Einleitung
Wie wir unseren Sex lebendig halten
SEIT VIELEN JAHREN LEITEN WIR WORKSHOPS, IN DENEN WIR Menschen lehren, wie man liebt – sich selbst und andere. Für Paare, die schon lange zusammen sind, taucht dabei sehr häufig das Thema auf, wie sie ihre Sexualität lebendig halten können. Oft machen Paare die Erfahrung, dass es immer schwieriger wird, das Interesse am Liebemachen aufrecht zu erhalten, je länger sie zusammen sind. Stress, Vertrautheit und ein Mangel an Kommunikation reduzieren nach und nach das Verlangen, Liebe zu machen. Vielleicht sehnen sie sich nach den alten Zeiten zurück, als sie es nicht erwarten konnten, miteinander ins Bett zu hüpfen und heißen, leidenschaftlichen Sex zu haben. Oder sie sehnen sich nach einer tieferen Art der Verbindung in ihrer Sexualität, aber es klappt nicht.
Sex verändert sich, je tiefer die Intimität wird. Wenn wir diese Veränderung nicht annehmen und mit ihr wachsen, dann liegt es meist daran, dass wir einfach nicht wissen, wie. Da Sex aber ein so wichtiger Aspekt des Zusammenseins ist, kann es die Beziehung gefährden, wenn er verschwindet. Und wenn er immer belangloser wird und immer weniger stattfindet, kann es sein, dass wir ruhelos oder nachtragend werden und mit ziemlicher Sicherheit beginnen wir dann eine Affäre. Oder wir resignieren innerlich, werden bitter und/oder deprimiert. Oder wir lassen uns mehr und mehr von anderen Dingen absorbieren: Computer, Fernsehen, Arbeit, Sport oder anderen Hobbys.
Wir nehmen uns nicht mehr die Zeit, uns mit unserem Partner zu verbinden. Wenn wir jemandem näher kommen, werden wir verletzlicher und diese Verletzlichkeit bringt üblicherweise Ängste und Unsicherheiten mit sich. Beim Sex zeigen sich diese Ängste und Unsicherheiten am meisten. Wenn wir sie, besonders im Zusammenhang mit unserer Sexualität, nicht erforscht, verstanden oder angenommen haben, wissen wir vielleicht nicht, wie wir damit umgehen können oder um was es sich überhaupt handelt, wenn sie auftauchen. Es kann sein, dass wir das Gefühl haben, mit uns oder mit der Beziehung sei etwas nicht in Ordnung. Vielleicht kompensieren wir die Ängste, indem wir uns beim Sex Druck machen, der sich nicht richtig anfühlt.
Wenn wir beim Liebemachen Angst spüren
oder uns unsicher fühlen, beeinflusst das unser
sexuelles Erleben sehr stark und auch die Art,
wie wir Liebe machen wollen. Denn beim Sex,
besonders wenn wir jemandem näher kommen,
ist es entscheidend, dass wir uns sicher fühlen.
Es ist natürlich und sogar gesund, dass sich die Art der Erregung, die in der „Flitterwochenphase“ da war, verflüchtigt. Wir werden schnell erregt, wenn wir mit jemandem Sex haben, den wir gerade kennengelernt haben. Aber durch mehr Vertrautheit, das Zusammenleben und andere Gründe, die wir noch genauer untersuchen werden, verschwindet die Erregung mit der Zeit. Wir versuchen vielleicht, sie auf die eine oder andere Art lebendig zu halten, aber die Methoden werden immer künstlicher und bemühter. Die Lösung liegt darin, etwas Tieferes und Beständigeres zu finden, das nach und nach unser Bedürfnis nach immer wiederkehrender Erregung ersetzen kann.
Erregung kann in der Sexualität einer Langzeitbeziehung nicht die erhaltende Kraft sein.
Als wir uns hinsetzten, um dieses Buch zu schreiben, waren wir vierzehn Jahre zusammen. Die Einsichten, die wir hier weitergeben, haben wir selbst gelernt und erfahren, zum einen durch unsere eigene Liebesbeziehung, zum anderen durch die Arbeit mit Menschen in unseren Workshops. Begegnet sind wir uns zum ersten Mal in Indien, wo wir beide in einer spirituellen Kommune lebten und meditierten. Unter anderem wurden in dieser Kommune Kurse für persönliches Wachstum angeboten. Als wir ein Paar wurden, entschlossen wir uns, an einem zweiwöchigen Tantrakurs teilzunehmen. In diesem Kurs wurde eine bestimmte Art des Liebemachens (die wir in einem späteren Kapitel genauer beschreiben werden) gelehrt, in der Meditation und Sexualität miteinander verbunden waren. Das hat uns angesprochen.
Zu dieser Zeit, als wir den Kurs besuchten, war ich (Krish) an einem Punkt, wo ich an der Art und Weise meines Liebemachens etwas ändern wollte. Zum einen sehnte ich mich nach mehr Tiefe, Liebe und Meditation in der sexuellen Verbindung. Es gab aber auch einen anderen Grund. Ich hatte Angst, beim Liebemachen zu schnell zu kommen, wenn ich oder meine Partnerin erregt wurden. Ich schämte mich so, wenn das passierte und konnte mich deswegen nicht wirklich entspannen. Die Methode, die wir in diesem Tantrakurs lernten, legte mehr Gewicht auf das sich Verbinden als auf die sexuelle Leistung und lehrte Liebemachen auf eine so entspannte, nicht-aktive Weise, dass etwas in mir zutiefst loslassen konnte. Ich bemerkte, dass sich etwas für mich veränderte, wenn ich mir die Zeit nahm, mich zu entspannen und beim Liebemachen meinen Fokus mehr auf die Verbindung richtete, statt auf die Erregung.
Dadurch, dass der Druck und die Erwartungen wegfielen, verschwanden auch meine Unsicherheit und damit meine sexuelle Funktionsstörung.
Wir haben festgestellt: Je weniger Druck und Anforderungen beim Sex da sind, umso lebendiger bleibt das Liebes- und Sexleben für Paare.
Für mich (Amana) war es sehr nährend zu entdecken, dass Liebemachen so entspannend und zutiefst befriedigend sein konnte, ohne irgendetwas tun zu müssen. Ich entdeckte, dass etwas viel Tieferes passiert, wenn unsere Körper sich verbinden und unsere Energien miteinander verschmelzen, als beim „üblichen“ Sex. So hat dieser Kurs unsere Beziehung für eine andere Art des Zusammenseins vorbereitet, in der es beim Liebemachen weniger um Erregung oder sexuelle Befriedigung geht, als vielmehr darum, unsere Verbindung zu vertiefen.
In unserer eigenen Beziehung begegnen wir immer wieder unseren Ängsten und Unsicherheiten und arbeiten sie durch. Fakt ist, dass in fast jeder tiefen Beziehung die Wunden der einen Person die der anderen berühren. Und beide müssen sich den eigenen unbewussten, automatisierten Verhaltensweisen stellen, durch die sie den Anderen entweder wegstoßen oder sich verstecken – und sich dann vom Liebemachen zurückziehen. In unserem Fall kann Krishs Angst, von einer starken Frau überwältigt zu werden und dadurch in Schock zu gehen (was seinen Ursprung in einer sehr starken und übermächtigen Mutter hat), mit Amanas Erfahrung, dass ihr Mann nicht wirklich anwesend ist (was seinen Ursprung in einem alkoholkranken Vater hat, der in die Sucht geflohen war und sich letztlich umgebracht hat), auf Kollisionskurs gehen. Liebe und Bewusst heit haben uns geholfen, mit dieser Dynamik kreativ umzugehen.
Je intimer wir miteinander werden, umso mehr müssen wir verstehen lernen, wie Angst, Scham, Schock und Selbstzweifel sich auf unsere Sexualität auswirken. Und wir müssen lernen, über das, was wir beim Sex erleben, zu sprechen, besonders über das, was uns verletzt. Und sehr wahrscheinlich wird diese Verletzlichkeit den Sex verändern.
Es braucht aber ein bisschen mehr, um eine gesunde Langzeitbeziehung zu leben. Wir müssen auch unseren Gefühlshaushalt sauber halten und weiter daran arbeiten, die Liebe zwischen uns zu vertiefen. Wir waren damals zwölf Paare, die an diesem Kurs teilnahmen; soweit uns bekannt ist, sind wir das einzige Paar, das noch zusammen ist. Die häufigste Ursache, warum die anderen Beziehungen auseinander gingen, waren ungelöste emotionale Konflikte – sie haben das Band der Liebe zerrissen.
Wir beide konnten unsere Liebe und Sexualität lebendig halten, weil wir es uns von Anfang an zur Priorität gemacht haben, mit allem umzugehen, was Distanz und Schmerz zwischen uns verursacht. Mittlerweile sind wir so nah miteinander, dass wir sofort spüren, wenn etwas diese Nähe stört. Wir haben gelernt, dass wir emotional werden oder uns voneinander distanzieren, wenn eine frühere innere Wunde wieder berührt wird, die immer noch schmerzt. Oder weil wir im Stress und überfordert sind, und das am Anderen auslassen.
Der Sex ist das Erste, was sich verflüchtigt, wenn wir aus Stress emotional werden. Wir sind uns wahrscheinlich nicht bewusst, dass wir ein emotionales Minenfeld betreten, wenn wir jemandem nahe kommen. Wir wollen einfach, dass es wieder so harmonisch und konfliktfrei wird, wie am Anfang unseres Zusammenseins. Liebe ist nicht so.
Liebe lässt alte Wunden aufbrechen: die Angst, vereinnahmt oder verlassen zu werden, die Angst vor der Abhängigkeit vom Anderen, die Angst sich im Andern aufzulösen, unsere Erwartun gen und unseren tief vergrabenen Groll auf das andere Geschlecht.
Wir alle brauchen Anleitung, um durch all die emotionalen Themen zu steuern, die auftauchen. Wir müssen wissen, warum wir auf etwas reagieren, wie wir damit umgehen sollen – und schließlich und endlich darüber sprechen. Die meisten von uns haben das nicht gelernt, bevor sie sich in einer Beziehung wiederfanden. Wir haben keine „Schule für Intimität“ besucht, bevor wir uns verliebt haben.
Es ist meist so, dass unsere Reaktionen und Irritationen kaum etwas oder gar nichts mit der anderen Person zu tun haben. Sie kommen aus einem momentanen Mangel...