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E-Book

Gott - glaube ich

Mein Weg raus aus der Kirche und wieder zurück

AutorNina Achminow
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783451810022
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Spirituell gelangweilt, von Hierarchien frustriert: Nina Achminow hatte von der Kirche die Nase voll und ist ausgetreten, wie so viele. Aber anders als die meisten gibt sie sich nicht damit zufrieden. Sie begibt sich auf eine religiöse Suche und findet dabei immer mehr ihren eigenen Weg. Dieser führt sie zu einem tieferen und authentischen Glauben und am Ende schließlich zum Wiedereintritt in die Kirche. Achminow erzählt zutiefst persönlich, manchmal provokant, ohne Friede-Freude-Trivialität, aber auch ohne plumpe Polemik. Ein ehrliches Buch über Zweifel, Kämpfe und den Mut, sich auf den Glauben und seine Fragen einzulassen. »Im Lauf der Jahre vor meinem Austritt ist mir meine Unbefangenheit abhanden gekommen. Mein Vertrauen zur Kirche ebenfalls. Ich diskutierte auch nicht mehr.Wenn sich ein Gespräch ergab, zog ich es vor, sehr allgemein zu bleiben. Die Kirche, zumindest die in Rom, war für mich zu einer Kirche der alten Männer geworden, denen ich nichts sagen durfte und die mir nichts zu sagen hatten.« (Nina Achminow)

Nina Achminow, geb. 1963 in München, lebt in Berlin und arbeitet am Theater und als Autorin. Sie wurde für verschiedene Auszeichnungen und Preise nominiert. Außerdem schreibt sie für Christ&Welt.

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Leseprobe

Gültig, aber unerlaubt


MEINE BESTE FREUNDIN war evangelisch. Als Kinder war das für uns kein großes Thema. Wir hatten getrennten Religionsunterricht, aber im normalen Unterricht durften wir ja auch nicht nebeneinander sitzen, weil wir zu viel quasselten. Die beiden Kirchen lagen nicht weit voneinander entfernt. Wir gingen sonntags meistens zur Kirche, ihre Familie seltener. Ob es bei ihnen auch die Kommunion gab, darüber machte ich mir keine Gedanken. In der Schulzeit meiner älteren Schwester hatte es noch Diskussionen über Koedukation gegeben. Damit war nicht etwa der gemeinsame Schulbesuch von Buben und Mädchen gemeint, sondern der von Katholiken und Protestanten. Aber ich bin mitten in der Zeit des Konzils zur Welt gekommen. In der Zeit, in der ich in den katholischen Glauben hineinwuchs, herrschte in der Kirche Aufbruchsstimmung. Einmal, das muss in der vierten Klasse gewesen sein, ist meine Freundin mit mir in unsere Messe gegangen. Wir saßen mit den anderen Kindern in den vordersten Reihen. Nach der Messe sprach meine Mutter mich an. Sie wunderte sich, dass meine Freundin mitgekommen war. Die Messe einmal zu besuchen sei ja in Ordnung, aber dass meine Freundin mit nach vorne gekommen sei, zur Kommunion? Zum Sakrament?

Ich verstand damals nicht, was meine Mutter irritierte. Mein Bruder und ich waren mit vier Jahren zur Frühkommunion gegangen, und unsere ältere Schwester, russisch-orthodox getauft, hatte Kommunion und Firmung mit der Taufe empfangen – als Baby. Warum sollte meine Freundin nicht mit mir zur Kommunion gehen? Sie ging doch auch zur Kirche, nur halt zur anderen! Meine Mutter insistierte nicht. Es blieb ja auch nur bei diesem einen Mal.

Jahrzehnte später, nachdem ich ausgetreten und wieder eingetreten war, nachdem ich gelernt hatte, fröhlich auszusprechen, was ich glauben konnte und was nicht, begegnete ich in meinen Forendiskussionen Katholiken, die den unerlaubten Kommunionsempfang – wörtlich! – als Kapitalverbrechen bezeichneten. Einer schrieb in einer Diskussion über ein konfessionsverschiedenes Ehepaar, das erwog, gemeinsam hinzuzutreten, dass er sich gefürchtet hätte, vor Gott nicht zu bestehen, wenn er einen solchen Vorfall auf sich hätte beruhen lassen. Ein anderer, ebenfalls ein Laie, verkündete, man müsse einem solchen Verhalten schlimmstenfalls persönlich entgegentreten.

Er glaubt, er habe Recht. Kirchenrecht. Immerhin zieht sich, wer die eucharistischen Gestalten wegwirft oder sie in sakrilegischer Absicht entwendet, die Tatstrafe der Exkommunikation zu. Die Tatstrafe heißt so, weil es ausreicht, dass man eine Tat begeht. Ob das jemand bemerkt, ist unerheblich. In der Kirche gibt es einen Richter auch ohne Kläger. Ob freilich meine Beihilfe zum unerlaubte Kommunionsempfang damals mit etwas bösem Willen auch als Sakrileg deutbar gewesen wäre, weiß ich nicht. Allerdings war ich erst zehn und, wie ich mittlerweile weiß, zu jung, um exkommuniziert zu werden. Immerhin.

Was für eine angstvolle Art des Glaubens. Diese Art der Gottesfurcht ist und bleibt mir vollkommen fremd. Ich habe mich bemüht, diesen Glauben zu verstehen. Ich habe versucht, zu verstehen, ob das der wahre Katholizismus ist, dem ich dann halt nicht angehöre. Zu einem richtigen Ergebnis bin ich nicht gekommen. Stattdessen ging ich auf die Suche.

»Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.« Dieses Gebet hat mich immer berührt. Es war das, was mir in den Sinn kam und kommt, wenn ich das Gefühl habe, mich in eine Sackgasse manövriert zu haben, und es war der Kulminationspunkt hitziger Diskussionen, wenn ich mit Freunden stritt, die aus der Kirche ausgetreten waren und sie rundheraus ablehnten. Typisch katholisch, diese Selbstdemütigung, schimpften sie. Aber erstaunlicherweise empfand ich an diesem Punkt der Liturgie genau das Gegenteil. Unter meinem Dach mochte Chaos herrschen, und hätte der Herr auf einmal vor der Tür gestanden, ich wäre vielleicht ins Stottern gekommen und hätte mich geniert, ihn hereinzubitten. Aber dass Gott das eine Wort sprach, das meine Seele würde gesunden lassen, daran zweifelte ich nicht. »Kostet und seht, wie gut der Herr ist!« Mit diesen Worten lädt der Priester die Gemeinde ein, hinzuzutreten. Oder: »Selig, die zum Tisch des Herrn geladen sind!« Ich wusste, dass ich zum Tisch des Herrn geladen war. Insofern war ich selig, keine Frage. Die Frage war für mich wohl eher, ob und wann und wie es mir gelingen würde, das eine Wort, das Gott mir zusprach, auch zu hören.

Im Lauf der Jahre vor meinem Austritt ist mir meine Unbefangenheit abhanden gekommen. Mein Vertrauen zur Kirche ebenfalls. Ich diskutierte auch nicht mehr. Wenn sich ein Gespräch ergab, zog ich es vor, sehr allgemein zu bleiben. Die Kirche, zumindest die in Rom, war für mich zu einer Kirche der alten Männer geworden, denen ich nichts sagen durfte und die mir nichts zu sagen hatten. Auszutreten aus dem römischen Verein, das war nur konsequent. Der Abstand beruhigte mich halbwegs. Ich hatte es nicht mehr nötig, zu reagieren, wenn jemand über die Kirche schimpfte. Ich brauchte auch keine Rechtfertigung mehr zu suchen für das, was ich von der Kirche mal hier, mal da so hörte und oft unerträglich fand.

Unser Kind veränderte die Situation. Meiner Tochter wollte ich den vertrauensvollen Glauben meiner Kindheit nicht vorenthalten. Die Grundgeborgenheit in Gott. Ja, aber: in welcher Kirche? Wäre es für die Taufe nötig gewesen, dass ich mich in aller Form zu einer Kirche bekenne, dann wäre es die Alt-Katholische gewesen. Katholisch wie ich, aber die Priesterinnen dürfen heiraten – so brachte ich es auf den Punkt, wenn das Gespräch auf das Thema kam. Aber das Thema kam nur selten zur Sprache. Ich wurde nicht gezwungen, mich zu entscheiden. Mein Kind wurde römisch-katholisch, ich blieb irgendwie katholisch und mein Mann ungetauft. Die Messe besuchte ich gelegentlich; meine Tochter wuchs heran, und wenn sie mit dem Kindergarten oder mit der Schulklasse zur Kirche ging, schloss ich mich gerne als Begleitung an. Ich wollte wissen, was mein Kind zu hören bekam.

In der Zeit, in der ich mein katholisches Kind begleitete, wusste ich noch nicht, in welchem Ausmaß diese, meine Kirche vom Empfang der Sakramente ausschließt. Ich war tatsächlich katholisch groß geworden, ohne jemals über dieses Thema zu stolpern. Ein Armutszeugnis für die heutige katholische Bildung, würde mancher meiner Diskussionspartner vermutlich sagen. Wirklich bewusst wurde mir das Thema erst, als in meinem Umfeld eine Geschichte geschah, die ich nicht habe fassen können, und die sich wie ein roter Faden immer wieder durch meine Fragen gezogen hat, eine Geschichte, die ich so oder ähnlich in der Zeit danach immer wieder in verschiedenen Familien mitbekommen habe, kaum dass ich sensibler für das Thema geworden war.

Überraschend starb einer unserer katholischen Bekannten. Er hinterließ seine Frau und zwei kleine Kinder. Erst nach seinem Tod reimte ich mir zusammen, warum er sich in der letzten Zeit bei mir nach der Gemeinde erkundigt hatte, in der mein Kind heranwuchs. Denn auch für seine Kinder rückte die Zeit der Erstkommunion näher. Er glaubte wohl, dass er und seine Frau in ihrer eigenen Gemeinde nicht mit ihren Kindern würden hinzutreten können, um die Kommunion zu empfangen. Es war seine zweite Ehe. Sie wagten es nicht, Ärgernis zu erregen. Sie litten an der Situation, aber sie schwiegen. Wollten das Gespräch suchen und taten es nicht. Bis er verstorben war. Beim Requiem für ihn sahen die Kinder ihre Mutter zum ersten Mal vor dem Altar. Kirchenrechtlich gesehen war der Kommunionsempfang nun wieder möglich; so erklärte mir das ein Theologe, mit dem ich auf einem Gemeindefest ins Gespräch kam. Das Ärgernis der irregulären Ehe bestünde ja nun nicht mehr.

Ich war schlichtweg entsetzt, als ich sah, was der Ausschluss von den Sakramenten für die junge Frau bedeutet hatte. Wie sprachlos er die beiden gemacht hatte. Und was er bedeutet, wenn man ihn weiter denkt. Hätten diese zweiten Familien also alle nicht gegründet werden dürfen, aus katholischer Sicht? Ist das die Botschaft? Und was bedeutet diese Sicht für Kinder, die in diesen Familien geboren wurden und in den Glauben hineinwuchsen? Wie soll man diesen Kindern die Beichte und die Kommunion erklären, wenn ihre Eltern davon ausgeschlossen sind, weil sie ihre Eltern wurden? Ist das eine Kirche, der Eltern diese Kinder anvertrauen können?

Ich zweifelte – an diesen Freunden, und an dieser Kirche, der ich gerade wieder etwas näher gekommen war. Und an mir selbst, die ich kein Mitglied war. Darf ich hier sein? Will ich das denn überhaupt? Sieht Gott in die Herzen? Kommt es darauf an? Auf Gott? Oder auf die Kirche? Oder auf die Kommunion?

Mit einem Schlag kam ich mir selbst fremd vor. Unwillkommen. Auch unaufrichtig. Unklar. Selig, die zum Tisch des Herrn geladen sind! Die ausgeschlossenen Eltern waren beides nicht mehr. Und ich? Im Internet stöberte ich durch Glaubenserklärungen und Forendispute, stolperte über Begriffe wie Ärgernis und Stand der Gnade. Den Zusammenhang von Kommunion und Beichte. Klarer wurde ich mir davon nicht. War denn nicht der höchste, der wichtigste Indikator das Gewissen? Zumindest meinte ich mich daran zu erinnern, dass wir das so gelernt hatten, damals, in der Grundschule. War es nicht das, was ich immer verteidigte an meiner katholischen Sozialisation?

Ja, das Gewissen! Das recht geschulte, allerdings. Auf der Internetseite des Vatikans stieß ich auf eine Homilie von Papst Johannes Paul II. In dieser Homilie sprach er von den Gläubigen, deren...

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