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E-Book

Experiment Kosovo

Die Rückkehr des Kolonalismus

AutorHannes Hofbauer
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783853718452
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Kosovo startet als 'gescheiterter Staat' in eine neue Epoche. Die Kernelemente seiner Wirtschaft funktionieren nicht, sozialer Aufstieg spielt sich zwischen Schwarzmarkt und Massenemigration ab und seine politische Elite folgt äußerem Druck. Dies in Rechnung stellend war von Seiten Washingtons und Brüssels niemals an eine echte Selbstbestimmung gedacht. Der von der UNO verworfene und gleichwohl von den USA und der EU in Kraft gesetzte Ahtisaari-Plan schreibt eine überwachte Unabhängigkeit vor, die sowohl Legislative als auch Exekutive in fremde Hände legt. Militärisch herrscht die von den USA geführte KFOR-Truppe, zivil wird das Land mittels allerlei Kürzeln von der Europäischen Union verwaltet. Der Übergang vom UN-Protektorat zur EU-Kolonie passiert schleichend. Eine 'Koalition der Willigen' abseits der UNO bestimmt über das Schicksal des kleinen, knapp zwei Millionen EinwohnerInnen zählenden Landes. Von der Rechtsprechung über politische Verwaltung bis zur polizeilichen und militärischen Exekutive öffnet sich ein weites Experimentierfeld für hauptsächlich westeuropäische und nordamerikanische Institutionen. Gesellschaftliche Abläufe jenseits bürgerlicher Gewaltenteilung und demokratischer Selbstbestimmung können nach erfolgreichen Probeläufen im Kosovo später anderswo, nötigenfalls auch in Kerneuropa, Platz greifen. Zum besseren Verständnis der aktuellen Situation zeichnet Hannes Hofbauer die Geschichte des Kosovo von der 500 Jahre dauernden osmanischen Fremdherrschaft über die verschiedenen Befreiungsansätze bis zur serbisch-nationalen Epoche im 20. Jahrhundert nach. Der Eingliederung des Kosovo in das titoistische Jugoslawien sowie dessen katastrophales, von Bürgerkriegen gezeichnetes Ende wird im Buch ebenso behandelt wie die hinter der kosovarischen Unabhängigkeitsbestrebung stehende 'albanische Frage'.

Hannes Hofbauer, geboren 1955 in Wien, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte und arbeitet als Publizist und Verleger. Im Promedia Verlag sind von ihm zuletzt erschienen: 'EU-Osterweiterung. Historische Basis - ökonomische Triebkräfte - soziale Folgen' (2008), 'Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter' (2014) sowie 'Feindbild Russland - Geschichte einer Dämonisierung' (2016).

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Leseprobe

Ein Deutscher als Albanerfürst


Die konservative osmanische Elite sah sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Inneren mehr und mehr mit einer nationaltürkischen Kraft konfrontiert. Offiziere des Sultans hatten 1889 einen Geheimbund namens „Einheit und Fortschritt“ gegründet, der als „Jungtürken“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Wirtschaftliche Modernisierung nach westlichem Vorbild, Kampf der Korruption und ethnische Türkisierung möglichst der gesamten Bevölkerung lauteten die Inhalte ihrer großteils im Pariser Exil verfassten Programmatik. Eine gegen den Sultan gerichtete Meuterei von jungtürkisch inspirierten Soldaten auf dem Balkan im Jahr 1908 nützte Österreich-Ungarn zur Annexion von Bosnien-Herzegowina, das es bereits seit dem Berliner Kongress besetzt hielt. Sultan Abdulhamid II. sah das Ende seiner Amtszeit gekommen, ein jungtürkischer Putsch beendete seine Karriere; sein Bruder Mehmet V. agierte fortan als eine Art Marionette der jungtürkischen Offiziere.

Albanische Intellektuelle schwankten, was die jungtürkische Bewegung betraf, zwischen Unterstützung und Ablehnung. Als reformerische Kraft, die gegen das autoritäre Sultansystem stand, unterstützten sie die Kräfte rund um Enver Pascha und Talat Pascha. So wurde z.B. ein albanisch-türkisches Jungtürken-Komitee gegründet, in der Hoffnung, damit einer Autonomie der Albanergebiete innerhalb des Osmanischen Reiches näher zu kommen. Das türkisch-nationale Auftreten der Jungtürken stand allerdings im krassen Gegensatz zum zweiten Resultat der „Liga von Prizren“. Dort war ja gerade das albanisch-nationale Element der Forderungen herausgestrichen worden. Die Albaner wollten eben keine Türken sein. Mitten in dieser Positionsfindung stand einer der damaligen großen Intellektuellen der albanischen Sache, Ismail Kemal (Qemali) Bey. Gemeinsam mit dem Kosovaren Hasan Prishtina war er bei den ersten Parlamentswahlen im nun jungtürkisch regierten Osmanischen Reich 1908 als Abgeordneter nach Istanbul eingezogen.64 Von dort versuchte er die nationalen Kräfte in den albanisch besiedelten Gebieten zu bündeln. Ab dem Sommer 1909, als nach langen kulturpolitischen Querelen die lateinische Schrift an albanischen Schulen verboten wurde, nahm die Unruhe nicht nur im Kosovo zu. Gründe für Aufstände gab es genug – einmal war es die Kultur- und Bildungspolitik, ein anderes Mal die fortgesetzte Zwangsrekrutierung albanischer junger Männer für die osmanische Armee. Die Hohe Pforte war politisch und moralisch am Ende und die Jungtürken schafften es mittelfristig nicht, unter der albanischen Bevölkerung dauerhaft Verbündete zu finden. So lösten einander in den Jahren 1909 bis 1913 Volkserhebungen und Strafexpeditionen gegen die Aufrührer rhythmisch ab.

Am 28. November 1912 rief eine Versammlung albanischer Abgesandter in der südalbanischen Stadt Vlorë die Unabhängigkeit aus. Zur Erinnerung: Einen Monat zuvor waren im Rahmen des Balkan-Bundes serbische Soldaten im Kosovo und bulgarische in Makedonien einmarschiert. Es ging um die nationale Aufteilung des wirtschaftlich und geopolitisch sterbenden Osmanischen Reiches. Ismail Qemali Bey war zuvor von Istanbul aus nach Wien und Rom gereist, um sich die Unterstützung des Westens für einen albanischen Staat zu sichern. Auf einer Botschafterkonferenz in London im Dezember 1912 kam der internationale Dissens deutlich zutage: Moskau stand hinter den Forderungen Belgrads, einen Zugang zum Mittelmeer – und damit die Herrschaft über albanisch besiedeltes Territorium – zu erhalten. Wien trat für die Errichtung eines albanischen Staates ein, der auch Teile des Kosovo umfassen und unter osmanischer Suzeränität stehen sollte. Letztere war nicht zu halten, Istanbul war am Ende.

Im Mai 1913 verzichtete das Osmanische Reich im Rahmen eines Friedensvertrages auf alle territorialen Ansprüche auf dem Balkan. Am 29. Juni 1913 erkannten Österreich-Ungarn, Großbritannien und Russland eine albanische Unabhängigkeit an. Diese war jedoch nicht unter der Führung eines albanischen Fürsten oder gar Parlaments gedacht, sondern als konstitutionelle Monarchie, die von einer westlichen Kommission kontrolliert werden sollte. Als König wurde ein deutscher Adeliger aus dem dritten Glied inthronisiert: Prinz Wilhelm von Wied. Der „Vater“ der albanischen Unabhängigkeit, Ismail Qemali Bey, musste das Land verlassen. Er war den neuen Machthabern, die nun in Wien und Rom saßen, zu radikal, zu eigenständig.

„Die neue Landkarte“, schreiben Dardan Gashi und Ingrid Steiner in ihrem Buch „Albanien“, „war lediglich die Folge eines hauptsächlich österreichisch-russischen Tauziehens um Einflußgebiete auf dem Balkan. Frankreich positionierte sich dabei im slawischen Block, zumal Paris daran lag, ein möglichst kleines Albanien zu schaffen und den ‘pangermanischen’ Einfluß dadurch zu minimieren. Italien hatte sich auf die Seite Österreichs gestellt, während Großbritannien zumeist neutral blieb, wobei London jedoch tendenziell die russisch-französische Variante bevorzugte.“65

Wilhelm von Wied entstammte einer rheinländisch-pfälzischen Grafenfamilie, die mit Albanien und der albanischen Frage nichts zu tun hatte. Balkanische Staatengründungen erfolgten in jenen Jahrzehnten oft nach demselben Muster. Die europäischen Großmächte zogen die Fäden im Hintergrund. In Rumänien war es ein gewisser Karl aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen, der auf Geheiß des Westens 1866 rumänischer Fürst und 1881 König wurde. In Bulgarien wurde zwischen 1879 und 1886 für kurze Zeit Alexander (von Battenberg) zum Erbmonarchen gewählt, bevor ihn Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha per Putsch vom Thron verdrängte. In Serbien und Montenegro hingegen schafften es einheimische Adelsfamilien, „ihre“ Völker in die Unabhängigkeit zu führen.

Von Wied hielt es jedenfalls nicht lange in „seiner“ Hauptstadt Durrës. Im März 1914 traf er in der albanischen Adriastadt ein, am 3. September 1914 floh er nach Deutschland und vergaß sogar, offiziell abzudanken. Da er ohne Kenntnis der sozialen und politischen Lage war, geriet die Regentschaft dieses ersten albanischen Staates zum Chaos. Die internationale Kontrollkommission beschloss über Wilhelm von Wieds Kopf hinweg, nach dem Einmarsch griechischer Truppen ein „Autonomes Nord-Epirus“ anzuerkennen, was von Wieds Einflussbereich bedeutend verkleinerte. Aufständische in der Mitte Albaniens, die teilweise die skurril anmutende Forderung nach Wiedereingliederung ihres Landes ins Osmanische Reich erhoben, verweigerten ihrerseits dem deutschen Prinzen die Gefolgschaft, sodass der aus dem fernen Rheinland stammende Adelige sein „Herrschaftsgebiet“ zuletzt auf die Küstenstädte Durrës/Durazzo und Vlorë/Vlora beschränkt sah. Die Zeit der Neuordnung war indes noch nicht vorbei. Im Völkerschlachten des Ersten Weltkrieges kamen nun, nach Diplomaten und Fürsten aus dem Westen, auch österreichisch-ungarische, deutsche und italienische Soldaten auf den Balkan.

Deutsch-italienischer Vormarsch I


„Die Sache, für die wir ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibt’s keine Würschteln, und darum sage ich auch: Serbien – muß sterbien!“ Die Menge antwortet im Chor: „Bravo! So ist es! – Serbien muß sterbien!“66 Diesen berühmten Dialog lässt Karl Kraus auf dem Wiener Ringstraßenkorso gegenüber der Staatsoper führen. Die Menge ist aufgebracht, aufgewühlt, kriegsgeil: Jeder Schuß – ein Ruß, jeder Stoß – ein Franzos, jeder Tritt – ein Britt! Im Weltkriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ kann die österreichisch-ungarische Öffentlichkeit an Feinden gar nicht genug bekommen. Doch ihr meistgehasster Feind ist „der Serbe“.

Sommer 1914. Am 28. Juli erklärt der greise 84-jährige Kaiser Franz Joseph I. im Namen Österreich-Ungarns Serbien den Krieg. Er ist sich einer Unterstützung Deutschlands und des Osmanischen Reiches sicher. Der von einem serbisch-bosnischen Kommando ausgeführte Mord an Thronfolger Franz Ferdinand einen Monat zuvor, am 28. Juni 1914 in Sarajevo, hat den Beschluss zum militärischen Eingreifen nur gefestigt.

Geplant war der Kriegsgang seit Längerem. Schon im Februar 1913 hatte der oberste Chef des deutschen Generalstabes, Helmuth von Moltke, in einem Schreiben an sein kriegerisches Wiener Gegenüber, Franz Conrad von Hötzendorf, die Notwendigkeit eines Krieges gegen Serbien bestätigt, wenn auch zu diesem Zeitpunkt davon abgeraten. Ein solcher bevorstehender Krieg würde ein „Kampf zwischen Germanentum und Slawentum“ sein, meinte er. „Sich hierauf vorzubereiten, ist Pflicht aller Staaten, die Bannerträger germanischer Geisteskultur sind.“67 Dem Wiener Hof war diese nationale Sprache fremd, doch die Interessen deckten sich – das auf dem Balkan zurückweichende Osmanische Reich durfte nicht den zaristischen Begehrlichkeiten...

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