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Inhaltliche Grundlagen der Bilanzierung: Inventur, Bilanz und GuV
In diesem Kapitel
- erfahren Sie, warum und wie man das Vermögen und die Schulden eines Unternehmens erfasst.
- lernen Sie endlich die Bilanz näher kennen.
- machen wir uns klar, warum und wozu ein Jahresabschluss neben der Bilanz auch noch eine Gewinn‐ und Verlustrechnung enthalten sollte.
Inventar und Inventur oder: Was »hat« denn ein Unternehmen?
Bevor ein neu gegründetes Unternehmen seine Geschäftstätigkeit aufnimmt, haben sich die Gründer in der Regel schon ein Bild über das Vermögen und die Schulden des Unternehmens gemacht. Warum? Weil jeder von ihnen ein Interesse daran hat, dass dokumentiert wird, was und welche Werte jeder in das Unternehmen eingebracht hat. Und natürlich weil sie dazu gesetzlich verpflichtet sind. Wozu ist das wichtig? Zum Beispiel für
- die Gewichtung der Stimmen in einer Gesellschafterversammlung,
- die Verteilung eines Gewinns,
- die Verteilung des Vermögens bei einer späteren Auflösung des Unternehmens etc.
Die Erfassung der einzelnen Vermögensgegenstände und der Schulden eines Unternehmens nennt man Inventur, das detaillierte Verzeichnis darüber Inventar. In den §§ 240 und 241 HGB finden Sie die Rechtsgrundlagen zum Inventar und zur Inventur, § 241a HGB enthält die Ausnahmeregelung für »kleine Einzelkaufleute«.
Tipp
In den meisten Prüfungen zu Buchführung und Bilanzierung sind leider keine Spickzettel erlaubt – aber fast immer die Nutzung von Gesetzestexten, insbesondere des HGB. Deswegen mein dringender Rat: Kaufen Sie sich spätestens jetzt eine aktuelle Ausgabe des HGB oder von Wirtschaftsgesetzen und schlagen Sie diese immer zusammen mit diesem Buch auf. Wir werden uns ab jetzt immer auf die jeweils relevanten Rechtsgrundlagen stützen – aber diese natürlich meistens nicht wörtlich zitieren, denn Sie wollen ja mit dem Gesetzestext arbeiten lernen …!
Aus § 240 (1) und (2) HGB geht hervor, dass ein Inventar zu Beginn der Unternehmenstätigkeit und dann am Ende eines jeden Geschäftsjahres mittels Inventur erstellt werden muss. Deshalb kann es passieren, dass Sie im Januar schon mal vor der Ladentür bleiben müssen, da an dieser z. B. das Schild »Heute ab 14:00 Uhr wegen Inventur geschlossen« hängt. Und dann sind die Mitarbeiter tatsächlich mit Zählen und Aufschreiben beschäftigt … Die Inventur kann unterschiedlich durchgeführt werden, wie folgende Tabelle zeigt:
Abbildung 2.1: Formen der Inventur
Die rechtlichen Grundlagen und Voraussetzungen für die Entscheidung, die Inventur nicht körperlich durch Zählen, Messen oder Wiegen, sondern durch eine Bestandsberechnung (Saldoermittlung) durchzuführen, sind in § 241 (2) HGB zu finden. Stichprobenverfahren dürfen auf Basis des § 241 (1) angewandt werden. Für bestimmte Vermögensgegenstände erlauben auch die Absätze 3 und 4 des § 240 HGB Vereinfachungen bei der jährlichen Inventur.
Bilanz oder: Wie kann man Vermögen und Schulden eines Unternehmens übersichtlich darstellen?
Das Inventar als Ergebnis der Inventur zum Stichtag des Geschäftsjahresendes zeigt alle einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden in einer Liste bzw. Tabelle:
Abbildung 2.2: Beispiel für ein Inventar
Ein Unternehmen muss noch nicht einmal besonders groß sein, damit diese Liste sehr lang und unübersichtlich wird. Stellen Sie sich nun vor, Sie hätten wenig Zeit und müssten das Inventar eines Unternehmens mit 1.357 Vermögensgegenständen »lesen«, obwohl es Ihnen völlig egal ist, welche Drehmaschine vom Hersteller XY und welche von Z kommt. Dann verstehen Sie sehr gut, dass für die meisten am Unternehmen interessierten Parteien eine zusammengefasste Darstellung des Inventars völlig ausreicht. Und genau diese bietet eine Bilanz, in der die Vermögensgegenstände und Schulden zunächst in Gruppen zusammengefasst und dann einander gegenübergestellt werden. In § 242 (1) HGB wird sie als ein »… das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluss (Eröffnungsbilanz, Bilanz) …« definiert. Diese sehr grobe Definition für alle Kaufleute wird in den §§ 266 ff HGB für Kapitalgesellschaften konkretisiert, indem der Gesetzgeber einheitliche Gruppen von Vermögenswerten und Schulden sowie auch Form und Reihenfolge der Darstellung vorgibt.
Wie sieht eine Bilanz aus?
Der Begriff Bilanz hat seinen Ursprung im lateinischen Adjektiv bilanx, das man mit »zwei Waagschalen habend« übersetzt. Und tatsächlich ist eine Balkenwaage eine gute Illustration der Aussage einer Bilanz, die in Abbildung 2.3 deutlich wird:
Abbildung 2.3: Darstellung und Gliederungsprinzipien der Bilanz
Die Aktivseite, also die linke Waagschale, zeigt das Vermögen des Unternehmens, die Passivseite als rechte Waagschale macht deutlich, mit welchen Mitteln das Vermögen finanziert ist – grob entweder mit Eigen‐ oder Fremdkapital. Einzelne Vermögensgegenstände oder Schulden tauchen hier nicht auf, sondern sind in Gruppen zusammengefasst. In der Abbildung oben sind diese in Übereinstimmung mit § 266 HGB nach der Liquidierbarkeit (Aktiva) bzw. Fristigkeit (Passiva) gegliedert.
Liquidierbarkeit steht hier für die »Geldnähe« der Vermögensgegenstände: Sachanlagen sind wesentlich schlechter und langsamer »zu Geld zu machen« (= liquidieren) als das Guthaben auf dem Bankkonto. Die Reihenfolge auf der Aktivseite ist so, dass gut und schnell liquidierbares Vermögen ziemlich weit unten und eher schlecht oder langwierig zu verkaufende Aktiva eher oben stehen. Fristigkeit steht hier für die Dauer, mit der Kapital im Unternehmen gebunden ist. Ein noch 10 Jahre laufender Kredit ist längerfristig gebunden als die kurzfristige Inanspruchnahme des Dispo‐Kredits, den man bei Unternehmen Kontokorrentkredit nennt. Je länger die Kapitalbindung ist, desto weiter oben steht der Posten – analog zur Aktivseite. Die letzten 3 Positionen auf der Aktivseite und die letzten 2 auf der Passivseite sind Sonderfälle, die nicht unbedingt in dieses Schema passen.
Achtung
Aus der Tatsache, dass beide Seiten der Bilanz jeweils eine andere Seite derselben Medaille darstellen, ergibt sich zwingend die sogenannte »Bilanzgleichung«, nach der die Summe aller Aktiva immer der Summe aller Passiva entsprechen muss. Das klingt zwar völlig logisch, ist es aber offensichtlich vor allem im Klausurstress nicht für alle …
Wir wollen uns jetzt ganz kurz die vier wichtigsten, grundlegenden Positionen der Bilanz ansehen.
Aktivseite
Im Anlagevermögen sind nach § 247 (2) HGB Vermögensgegenstände aufgeführt, die das Unternehmen voraussichtlich auf Dauer nutzen wird. Die Sachanlagen setzen sich aus Grundstücken, Gebäuden, Maschinen, allen Einrichtungsgegenständen und Geräten (Betriebs‐ und Geschäftsausstattung, abgekürzt BGA) zusammen. Finanzanlagen sind z. B. langfristig gehaltene Wertpapiere oder langfristige Forderungen wie z. B. Darlehen an Mitarbeiter. In vielen Unternehmen werden Patente oder Lizenzen genutzt, die zu den immateriellen Vermögenswerten gehören. Das Umlaufvermögen besteht aus Vermögensgegenständen, die nur vorübergehend im Unternehmen sind. Neben den Vorräten an Roh‐, Hilfs‐ und Betriebsstoffen, zugekauften Teilen und Fertigprodukten sind dies vor allem kurzfristige Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Diese entstehen für den Zeitraum, der zwischen der Lieferung von Waren und Dienstleistungen und deren Bezahlung liegt. Wenn diese Zeit länger als einige Tage vereinbart ist, nennt man ihn »Zahlungsziel«, hier auch »Kundenziel«. Die Bestände in der Kasse und auf dem Bankkonto sowie zur kurzfristigen Anlage gehaltene Wertpapiere gehören ebenfalls zum Umlaufvermögen.
Die sowohl auf der Aktiv‐ als auch der Passivseite aufgeführten »Rechnungsabgrenzungsposten« und »latenten Steuern« sowie die Aktiv‐Position »Unterschiedsbetrag …« werden wir in einem späteren Kapitel behandeln.
Passivseite
Auf der Passivseite besteht das Eigenkapital aus Mitteln, die dem Unternehmen von dessen Eigentümern unbefristet und ohne fest vereinbartes Entgelt (Zins) zur Verfügung gestellt werden. Diese Mittel sind meist Einzahlungen (Geld), können aber auch aus materiellen (Sacheinlagen) oder immateriellen Vermögenswerten aufgebracht werden. Einbehaltene Gewinne, die (noch) nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet wurden, sind natürlich auch im Eigenkapital zu finden. Fremdkapital wird dem Unternehmen für einen begrenzten Zeitraum in der Regel gegen ein Entgelt, den Zins, zur Verfügung gestellt. Dies sind in erster Linie die Verbindlichkeiten, deren wichtigste Bestandteile die kurz‐ und langfristigen Bankkredite sowie die kurzfristigen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sind. Letztere sind die schon oben erwähnten Zahlungsziele aus Kundensicht, die man auch »Lieferantenkredite« oder »Lieferantenziel« nennt. »Rückstellungen«, die man für zeitlich oder betragsmäßig noch ungewisse zukünftige Verpflichtungen bildet, gehören in einer etwas erweiterten Sicht auch zum Fremdkapital.
Beispiel
Die von den Studenten Ratz und Fatz am 1.4. des Jahres 01 gegründete Green Mobile...