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Sakrale Räume heute

Theologisch-praktische Quartalschrift

AutorDie Professoren Professorinnen der Fakultät für Theologie der Kath. Privat-Universität Linz
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783791761107
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Gesellschaftliche Veränderungen wirken sich auch auf die Orte von Religion aus. Eine oft 'passagere Religiosität' führt nicht wenige Menschen für eine kurze Zeit in die Kirchenräume der Städte. Den Zusammenhängen von Religion, Raumerleben und Raumgestaltung geht dieser Band auf inspirierende Weise nach.

Herausgeber: Die Professoren und Professorinnen der Fakultät für Theologie der Kath. Privat-Universität Linz

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Leseprobe

Rainer Bucher

Unaufdringliche Antreffbarkeit1


Ein Plädoyer für kreative und multiple pastorale Kirchenraumnutzung

 Der Beitrag ist ein Plädoyer für alternative Kriterien, wenn über die Umnutzung von Kirchen nachgedacht wird. Kirchengebäude werden verstanden als sichtbarer Orte pastoraler Gastfreundschaft für alle. Daraus leitet sich die Konsequenz ab, über eine im strengen Sinn des Wortes diakonische Nutzung nachzudenken. (Redaktion)

1 (Un-)Sichtbarkeit bei Downsizing


Die katholische Kirche beherrschte das Spiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit lange und virtuos und beherrscht es auch heute noch: vom dunklen Eck des Beichtstuhls bis zur gleißenden „Verschwendung und Muße“ des Barock, vom menschlichen Körper, dem man empfahl, nur im Dunkeln zu baden, bis zum Körper des sterbenden Papstes Johannes Pauls II, dem in seiner Veröffentlichung viel mehr eingeschrieben wurde als nur das Leiden eines alten Mannes.2 Papst Franziskus hat öffentliche, multipel deutbare Zeichenhandlungen gar zu seinem bevorzugten Mittel kirchenreformerischer Signale gemacht, etwa wenn er dem lutherischen Pastor von Rom einen Abendmahlskelch übergibt oder am Gründonnerstag einer Muslima die Füße wäscht. Im deutschsprachigen Bereich, aber auch darüber hinaus wird der katholischen Kirche jedoch gegenwärtig auf diesem ihrem ureigensten Spielfeld ein irritierender Souveränitätsverlust zugemutet und sie hat, wird man leider hinzufügen müssen, hierauf noch keine wirklich kreative, also inspirierende und nicht nur defensive Antwort gefunden.

Die Entmonopolisierung christlicher Zeichen im öffentlichen Raum ist nicht neu, sie setzte bereits im 18. Jahrhundert ein.3 Aber dass ihre lange demonstrative, bisweilen triumphale Sichtbarkeit im Verkauf von Kirchen unsichtbar gemacht zu werden droht, trifft die katholische Kirche im Nerv ihres neuzeitlichen Selbstverständnisses als autonome, staatsanaloge Akteurin der Geschichte. 1950 zählte die katholische Kirche (West-)Deutschlands 11.693.000 Kirchgängerinnen und Kirchgänger bei 23.195.000 Mitgliedern, 2015 zählte sie noch 2.464.000 Kirchgängerinnen und Kirchgänger bei gesamtdeutsch 23.761.806 Katholikinnen und Katholiken.4 Das heißt, ca. 9,2 Millionen Katholikinnen und Katholiken gehen 2015 durchschnittlich sonntags weniger zum Gottesdienst als 1950. Das signalisiert, nimmt man das Jahr 1950 als Referenz, einen Partizipationsrückgang von über 75 Prozent. Diese Entwicklung setzte bereits ab 1950 ein, verlief praktisch bruchlos und ausgesprochen stetig und ihre untere Sockelbildung dürfte bei den gegenwärtigen 10,4 Prozent Sonntagskirchgang noch nicht erreicht sein. Die Entwicklung für die österreichische Kirche verlief parallel, bei allerdings etwas flacherer Kurve, da die Partizipationsrate 1950 deutlich niedriger lag als in Deutschland.5

Solch einen massiven Bindungs- und Nachfrageschwund hält keine Organisation ohne Anpassungsoperationen aus. Im gewissen Sinn verwundert es, dass sie so spät erst ergriffen werden. In Deutschland wurde gar die Hälfte der heute existierenden Kirchen erst nach 1950 gebaut, obwohl der Partizipationsrückgang bereits 1950 einsetzte.6 Der absehbare, wenn auch noch keineswegs reale Finanzmangel, vor allem aber der heute schon spürbare Priestermangel7 zwingen die Pastoralämter, die für die Pfarrpastoral verfügbaren Priester auf einer höheren Ebene des kirchlichen Stellenkegels einzusetzen und größere pastorale Räume zu schaffen. Folgt man dann noch der klassischen Gemeindetheologie,8 liegt es nahe, das Netz der Kirchengebäude auszudünnen.

An sich ist der Bindungs- und Partizipationsverlust selbst wahrscheinlich nur die Rückkehr zur Normalität vorneuzeitlicher Phasen der Kirchengeschichte. Neu aber und folgenreich ist sein Grund: die Umstellung der Vergesellschaftungsform des Religiösen in unserer Gesellschaft. Ganz neu schließlich ist, dass diese Umstellung auch für Katholikinnen und Katholiken gilt, und am allerneuesten, dass gerade die Letzteren sie verstärkt in Anspruch nehmen. Das wurde bereits vielfach analysiert,9 etwa dass die „Mehrheit“10 der Katholikinnen und Katholiken die Kirche als „Kasualienfromme“11 aktiv nur zur Ritualbegleitung an den Lebenswenden oder an Höhepunkten des Jahreskreises nutzt und dass nur, optimistisch geschätzt, ca. zwischen 20 bis 25 Prozent der Katholikinnen und Katholiken halbwegs regelmäßig den Gottesdienst besucht.12

Freilich zeigt sich, dass Religion unter diesen neuen Bedingungen keine Privatsache wird, das gilt nur für den Glauben, sondern im Sinne einer visible religion13 eine öffentliche Angelegenheit bleibt, ja neu wird. Doch sucht nicht mehr öffentliche Religion den Zugriff aufs Private, das war das Modell der Kirchen, sondern private Religion(en), genauer noch: hochreligiöse Privatpersonen suchen den öffentlichen Raum. In ihm stoßen dann beide Öffentlichkeitsbewegungen aufeinander und produzieren religionspolitischen Regulierungsbedarf.

2 Die kirchlichen Umnutzungsrichtlinien


Liest man vor diesem Hintergrund die Umnutzungsrichtlinien der deutschen katholischen Kirche, dann zeigen sich einige interessante Phänomene. Diese zeigen sich übrigens trotz anderer Ekklesiologie und Liturgietheologie, trotz unterschiedlicher Haltung zu Kirchengebäuden als „heiligen Räumen“14 und trotz gewisser Detaildifferenzen in der konkreten Nutzungskaskade mehr oder weniger auch in den entsprechenden Richtlinien der evangelischen Landeskirchen.15

Die in den Richtlinien vorgeschlagene Nutzungskaskade signalisiert klassisch religionsgemeinschaftliche Strategien der Selbsterhaltung und Veränderungsminimierung. Die Hierarchie der vorgeschlagenen Umnutzungsstrategien läuft in einem Ring konzentrischer Kreise von einem vorausgesetzten „Innen“ nach „Außen“, vom Bestehenden zum Neuen, vom Nahen zum Fernen und favorisiert dabei jeweils das Innen, das Bestehende, das Nahe.

Genau genommen überlagern sich zwei Bewegungen, eine übergeordnete besitzbezogene – Verbleib im Besitz bei liturgischer Nutzung vor Verbleib im kirchlichen Eigentum ohne eigene liturgische Nutzung vor Verkauf vor Abriss – und eine auf die Nachnutzung bezogene, die von der katholischen Kirche über die anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die öffentliche Hand, kulturelle Zwecke und schließlich zuletzt und etwas verschämt – sie seien „nicht auszuschließen“ (17), heißt es – zu kommerziellen Zwecken verläuft, wobei die „Würde des Raumes“ (17) jeder profanen Nutzung Grenzen setzen soll.

Die erste, besitzbezogene Reihe setzt Hoffnung auf die Reversibilität des Prozesses,16 die zweite Reihe zur Nachnutzung will die Schmerzlichkeit des Prozesses durch Distanzverringerung lindern: Das, was nachher kommt, soll möglichst nahe dem sein, was bisher war. Man dokumentiert damit natürlich, was man als weit weg von sich und was als ganz nahe einschätzt. Am nächsten, natürlich, ist man sich selber, dann kommen die anderen Christen, dann öffentliche Hand und Kultur, schließlich, wenn die Geschäfte nicht „unwürdig“ sind, die Privatwirtschaft. Offenbar sieht man sich als fast staatsanaloge religiöse und kulturelle Institution in der Nähe anderer staatsnaher religiöser und kultureller Institutionen.

Unübersehbar ist aber auch, wovor man Angst hat, und auch das gilt konfessionsübergreifend. In den „Richtlinien“ werden an zwei Stellen strikte Grenzen gezogen, wird gar Abriss vor Umnutzung gefordert: bei „unwürdiger“ kommerzieller Nutzung17 und, schärfer noch, bei „kultische(r) Nutzung durch nicht-christliche Religionsgemeinschaften.“18 Damit werden die zwei großen Aufsteigermächte der europäischen Gegenwartskultur demonstrativ aus dem profanierten christlichen Kirchenraum ferngehalten: die nicht-christlichen Religionen, vor allem natürlich der Islam, und die boomende Massen- und Trash-Ökonomie. Ist die ökonomische Nutzung generell sowieso schon sehr weit unten auf der Nutzungskaskade, so fällt eine wirtschaftliche Nutzung, die, wie es heißt, der „Würde des Raumes“ nicht entspricht, ganz von der Nachnutzungspalette. Wohlgemerkt, das gilt für Kirchenräume, die in einem kirchenrechtlich19 und liturgisch definierten20 Akt bereits profanisiert wurden.

Arbeitet schon diese Begründung mit der unbestimmten Legitimationskategorie „Würde des Raumes“, dann wird es legitimatorisch noch heikler beim noch härteren Exklusionsschritt gegenüber dem Kult der „nicht-christlichen Religionsgemeinschaften“, wobei wohl nicht ganz zufällig der Islam als erster genannt wird.21 Die Begründung für diesen scharfen Schnitt überrascht vor allem hinsichtlich des Autoritätsortes, auf den sich die Richtlinien berufen: Es sind die „religiösen Gefühle der katholischen Gläubigen“22, auf die man Rücksicht nehmen will. Die Bischöfe berufen sich also zur Nutzungsverweigerung gegenüber nicht-christlichen Religionen auf die Autorität ihrer Basis, der sie...

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