Im folgenden Kapitel werden die beiden Begriffe »Fehler« und »Fehlerkultur« intensiv erörtert und erklärt, da sie für diese Arbeit besonders bedeutsam sind. Synonyme werden dabei abgegrenzt und von den Begriffen differenziert.
Das Wort »Fehler« stammt aus dem Griechischem (hamartêma) und bezeichnet einen Sachverhalt, der nicht vorhersehbar ist (vgl. Weingardt 2004, S. 202). Im Alltag der Pflegepraxis werden Begriffe wie Irrtum, Defekt, Pflegemangel, Delikt, Unvollständigkeit und Verschulden als Synonyme zum Begriff »Fehler« verwendet.
»Falsch« ist nach Beck, Guldiman und Zutavern (1999) nur dann etwas, wenn Lernende etwas „(…) einfach nicht besser wissen oder tun (…)“ können (Beck, Guldiman, Zutavern 1999 in Oser, Spychiger 2005, S. 35). Einen »Fehler« hingegen begehen sie nur dann, wenn sie das Richtige bzw. die richtige Verhaltensweise kennen, aber aus verschiedenen Gründen nicht umsetzen (vgl. Beck, Guldiman, Zutavern 1999 in Oser, Spychiger 2005, S. 35). Ähnlich unterscheidet Weimer (1925) zwischen »Irrtum« und »Fehler«. Er beschreibt, dass diejenige, die irrt bzw. derjenige, der irrt, es gar nicht besser gewusst haben kann (Weimer 1925 in Spychiger 2008, S. 29). Bei einem »Fehler« hingegen verletzt die betreffende Person eine bereits bekannte Norm. Daher muss zuallererst eine Norm als Bezugsrahmen vorhanden sein (vgl. Popitz 1980, Gloy 1987 in Spychiger 2008, S. 29; Kobi 1994, Mehl 1933 in Oser, Spychiger 2005, S. 35). Weingardt (2004) schlussfolgert schließlich, dass Irrtümer als defizitäre Wissensstände, »Fehler« vielmehr als mangel-hafte Handlungsvorgänge zu bezeichnen sind, beide jedoch miteinander einhergehen und sich gegenseitig bedingen (vgl. Weingardt 2004, S. 209). Nachfolgend werden Synonyme wie fehlerhafte Handlung oder Verhaltensweise oder Fehlverhalten für den Begriff »Fehler« benutzt.
Grundsätzlich impliziert der Begriff »Fehler« etwas sehr Schwerwiegendes, das es zu vermeiden gilt, da Konsequenzen und Folgen zu befürchten sind. Vergleichbar dazu erscheint etwas Falsches hingegen nicht allzu drastisch und folgenschwer und wird von Spychiger (2008) daher als milder zu bewerten eingestuft, als ein »Fehler« (vgl. Spychiger 2008, S. 29). Die Beurteilung eines Fehlers ist von Erwartungen abhängig. Dies macht auch der engl. Begriff nonconformity also Nichtkonformität deutlich. Das Deutsche Institut für Normung (DIN) nimmt dies in ihrer Fehlerdefinition auf, in dem in der DIN EN ISO 9000:2000 ein »Fehler« als „Nichterfüllung einer Forderung“ bezeichnet wird (DIN 2001 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 17). In die Berufspraxis von Pflegepädagogen über-tragen, hieße das, sobald ein bestimmtes praktisches Handeln von Auszubildenden vor-ausgesetzt und erwartet werden kann, dann von »Fehlern« gesprochen wird, wenn diese Erwartung in der jeweiligen Situation nicht erfüllt wird. Falsch ist demnach eine Handlung einer oder eines Lernenden, wenn von ihr oder ihm keinerlei Vorkenntnisse zu der spezi-fischen Situation vorausgesetzt werden. Lernenden, ob im primären, sekundären oder tertiären Bildungsbereich, steht eine gerechte und individuelle Weiterentwicklung zu. So urteilt auch Weimer (1925), wenn er beschreibt, dass der Vorgang des Lernens „(…) von Versuch und Irrtum (…)“ gekennzeichnet ist (Weimer 1925 in Spychiger 2008, S. 29). Das heißt, dass Lernende die Möglichkeiten erhalten müssen, Gelerntes auszuprobieren und umzusetzen, um Selbst- und Handlungssicherheit für ihre Verantwortungsbereiche zu entwickeln. So müssen Lernende in ihrem Lernprozess neues Wissen in unterschied-lichen Kontexten anwenden und misslungene Handlungen müssen dabei akzeptiert wer-den. Allerdings stellt sich die Frage wie oft eine Regel falsch angewendet werden darf, bis die misslungene Handlung zu einem »Fehler« wird. Spychiger und Oser (2005), die in „Lernen ist schmerzhaft“ eine Theorie zur Entstehung von Negativem Wissens bildeten, stellten sich eine ähnliche Frage. Sie stellten die Frage wie viel Schutzwissen, also Wissen aus negativen Erfahrungen (wie bspw. etwas nicht funktioniert), ein Mensch benö-tigt bis er in der jeweiligen Situation keinen »Fehler« mehr macht. Sie fanden jedoch keine Antwort darauf (vgl. Oser, Spychiger 2005, S. 45). Allerdings gaben sie Ideen dazu, dass der äußerst komplexe Prozess zur Bildung Negativen Wissens davon abhängig ist, dass jede Situation spezifisch ist und von sozialen Rollen und unterschiedlichen Normen beeinflusst wird (vgl. ebenda, S. 46).
Weingardt (2004) definiert einen »Fehler« folgendermaßen: „Als Fehler bezeichnet ein Subjekt angesichts einer Alternative jene Variante, die von ihm – bezogen auf einen damit korrelierenden Kontext und ein spezifisches Interesse – als so ungünstig beurteilt wird, dass sie unerwünscht erscheint“ (Weingardt 2004, S. 234). In dieser Erläuterung kommt ein neuer Aspekt zum Tragen - die Beurteilung. Es wird deutlich, dass ein Subjekt durch kognitive Leistung eine fehlerhafte Handlung wahrnimmt und beurteilt. Dabei wird jedoch noch nicht deutlich wer diese Person ist, welche die Wahrnehmung und Interpretation vornimmt und über fehlerhaftes Verhalten entscheidet. Seine Definition ist insgesamt von drei Aspekten - Urteil, Alternative und Kontext – gekennzeichnet (vgl. Weingardt 2004, S. 233). Weingardt geht davon aus, dass der Beurteilungsprozess meist Außenstehenden und nicht an der Handlung beteiligten Personen obliegt. Er erläutert dies mit der Tatsache, dass eine Person, die sich eines Fehlers bewusst ist, diesen erst gar nicht begeht (vgl. ebenda, S. 230). Im Berufsalltag von professionell Pflegenden kann jedoch fehlerhaftes Verhalten auftreten, das dann zeitlich versetzt von ihnen selbst durch Folgen und Konsequenzen realisiert und bemerkt wird, so dass die beurteilende Person und die Person mit dem fehlerhaften Verhalten ein und dieselbe ist. Da die Beurteilung des »Fehlers« stets erst nach dessen Durchführung erfolgt, ergibt sich die Konsequenz der zeitlichen Verzögerung der Beurteilung (vgl. Schüttelkopf 2008, S. 168). Ebenfalls unter dem Begriff des Kontextes fasst Weingardt Perspektiven von unterschiedlichen Personen sowie ihren verschiedenen Umgebungsfaktoren zusammen. Verhaltensweisen, welche heute für zulässig oder empfehlenswert gelten, können zukünftig für suboptimal oder gar unerwünscht eingeschätzt werden (vgl. Schüttelkopf 2008, S. 170). Dies geschieht u. a. durch neues empirisch belegtes Wissen und neue abgesicherte Forschungserkenntnisse, aber auch durch Weiterentwicklung einer Berufsdisziplin und der gesamten Gesellschaft. Fehl-verhalten darf jedoch retrospektiv nicht als solches deklariert werden, nur weil nun neue Erkenntnisse, Methoden und Techniken zur Verfügung stehen. D. h. Fehlverhalten ist retrospektiv nur als solches unter Einbezug des zur Verfügung stehenden Wissens und der zur Verfügung stehenden Methoden und Möglichkeiten zu deklarieren. Als letzten Aspekt der Erkennung eines »Fehlers« nennt Weingardt die Handlungsalternative. Für eine Fehlerbezeichnung ist es demnach notwendig, mindestens eine Handlungsalternative zu begründen (vgl. Weingardt 2004, S. 237). Weingardt unterscheidet dabei grundsätzlich drei verschiedene Varianten an Handlungsalternativen. Dies sind erwünschte oder optimale Lösungsvarianten, suboptimale Lösungsvarianten und unerwünschte Fehler-varianten (vgl. Weingardt 2004, S. 237). Fehlerhaftes Verhalten resultiert jedoch nicht aus der Wahl der falschen oder ungünstigsten Alternative, sondern dann, wenn keine oder zu wenig Alternativen in Erwägung gezogen wurden (vgl. Schüttelkopf 2008, S. 168).
In der Pflegepraxis wurden eigene Definitionen entwickelt. Bedeutend und häufig Anwendung findet die vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS). Ein »Fehler« ist eine „(…) Handlung oder ein Unterlassen, bei dem eine Abweichung vom Plan, ein falscher Plan oder kein Plan vorliegt. Ob daraus ein Schaden entsteht, ist für die Definition des Fehlers irrelevant (…)“ (Borgwart 2010, S. 4). Dennoch kann fehlerhaftes Verhalten Folgen haben. Nach Borgwart (2010) haben medizinische Fehler eher akuten Folgen und pflegerische Fehler eher langfristige Folgen (vgl. Borgwart 2010, S. 5). Diese Hypothese ist jedoch vor dem Hintergrund von bspw. Medikamentenfehlern, die für Pflegebedürftige akut bedrohlich sein können, kritisch zu betrachten.
In der medizinischen Disziplin werden unter Fehlverhalten generell „Vorgehensweisen verstanden, die nicht korrekt durchgeführt werden oder die der gegebenen Situation nicht adäquat sind“ (Sachverständigengutachten 2003 in Kahla-Witsch, Platzer 2007, S. 46). Diese Begriffserklärung lässt jedoch Ursachen und Entstehungsweisen eines Fehlers un-berücksichtigt, kann jedoch als Erklärung eines Durchführungs- oder Pflegefehlers ge-nutzt werden. Kohn et al. (1999) führt eine ähnliche Definition auf und unterscheidet dabei etwas differenzierter zwischen Durchführungs- und Planungsfehlern (Kohn et al. 1999 in Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 46). In der IOM-Studie (Institute of Medicine) werden ver-schiedene Fehlerdefinitionen aufgeführt, welche auch im deutschsprachigen Gebiet An-wendung finden. Eine der bedeutendsten ist die von Leape (2004). Leape (1994) definiert einen Fehler als „eine unbeabsichtigte Handlung, entweder aus Unterlassung oder Durchführung, die nicht zum gewünschten Ergebnis führt“ (Leape 1994 in Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 46). Durch diese Definition werden auch Omissionen oder Versäumnisse zu Fehlverhaltensweisen gezählt....