CHAPTER 3
Just Words
TEIL 1
»Hey, Bro! Immer noch am bulken oder schon am cutten? Ich bin noch Off-Season und bulke noch drei Monate, da sind maximale Gainz zu erwarten. Ab März cleane ich meine Makros und bin auf Juni wieder geripped«!
Hm? Was will mir der Urheber dieser Worte sagen? Stimmt was nicht? Ist er krank? Ist der andere krank? Geht es hier um Drogenentzug oder um Gewinne aus Hedgefonds? Nein, weit gefehlt – es geht um Bodybuilding.
Damit die weiteren Seiten dieses Buches etwas leichter zu verstehen sind, und ich nicht so oft mit Fußnoten13 arbeiten muss, folgt nun ein Glossar14 mit den wichtigsten Grundbegriffen der Fitness-, Bodybuilding- und Kraftsportszene. Viele der aufgeführten Begrifflichkeiten sind sehr abstrus und irrwitzig – entsprechend habe ich mich bemüht, eine stets passende Erklärung zu liefern.
Kommunikation funktioniert in der Regel nur dann erfolgreich, wenn die Beteiligten unter den verwendeten Begriffen immer auch das Gleiche verstehen. Sonst entstehen Missverständnisse. Sprache entwickelt sich aber immer dynamisch und hängt mit der gesellschaftlichen Entwicklung zusammen. Oft ist es eine Kombination aus Faktoren wie den Altersunterschieden, echtes Deutsch vs. Internetsprache, schriftliche Sprache vs. gesprochene Sprache oder die Eindeutschung von englischen Begriffen. Nehmen wir als Beispiel das Wort »chillen«. Das Wort steht bereits seit 2007 im Fremdwörter Duden15 mit der Erklärung:
»chil-len [t∫ɪɩən] ‹englisch›: (Jugendsprache) sich [nach einer Anstrengung] erholen; entspannen«
Auf der Internetseite des Dudens wird der Zusatz »sich abregen« hinzugefügt16. Dies erklärt dann auch Sätze wie »Ey, man! Jetzt chillen Sie sich mal, Herr Beuter«!
Für mich liegt da der Fall klar, ich höre das täglich in meinem Beruf. So will mir hier z.B. ein Schüler oder eine Schülerin mitteilen, dass ich, der Lehrer, mich etwas abregen und wieder entspannter werden solle. Als wäre ich jemals unentspannt.
»Sprache« ist nicht gleich »sprechen«
Bei der Recherche der aktuellen Ausgaben von Fitness- und Bodybuilding-Magazinen wird einem schnell klar: Hier haben sich die sprachlichen Trends und speziell die pseudo-englischen Begriffe nicht entwickelt. Sie werden eventuell hier und da mal aufgegriffen, natürlich ohne explizite Erklärung, aber im Großen und Ganzen liegt ein normaler Sprachstil den Berichten und Artikeln zu Grunde.
Das nachfolgende Glossar des Fitness- und Bodybuilding-Jargons, das wirst du bei den ganz bizzaren Begriffsphänomenen feststellen, entstammt einer Sprache, die sich im Internet formiert und entsprechend in der realen Welt sprachlich manifestiert hat. Posts in sozialen Netzwerken, Kommentare bei Facebook, Twitter, Youtube oder der Whatsapp-Chat lassen die Onlinekommunikation mit der Real-Life-Kommunikation verschmelzen. Wenn wir gewisse Begriffe online immer wieder lesen und selbst schreiben, geht uns das in echten mündlichen Sprechsituationen in Fleisch und Blut über. Gesprochene und geschriebene Sprachen beeinflussen sich wechselseitig.
LOL;-)
Muskelmagazine
Was aber sind die Gründe, dass Magazine, die eine Hauptquelle für jede Form von Bro Science darstellen, sich sprachlich so sehr von Internetquellen unterscheiden? Es ist Tatsache, dass je hardcoremäßiger ein Magazin in Sachen Bodybuilding ist, desto einfacher ist die darin verwendete Sprache.
Die »Flex« ist beispielsweise fast frei von Insider- und Szenebegriffen. Die »Muscle & Fitness« sowie die »Men’s Health« hingegen pushen hier schon ganz gern mal das Fitness-Hipster-Vokabular. Speziell die Men’s Health mixt neben Trainings- und Ernährungsartikeln massenweiße Lifestyle- und Männer-Beautykram sowie Technik- und Modeneuheiten zusammen. Geht es hier noch um Fitness und Gesundheit? Nein, hier geht es um Kaufanreize und um das Dazugehören. Das Inhaltsverzeichnis der Flex im Oktober 2015 besteht in den regelmäßigen Rubriken u.a. aus:
Arnolds Seite | S. 16 | Nahrung | |
1 Satz | S. 18 | & Ergänzungen | S.40 |
Tims Body Talk | S. 20 | Letzter Satz | S. 152 |
Training | S. 28 | Das Foto | S. 160 |
Einfach. Fast immer deutsch. Fertig. Die Oktoberausgabe der Men’s Health 2015 surft hier schon mehr auf der angesagten Welle, die nicht mit Anglizismen17 geizt. Das Inhaltsverzeichnis nennt uns die Rubriken:
Update | S.17 | Style + Grooming | S.96 |
Sport + Fitness | S.28 | Life + Work | S.120 |
Ernährung | | Men´s Health live | S.148 |
+ Gesundheit | S.62 | Men´s Facts | S.154 |
Als finaler Beweis für eine gesteigerte Verwendung von Anglizismen und neumodischer Sprache im Onlinebereich, im Vergleich zum gedruckten Magazin, hier die Rubriken der Online-Version der Men’s Health18:
Fitness, Health | Tech, Motor |
Du siehst, kein deutsches Wort. Geht die Redaktion davon aus, dass online nur die hippen, gut gebildeten, mit allen Wässerchen der neuen Medien gewaschenen Kunden vor dem Rechner, Tablet oder Smartphone sitzen? Geht man davon aus, dass gebildete Studenten und junge Azubis chronisch pleite sind und sich die Printausgabe nicht leisten können und nur online auf die Artikel zugreifen? Ist aber gerade diese Gruppe nicht sogar besonders kaufstark – schließlich sind die technisch immer auf dem neuesten Stand und wohnen günstig zu Hause oder in der WG?
Und heißt das im Umkehrschluss, dass nur diejenigen, die mit Englisch und Online-Medien wenig am Hut haben, die Magazine kaufen? Müssten diejenigen, die die Magazine kaufen aber nicht sogar mehr Kohle verdienen, was wiederum mit Bildung zu tun haben könnte? Schließlich sind die Zeitschriften nicht ganz billig. Und wer schon für 70,00 Euro am Donnerstagabend nach dem Sport an der Aral Tankstelle vollgetankt hat, der überlegt es sich doch gut, ob er noch 5,00 Euro für ein Muskelheftchen ausgeben möchte.
Sprachlich sind Bodybuilding- und Fitnessmagazine in einem ähnlichen Stil aufgebaut: Wenig Fachvokabular, wenig Insider- und Szenesprache, wenig Fremdwörter und Anglizismen. Was ist der Grund dafür? Eigentlich ganz einfach, wenn man mal darüber nachdenken möchte – wer nicht darüber nachdenken möchte – der liest trotzdem weiter und lässt sich berieseln: Es wird seitens der Redaktion Wert darauf gelegt, speziell für den Neueinsteiger, den Zugang zum Magazin sprachlich angenehm und mühelos zu gestalten. Eine neue Käuferschaft lässt sich einfacher erschließen, wenn sie beim ersten Lesevergnügen nicht in jedem zweiten Satz über Fachvokabular stolpert. Das nervt und man kommt sich erst recht wie ein Neueinsteiger vor. Nein danke. Und außerdem sind die Zeitschriften mit monatlich 4,50 (Men’s Health) bis 5,20 Euro (Flex, Muscle & Fitness) nicht gerade günstig zu haben. Da will ich als Verbraucher doch nicht erst 20,00-30,00 Euro in Form von fünf oder sechs Ausgaben investieren um sprachlich einen Zugang zum Inhalt zu erhalten.
Sprache muss einfach sein, jeden erreichen und den Leser nicht als unwissend vorführen. Speziell persönliche Freizeitaktivitäten oder Lebenseinstellungen, die mit Körperkultur, Leistung, Optik und Ästhetik zu tun haben, sorgen beim Leser an sich schon mal für Selbstzweifel und ein schlechtes Gewissen.
Der Leser fragt sich:
»Mache ich genug? Taugt mein Trainingsplan? Stimmt meine Ernährung? Könnte mein Rücken breiter sein? Warum bin ich immer noch nicht den Hüftspeck von 2009 losgeworden«?
Und jetzt noch eine insiderhafte Sprache, die mir den exklusiven Zugang zu neuen Informationen erschwert? Danke, nein.
Der Alters- und Generationenunterschied innerhalb der Zielgruppe ist ein weiteres Kriterium. Die gesprochene Sprache der 18-jährigen ist nur in Ansätzen mit der Sprache der so genannten »Best-Agers«, den Mitte Vierzigbis Fünfzigjährigen zu vergleichen.
Die Macher und Herausgeber der Heftchen versuchen zielgruppenadressiert zu schreiben. Klar, die Zielgruppe in Puncto Interesse an Fitness, Fettab- und Muskelaufbau, ist einfach einzugrenzen. Weniger klar ist dagegen die Altersschicht, geschweige denn die soziale Schicht und der...