohr deshalb näher bei der Reiterin. Die Ohren sind dennoch auf gleicher Höhe.
KRITERIEN FÜR EINE GUTE STELLUNG
1. Stelle ich ein Pferd nach innen, sollte sich dessen Unterkiefer nach außen unter den Atlas (erster Halswirbel) verschieben. Das Pferd muss den Kiefer also frei bewegen können. Deshalb ist es so fatal, das Maul unserer Pferde mit Nasenriemen zuzusperren. Es ist nicht nur grausam, es macht außerdem Stellung unmöglich!
2. Der Mähnenkamm kippt durch die Rotation der Halswirbel nach innen.
3. Die innere Hüfte schwenkt nach innen.
4. Ich sehe das innere Auge schimmern.
5. Die Ohren bleiben auf gleicher Höhe.
Durch die Stellung können wir also Einfluss nehmen auf die Schulter des Pferdes und damit auf die gesamte Balance. Sie wirkt sich bis in die letzte Faser des Pferdes aus, bis in das gleichseitige Hinterbein. Es geht darum, die Außenseite zu dehnen, und nicht, die Innenseite zu verkürzen. Der rein mechanische Ablauf des „Stellunggebens“ ist nicht schwierig. Es handelt sich lediglich um ein leichtes Eindrehen des (lockeren) Handgelenks, wodurch die eine Hälfte des Trensengebisses bewegt wird. Die Fingernägel werden zum Reiter hin ein- beziehungsweise aufwärtsgedreht. Im Anfangsstadium erweist es sich immer wieder als äußerst hilfreich, dies durch einen „öffnenden Arm“ zu unterstützen. Die stellende Hand steht durchaus auch einmal ein paar Schritte an, so lange nämlich, bis das gewünschte Ergebnis erzielt ist.
Hat das Pferd verstanden, worum es geht, und kann dem auch körperlich Folge leisten, reicht eine relativ kleine Fingerbewegung, oft als „Läuten“ bezeichnet, um ihm den Wunsch nach Stellung mitzuteilen. Bei Widerstand hilft oft die etwas höhere Hand. Keinesfalls sollte man den Zug mit tiefer Hand und Kraft nach hinten verstärken, das blockiert nicht nur das innere Hinterbein, führt also zum Gegenteil des Gewünschten, es ist für die Pferde auch extrem unangenehm auf der sehr empfindlichen Zunge. Wirkt man dagegen aufwärts in Richtung Maulwinkel, löst man den Kaureflex aus und das Pferd gibt leichter nach. Für einen Beobachter muss die äußere Hand eine Faustbreit vor der inneren zu sehen sein. Zunächst darf der Außenzügel auch einmal deutlich durch die Hand rutschen. In dem Augenblick, in dem sich das Pferd gern und sicher an ihn schmiegt und sich durch ihn führen lässt, werden Sie innen leichter.
Ein viel zu wenig beachteter biomechanischer Zusammenhang besteht zwischen der korrekten Stellung und der Haltung des Pferdes.
Dr. med. vet. Gerd Heuschmann bringt ihn in seinem Werk „Balanceakt“ (Wu Wei Verlag, 2011) wie folgt auf den Punkt:
„Stellung ist allerdings nur möglich, wenn die entsprechende Genickentspannung vorliegt und der Genickwinkel offen ist.
Das setzt voraus, dass die Nase vor der Senkrechten ist ...
Links und rechts aus der Schädelbasis, etwa auf der Höhe des Gehörganges, ragt ein jeweils etwa zeigefingerlanger Knochenvorsprung (Procc. paracondylares) nach caudal (hinten).
Bei einer Genickbeugung hinter die Senkrechte der beschriebenen Nasenlinie heben sich diese Knochenvorsprünge unter die Flügel des ersten Halswirbels und blockieren dadurch das Genick für jede Seitwärtsbewegung. Das heißt, eine Stellung im Genick ist anatomisch unmöglich geworden.“
Im Umkehrschluss ist ein Pferd hinter der Senkrechten niemals korrekt gestellt! Dieser Zusammenhang ist also für Besitzer von Pferden, die sich tendenziell verwerfen oder aufrollen, besonders wichtig. Generell ist Stellung nicht zwingend mit Aufrichtung verbunden.
Von hohem gymnastischen Wert ist das Stellen und Biegen in Dehnungshaltung; je tiefer das Pferd sich streckt, desto mehr Dehnung erfährt seine Außenseite.
Eine wunderbare Aufwärmübung im Schritt ist das Stellen am hingegebenen Zügel. Schaffen Sie es, an der langen Seite am hingegebenen Zügel geradeaus zu reiten und dennoch Stellung zu geben, bis der Mähnenkamm kippt? Sie werden feststellen, dass dies eigentlich die höhere Kunst ist und eine höhere Rittigkeit und Geschmeidigkeit voraussetzt, als in aufgerichteter Halsposition in Stellung zu reiten.
DIE BEDEUTUNG DER DEHNUNGSHALTUNG
Das Erlernen der Dehnungshaltung ist die Grundlage pferdegerechter Ausbildung. Sie befähigt das Pferd, einen Menschen zu tragen. Neben dem „guten Reiten“ spielt hier auch die mentale Seite eine ganz wesentliche Rolle. So wie es Menschen gibt, denen es schwerfällt, sich fallen zu lassen und durchzuatmen, gibt es auch Pferde, die sich ungern entspannen und unter Dauerstrom stehen. Diese benötigen oft viel Zeit, Geduld und Vertrauen, um stetig an einen langen bis hingegebenen Zügel hinzutreten. Mit Ungeduld und Kraft lässt sich die Dehnungshaltung nicht erzwingen.
Wie im Kapitel zur Trageerschöpfung beschrieben, ist die Fähigkeit, den Rücken aufzuwölben, ganz wesentlich für die Gesundheit Ihres Pferdes. Bereits ein minimales Absinken des Rückens führt zu schmerzhaften Berührungen der Dornfortsätze. Physiotherapeutin Helle Kleven beschreibt in ihrem Buch „Biomechanik und Physiotherapie für Pferde“ (FN-Verlag), warum die Dehnungshaltung dem Pferd hilft, den Menschen zu tragen: „Das Nackenband zieht am Widerrist und richtet die Dornfortsätze somit auf.“ Im folgenden Satz erklärt sie, warum „Hals tief“ nicht reicht, sondern eine aktive Hinterhand eines der wichtigsten Kriterien einer korrekten Dehnungshaltung ausmacht:
„Für die Aufrichtung der restlichen Wirbel sind die Lenden-Becken-Muskeln gemeinsam mit der Bauchmuskulatur verantwortlich. Spannen sich diese, richtet sich das Becken auf, das Oberdornfortsatzband bekommt Zug von hinten (daher die verschiedenen Dornfortsatzrichtungen) und der Rücken wölbt sich auf.“
In diesem Augenblick ist der lange Rückenmuskel entlastet, kann sich frei bewegen und im Lauf der Zeit gestärkt werden. Das ist wichtig, denn er wird als Heber der Vorhand im Galopp benötigt. Auch ist er beteiligt daran, die Kraft aus der Hinterhand nach vorn zu leiten, und durch seinen Ansatz an den Rippen beeinflusst er die Qualität der Atmung. Dies erklärt, warum ein Abschnauben als Zeichen der Zufriedenheit gilt. Das können nur entspannte Pferde.
Dehnungshaltung ist gesund – auch im Tölt! Geben Sie immer wieder mal nach vorn-unten nach und prüfen Sie so, ob Sie Ihr Pferd am Sitz oder nur auf der Hand haben. Oft ist die Dehnungshaltung auch ein ganz einfaches Mittel, um den Takt zu verbessern.
Machen Sie sich also bewusst: Der lange Rückenmuskel ist ein Bewegungsmuskel und zum Tragen nicht geeignet. Richtet der Reiter sein Pferd über die Hand auf, verspannt sich der Muskel und Losgelassenheit wird unmöglich.
Wann geht ein Pferd aber in guter Dehnungshaltung? Hier sehen Sie die entscheidenden Kriterien:
1. Nase vor der Senkrechten
2. Angehobener Brustkorb
3. Aktive Hinterhand
Ein tiefer Hals macht noch keine Dehnungshaltung. Erst einmal freut man sich, wenn ein „Sternengucker“ den Hals fallen lässt. In der korrekten Dehnungshaltung wird er aber aktiv getragen. Dies erfordert Kraft und ist anstrengender als die vermeintliche Aufrichtung durch den Unterhals. Auch das durch das Anheben des Rückens ermöglichte vermehrte Untertreten der Hinterhand ist für das Pferd anstrengender, als mit gestreckten Gliedmaßen hinten herauszutreten.
DEHNUNG STRENGT AN
Wichtig: Die Dehnungshaltung soll nicht zum Dauerzustand werden, das Ziel ist die relative Aufrichtung beziehungsweise eine den Möglichkeiten des Pferdes entsprechende Versammlung. Das...