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Vom Kaiser zum Duce

Lodovico Rizzi (1859-1945). Eine italienische Karriere in Istrien

AutorFrank Wiggermann
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl640 Seiten
ISBN9783709937778
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Eine außergewöhnliche Biografie, erzählt vor dem Hintergrund der bewegten Geschichte Istriens: Selten lassen sich gesellschaftliche und politische Veränderungen so sehr an einer Lebensgeschichte ablesen wie an jener des Lodovico Rizzi. Im Dienste der k.u.k.-Monarchie ist er Abgeordneter im Parlament, als Bürgermeister steht er der Hafenstadt Pola vor, einem der wichtigsten Marinestützpunkte des Habsburgerreiches. Doch als die Monarchie zusammenbricht, vollzieht Rizzi eine politische Kehrtwende: Er lässt sich von Mussolini zum Sonderkommissar für Pola ernennen. Was bewegt einen gemäßigten Bürgermeister und Abgeordneten des österreichischen Parlaments dazu, sich in den Dienst des Faschismus zu stellen?? Frank Wiggermann begibt sich auf die Spuren des Lodovico Rizzi, erzählt umfassend seine Biografie und liefert gleichzeitig ein spannendes Porträt Istriens und seiner Bewohner.

Frank Wiggermann, geboren 1971, Studium der Geschichte und evangelischen Theologie in Münster/Westfalen und Wien, unterrichtet an einem Gymnasium in Niedersachsen und ist mit einer Arbeit über die militärisch-zivilen Konflikte in Pola/Istrien in den Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg promoviert worden (K.u.k. Kriegsmarine und Politik. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen Nationalbewegung in Istrien, Wien 2004). Aufsätze im Jahrbuch des Centro di ricerche storiche (Rovigno/Rovinj). Bei Haymon erschienen: 'Vom Kaiser zum Duce. Lodovico Rizzi (1859-1945). Eine italienische Karriere in Istrien' (2017).

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Leseprobe

Studium und Militär


Rizzi studierte an den Universitäten Wien und Graz.245 Vom Wintersemester 1877/78 bis zum Sommersemester 1878 war er als ordentlicher Hörer an der Juridischen Fakultät in Wien inskribiert.246 Ob der Student im östlich gelegenen Wien den warmen Sonnenschein und den Wind des Mittelmeers vermisst hat? Ab dem Wintersemester 1878/79 besuchte er die juristischen Veranstaltungen in Graz. Für den fraglichen Zeitraum existieren in der steiermärkischen Hauptstadt keine Studentenakten („Nationale“), die von den Hörern selbst, seit 1884 mit Angabe der Muttersprache, ausgefüllt wurden.247 Es gibt lediglich Kataloge, die von Universitätsbeamten geführt wurden.248 Rizzi machte dafür folgende Angaben: Geburtsort Pola in Istrien, Nationalität „italienisch“, Vater Nikolaus „Grundbesitzer dort“.

Eine eigene Universität mit italienischer Vortragssprache kam auf cisleithanischem Boden bis zum Ende der Monarchie nicht zustande249, und reichsitalienische Abschlüsse an den Hochschulen Pavia und Padua tolerierte die österreichische Verwaltung nicht. Man reiste problemlos mit österreichischem Pass durch Europa, errichtete aber unsichtbare Schranken. Reichsitalienische Examina berechtigten jedenfalls nicht zum Eintritt in österreichische Staatsämter.250 Allerdings statteten die deutschösterreichischen Fakultäten der Universitäten Innsbruck, Graz und Wien die küstenländischen Italiener mit jenen sprachlichen und rechtlichen Kompetenzen aus, die sie später in ihren Anwaltsberufen und politischen Ämtern einsetzen konnten – so auch Lodovico Rizzi und seinen späteren politischen Adlatus Francesco Salata. Deutsch war die Sprache der österreichischen Zentralverwaltung und der mitteleuropäischen Geschäfte, die sich nicht ausschließlich auf die lokale Dimension von Pola beschränkten.

Nach Herkunft und Studienrichtung erfüllte Rizzi typische Merkmale eines Studenten aus Istrien: Sein Geburtsort war eine größere Stadt, die an der Küste lag; seine Muttersprache war italienisch; sein Vater (Grundbesitzer) arbeitete nicht selbst, sondern ließ arbeiten; und Lodovico Rizzi entschied sich für die – nicht nur unter den Italienern beliebteste – Studienrichtung der Jurisprudenz. Als er sein Studium im Wintersemester 1882/83 beendete, hatte Italien gerade den Dreibund mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich abgeschlossen, und der Anteil italienischer Akademiker wuchs auf 12,6 % der gesamten Hörerschaft in Graz an.251 Im Vergleich der Nationalitäten ohne muttersprachliche Universität in Österreich kamen die Italiener auf eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Studierenden.252 In absoluten Zahlen strebten ab Mitte der 1880er Jahre deutlich mehr italienische Studenten nach Graz als nach Wien. Eine Konzession an die größere geografische Nähe der Steiermark zum altvenezianischen Küstenland? Immerhin zog es junge Leute aus Triest und Istrien eher selten in die exzentrisch gelegene Tiroler Hauptstadt Innsbruck. Und Sprachbarrieren stellten sich dem akademischen Nachwuchs hier wie dort nicht entgegen: Rizzi beherrschte, wie alle in seiner Familie, fließend die deutsche und auch die französische Sprache.253 Das Französische, eine Leitsprache der Kultur und Diplomatie in Europa bis zum Ersten Weltkrieg, wird Rizzi außerhalb der Schule gelernt haben. Weder Französisch noch Englisch, das er vermutlich nicht sprechen konnte254, standen auf dem Stundenplan des Gymnasiums. Mit Vorsatz vernachlässigt hat die istrisch-italienische Elite den Erwerb der slawischen Landessprachen – eine Ignoranz, die das Verhältnis zwischen Italienern und Slawen im polyphonen Istrien spätestens ab 1900 dauerhaft beschädigte. Denn die italienischen Politiker setzten auf kroatisch-slowenischer Seite wie selbstverständlich die Kenntnis der Sprache Dantes voraus.

Rizzi war also ein im deutschen Kulturraum gut integrierter Student, der in Graz die Società degli studenti ­italiani (Circolo accademico italiano) besuchte und dessen Ausbildung die Eltern beständig forcierten. Aus wenigen Splittern müssen wir freilich unser Bild vom universitären Werdegang des jungen Polaer Bürgers zusammensetzen. Es reicht nicht zu einem umfassenden Porträt des Studenten. Was wir wissen, konturiert allerdings die Umrisse eines jungen Mannes, der nicht daran dachte, die in ihn gesetzten bürgerlichen Hoffnungen der Familie zu enttäuschen. Er lernte in Graz allgemeines und österreichisches Staatsrecht, machte sich mit der Rechtsgeschichte vertraut und erwarb die notwendigen Kenntnisse im österreichischen Zivil- und Strafrecht.255 Die deutsche Grammatik und Syntax vollkommen zu beherrschen, war auch unter den italienischen Studenten keineswegs die Regel. Die juristischen Staatsprüfungen durften die Italiener wiederum in ihrer Muttersprache ablegen.256 Rizzi bestand 1882/83 die drei Teile der akademischen Promotion in Graz.257 Die Professoren einigten sich auf die Note „genügend“258. Nur ein Votum lautete auf „Auszeichnung“. Das Urteil „genügend“ wurde an Rigorosen vergeben, bei denen ein „sehr gut“ nicht gerechtfertigt war, deren Leistung aber durchaus genügte. Rizzi hat mithin eine zufriedenstellende, aber eben nicht ausgezeichnete Leistung erbracht – mit anderen Worten: guter Durchschnitt.259 Der 1883 zum Dr. jur.260 erhobene Italiener ging schließlich als sogenannter Advokaturspraktikant nach Pola zurück.

Jetzt musste Rizzi endlich der Militärpflicht ­Genüge leisten, allerdings in einem veränderten europäischen Kontext. Mittlerweile waren die einstigen Kriegsgegner Österreich-Ungarn und Italien Partner, in erster Linie im gegenseitigen Handelsverkehr, aber sie näherten sich auch politisch an, bis das Deutsche Reich, das Königreich Italien und die österreichisch-ungarische Monarchie im Jahr 1882 den sogenannten Dreibund abschlossen. Es scheint, dass Rizzi in den folgenden Jahrzehnten mit großer Regelmäßigkeit ins Nachbarland Italien reiste.261 Wen wundert es? Italien war der ideelle Bezugspunkt für alle liberalen Italiener Österreichs.

Nachdem Rizzi sich während des Studiums, am 11. Februar 1879, als Einjährig-Freiwilliger „auf eigene Kosten auf 10 Jahre“262 beim k.k. Heer gemeldet hatte, nahm er sein militärisches Engagement nach der Promotion 1883 wieder auf. Sein Curriculum im stehenden Heer Österreich-Ungarns verlief in den für einen Akademiker vorgesehenen Bahnen. Am 1. Oktober 1883 präsentierte sich der Einjährig-Freiwillige zur aktiven Dienstleistung beim Infanterie-Regiment Nr. 22, seinem Stammregiment.263 Dieses Regiment hatte seinen Stab allerdings in wechselnden Garnisonen Dalmatiens, sodass Lodovico Rizzi – eingereiht in den Jahrgang 1884 – den Einjährig-Freiwilligen-Kurs beim Infanterie-Regiment Nr. 61 in Triest absolvierte. Im selben Jahr veränderten sich auch Rizzis Privatverhältnisse erheblich. Er heiratete zum ersten Mal und gab sein Einkommen mit jährlich 1.200 österreichischen Gulden an.264 Dieses Geld hat er allerdings sicherlich nicht als Advokaturspraktikant verdient, diente er doch während des Jahres 1884 ein ganzes Jahr lang in Triest. Die Einkünfte wird er aus dem Familieneinkommen bezogen haben.

Das Regiment Nr. 61 lag damals mit einigen Bataillonen in der Garnison in Triest.265 Nach dem abgeleisteten Präsenzjahr wurde Rizzi in die Reserve übersetzt (am 30. September 1884) und rasch zum Leutnant in der Reserve befördert (am 10. Dezember 1884).266 In den folgenden Jahren 1885, 1886 und 1888 leistete Rizzi jeweils einen Monat lang Waffenübungen und Kompaniedienst beim stehenden Heer ab. Mittlerweile gab er ein jährliches Gesamteinkommen von 2.000 Gulden an. Die damalige Neuaufstellung von österreichischen Regimentern brachte es mit sich, dass Rizzi seinen Übungspflichten im Wesentlichen beim Infanterie-Regiment Nr. 97 in Pola nachkam. Im Militär-Schematismus wurde er weiter als Leutnant in der Reserve des Infanterie-Regiments Nr. 22 geführt. Als Lodovico Rizzi Ende August 1888 endgültig in das nichtaktive Verhältnis zurückversetzt wurde, war er der militärischen Pflichten ledig, aber seine privaten Verhältnisse hatten sich einschneidend verändert: Der große und gesunde junge Mann war seit 1885 Witwer und Vater eines Mädchens.

Die weitere Führung in den militärischen Matriken brachte keine Präsenzpflichten mehr mit sich. Im Jahr 1889 wurde Rizzi als Leutnant der Reserve zur k.k. Landwehr (Landwehr-Bataillon Mitterburg Nr. 73) transferiert267, wo er bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts geführt wurde: der italienisch-liberale Bürgermeister von Pola als k.k. Landwehr-Soldat.

Interessanter als das militärische Avancement Rizzis sind die Eintragungen zu seinen Sprachkenntnissen. Die Einschätzungen des Militärs runden unser Résumé der gymnasialen und akademischen Ausbildung ab: „deutsch zum Dienstgebrauche genügend, serbo-kroatisch spricht er nicht[,] italienisch in Sprache und Schrift vollkommen, französisch etwas.“ Die Reihenfolge der von Seiten des Heeres genannten Sprachen ist bemerkenswert. An erster Stelle stand die Kommandosprache Deutsch, darauf vermerkten die Militärs an zweiter Stelle ein Defizit (kein Serbo-Kroatisch), um Rizzis Muttersprache Italienisch erst an dritter Stelle zu nennen. Ein Zufall oder die typische Perspektive eines dalmatinischen Infanterie-Regiments? Spiegelte sich in der Hierarchisierung etwa eine bewusste Zurücksetzung des Italienischen wider? Bei der Frage nach kroatischen Sprachkenntnissen biss die Heeresverwaltung jedenfalls auf Granit: Die meisten italienisch-liberalen Bürger...

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