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Wenn die Heide träumt ...

Den Rucksack am Buckel, die Flinte im Arm

AutorEduard von Wosilovsky
VerlagLeopold Stocker Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783702016449
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Auch in seinem dritten Buch überzeugt der Autor mit einer Fülle einfühlsamer Jagderzählungen, insbesondere aus seiner thüringischen Heimat, wo viele Böcke, aber auch so manche 'Schwarzkittel' seinen Weg kreuzten. Zum Markenzeichen der Bücher Eduard von Wosilovskys ist es geworden, dass die ausdrucksstarken Geschichten durch zeitkritische Betrachtungen sowie Gedichte zeitgenössischer, aber auch klassischer Autoren ergänzt werden.

Eduard von Wosilovsky faszinierte bereits mit den beiden Büchern 'Mit Hirschruf und Passion' und 'Was blieb, war das Weidwerk' die jagdbegeisterten Leser des Leopold Stocker Verlages.

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Leseprobe

PROLOG


Der bedeutende sudetendeutsche Dichter Hugo Salus, ein Sohn meiner Heimatstadt Böhmisch-Leipa, schrieb 1903 jene folgenden Verse, die seither mein Leben begleiten. (Unser Oberlehrer Dix lehrte uns diese, ebenso wie das „Gebet für die Heimat“ von Paul Leppin, im Jahre 1945.)

„Laipaer Sprüchelvon Hugo Salus (1903)

So hat uns der Laipaer Lehrer gelehrt:

„Nord, Süden, Osten und Westen,

Wie die Sonne über den Himmel fährt,

Merkt auf, so lernt ihr’s am besten:

Im Osten, hinter Dobern geht sie auf,

Im Westen bei Leibich unter,

Der Norden geht hinter dem Spitzberg hinauf,

Der Süden bei Neuschloß hinunter.“

Wo Neuschloß und Dobern sind, weiß jedes Kind,

Bin oft auf den Spitzberg gegangen,

Hab dort, wenn die Maikäfer gekommen sind,

Ein manch’s Hundert gefangen;

Und die Sonne, hinter Dobern ging sie auf,

Im Osten bei Leibich unter,

Im Westen, der Norden geht hier hinauf,

Der Süden bei Neuschloß hinunter.

O Leipa, wie ist die Welt so groß!

Wie hat’s mich herumgetrieben!

Und doch, dich werd ich mein Lebtag nicht los,

Dein Sprüchel ist haftengeblieben:

Meine Sonne geht noch hinter Dobern auf,

Noch immer bei Leibich unter,

Mein Norden geht noch hinterm Spitzberg hinauf,

Mein Süden bei Neuschloß hinunter …

Du wirst fragen, wie ich meine geistige Erfüllung in der erzählenden Dichtung fand. Da musst du wissen, dass ich eine Mutter hatte, die nicht nur eine große liebe Seele war, sondern auch über eine hervorragende Intelligenz verfügte. Als junges Mädchen ging sie nach Prag, um als Kinderfräulein zu arbeiten. Das Glück war ihr hold und führte sie in eine jüdische Akademikerfamilie. Nach kurzer Zeit war sie mehr Tochter als Dienstpersonal. Bald darauf genoss meine Mutter die liebevolle Aufmerksamkeit aller Familienmitglieder. Ihre Herrschaft bot ihr alle Möglichkeiten der Bildung an, die gerne von der wissensdurstigen jungen Frau ausgeschöpft wurden. Nach ca. zweieinhalb Jahren intensiven Privatunterrichts durch die Frau des Hauses – auch eine Akademikerin – absolvierte meine Mutter die Prüfung zum Zertifikat „Privatlehrerin für gehobene Bildungsanstalten“ mit Bravour. Und so wirkte sie in der Familie ihrer Gastgeber als Lehrerin – bis zur Heirat mit meinem Vater im Jahr 1939. Der Literatur Altösterreichs, insbesondere des Sudetenlandes, war meine Mutter sehr emotional verbunden. Noch im Alter verblüffte sie mich mit ihrem tiefgründigen Wissen über Rilke und Ebner-Eschenbach, Tieck, Schlegel und Brentano, Grillparzer und Eichendorff …, besonders aber von Gagern und Stifter. Die fast vollständigen Werke dieser Großen der Literatur befanden sich in unserer Hausbibliothek. Wen wundert es da, dass sie mir daraus oft vorlas und in mir den Wunsch weckte, Gleiches auch tun zu können. Mit viereinhalb Jahren konnte ich dann auch schon gut lesen, wobei natürlich Märchen und Balladen meine geistige Lieblingsspeise wurden. Mein Interesse fürs Lesen immer anspruchsvollerer Literatur und das Erlebnis Natur förderte nicht nur meine Mutter, sondern auch Großmutter Maria und der große „Nimrod“ – mein Großvater Eduard. Sollte ich heute meine Mutter beschreiben müssen, jene herzensgute, hochgebildete und mutige Frau, die in den Kriegsjahren den Kindern ihrer ehemaligen Gastgeber in Prag Unterschlupf und Sicherheit gewährte, so finde ich in den Worten I. Kants die richtige Antwort. Er sagte über seine Mutter: „Ich werde meine Mutter nie vergessen. Sie pflanzte und nährte den ersten Keim des Guten in mir, sie öffnete mein Herz den Eindrücken der Natur, sie weckte und erweiterte meine Begriffe, und ihre Lehren haben einen immerwährenden Einfluss auf mein Leben gehabt.“

Die Lehren und Liebe meiner Mutter haben mich stark gemacht, nur dadurch konnte ich Hass, Hader und Missgunst der Zeiten bewältigen, nur dadurch kann ich jeden Tag aufs Neue den Griffel in die Hand nehmen, um meinen literarischen Vorbildern nachzueifern. Was ich heute kann und bin, verdanke ich meiner Mutter. „Jede Erziehung heißt: ein Vorbild setzen und zu seiner Verwirklichung aneifern. Das Seiende ist ein stimmendes, das Werdende ist ein redendes Beispiel. Indem man ein Vorbild sich zu seiner vorbildlichen Art entwickeln lässt, zeigt man am wirksamsten, wie es gemacht werden soll“, schrieb Josef Nadler.

Das ist der Sinn, den auch ich fand in Stifters Roman „Witiko“, wo er seinen Helden im deutschen Böhmerwald eine bäuerliche Gemeinschaft aufbauen und in die reale gesellschaftliche Gegenwart einfügen lässt. Stifter war ein Prediger des Friedens, der bäuerlichen Arbeit, ein unduldsamer Sprecher und Kämpfer für die Ehrfurcht vor der Natur. Er hatte von allen sudetendeutschen Dichtern die breiteste und tiefste Wirkung auf mich ausgeübt. Er wurde eine geistige Lebensmacht, Unkundige und menschenabgewandte Kritiker haben ihn als „Dichter der Käfer und Butterblumen“ verlacht und dabei nicht begriffen, dass auch der Mensch sich gegenseitig bedingt. Ja, Stifter ist ein Schilderer der Natur, neben von Gagern, Löns, Rosegger und Watzlik, Schaukal und Leutel der Bedeutendste, aber er hat nie den Menschen als Staffage neben die Natur gestellt. Der Mensch steht stets im Mittelpunkt von Stifters Dichtung, er ist der Träger seines Ethos, das dem sanften Gesetz folgt in der sittlichen Welt des Menschen wie der Naturgesetze. Diesem Vermächtnis Stifters und der anderen Großen der Literatur meiner Heimat möchte ich in meinem Schaffen folgen. Stifter lehrte mich als Naturbuchautor ins Lautlose zu lauschen, das Unhörbare hörbar zu machen. In meinen Naturwelten bin ich seither umspielt von vielfältigen und schillernden Lichtern, von musikalischen Wort- und Klangwirkungen, von den unsterblichen Melodien des Kosmos. Und all dieses möchte ich meinen Lesern vermitteln. In den Stunden der Rückschau auf Vergangenes steigen in mir die Worte wie aus einem verborgenen Quell, der ins Helle sprudelt. Schriftstellern ist Gnade und Schmerz, Inspiration und Fleiß, jeder Gedanke ist Abschied vom Sein. Ja, so lehrten sie mich – Stifter, von Gagern und Rilke und die anderen ungezählten, ungenannten der emotionalen Wortgewaltigen. Die seelische Erregung bei der Durchdringung des stofflichen Themas meiner Arbeiten steigert stets die Leuchtkraft des dichterischen Blickes, sie führt mich stets in die innere Spannung zwischen vorgefasster, intuitiver Gedankenform und dem zufälligen, gnadenhaften, nicht herbeizubefehlenden Erschüttertsein der Seele. Diese von mir im Laufe der Jahre gleichwohl gemachten Erfahrungen fand ich in den Werken meiner literarischen Fährtenleger, und sie leuchteten mir auch in dunklen, schicksalsschwangeren Stunden den Weg zur Vollendung des Gewollten aus. Rilke vermittelte mir die Erkenntnis, dass das Dasein des Dichters und sein Leben in ihm verzaubert scheint, „… An hundert Stellen ist es noch Ursprung. Ein Spielen von reinen Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.“ Je länger und tiefsinniger ich mich mit den Werken meiner literarischen Vorbilder befasste, je mehr ich mich in mein eigenes Schaffen vertiefte und nach Ausdrucksformen suchte, um bei den Lesern Anteilnahme und Begeisterung zu wecken, desto bildhafter trat die Erkenntnis hervor, dass wahre Meisterschaft in den unkontrollierten Tiefen des Unbewussten entspringt. „Die Welt und alle geistigen Werte geraten in den Wirbel der eigenen Seele“, sagte uns Rilke. Ja, ich habe es selbst erfahren – das Glück, das innere Bewusstsein, nicht der Verstand sind das erfassende Organ des Autors. Nach vielen Jahren des Experimentierens mit bildhaften, ausdruckstarken Worten fand ich meinen Weg. Ob er Anerkennung findet, werden die Zeiten wissen.

Oft fragte ich mich, warum ich nicht von der angestammten Heimat lassen kann. Die Lebensläufe der Dichter und Poeten Altösterreichs sagen es uns mit klarer Stimme. Im Schmelztiegel des Völkergemisches von Kelten, Germanen und Slaven wuchs über die Tragik geschichtlicher Katastrophen hinaus eine starke Heimatliebe zur Scholle. Immer dann, wenn weder Nationalisten, christliche Eiferer noch Panslavisten die Hegemonie über andere Völker des bestehenden Staatenbundes errichten wollten, blühten Kunst, Wissenschaft und Literatur auf und warfen hell gleißend ihr Morgenrot in alle Welt. Diese erkennend schuf Stifter auch seinen „Wikito“, m. E. eine der reinsten epischen Schöpfungen deutscher Literatur. Wie zur Mahnung an die Völker Böhmens sagte er in diesem Werk: „Davon ist das Unglück des Landes Böhmen ein Zeuge. Sie üben Rache und ergötzen sich an Grausamkeiten der Rache, sie reißen Güter und Gewalt an sich und genießen mit Übermut. Dann kommt ein anderer und rächt sich an ihnen und nimmt die Güter wieder. Und die nach ihm kommen, üben wieder Rache und werden wieder gestützt. So ist das oft gewesen, und so wird es wieder...

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