Werk
Schreiben als Verausgabung utopischer Energie
Die Entwicklungskurve des literarischen Schaffens von Platonow lässt sich unter dem Aspekt eines sich verbrauchenden Vorrats an utopischer Energie verstehen, die sich an einer widerständigen Realität abarbeiten muss. Der Platonow-Forscher Jewgeni Jablokow fasst das Verhältnis des Autors zum utopischen Denken mit den Worten zusammen: »Das Leben gab dem Schriftsteller nicht die Möglichkeit Utopist zu sein, aber das Bestreben ein solcher zu sein, hat, wie uns scheint, Platonow selbst in den dramatischsten Momenten nicht verlassen.« (Literaturnoe obozrenie, H. 9, 1989, S. 45) Verläuft schon die Entwicklung der Mehrzahl der übrigen Autoren der Sowjetperiode nicht »organisch«, so trifft dies auf Platonow in extremer Form zu, da äußere Faktoren immer wieder auf brutale Weise in seinen Schaffensprozess eingreifen. Man denke nur an die Hetzkampagnen gegen den Autor der Jahre 1931, 1937 und 1947, die ihn in seiner physischen wie in seiner literarischen Existenz bedrohen. Bereits in den Anfängen tritt bei ihm eine Tendenz in Erscheinung, sich gegenüber kritischen Angriffen kleinzumachen und die eigene Schutzlosigkeit zu betonen. Auch in seinem Werk dominiert ein ausgeprägtes Mitgefühl mit allem Geringfügigen, Unscheinbaren und Verachteten. Diese Haltung grenzt bisweilen an das jurodsvto, das Gottesnarrentum, das in Russland eine lange Tradition hat. Im Fall Platonows könnte man geradezu von einer Art Kenosis sprechen, einer in der Orthodoxie verbreiteten Form der religiösen und kulturellen Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung. Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist die kurze Erzählung Juschka aus dem Jahr 1937. Der Autor verstand seine literarische Arbeit als notwendiges Korrektiv zur Entwicklung der sowjetischen Gesellschaft und leitete aus diesem Anspruch allen Anfeindungen zum Trotz mit stoischem Selbstbewusstsein die Berechtigung seines schriftstellerischen Schaffens ab.
»[…] ich bin nun schon zwei Jahre krank, konnte wegen meiner Krankheit nicht genügend arbeiten und geriet in eine materielle Notlage in einer Zeit, als ich noch eine Chance auf Genesung hatte. Freilich, wenn meine neuen Texte – wenn auch nicht alle – möglichst schnell herausgekommen wären, hätte ich keine Not gekannt, weil ich mir ständig Mühe gebe zu arbeiten. Ich bitte noch einmal, falls meine Bitte angebracht ist, mir eine Unterstützung oder ein Darlehen für meine Heilung zu gewähren.« (Andrej Platonow in einem Brief an den Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes Alexander Fadejew vom 17. Mai 1949; P, S. 639.)
Platonow ließ sich aber nie in die Ecke eines Gegners der Revolution drängen. Allerdings schwebte ihm ein von der offiziellen Parteilinie abweichendes kommunistisches Ideal vor. Der bürokratischen und repressiven »staatlichen Vernunft« – er erfand dafür die Abkürzung gosum (von gosudarstvennyj um) – stellte er seine im Volk verankerte »naive« und »anarchische« Utopie eines auf Mitgefühl und Brüderlichkeit basierenden Kommunismus gegenüber. Gründet sich die staatliche Organisation auf das geschriebene Wort, auf den kanonischen ideologischen Text, so gedeiht das Denken des Volkes auf der Grundlage der Mündlichkeit. In dieser Sphäre der Mündlichkeit verliert die Sprache der Partei ihre Konturen, wird deformiert und treibt oft seltsame, ja groteske Blüten. Die offizielle sowjetische Rhetorik erscheint in der eigentümlichen Brechung durch das Bewusstsein der »nichtintelligenten« Helden Platonows. Es sind meist eigenartige »Philosophen aus dem Volk«, die sich durch ihre kindlich anmutende Naivität oder närrische Kauzigkeit auszeichnen. Mit ihrer extrem ungewöhnlichen, ja »fehlerhaften« und »unliterarischen« Sprache geht eine verstörend befremdliche Weltsicht einher. Es ist praktisch nicht möglich, Platonow einer der damals existierenden literarischen Schulen zuzuordnen, weder der proletarischen, die seine Anfänge prägte, noch der avantgardistischen oder ornamentalen Richtung. In dieser Hinsicht bleibt der Autor aus der Provinzstadt Woronesh als naturwüchsiges Talent mit Zügen eines Autodidakten in vielem bis heute eine unerschlossene Erscheinung. Es ist kennzeichnend, dass Platonow sich aus dem literarischen Leben seiner Epoche weitgehend heraushielt. Sein Werk und seine gesamte Sicht auf die Welt sind stark geprägt von seiner Tätigkeit als Ingenieur und Bewässerungstechniker. Er betonte stets, dass ein Schriftsteller einen zweiten Beruf haben müsse.
Am Anfang von Platonows literarischer Entwicklung steht der durch die Oktoberrevolution ausgelöste revolutionäre Enthusiasmus des jugendlichen Autors. Er schlägt sich in seinen publizistischen Texten nieder, in denen die Revolution als kosmisches Ereignis, als Zerstörung der alten und Anbruch einer neuen Welt begrüßt wird. Auch die frühen, häufig in abstrakten Räumen angesiedelten Erzählungen sind in diesem Geist verfasst. In der darauffolgenden Schaffensphase wendet sich der Autor thematisch der russischen bzw. sowjetischen Realität zu. In den Epiphaner Schleusen, die von einem gescheiterten Kanalbauvorhaben zur Zeit Peters des Großen handeln, geschieht dies zunächst in historischer Form. Erzählungen wie Die Stadt Gradow oder Ein unerschlossener Mensch spiegeln dagegen bereits die desillusionierenden Erfahrungen wider, die Platonow als Ingenieur für Bewässerung in der rückständigen Provinz macht.
»Von jetzt an soll man nicht in Worten schreiben, indem man sich etwas ausdenkt und die lebendige Sprache kopiert, sondern direkt in Stücken der lebendigen Sprache selbst (der ins Heft ›entwendeten‹), und diese Stücke zum Werk montieren.« (Andrej Platonow, Literaturfabrik; in: Am Nullpunkt, S. 483)
Den Höhepunkt von Platonows Schaffen bilden die in den folgenden Jahren verfassten Romane Tschewengur und Die Baugrube, in denen ein starker utopischer Impuls spürbar ist, der aber letztlich ins Dystopische umkippt. Die revolutionären Hoffnungen, die die Protagonisten von Tschewengur hegen, basieren auf im Volk verbreiteten, teils kirchlich-orthodox, teils sektiererisch geprägten apokalyptischen Vorstellungen. Bereits hier tritt jedoch eine für Platonow äußerst charakteristische melancholische Grundbefindlichkeit zutage, die sich im Widerstreit mit dem Prinzip Hoffnung befindet. Diese Stimmung der Schwermut und das Gefühl der Vergeblichkeit der Arbeit an dem utopischen Projekt ist in der Baugrube, die während der durch Stalin forcierten Zwangskollektivierung spielt, noch viel stärker ausgeprägt. Von klassischen Antiutopien wie Jewgeni Samjatins Wir oder George Orwells 1984 unterscheiden sich beide Romane dadurch, dass hier keine Negativbilder einer vorweggenommenen Zukunft entworfen werden, sondern das Scheitern des utopischen Projekts im Verlauf seiner Realisierung vor Augen geführt wird.
Andrej Platonow (dritter von links in der zweiten Reihe) mit Bauern des Dorfes Rogatschowka. Neben ihm sein jüngerer Bruder Pjotr, 1925
Die gegen Ende der 1920er Jahre einsetzende Zwangskollektivierung der Landwirtschaft trägt entscheidend dazu bei, Platonows Hoffnungen auf eine sozialistische Zukunft zu dämpfen. Er reagiert darauf mit satirischen Erzählungen wie Makar im Zweifel oder Zu Nutz und Frommen, die ihn immer mehr in Gegensatz zur herrschenden Doktrin bringen. Durch die Angriffe der Literaturkritik und Stalins höchstpersönlich wird er in die Position eines Outcasts gedrängt, so dass er einige Jahre keine Möglichkeit hat zu veröffentlichen. Seine depressive Stimmung schlägt sich u. a. in dem unvollendeten Roman Die glückliche Moskwa und der Erzählung Müllwind nieder. Trotz Publikationsverbots und schwieriger Lebensumstände ist Platonow jedoch literarisch weiterhin produktiv, wovon etwa die aus seiner Turkmenistanreise hervorgegangene Erzählung Dshan zeugt. Texte über die Liebe wie Fro oder Der Fluss Potudan markieren einen zweiten Höhepunkt seines Schaffens. Seit Mitte der 1930er Jahre lässt sich in den Anschauungen Platonows eine markante Verschiebung feststellen, eine Verlagerung des Schwerpunkts von der gesellschaftlichen auf die individuelle Sphäre, von der Utopie auf den Alltag. Begleitet wird diese Verschiebung von einer sprachlichen »Normalisierung«, den Verzicht auf die für den Autor vordem charakteristische expressive ironische und grotesk-satirische Sprache. In den Vordergrund treten nun Themen wie Familie, Liebe und Körperlichkeit, die im früheren Schaffen Platonows der sozialen Problematik untergeordnet waren. Utopische Perspektiven sind zwar noch am Horizont des Geschehens präsent, doch verlagert sich der Fokus seines Schaffens auf die in der Stalinzeit extrem gefährdete »Utopie des einfachen Lebens«. Diese Tendenz setzt sich in Platonows Kriegserzählungen mit ihren Themen des Überlebens, des Todes und des soldatischen Opfermuts fort. In seinen letzten Lebensjahren wendet sich Platonow der Bearbeitung von Volksmärchen und der Kinderliteratur zu. Der Vorrat an Utopie, aus dem er so lange schöpfen konnte, scheint aufgebraucht.
Frühe utopische Erzählungen
(1921-1927)
In der ersten Hälfte der 1920er Jahre verfasst Platonow eine Reihe von wissenschaftlich-phantastischen Erzählungen, deren Helden von ihren Projekten besessene Ingenieure und Erfinder sind, die auf ihr privates Glück verzichten und sich für das Wohl der Gesellschaft opfern. Der Ingenieur Wogulow aus der Erzählung...