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E-Book

Faktische Selbstveranlagung und Fehlerkorrektur im Besteuerungsverfahren von Arbeitnehmern

AutorChristine Lanwehr
VerlagUtz Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl318 Seiten
ISBN9783831672226
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis33,99 EUR
Jeder fünfte Steuerbescheid ist falsch; in den vergangenen Jahren mussten zwei Drittel aller Bescheide korrigiert werden. Die heutige Besteuerungswirklichkeit im Rahmen des elektronischen Risikomanagements bei der Arbeitnehmerveranlagung ist längst zu einer faktischen Selbstveranlagung geworden. Ausgehend von dieser Feststellung werden die Probleme, die bei der Berichtigung und Korrektur von fehlerhaften Steuerbescheiden aufgrund der faktischen Selbstveranlagung entstehen, dargestellt. Das Ergebnis ist der dargestellte Lösungsvorschlag der Kopplung der Korrekturmöglichkeiten an die vorangegangene, tatsächlich erfolgte Kontrolle der Steuererklärung durch die Finanzbehörde durch Installation einer Verordnungsrmächtigung in §§ 129 und 173 AO und die Gestaltung einer Verordnung durch das Bundesfinanzministerium. Hierin sollen die einzelnen Prüfsituationen im Rahmen des elektronischen Risikomanagements im Finanzamt dargestellt, dabei die jeweiligen Prüfsituationen kategorisiert und daraus resultierend die entsprechenden Prüfintensitätsstufen - im Hinblick auf eine Korrekturmöglichkeit nach §§ 129,173 AO - nuanciert bewertet werden.

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Leseprobe

Teil 2: Die Berichtigung von offenbaren Unrichtigkeiten nach § 129 AO und Fehlerkorrektur nach § 173 AO


A. Die Berichtigung nach § 129 AO


Enthält ein Steuerverwaltungsakt offenbare Unrichtigkeiten wie insbesondere Schreibfehler, Rechenfehler oder diesen ähnliche Unrichtigkeiten, die beim Erlass des Verwaltungsakts unterlaufen sind, kann die Finanzbehörde diesen auch nach Eintritt der Bestandskraft zugunsten oder zuungunsten des Adressaten berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen.7 Das bedeutet, § 129 AO ermöglicht es der Finanzverwaltung, einen bereits bestandskräftigen Steuerverwaltungsakt zu berichtigen, wenn sie objektiv etwas anderes erklärt hat, als tatsächlich gewollt. Also bedeutet Berichtigen das Ersetzen des Erklärten durch das Gewollte.8 Somit macht § 129 AO eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Betroffene grundsätzlich auf das Bekanntgegebene vertrauen kann. Denn das Vertrauen in den Fortbestand des offenbar Unrichtigen ist nicht schutzwürdig.9 Tatbestandsvoraussetzungen für eine solche Berichtigung nach § 129 AO sind das Vorliegen einer Unrichtigkeit, die keinen Rechtsfehler, sondern einen mechanischen Fehler darstellt,10 dessen offenbare Erkennbarkeit,11 und die Tatsache, dass der Fehler beim Erlass des Verwaltungsakts innerhalb der Finanzbehörde geschehen ist.12 Im Rahmen dieser Arbeit wird jedoch keine vollständige Erläuterung der Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129AO vorgenommen werden. Vielmehr erfolgt hier nur eine Erläuterung derjenigen Tatbestandsmerkmale, die sich im Hinblick auf das Verständnis vom Besteuerungsverfahren in der Steuerrechtswissenschaft (unten Teil3.B.) und der Besteuerungsrealität (unten Teil 4. B.) als problematisch erweisen. Dies ist zum einen das Erfordernis der Abgrenzung von mechanischen Fehlern und Rechtsfehlern (dazu folgend unter I.) und zum anderen das Konstrukt des Übernahmefehlers (dazu folgend unter II.). Dass gerade die im Folgenden dargestellten Tatbestandsmerkmale aufgrund der Besteuerungsrealität Probleme bereiten, kann nicht verwundern, denn bei beiden hängt die Beurteilung der Frage, ob eine von § 129AO erfasste Unrichtigkeit vorliegt, maßgeblich davon ab, ob diese für den Sachbearbeiter der Finanzbehörde als solche offensichtlich erkennbar war. Das Abstellen auf die Erkennbarkeit setzt aber denklogisch und rein tatsächlich voraus, dass im Rahmen des Steuervollzugs ein Augenmerk auf die zu prüfende Steuererklärung gelegt wird und somit überhaupt die faktische Möglichkeit zum Erkennen geschaffen wird. Die Klärung der Frage, ob diese Möglichkeit des Erkennens eines Fehlers aber überhaupt noch besteht, ist Gegenstand der späteren Untersuchung (Teil 4. A.).

I. Abgrenzung von mechanischem Fehler und Rechtsfehler


Es bedarf einer Abgrenzung von mechanischem Fehler und Rechtsfehler, weil im Rahmen des § 129AO nur die Berichtigung von mechanischem »Vertun« durch die Finanzbehörde möglich ist, nicht hingegen eine Korrektur von bewussten Sachaufklärungs- und Gesetzesanwendungsfehlern.13 Aufgrund der fließenden Grenzen zwischen einem »Vertun«, ohne dabei Nachzudenken, und bewussten Rechtsfehlern ist eine Abgrenzung immer anhand des Einzelfalles vorzunehmen.14 Ein die Anwendung des § 129 AO ausschließender Rechtsfehler liegt dann vor, wenn die Unrichtigkeit über ein bloßes mechanisches Übersehen hinausgeht. Das ist dann der Fall, wenn die Unrichtigkeit nicht offen zutage tritt und daher nicht ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden kann.15 In diesem Fall ist der Fehler dann auf eine erforderliche, aber vom Sachbearbeiter unterlassene Sachaufklärung zurückzuführen und eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO liegt nicht vor.16 Das Vorliegen eines solchen, die Anwendbarkeit des § 129 AO ausschließenden Rechtsfehlers, ist hingegen dann zu verneinen, wenn die Unrichtigkeit lediglich auf eine bloße Unachtsamkeit des Sachbearbeiters zurückzuführen ist; eine solche bloße Unachtsamkeit kann bejaht werden, wenn der Fehler offen zutage tritt und daher leicht erkennbar ist.17

II. Der Übernahmefehler


Grundsätzlich liegt nur dann ein nach § 129 AO berichtigungsfähiger Fehler vor, wenn dieser dem Finanzamt unterlaufen ist; dies folgt aus dem Tatbestandsmerkmal »beim Erlass des Verwaltungsakts«.18 Es ist jedoch anerkannt, dass ein Fehler »beim Erlass des Verwaltungsakts« auch vorliegt, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare Unrichtigkeit als eigene in den Verwaltungsakt übernimmt.19 Die Beurteilung, ob ein nach § 129 AO zu berichtigender Fehler vorliegt, hängt davon ab, ob der Sachbearbeiter die Unrichtigkeit in der Steuererklärung des Steuerpflichtigen erkennen konnte und diesen durch bloße Unachtsamkeit übernommen und sich zu eigen gemacht hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Fehlerhaftigkeit für den Sachbearbeiter anhand der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen ohne Weiteres erkennbar war.20

B. Die Korrektur nach § 173 AO


§ 173 AO löst den Prinzipienwiderspruch zwischen Vertrauensschutz und Rechtssicherheit einerseits und der materiellen Rechtsrichtigkeit andererseits zugunsten der Rechtssicherheit.21 Die Vorschrift regelt, dass das Finanzamt verpflichtet ist, Steuerbescheide bei nachträglichem Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln aufzuheben oder zu ändern. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 AO ist zum einen das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen,22 für die Korrektur nach Nummer 1 als ungeschriebene Voraussetzung das Fehlen von Ermittlungspflichtverletzungen durch das Finanzamt23 und für die Korrektur nach Nummer 2 als geschriebene Voraussetzung das Nichtvorliegen eines groben Verschuldens des Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen oder Beweismittel. Auch im Bereich des § 173 AO wird keine vollständige Erläuterung der Voraussetzungen für eine Korrektur nach § 173 AO vorgenommen werden. Vielmehr erfolgt auch hier nur eine Erläuterung derjenigen Tatbestandsmerkmale, die sich im Hinblick auf das Verständnis vom Besteuerungsverfahren in der Steuerrechtswissenschaft (unten Teil 3. B.) und der Besteuerungsrealität (unten Teil 4. B.) als problematisch erweisen. Das ist zum einen die für § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bedeutsame Ermittlungspflichtverletzung der Finanzbehörde, welche sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergibt, und zum anderen das grobe Verschulden des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Der Grund hierfür liegt darin, dass sowohl bei dem Erfordernis des Fehlens von Ermittlungspflichtverletzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO als auch bei dem Erfordernis des Fehlens eines groben Verschuldens des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO im Rahmen des § 173 AO an Tatsachen angeknüpft wurde, die im Laufe der Zeit einem starken Wandel im Faktischen unterlagen (unten Teil 4. A.), der bei Schaffung der Vorschrift nicht bedacht wurde.

I. Ermittlungspflichtverletzungen durch die Finanzbehörde


Dem Finanzamt darf während des Besteuerungsverfahrens keine Ermittlungspflichtverletzung unterlaufen. Denn es würde gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn es den Steuerverwaltungsakt aufhebt oder ändert, weil ihr nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt geworden sind, die sie bei gehöriger Erfüllung ihrer Ermittlungspflichten schon vor der Steuerfestsetzung hätte feststellen müssen.24 Das Vorliegen einer Ermittlungspflichtverletzung führt also bei beanstandungsloser Erfüllung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen zu einem Ausschluss der Korrekturmöglichkeit. Die Anforderungen zur Vermeidung einer solchen Ermittlungspflichtverletzung stehen verbildlicht für das Pflichtenprogramm der Finanzbehörde, welches im Rahmen der Durchführung der Steuerfestsetzung erfüllt werden muss. Dieses Pflichtenprogramm erscheint allerdings in der heutigen Besteuerungsrealität mehr als problematisch, denn ein umfassendes bzw. ausreichendes Ermitteln der Finanzbehörde findet nicht mehr flächendeckend statt; vielmehr wird nur noch schwerpunktmäßig und in einer risikoorientierten Weise ermittelt (ausführlich dazu unten Teil 4. A.).

II. Grobes Verschulden des Steuerpflichtigen


Hat der Steuerpflichtige das nachträgliche Bekanntwerden der Tatsache oder des Beweismittels grob verschuldet, ist eine Aufhebung oder Änderung des Steuerverwaltungsakts zu seinen Gunsten ausgeschlossen. Dadurch soll der Steuerpflichtige von vorneherein dazu angehalten werden, seine Erklärungs- und Mitwirkungspflichten gehörig zu erfüllen.25 Das Vorliegen eines groben Verschuldens führt also zu einem Ausschluss der Korrekturmöglichkeit und stehen verbildlicht für das Pflichtenprogramm des...

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