II Kupfer, Salz und Eisen – Die Alpen in der Bronze- und Eisenzeit
»Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt …«
Deutsches Bergmannslied aus dem 16. Jahrhundert
Wo sich heute die Alpen erheben, brandeten vor 250 bis 100 Millionen Jahren die Wogen eines gewaltigen Ozeans. Dieses Meer trug den Namen der Thetys, in der griechischen Mythologie die Schwester des Titanen Okeanos, dem sie 3000 Söhne, die Flüsse, und 3000 Töchter, die Meere und Seen, gebar. Dieser Ozean, der sich zwischen Eurasien, Afrika und Indien, das damals noch nicht mit Asien zusammenhing, erstreckte, wimmelte von Leben. Wann immer eines seiner Tiere starb, Korallen, Muscheln, Schalentiere oder Fische, sank sein kalkhaltiges Skelett auf den Grund und verband sich mit der Masse der anderen, die vor ihm dahingegangen waren. In den Randzonen bildeten sich flache Schelfmeere und Lagunen, in denen die Sonne das Wasser verdampfte, bis nur noch das im Meer gebundene Salz übrig blieb. So hätte es noch Millionen Jahre weitergehen können.
Aber die Theorie der Plattentektonik, 1915 erstmals von Alfred Wegener (1880–1930) formuliert, wonach die Kontinente sich auf dem Erdmantel bewegen, machte dem Thetys-Ozean den Garaus. Die afrikanische und die indische Platte bewegten sich auf Eurasien zu, verkleinerten damit die Fläche dieses Urmeers, das nur noch in Resten, in Mittelmeer, Schwarzem Meer und Kaspischem Meer, erhalten ist. Der ungeheure Druck, mit dem die Platten zusammenstießen, faltete die Gesteine und schob sie zusammen, was ungefähr in der Zeit vor hundert bis zwanzig Millionen Jahren ablief, danach folgte eine Hebungsphase, die noch nicht abgeschlossen ist und zur Bildung der Alpen und des Himalaya führte. So erklärt es sich, dass die Sedimentschichten des Ozeans plötzlich in den Hochlagen der Alpen erscheinen, am spektakulärsten in den »bleichen Bergen«, den Dolomiten, zu sehen, die zu einem Gutteil aus den Korallenriffen des Thetys-Meers bestehen. Nicht umsonst gestorben sind auch die Meerestiere. Sie bilden die nördlichen und südlichen Kalkalpen und liefern damit das beste Beispiel für den Satz Christoph Ransmayrs: »Keinem bleibt seine Gestalt.« Dass in späterer Zeit die Bergwerke von Hallstatt und Hallein zu den großen Salzproduzenten in den Alpen gehören, bei denen das Steinsalz nur dreißig Meter unter der Oberfläche zu finden ist, verdankt sich ebenfalls seiner Entstehung im Urozean der Thetys und der Kollision mit der afrikanischen Platte, die diese am Grund des Meeres liegenden Sedimente nach oben befördert hat.
Der namenlose Schmied, der als Erster auf die Idee kam, dem weichen Kupfer ein anderes Metall, nämlich Zinn, beizugeben, um es auf diese Weise härter zu machen, gab einer ganzen Epoche den Namen: Bronzezeit (2200–800 v. Chr.). Als ideales Mischungsverhältnis für die Bronze stellten sich neun Teile Kupfer und ein Teil Zinn heraus. Dass dadurch auch ein niedrigerer Schmelzpunkt erreicht wurde, sparte Holz. Das neue Material revolutionierte alle gesellschaftlichen Bereiche. In der Landwirtschaft verschwand der Holzpflug, und an seine Stelle trat der metallene Pflug mit Pflugscharen, der den Boden aufreißen konnte und damit neues Ackerland erschloss. Da er schwer war, zogen ihn Ochsen. Das trockene, warme Klima des Subboreals (3400–800 v. Chr.) begünstigte den Anbau von Emmer, Gerste und Rispenhirse (Kohlehydrate). Proteine lieferten Ackerbohne, Erbse und Linse, die Öle von Lein und Schlafmohn sorgten für Fett. Mit der Pferdehaltung verband sich der Einsatz von Wagen für Transportzwecke oder militärisch als Streitwagen. Werkzeuge aus Metall, Hämmer, Äxte, Messer, Sägen, Feilen und Nadeln, ersetzten die bis dahin gebräuchlichen aus Stein. Ab 2000 v. Chr. gehörte zur Elite, wer ein Bronzeschwert sein Eigen nannte. Eine Auffassung, die sich von Siebenbürgen bis Skandinavien durchsetzte. Ein weiterer Vorteil des Metalls war seine Wiederverwendbarkeit. Zerbrach ein steinernes Werkzeug, war es unbrauchbar. Bronze aber konnte wieder eingeschmolzen werden und stand dann für einen neuen Guss zur Verfügung.
Kupferabbau in den Ost- und Südalpen
Die Nachfrage nach dem neuen Metall löste einen Boom im Kupferbergbau der Alpen aus und wertete das Gebirge zu einem der wichtigsten Wirtschaftsräume Europas auf, da es auch noch über andere Rohstoffe wie Salz, Gold, Silber und Blei verfügte. Die ersten spezialisierten Berufe entstanden: Prospektoren suchten, Bergleute förderten Erz. Für die Weiterverarbeitung sorgten Gießer und Schmiede. Da Kupfer und Zinn geologisch nicht gleichzeitig auftreten, entstand ein weitgespannter Fernhandel, der die spanischen, südenglischen und die Zinnvorkommen in den deutschen Mittelgebirgen, in der Bretagne und Kroatien mit den Kupferlagerstätten in den Alpen verband. Einmal etabliert, diente dieses Kommunikationssystem, das mit Saumtieren die meisten Alpenpässe für den Transport nutzte, sowohl für Güter wie Salz, Bernstein oder Importe südlicher Luxuswaren, Gläser, Tafelgeschirr aus Etrurien und Griechenland, Öl und Wein, exotische Muscheln und Schnecken, Prunkwaffen, Goldschmuck aus Griechenland, als auch als Transmissionsriemen für technisches Wissen, kulturelle und religiöse Vorstellungen. Zu Beginn der Bronzezeit siedelte man auf den Höhen und schützte sich mit Palisaden. Dass dies in der mittleren Bronzezeit (1550–1300 v. Chr.) nicht mehr nötig war, spricht für gesicherte Verhältnisse. Parallel nahm die Bevölkerung von der Früh- bis zur Mittelbronzezeit zu. Höhenlagen bis tausend Meter wurden urbar gemacht, oftmals durch Kahlschläge und Brandrodung mit großflächiger Zerstörung des Waldes.
Als bedeutendstes Kupferrevier der Bronzezeit, neben dem Unterinntal und Kitzbühel, gilt der Mitterberg bei Bischofshofen südlich von Salzburg. Aus dem durchgängig von 2200–700 v. Chr. betriebenen Bergwerk, das mit 210 Metern den tiefsten Stollen der Bronzezeit aufweist, wurden ca. 20000 Tonnen Rohkupfer gefördert und damit große Teile Mitteleuropas mit Kupfer in Form von Barren oder Gusskuchen versorgt. Der Mitterberg war nur einer der jetzt entstehenden industriellen Großbetriebe, die das ganze Jahr produzierten, weshalb die Bergleute von außerhalb versorgt werden mussten.
Der damit verbundene Reichtum zeigt sich in den Hügelgräbern der mittleren Bronzezeit, in denen eine am Diesseits orientierte Elite sich all das mitgeben ließ, worauf sie auch im Jenseits nicht verzichten wollte: bronzene Trink- und Essgefäße, gefüllt mit Wein und Met, etruskische Schnabelkannen, Schwert, Dolch, Lanze, Pfeil und Bogen, Beil, Beinschienen, Helme und Metallschilde, sogar Streitwagen finden sich und eine der Ehefrauen. Als Vorbild dienten die Mittelmeerkulturen, insbesondere Griechenland mit seiner hierarchischen Herrschaftsstruktur. All das ändert sich in der Spätbronzezeit (1300–800 v. Chr.). Überall in Europa werden jetzt die Toten verbrannt und ihre Überreste in Urnen beigesetzt. Das Ausmaß dieser Friedhöfe hat zum Begriff der Urnenfelderkultur geführt. Zweifellos hat das Jenseits nun eine andere Gestalt angenommen. Nicht mehr auf den Erhalt des Leibes, sondern auf seine Auflösung im reinigenden Feuer kam es nun an. Die Sitte der Deponierung von Bronzeobjekten im Boden, im Wasser, im Moor und an den Handelswegen als Opfer für die Götter erreichte einen Höhepunkt und ersetzte offenbar den vorher herrschenden Grabkult. Der Innsbrucker Archäologe Gerhard Tomedi hat diese entscheidende Veränderung einer ganzen Kultur wie folgt charakterisiert: »Insignien des Prestiges in den Händen der Gemeinschaft, während der Tote im Grab wieder ein schlichtes Mitglied der Gemeinschaft wird.«
Neben dem Kupfer war es das Salz, was die Alpen attraktiv machte. Wie der in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts lebende römische Philosoph und Historiker Cassiodor bemerkte, konnte man auf Gold verzichten, nicht aber auf Salz. Denn der Gebrauch als Würzmittel war nur eine der vielen Anwendungen des Salzes. Salzbarren konnten als Zahlungsmittel fungieren. In der Viehzucht steigerte sich die Milchleistung und wurden die Rinder fetter, gab man ihnen Salz zu lecken. Die Heilkunst vertraute auf Salzlösungen gegen Juckreiz und Erkältungskrankheiten. Fleisch und Fisch ließen sich konservieren, wenn man sie pökelte, Obst und Gemüse legte man in Salzlake ein. Salz machte Käse und Butter haltbar und war für die Leder- und Fellgerbung ein unverzichtbares Hilfsmittel. Seit der Jungsteinzeit (5000 v. Chr.) wurde in Hallstatt Salz gefördert, das dort in Sole-Quellen austrat. Ab dem 16. Jahrhundert v. Chr. lässt sich der Abbau unter Tage nachweisen. Wann er tatsächlich begann, ist unbekannt. Er vollzog sich in drei riesigen Schachtanlagen mit Tiefen von über hundert Metern. Die Grundfläche der Schächte betrug 23×7 Meter. Ihre Größe erklärt sich durch die Notwendigkeit, vier Tätigkeiten gleichzeitig zu organisieren: das Salz zu fördern, Grubenholz anzuliefern, die Mannsfahrt und die Bewetterung der Stollen. Das Steinsalz wurde mit Bronzepickeln zerkleinert (Hauklein), in dreißig Kilo fassende Tragsäcke gepackt, die dann an den Sammelstellen in grobe...