I. Die Anfänge des Mönchtums im Orient
Das Christentum hat seine konkrete geschichtliche Ausprägung in der Kirche und in den Kirchen gefunden. Es steht von seinen Ursprüngen her in der spannungsgeladenen Polarität zwischen Weltüberwindung oder Weltflucht einerseits und Verchristlichung der Welt andererseits. Das christliche Mönchtum wurde in seinen frühen Jahrhunderten völlig von Weltüberwindung und Weltflucht bestimmt. Dennoch entfaltete es sich seit der Spätantike und vollends im abendländischen Mittelalter, in eigentümlicher Weise auch in den orthodoxen Kirchen des Ostens, zugleich zur Verchristlichung dieser Welt. Diese Aufgabe erwuchs fast unausweichlich aus der christlichen Mission. Gerade aus der problemgeladenen Polarität gingen in der gesamten Christenheit auch höchste Kulturleistungen hervor.
Ägypten
Die Heimat des christlichen Mönchtums ist der Orient, sein Mutterboden das christliche Eremitenwesen, und dieses ist aus der altchristlichen Askese erwachsen. Nach dem Auftrag Jesu Christi und der Apostel wußten die Christen, daß sie sich nicht an diese Welt verlieren, ihr nicht gleichförmig werden sollten. Damit waren Verzicht und Enthaltsamkeit vielfacher Art angemahnt, um das wahre, das ewige Leben zu gewinnen. Vertreter einer sehr strengen Form christlicher Askese (griechisch = Übung, Einübung) zogen sich aus familiären und fast allen menschlichen Bindungen zurück, «entwichen» (griechisch anachoreín) aus den Städten, aus dem Kulturland überhaupt in unwirtliche Gegenden, in die «Einsamkeit» (griechisch eremía, daher «Eremit», der einsam Lebende), um hier in einem Leben der Enthaltsamkeit, der Buße und des Gebetes Gott zu suchen. Die anachoretische Lebensform ist in der Kirche schon seit dem 3. Jahrhundert nachweisbar, zuerst in Ägypten, dann in Kleinasien und Syrien.
Das Mönchtum ist die Lebensform des Mönches. Das Wort kommt aus dem Griechischen: monachós ist der allein, auch «einzigartig» Lebende, in die lateinische Sprache übernommen: monachus. Die weibliche Entsprechung ist die Nonne (vom Mittellateinischen nonna = Nonne), ursprünglich eine gottgeweihte Jungfrau, vor allem in klösterlicher Gemeinschaft. Das Wort Kloster (lateinisch/mittellateinisch claustrum, von lateinisch claudere = schließen, einschließen; auch monasterium, abbatia, cella) ist der gemeinsame Aufenthaltsort von Religiosen, das heißt von Personen, die ihr Leben der Verwirklichung der «Evangelischen Räte» (Armut, ehelose Keuschheit, Gehorsam einem Oberen der Gemeinschaft gegenüber) weihen.
Die bedeutendsten Anachoreten der Frühzeit waren in Ägypten der heilige Ammun, der Hauptbegründer des Anachoretentums in der Nitrischen Wüste († vor 356), und das Vorbild aller Einsiedler der Folgezeit, der heilige Antonius der Große. Antonius war nicht Ordensgründer. Er verfaßte auch keine Ordensregel, beeinflußte aber dennoch die weitere Entwicklung der Bildung von Mönchsgemeinschaften zum «gemeinsamen Leben» (griechisch koinós bíos) der Mönche. Er starb im Jahr 356, 105 Jahre alt. Vor allem die Lebensbeschreibung des großen Bischofs Athanasius von Alexandria († 373) trug seinen Ruhm und die Begeisterung für diese Form asketischen Lebens in weiteste Kreise, auch in den lateinischen Westen des Römischen Reiches.
Die koinobitische (zönobitische) Lebensweise vereinigte eine größere Zahl von Mönchen an einem Ort zu einem Leben in asketischer Gemeinschaft unter einheitlicher Leitung. So entstanden noch im 4. Jahrhundert frühe klösterliche Siedlungen. Erster Organisator des Koinobitentums war der ägyptische Mönchsvater Pachomius († 347). Er gründete in den Jahren 320 bis 325 in dem verlassenen ägyptischen Dorf Tabennese das erste christliche Kloster. Als Leitbild hatte er dabei das Idealbild der Jerusalemer Urgemeinde (nach Apostelgeschichte 4,32–37) vor Augen: Die Mönche sollten ein Herz und eine Seele sein und das Wenige zum Leben Notwendige gemeinsam gebrauchen. In seinen Schriften finden sich bereits alle wichtigen Bestandteile des klösterlichen Mönchtums: Gemeinsames Leben in Wohnstätte, Arbeit und gemeinsamem Gebetsraum; Einheitlichkeit in asketischer Grundhaltung, Nahrung und Kleidung; Sicherung der Gemeinschaft durch eine schriftlich festgelegte Regel; die Grundlage dazu bildet der geistliche Gehorsam dieser Regel und dem Oberen gegenüber. Der große Bischof und Kirchenlehrer Basilius von Caesarea in Kappa dokien († 379) wurde durch seine «Mönchsregeln» (Urform der großen und kurzen Mönchsregel) der theologische Lehrer dieser klösterlichen, monastischen Lebensform. Er war neben den Kappadokiern Gregor von Nazianz († 390) und Gregor von Nyssa († 395) grundlegend für das orthodoxe Mönchtum. Auch Hieronymus († 419/20), der lange Jahre in Klöstern des Orients (Syrien, Palästina) lebte, beeinflußte das ostkirchliche Mönchtum. Vor allem durch Johannes Cassianus († 432/35) wurde die Form gemeinsamen, klösterlichen Lebens dem lateinischen Westen des Römischen Reiches vermittelt; sie fand hier in etwa dreißig Klosterregeln des 4.–7. Jahrhunderts Eingang und erhielt durch die Regel des heiligen Benedikt von Nursia seit dem 6./7. Jahrhundert die bedeutendste abendländische Ausprägung.
Palästina und Syrien
Auf dieser gemeinsamen Grundlage erfuhr das Mönchtum unterschiedliche Ausprägungen in den verschiedenen Regionen, zunächst im Römischen Reich – hier wurde das Christentum noch im 4. Jahrhundert von der zunächst geduldeten und gleichberechtigten Religion zur zunehmend privilegierten und schließlich alleinberechtigten Reichsreligion. Ungefähr zur selben Zeit wie in Ägypten entfaltete sich das Mönchtum bereits in Palästina und Syrien und breitete sich bis nach Mesopotamien aus. Für Palästina charakteristisch wurde die mönchische Lebensform der Laura (griechisch = enge Gasse, Hohlweg). Die Laura stellte eine Verbindung her zwischen Anachoreten und Koinobiten, indem eine Gruppe von Einsiedlern unter Leitung eines Abtes (von biblisch-aramäisch aba, griechisch und lateinisch abbas = Vater) stand und sich zu bestimmten Anlässen vereinigte, vor allem zur Eucharistiefeier am Sonntag.
Dem Wort «Abt» liegt die altorientalische Vorstellung einer geistig-geistlichen Vaterschaft zugrunde. Das frühe christliche Mönchtum entwickelte den geistlich-charismatischen Grundgehalt in rechtliche Formen weiter: Der geistliche Vater und Seelenführer, um den sich die Jünger sammeln, wird zum Träger von Amt und Autorität in der durch die Regel geordneten Gemeinschaft. So bildet sich eine geistliche Beziehung zwischen Vater und Söhnen, Lehrer und Schülern. Diese Entwicklung zeigte sich im Osten bereits im Übergang vom zunächst noch regellosen Anachoretentum zum Zusammenleben in Mönchsgemeinschaften, im Abendland später vor allem in den Klöstern der Benedikt–Regel.
In Palästina erfuhr die mönchische Lebensform der Laura im 5. und 6. Jahrhundert ihre höchste Blüte. Am berühmtesten wurde die Laura des heiligen Sabas († 532), der aus Kappadokien kam. Er lebte seit 469 als Einsiedler am Toten Meer und gründete verschiedene Lauren. Ab 483 entstand bei seiner Eremitenhöhle südöstlich von Jerusalam das älteste, bis heute bestehende Kloster Palästinas, die Große Laura (Mar Saba). Im Kloster Mar Saba starb (vor 754) der in den Ostkirchen höchst einflußreiche Mönch Johannes von Damaskus, der durch alle folgenden Jahrhunderte als Theologe, Dichter und Prediger gefeiert und als einer der großen Lehrer des geistlichen Lebens in den östlichen Klöstern verehrt wurde.
Von Anfang an war das Mönchtum in Syrien durch besonders strenge Askese und radikale Formen des Büßerlebens gekennzeichnet, auch durch eine Art religiöser Leistungssucht. Seit der Mitte des 4. Jahrhunderts trat dies stärker hervor. In Syrien vor allem gab es die berühmten Styliten (Säulensteher), die ihr strenges Leben auf der umrandeten kleinen Plattform einer Säule (griechisch stylos = Säule, Pfeiler) verbrachten. Die Plattform erlaubte ein zeitweiliges Hinlegen des Asketen, aber jeder Schutz vor Sonne, Kälte und Regen wurde abgelehnt. Dienende Jünger brachten über eine Leiter Nahrung, auch die Eucharistie. Die asketischen Prinzipien des Verweilens an einem Ort, des Unbehaustseins und des Stehens wurden hier bis zur äußersten Grenze getrieben. Als erster und berühmtester Säulensteher Syriens gilt der heilige Symeon Stylites der Ältere (389/90–459), der um 412 sein Eremitenleben begann und zehn Jahre später auf einer Säule Platz nahm, die von anfänglich drei Metern auf schließlich 20 Meter erhöht wurde. Hier lebte er bis zum Tod, jedem Wetter ausgesetzt. Der Ruf seiner Heiligkeit lockte große Volksscharen an, zu denen er täglich zweimal predigte. Er wirkte als Ratgeber, Friedensvermittler, Missionar und wird von Zeitgenossen als gütig und freundlich geschildert. Symeon Stylites der Jüngere...