AUFGABE 1
Operation Chaos-Kontrolle
Einfaches für den Anfang: Betten und Müll
Das Haus zu putzen, solange unsere Kinder
noch nicht groß sind, ist wie Schneeschippen,
bevor es aufgehört hat zu schneien.
Phyllis Diller
Noch nie habe ich den Vorwurf zu hören bekommen, ich sei eine Perfektionistin oder ein Ordnungsfreak. Im Gegenteil! Alles Organisatorische fordert mich ziemlich heraus. Eher neige ich zu folgender philosophischer Grundsatzfrage: Welchen Sinn hat es, Sachen wegzuräumen, wenn man sie schon bald wieder braucht?
Hm … ich glaube, diese Frage habe ich auch schon von meinen Kindern gehört.
Als ich noch berufstätig war, schaute mehr als nur ein Chef fragend auf meinen Schreibtisch, mit einem Blick, der besagte: „Wie soll denn bei solchen Papierbergen jemals etwas Produktives herauskommen?“ Doch da waren die Probleme mit meiner Organisations-Behinderung bereits zutiefst mit dem ohnehin schon irgendwie knotigen Gewebe meines Wesens verwoben. Selbst meine Mitbewohnerin aus dem Studentenwohnheim würde Ihnen das bestätigen.
Die Ärmste hatte keine Ahnung, worauf sie sich einließ, als sie einwilligte, sich ein Zimmer im Wohnheim mit mir zu teilen. Da wir in der neuen Umgebung möglichst schnell Freunde finden wollten, hatten wir beide einfach blind eingewilligt, in unserem ersten Jahr an der Baylor University zusammen zu wohnen. Wir lernten uns telefonisch kennen, und wie es für Mädchen ja so typisch ist, einigten wir uns leichtsinnigerweise auf gleiche Tagesdecken für unsere Betten und allerlei Schnickschnack fürs Zimmer und umarmten uns dann an dem Tag, als wir einzogen.
Es dauerte nicht lange, bis Susan klar wurde, dass ich zwar vielleicht eine ganz passable Mitbewohnerin war – lustig, spontan und entspannt –, aber auch ein wenig chaotisch. Man könnte es auch unordentlich nennen. Ich machte zwar mein Bett – jedenfalls meistens –, so wie es mir meine Mama und unsere Haushälterin Bea beigebracht hatten, aber alle Kleidungsstücke und noch vieles mehr legte ich einfach auf dem Bett ab. Um meinen provisorischen Kleiderschrank dann abends wieder in ein Bett zu verwandeln, schob ich die Klamottenberge einfach beiseite und kuschelte mich unter dem gemütlichen Berg von Kleidern ein, um dann am nächsten Morgen einfach anzuziehen, was obenauf lag.
Susan hingegen war sehr organisiert, nur wenn ihre Haltung mit meiner extrem pragmatischen „passt-schon“-Einstellung zusammentraf, wechselte sie auf die dunkle Seite des kreativen Chaos.
Wohlgemerkt, Susan und ich waren nicht schmuddelig … nur einfach ziemlich unbekümmert und locker in Bezug aufs Aufräumen. Aber innerlich sehnten wir uns – wie wahrscheinlich die meisten Menschen – nach Ordnung, und manchmal durften wir sogar ein wenig daran schnuppern.
Wenn nämlich meine Mutter in der Stadt war, kam sie fast immer bei uns vorbei und räumte unser Zimmer auf, während wir in der Vorlesung waren. Dann hängte sie all meine Hosen und Kleider ordentlich in den Kleiderschrank, bügelte Shirts und Shorts, faltete sie ordentlich und legte sie in die dafür vorgesehenen Schubladen. Die Schuhe stellte sie paarweise auf das platzsparende Gestell in der Schranktür. Sie tat Wunder wie eine gute Fee mit ihrem Zauberstab. Etwa einen Tag lang genossen Susan und ich dann den klamottenfreien Fußboden und die Betten und gaben einander das wirklich ernst gemeinte Versprechen, dass es jetzt immer so ordentlich bleiben würde.
Seit damals habe ich mich mit vielen, wenn auch sicher nicht mit allen meinen Problemen im Zusammenhang mit Organisation und Ordnung auseinandergesetzt. Durchaus kann ich mich daher in meine unordentlichen Kinder hineinversetzen. Ich weiß, was sie denken, wenn sie die Betten ungemacht lassen. Ich verstehe die Einstellung „Warum soll ich es wegräumen? Ich brauche es doch morgen sowieso wieder“. Unordnung macht mir genauso wie ihnen nicht viel aus, aber Sauberkeit ist mir wichtig.
Mein Mitgefühl ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es bei sieben Personen in unserem Haushalt ein absolutes Muss gibt, das Chaos unter Kontrolle zu behalten. Deshalb wusele ich seit Jahren hinter meiner Familie her, sammle auf und räume weg. Ich kann ganz schnell und mit einer einzigen fließenden Bewegung Shorts vom Fußboden aufsammeln, die dort liegen gelassen wurden, wo sie der Besitzer ausgezogen hat; rasch ein Handtuch in den Wäschekorb werfen, das auf dem Teppich, dort wo es am Vorabend liegen gelassen worden ist, einen feuchten Fleck hinterlassen hat; die Betten machen in der Hoffnung, dass aufgeräumte Zimmer für eine lernfördernde Umgebung sorgen, und auch noch die Toilettenspülung betätigen, wenn sogar das einem meiner Kinder zu viel gewesen war.
Tatsache aber ist, dass es meine Verantwortung als Mutter ist, ihnen alle diese Tätigkeiten beizubringen, statt sie ihnen abzunehmen. Ich muss den Kindern helfen, ihren Hang zur Unordnung in Angriff zu nehmen, bevor er sich zu einer dauerhaften und bleibenden Eigenschaft verfestigt.
In der Gewissheit, dass solche notwendigen Lektionen fürs Leben gelernt werden, beschließe ich, meine Laissez-faire-Einstellung ein bisschen zurückzunehmen und mir den besten Weg zu überlegen, Ordnung einzuführen und die Kinder zum Engagement auf diesem Gebiet zu motivieren. Kurz: dafür zu sorgen, dass ein solches Engagement zur Gewohnheit wird.
Gewohnheit
Substantiv, feminin
1. Ein erworbenes Verhaltensmuster, das beinahe unfreiwillig durch häufiges Wiederholen erlangt wird: Die Gewohnheit, jeden Morgen sofort nach dem Aufstehen das Bett zu machen.
2. Gewohnte Verhaltensweisen: Hinter sich aufzuräumen, ist in manchen Familien eine Gewohnheit.
3. Eine besondere Handlungsweise oder Sitte oder Gepflogenheit: Die Gewohnheit, Pflichten im Haushalt zu übernehmen, egal, ob man sie langweilig findet oder der Meinung ist, dass jemand anders dafür zuständig ist.5
Familiengewohnheiten
Warum schleichen sich schlechte Gewohnheiten eigentlich so leicht ein, während es Schwerstarbeit ist, gute Gewohnheiten zu entwickeln? Es gibt Untersuchungen, denen zufolge man einundzwanzig Tage braucht, um eine gute Gewohnheit so einzuüben, dass sie bleibt.6 In unserer Familie dauert es erfahrungsgemäß eher ein paar Monate – vielleicht sogar noch länger. Daher soll nur kurz erwähnt sein, dass unser Befähigungs-Projekt vermutlich eine Weile dauern wird und noch etwas Zeit ins Land zieht, ehe alles sitzt.
Nur ein Ziel oder eine Aufgabe pro Monat umzusetzen ist daher am realistischsten. Ich habe beschlossen, mit den Zimmern der Kinder anzufangen und als kleine Zugabe das Badezimmerchaos zu ergänzen. Die gründliche Badreinigung und die dazu nötigen Hilfsmittel wie Fliesenspray und Toilettenreiniger heben wir uns für einen anderen Monat auf. Ziel für diesen Monat ist es, Ordnungs- und Sauberkeitsgewohnheiten zu entwickeln. Im Wesentlichen möchte ich, dass in den Zimmern der Kinder nichts auf dem Fußboden liegt und die Betten gemacht sind – und zwar jeden Tag.
Verrückt an der ganzen Sache ist, dass ich mehr Angst habe, die ganze Aktion wirklich durchzuziehen als die Kinder. Offenbar mag ich Veränderungen genauso wenig wie sie. Ob dieses alberne Experiment wohl überhaupt funktioniert? Ist es nicht vielleicht nur Zeit- und Kraftverschwendung? Was, wenn mich mittendrin der Mut verlässt – kann ich dann meinen Kindern jemals noch ein Vorbild sein? Doch trotz der Zweifel bin ich angetrieben von purem Frust und fest entschlossen weiterzumachen.
Ich glaube, ich habe jetzt deutlich genug dargelegt, dass ich keine Erziehungsexpertin bin. Und weil ich so unsicher bin, wie ich anfangen soll, komme ich zu dem Schluss, dass es vielleicht ganz hilfreich sein könnte, die Schritte zu kennen, die nötig sind, um eine neue Gewohnheit zu entwickeln. Inspiriert durch wikihow7 habe ich für mich folgende Schritte formuliert:
Schritt 1: Wissen, was man will
Ich möchte, dass meine mit allzu viel Nachsicht verwöhnten Kinder ihre Betten machen und Ordnung halten.
Schritt 2: Eine Liste mit all den positiven Auswirkungen erstellen, die die neue Gewohnheit mit sich bringen wird
Ich bringe ihnen dadurch Verantwortung bei.
Ich gebe ihnen die Chance, bessere Bürger zu werden.
Ich stärke ihr Selbstwertgefühl.
Ich brauche es nicht mehr selbst zu machen, muss es aber auch nicht mehr ständig mit ansehen.
Aus meiner Sicht ist der letzte Punkt die überzeugendste und für mich persönlich verlockendste Auswirkung. Die ungemachten Betten sind nicht nur Zeugnis für eine „Bedien-mich“-Haltung, sondern auch eine unglaublich lästige und allgegenwärtige Erinnerung daran, wie halbherzig meine Versuche waren, dafür zu sorgen, dass jeder in der Familie seine Pflichten hat und diese auch tut.
Schritt 3: Sich verbindlich auf die Gewohnheit einlassen
Ich bin gut unterwegs – in der Hoffnung, dass Entschlossenheit über meine „Aufschieberitis“ siegt.
Schritt 4: Sich Ziele setzen und sich selbst belohnen
Weil der Plan vorsieht, bei den Kindern eine Gewohnheit zu entwickeln, stecke ich die Ziele und...