1. Menschen wie wir?
Wir müssen mit dem Anfang anfangen. Lesen wir also noch einmal die ersten Kapitel der Bibel, mit denen alles begonnen hat, lesen wir sie als Erzählungen, ohne theologischen oder historisch-faktischen Beweisanspruch.[4] Da treten sie auf, Adam und Eva, nicht als Vormenschen, Hominiden oder Frühmenschen, sondern wie Typen des Menschseins. Sie kommen uns verwandt vor, allein schon wegen ihrer beträchtlichen Kunst der Ausreden: Adam schiebt die Schuld auf Eva, Eva auf die Schlange. So ähnlich machen wir das auch. Solche Züge könnten selbst einen Historisten zu dem Ausruf Adams bewegen, dies sei Gebein von unserem Gebein und Fleisch von unserem Fleisch, gäbe es da nicht zugleich befremdlich-archaische Züge: In einem Zaubergarten wachsen Äpfel, die, gegessen, Erkenntnis verleihen. Daneben steht – ziemlich funktionslos – ein Baum, der fortdauerndes Leben verspricht. Die Schlange spricht – wie im Märchen. Da gibt es einen Gott, der im Garten spazierengeht, ein Gott, der ein unbegreifliches Verbot aufstellt, der töpfert und schneidert. Gleichwohl: Diese Eva und dieser Adam sind von unserer Art. Es ist gleichgültig, ob wir sie Paradigmen nennen oder einen Gründungsmythos der Menschheit; sie zeigen, was ein Mensch ist. Ob sie existiert haben oder nicht, das ist jetzt nicht die Frage; die Erzählung deutet allemal auf große Themen: die Einheit der Menschen, wir sind alle Brüder, es gibt keine Rassen, wohl aber den markierten Abstand zu den Tieren. Adam wird Herr über sie, doch wird ihm nur vegetarische Kost gestattet, und nach einer feinsinnigen Bemerkung des Thomas von Aquino hätte er nicht einmal ein Pferd zum Reiten benutzt; aber über die Erde herrschen, das sollte er durchaus. Es sind Geschichten vom Idealzustand und seinem Verlust, vom Paradies, das wir verloren haben, bevor es sich zum Schlaraffenland entwickeln konnte: Paradise lost. Die Erzählung handelt von der Erkenntnis von Gut und Böse, von den Ausreden der Schuldigen, vom sündigen Reiz des Wissenwollens und unerwünschter Gottgleichheit durch Erkenntnis: Neid der Götter. Sie erklärt, warum die Arbeit so hart, die Geburt so schmerzhaft ist, woher der Zwist kommt und warum Menschen ausnahmslos sterben müssen. Es geht um Geschichten von Mann und Frau; Eva als Männin hat ihren Ursprung im Mann, sie entstammt ihm und ist ihm als Gehilfin zugesellt. Er erkennt sie als Fleisch von seinem Fleisch, aber gleichgestellt ist sie ihm nicht, nicht im Paradies, und noch weniger danach, wird sie doch nach Genesis 3, 16 zusätzlich damit bestraft, daß er über sie herrschen soll. Beide verlieren die Unsterblichkeit, beide treten in ein Leben voll Mühsal und Schmerz; beiden droht der Tod, aber der heilige Thomas von Aquino, ein Mann, der, wie ich zeigen werde, über den Verdacht, Feminist gewesen zu sein, weit erhaben ist, macht die Bemerkung, Eva werde härter gestraft als Adam. Allerdings fand er, das geschehe zu Recht.
Herder entdeckte den weltanschaulich neutralen Tiefsinn der ersten Kapitel der Genesis. Er gab keine historische Analyse, würdigte sie aber nicht nur ästhetisch, sondern gab Stoff zum Nachdenken, indem er fand, sie seien «wie eine Zaubererzählung des glücklichen, leider verlorenen Traumes der Kindheit»; sie enthielten «die einfachste Naturphilosophie, Welteinrichtung und Menschenordnung», in ihnen liege «die simpelste Philosophie über den verflochtenen Knoten der Menschheit, über seine disparatesten Enden und Winkel» (Briefe, das Studium der Theologie betreffend, 1780/1781, 3. Brief).[5]
Die Erzählungen interessieren sich auffallend für Nacktheit, für die unschuldige zuerst, für die verschämte danach, Reflexionsstoff bietend über den Zusammenhang von Selbsterkenntnis und Scham. Malern und Bildhauern gaben sie die Erlaubnis, fast die Verpflichtung, Menschen nackt darzustellen. Was wäre die Kunst ohne Eva und Adam? Von der Katakombenmalerei des 3. Jahrhunderts bis Max Beckmann hat sie sich des Themas angenommen.
2. Als Mann und Weib erschuf er sie
Wir kennen Eva und Adam meist von Skulpturen und Bildern, aber zuerst kamen sie in Erzählungen vor, erst später standen sie in Texten. Die mündlichen Überlieferungen sind verklungen; was uns geblieben ist, sind Bücher. Dort müssen wir sie aufsuchen:
Die Genesis erzählt die Erschaffung des Menschen zweimal. Das ist merkwürdig und bedarf der Erklärung. Wahrscheinlich gab es divergierende mündliche Erzählungen, die später zum Ersten Buch Moses zusammengestellt worden sind. Beginnen wir mit dem ersten Bericht, Genesis 1, 26–31. Er lautet in einer nicht allzu modernen Übersetzung:
1, 26 Gott sprach: Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde und Gleichnis; die sollen herrschen über die Fische des Meeres und das Gevögel des Himmels und das Vieh und alles Wild des Feldes und alles Gewürm, was auf Erden kriecht.
27 So schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde. Nach dem Bilde der Gottheit schuf er ihn, als Mann und Weib schuf er sie.
28 Und Gott segnete sie, und er sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, und erfüllet die Erde und machet sie euch untertan, und herrschet über die Fische des Meeres und das Gevögel des Himmels und über alles Getier, was sich auf Erden regt.
29 Und Gott sprach: Ich gebe euch jetzt alles Kraut, das Samen bringt, auf der ganzen Erde und alle Bäume, die Baumfrüchte tragen, die Samen enthalten; das soll eure Speise sein! 30 Und allem Wild des Feldes und allem Gevögel des Himmels und allem, was auf Erden kriecht und lebendigen Odem in sich hat, gebe ich das Grün des Krautes zur Speise. Und es ward also. 31 Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. So ward Abend und Morgen: der sechste Tag.[6]
Zunächst fällt auf: Hier fehlt Eva gänzlich. Zuerst wird nur «der Mensch» erschaffen, und plötzlich sind sie zu zweit, ohne daß der Name «Eva» fiele. Allerdings gibt Gott sofort mit seinem Segen den Hauptbefehl: Wachset und mehret euch! Adam allein hätte ihm schwerlich nachkommen können. Von einer späteren, nachträglichen Erschaffung Evas fällt kein Wort. Wahrscheinlich setzte der Verfasser dieses Textes oder der Redaktor seiner Endfassung voraus, der Leser wisse bereits aus anderen Erzählungen etwas über die je besondere Erschaffung von Frau und Mann.
Man darf sich vorstellen, diese Erzählung sei lange Zeit isoliert erzählt worden ohne die nachfolgenden Geschichten von Paradies und Vertreibung, also ohne Genesis 2–3. Wer sie hörte, sah den Anfang der Menschheitsgeschichte in harmonischem Licht: Gott krönt sein Schöpfungswerk mit der Schaffung des Menschen, er kündigt seinen Beschluß feierlich an, er setzt den Menschen als seinen Vertreter und sein Ebenbild als Herrscher auf Erden ein. Er kümmert sich um seine Versorgung. Er teilt den Menschen Getreide und Baumfrüchte, den Tieren Gras und Kräuter zu. Er empfiehlt ihnen sexuelle Aktivität. Dieser Gott sieht im Herrschen des Menschen, das man sich nicht ohne Wissen denken kann, keine Konkurrenz zu seiner Weltherrschaft. Von Sünde, von Bestrafung, von später Entdeckung der Sexualität ist hier nicht die Rede. Gott spricht kein Verbot aus, auf dessen Übertretung eine Bestrafung folgen könnte. Daß der Mensch die Gottebenbildlichkeit verscherzen und inzwischen verloren haben könnte, liegt außerhalb jeder...