2. Amerika vor Kolumbus
Die Vorgeschichte Amerikas liegt im Ungewissen. Wir wissen weder, wann die ersten Menschen den Doppelkontinent besiedelten, noch haben wir genauere Kenntnisse über die Kultur, die diese Menschen mitbrachten. Vieles, was wir bisher für gesichert gehalten haben, ist durch neue archäologische Funde und den Einsatz neuer Untersuchungsmethoden ins Wanken geraten.
So hat die Überzeugung, dass die ersten Einwanderer vor circa 12.000 Jahren über eine eisfrei gewordene Landbrücke nach Amerika kamen, lange Zeit unangefochten Gültigkeit besessen. Funde, die sie hätten erschüttern können, ließen sich nicht exakt genug datieren. Und neue Hilfsmittel – wie etwa die Genetik – standen noch nicht zur Verfügung.
Man hielt diese Zeitangabe für wahrscheinlich, weil während der Eiszeit die Zunahme der Vergletscherung den Meeresspiegel um 80 bis 120 Meter hatte absinken lassen, so dass Asien und Amerika über eine Landbrücke verbunden waren. Eine geschlossene Eisdecke versperrte jedoch Mensch und Tier den Zugang. Erst mit dem Abschmelzen dieser Eisdecke entstand ein Korridor östlich der Rocky Mountains, auf dem erste Einwanderer aus Sibirien ihrer Hauptnahrungsquelle, den ebenfalls einwandernden Mammuts und Mastodons, folgen konnten.
In jüngerer Zeit häufen sich Hinweise, die auf eine frühere Besiedlung schließen lassen – und zwar nicht durch Großwildjäger, sondern durch Fischer, die mit kajakähnlichen Fellbooten Fisch- und Robbenbeständen folgten und so in die Inselwelt Alaskas und Britisch-Kolumbiens vordrangen. Mögliche Siedlungen dieser ersten Einwanderer liegen heute zumeist unter Wasser. Dennoch sind an der Westküste Amerikas von Alaska über Kalifornien bis hin nach Peru und Chile sehr frühe Siedlungsreste einer Fischfang treibenden Bevölkerung gefunden worden. Selbst die bei Monte Verde in Südchile ausgegrabene Ansiedlung liegt in Meeresnähe und ist wenigstens 12.500 Jahre alt, das heißt 1300 Jahre älter als die bisher für am ältesten gehaltenen Siedlungsstätten Nord- und Südamerikas.
Anlass für die Vermutung einer noch früheren Besiedlung ist die Sprachenvielfalt innerhalb der Urbevölkerung Amerikas. Selbst heute noch gibt es etwa 60 Sprachfamilien, die so wenig miteinander verwandt sind wie in Europa die des Indoeuropäischen und des Finno-Ugrischen. Zu einer so extremen Aufspaltung habe es nur im Laufe eines Zeitraums von etwa 40.000 Jahren kommen können. Solche Annahmen aber sind spekulativ, denn Sprachenvielfalt lässt sich auch als Ergebnis einer Besiedlungsstruktur deuten, die gekennzeichnet ist durch kleine, kaum miteinander in Kontakt stehende Populationen.
Neu sind Datierungen mit Hilfe der Genetik. Sie versucht, anhand der Mutationsrate der menschlichen DNS eine Art Kalender aufzustellen, der anzeigt, wann welches vorgeschichtliche Ereignis stattgefunden haben könnte. Sie untersucht zum einen die DNS der Mitochondrien, der Energielieferanten der Zellen, die nur von der Mutter an die Kinder vererbt wird, zum anderen die DNS des Y-Chromosoms, das nur in der männlichen Linie weitergereicht wird. Die Ergebnisse weisen auf eine Einwanderung hin, die vor eindeutig mehr als 12.000 Jahren stattgefunden haben muss.
1. Steinzeitliche Großwildjäger
Genauere, wenn auch immer noch sehr geringe Kenntnisse besitzen wir über die materielle Kultur der Großwildjäger der Steinzeit, der sogenannten Clovis-Leute. Sie hatten sich nach 9600 vor Christus über den gesamten nordamerikanischen Kontinent ausgebreitet und erhielten ihren Namen nach besonders geformten Speerspitzen, die 1931/32 bei Clovis im östlichen Neumexiko entdeckt worden waren. Speer- und Lanzenspitzen dieser Art wurden fast immer zusammen mit den Knochen des Südmammut und des langhornigen Altbison gefunden, so dass man lange Zeit glaubte, die Mitglieder dieser Kultur hätten so gut wie ausschließlich von der Großwildjagd gelebt. Doch es handelte sich bei ihnen um eine Sammler- und Jägerkultur, die von allem lebte, was die Natur bot, eben auch Großwild, dessen Knochen länger überdauerten als die Skelette kleinerer Tiere.
Großwildjäger-Kulturen gab es auch in Europa und in Asien, so dass man von einem Kontinente übergreifenden Kulturkomplex sprechen kann. Doch finden sich die von den Clovis-Jägern benutzten Speerspitzen nur in Amerika. Eine ebenfalls von den Paläoindianern Nordamerikas entwickelte Waffe ist der Atlatl, mit dessen Hilfe man Speere zielgenau über größere Entfernungen schleudern konnte. Experimente haben ergeben, dass ein mit dem Atlatl geworfener Speer Großwild töten konnte.
Eine heftige Diskussionen ist darüber entbrannt, ob die Clovis-Jäger und ihre Nachfahren schuld seien am Aussterben fast der gesamten Großtierfauna Amerikas. Entscheidend dafür dürfte jedoch nicht der Mensch, sondern der mit dem Ende der Eiszeit einhergehende Klimaumschwung gewesen sein. Zusätzlicher Jagddruck wird den Vorgang beschleunigt haben. Auffällig jedenfalls ist, dass weltweit mit dem Ende der Eiszeit ein Großtiersterben einsetzte. Ihm fielen durchaus nicht alle großen Tiere zum Opfer. Ausschlaggebend für das Überleben einer Art wird letztlich ihre Anpassungsfähigkeit gewesen sein.
2. Archaische Bisonjäger
Der Übergang von der paläoindianischen zur archaischen Zeit um 6000 vor Christus ging für die Betroffenen unmerklich vonstatten. Sie lebten nach wie vor von der Jagd, wenn auch nun vornehmlich auf kleinere Tiere. Sie sammelten weiterhin Früchte, Wurzeln und Wildpflanzen. Sie zogen in nomadischen Kleingruppen umher und trafen sich ein- oder zweimal im Jahr mit ihren Stammesgenossen. Dann suchten sie sich einen Partner, feierten, tauschten Neuigkeiten aus, lauschten den Stammesmythen, gaben ihr Wissen weiter und gingen wieder auseinander.
Die im Archaikum eingeführten technischen Veränderungen hatten vor allem mit der Bisonjagd zu tun. Die Speere erhielten gekehlte Spitzen, so dass man sie besser am Speerschaft befestigen konnte. Erst vor etwa 1500 Jahren wurden Pfeil und Bogen eingeführt, und beide Waffenarten waren noch Jahrhunderte nebeneinander in Gebrauch.
Am stärksten wandelten sich im Archaikum die Jagdmethoden, wobei neue die alten ergänzten, ohne sie je völlig zu verdrängen. Man trieb nun Bisonherden auf Abgründe zu, in denen sie zu Tode stürzten. Neueren Datums ist vermutlich die Technik, die Tiere mitten im Winter in einen Hinterhalt zu treiben, eine Geländevertiefung etwa, um sie dann von oben zu erlegen. Man benutzte den herrschenden Dauerfrost zur Konservierung und lebte vom Erlegten, so lange die Kälte anhielt. Im mittleren Archaikum vor etwa 5000 Jahren ging man dazu über, das Bisonfleisch durch Trocknen, Zerstoßen und Beimengen von Fett und manchmal auch Früchten als Pemmikan zu konservieren. Die so erzielte Masse wurde von heißem, geschmolzenem Bisonmark umgeben, in eine Bisonhaut genäht und platt getreten; so war sie über Jahre haltbar.
Ferner begann man, Pferche aus Stein- und Erdwällen anzulegen, in die man die Bisons trieb. Daraus entstanden zu Anfang der Neuzeit aus Baumstämmen bestehende Gehege, ähnlich den noch heute gebräuchlichen Corrals.
Erst in jüngerer Zeit veränderte sich das Leben in den Prärien grundlegend. Zunächst zogen zwischen 800 und 1300 Sioux sprechende Stämme aus dem östlichen Waldland dorthin und gründeten feste Siedlungen an den westlichen Nebenflüssen des Mississippi, wo sie von Ackerbau und Jagd lebten. Wirklich revolutioniert wurde das Leben in den Prärien erst im 18. Jahrhundert, und zwar durch den Erwerb von Pferden. Sie verliehen Mobilität, machten größere Jagdgebiet zugänglich und erlaubten dem gesamten Stamm, den Bisonherden überall hin zu folgen. Später kamen Schusswaffen hinzu, wodurch sich zwar die Jagdausbeute, nicht jedoch die Jagd- und Lebensweise grundlegend veränderte. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen sollte sich ihr Besitz allerdings als großer Vorteil erweisen.
3. Erste Ackerbauern
Seit etwa 6500 Jahren wird in Mittelamerika Ackerbau betrieben, wobei zunächst Mais, Bohnen und Kürbisse angebaut wurden. Die aus Europa und Asien bekannte Domestizierung von Vieh war in Amerika selten, weil sich die dort lebenden Wildarten kaum dafür eigneten. Zu den wenigen Ausnahmen zählen das Lama, der Truthahn und vor allem der Hund.
Bereits vor etwa 5000 Jahren wurde im Südwesten der heutigen USA vereinzelt Ackerbau betrieben, doch bestritten die dort lebenden Völker ihren Lebensunterhalt immer noch primär als Sammler und Jäger. Erst der Einsatz ausgeklügelter Bewässerungstechniken erlaubte es etwa den Hohokam, den Vorfahren der heutigen Pima, auf Dauer sesshaft zu werden und intensiveren Landbau zu betreiben. So lebten sie von circa 300 vor bis 1450 nach Christus als recht erfolgreiche Ackerbauern in einem Gebiet zwischen dem heutigen Flagstaff, Arizona, und der mexikanischen Grenze. Sie legten in den Flussniederungen Kanäle und Stichkanäle an, durch die sie das Wasser auf ihre Äcker leiteten; sie bauten Terrassen und sammelten das ablaufende Regenwasser von den Hängen in einem komplexen Grabensystem, das die Terrassenfelder durchzog. Das von ihnen angelegte Bewässerungssystem hatte...