2. Leben ohne Auto, wie geht das?
»Seit fünf Jahren habe ich kein Auto mehr. Autofahren ist also heilbar.«
Franz Alt (Journalist und Autor) im April 2015
Autofrei leben, das klingt irgendwie gut? Die Argumente überzeugen? Aber es ist noch nicht so ganz klar, wie das gehen soll.
In den letzten Kapiteln ging es um Mobilität, Verkehr und vor allem um das Auto: viele Erklärungen, viele Argumente, letztlich aber doch Theorie. Die Lust zum autofreien Leben mag dabei zugenommen haben, aber wie kann das konkret und praktisch gehen? Dieses Buch ist nicht nur eine theoretische Abhandlung, warum das Leben ohne – oder mit weniger – Auto eine gute Sache ist, sondern es soll auch ein praktischer Ratgeber sein, wie das funktionieren kann.
Dieses Kapitel soll Möglichkeiten aufzeigen, die eigene Mobilität ohne Auto umzusetzen. Es soll Ideen und Hilfestellungen geben, wie das gelingen kann, ohne sich allzu sehr einzuschränken – und oft sogar mit einem Zugewinn an Lebensqualität. Die einzelnen Unterkapitel behandeln die verschiedenen Mobilitätszwecke – die Alltagsmobilität mit Wegen zur Arbeit, Schule, Kita und anderem, das Einkaufen, Ausflüge sowie Urlaubsreisen und Geschäftsreisen. Zu jedem Bereich gibt es auch noch weiterführende Ressourcen, die zusätzliche Informationen für die eigene Lebenssituationen geben können.
Dabei sollten all diese Ideen nicht als »Patentlösungen« missverstanden werden, die für alle gleichermaßen funktionieren. Eher sind es Denkanstöße für eigene Verhaltensänderungen – und manchmal auch für grundlegende Entscheidungen im Leben.
2.1. Das Leben autofrei einrichten
»Verkaufen Sie Ihr Auto. Schon müssen Sie nicht mehr im Stau stehen, keine Umleitungen fahren und keinen Parkplatz suchen. Mehr Nichtstun lässt sich auf einen Schlag nicht gewinnen.«
Björn Kern (Autor) in »Macht nichts« (Die Zeit Nr. 11/2016)
Fast jeden Tag fahren wir und unsere Kinder zur Arbeit, Ausbildung, Schule oder Kita, wir wollen zu Freizeitaktivitäten, wir müssen einkaufen und Termine wahrnehmen. Für viele ist das Auto für alle diese Wege das selbstverständliche Transportmittel – so selbstverständlich, dass man immer wieder hört, ohne ginge es gar nicht. Das mag im Einzelfall stimmen, aber oft gibt es durchaus Alternativen – auch wenn sie nicht immer sofort sichtbar sind und manchmal etwas mehr Organisation benötigen. Meist ist es in Städten sehr viel einfacher, den Alltag ohne Auto zu organisieren, als auf dem Land – was umgekehrt nicht heißt, dass es nicht auch in vielen ländlichen Gegenden gute Mobilitätsalternativen zumindest für einige Bereiche des Lebens gibt. Langfristige Lebensentscheidungen, ganz besonders der Wohnort und die Arbeitsstelle, wirken sich ganz entscheidend darauf aus, ob man im Alltag auf das Auto verzichten kann oder nicht. Die meisten Menschen treffen diese Entscheidungen nicht primär nach den damit verbundenen Mobilitätsoptionen – aber genau dies ist eine der Konsequenzen, die später über die Lebensqualität entscheiden. Daher macht es viel Sinn, die Mobilität bei solchen Entschlüssen im Auge zu behalten. Konkret kann das heißen: Wie gut sind Wohnort oder Arbeitsstelle mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar, ist die Entfernung mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß zu bewältigen?
Der »richtige« Wohnort
Bei grundsätzlichen Lebensentscheidungen, insbesondere vor einem Umzug, macht es daher Sinn, sich den Alltag am neuen Ort schon einmal ganz konkret zu durchdenken. Wie wäre man an einem typischen Tag unterwegs, welche Mobilitätsoptionen gibt es für die Wege? Wo befindet sich die nächste Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs und wie häufig wird sie tagsüber angefahren, wie häufig am Wochenende, bis zu welcher Zeit am Abend? Mit welchem Umsteige- und Zeitaufwand kommt man von dort zu den Orten, die man regelmäßig erreichen muss? Diese Informationen findet man am besten auf den Internetseiten der lokalen Verkehrsbetriebe oder des Verkehrsverbundes – oder in den entsprechenden Apps für das Smartphone, wo man sich die typischen Verbindungen für diese Zwecke anzeigen lassen kann. Die gleichen Fragen kann man auch für Verbindungen zu Fuß oder mit dem Fahrrad stellen: Wie weit ist es, gibt es schöne und praktikable Wege? Der praktische Selbstversuch ist natürlich noch besser – und hilft dabei, ein Gefühl für den neuen Ort und den Aufwand zu bekommen, der mit der Mobilität dort verbunden ist. Natürlich wird die Mobilität für niemanden der einzige entscheidende Faktor bei der Entscheidung für einen neuen Wohnort sein – sonst würden alle nur noch direkt am Bahnhof wohnen. Es macht aber viel Sinn, diesen Umstand in die Entscheidung mit einfließen zu lassen. Denn die Mobilität hat letztlich eine Menge mit der Lebensqualität am neuen Ort zu tun – und nicht zuletzt auch mit den Kosten, insbesondere wenn es um die Anzahl der Autos geht, die man zur Bewältigung des Alltags benötigt.
Auch wenn das Leben »im Grünen« für viele ein großer Wunsch ist, hat es leider oft einen entscheidenden Nachteil: Siedlungen mit vielen kleinen Häusern und Gärten haben keine sonderlich hohe Dichte; es wohnen dort also vergleichsweise wenige Menschen bezogen auf die Fläche. Das hat zur Folge, dass Haltestellen von Bussen und Bahnen meistens recht weit entfernt liegen. Buslinien und erst recht Schienenverbindungen durch dünn besiedelte Gegenden lohnen sich einfach nicht. Dieses Problem lässt sich oft aber durch die Kombination von Fahrrad und öffentlichem Verkehr lösen: Man fährt das erste Stück mit dem Rad, schließt es an der Haltestelle ab, und ist dann für die größeren Strecken mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs. So kommt zu dem Sitzen in Bussen und Bahnen gleich noch ein bisschen gesunde Bewegung auf dem Fahrrad – oder auch zu Fuß.
In Hinblick auf das Angebot des öffentlichen Verkehrs bieten Innenstädte sehr viel mehr Möglichkeiten. Weil die Bevölkerungsdichte hier deutlich höher ausfällt, ist es meist auch nicht weit bis zur nächsten Haltestelle, was wiederum die autofreie Mobilität enorm vereinfacht. Gleichzeitig ist das Abstellen von Autos dort oft ein großes Problem, was das Leben ohne Auto zusätzlich attraktiver macht. Nicht umsonst lebt in großen Städten wie Berlin oder Hamburg ungefähr die Hälfte der Haushalte schon jetzt völlig ohne Auto.
Es gibt aber auch gute Kompromisse aus dem Leben im Grünen und dem Leben ohne Auto: Man kann die Nähe zu Haltestellen des öffentlichen Verkehrs bewusst suchen. Eine andere Möglichkeit sind autofreie Wohnprojekte. Wer nicht nur selbst auf das Auto verzichten möchte, sondern auch weniger Autos um sicher herum sehen, hören und riechen möchte, fühlt sich in solch einer Umgebung möglicherweise wohl. Das gemeinsame Leben ohne Auto ermöglicht vieles, was alleine nicht umsetzbar ist: Man teilt sich Autos für die gelegentliche Nutzung, ebenso Lastenfahrräder zum Einkaufen, und Lebensmittel kann man sich als größere Gruppe umso einfacher liefern lassen und eine eigene »FoodCoop« für die regionale Belieferung direkt von den Produzenten aufbauen. Solche autofreien Wohnprojekte gibt es bereits an vielen Orten in Deutschland oder der Schweiz. Eine gute Übersicht ist auf der Seite www.autofrei.de zu finden.23 Auch auf der Seite »Ökosiedlungen« finden sich weitere Projekte: www.oekosiedlungen.de. Und viele dieser Initiativen helfen auch gerne weiter, wenn man selbst ein neues Wohnheim aufbauen und von den Erfahrungen der anderen profitieren möchte. Autofreie Wohnprojekte haben übrigens neben dem angenehmen Leben dort einen entscheidenden Vorteil: Der Verzicht auf Stellplätze oder gar Tiefgaragen senkt die Baukosten deutlich. Allerdings muss man sich je nach der Gemeinde und dem Bundesland dann mit den örtlichen Stellplatzsatzungen24 befassen, die in der Regel eine bestimmte Anzahl an Parkplätzen für jede Wohnung vorschreiben. Für explizit autofreie Wohnprojekte lassen sich häufig Ausnahmen verhandeln, aber das erfordert meist einiges Geschick – einer der Gründe, sich von anderen beraten zu lassen, die genau diesen Prozess schon durchgemacht haben.
Autofrei oder autoreduziert?
Ein Umzug ist aber eine sehr grundlegende Entscheidung, die für die meisten Menschen nur sehr selten im Leben ansteht. Vieles lässt sich aber auch so im täglichen Leben umsetzen, ohne gleich umziehen zu müssen. Man muss auch nicht gleich das Auto abschaffen. Ein langsamer Übergang, in dem das Auto eine immer geringere Rolle spielt und zunehmend häufiger durch andere Mobilitätsoptionen ersetzt wird, mag für viele die beste Abgewöhnung sein. Als erster Schritt könnte – sofern vorhanden – der Zweit- und Drittwagen abgeschafft werden, und irgendwann ist dann vielleicht auch das erste Auto dran. Für andere funktioniert der konsequente Ausstieg auf einen Schlag besser. Für einen solchen plädiert unter anderem die Initiative »Autofrei Leben!«, die das Autofahren ähnlich wie eine Droge betrachtet und konsequenterweise auch für eine radikale »Entziehungskur« wirbt.25
Ein ganz natürlicher Moment der Entscheidung kann auch der Zeitpunkt sein, an dem sich die Reparatur des alten Autos nicht mehr lohnt. Statt ein neues zu kaufen, kann man auch gleich seine Mobilität anders organisieren – und spart sich einen großen Batzen Geld, den man für ein neues Auto ausgegeben hätte. Oder man trifft die Entscheidung ohne besonderen Druck und verkauft sein Auto. So oder so stellt dieser Schritt für die meisten Menschen eine sehr tiefgreifende Veränderung ihres Lebens dar, da die tägliche Autonutzung für sie bislang...