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E-Book

Porsche

Vom Konstruktionsbüro zur Weltmarke

AutorJutta Braun, Nils Havemann, Wolfram Pyta
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl512 Seiten
ISBN9783641214364
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Porsche und der Aufstieg zum Weltunternehmen
1931 gründete Ferdinand Porsche sein 'Konstruktionsbüro'. Der geniale Techniker - zuvor Konstrukteur von Elektrokutschen und Rennwagen sowie Chefentwickler von Daimler-Benz - sollte bis zu seinem Tod 1951 die Grundlagen für das spätere Weltunternehmen schaffen. Wolfram Pyta erzählt die Geschichte des Unternehmens in diesen turbulenten Anfangsjahren: von der Entstehung des Volkswagens über das Arrangement mit den Nazis und die Kriegsproduktion bis zur Entwicklung zur exklusiven Sportwagenschmiede - eine faszinierende Darstellung, die Unternehmens-, Automobil- und Zeitgeschichte miteinander verknüpft.

Wolfram Pyta, geboren 1960 in Dortmund, leitet als Universitätsprofessor die Abteilung für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart sowie die Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte. 2007 erschien bei Siedler seine vielgelobte Biographie 'Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler', 2015 folgte 'Hitler. Der Künstler als Politiker'.

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Leseprobe

KAPITEL 1

Wagemutiger Schritt in die unternehmerische Selbstständigkeit

Ferdinand Porsche war kein unbeschriebenes Blatt, als er im Dezember 1930 die »Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH« gründete. Aber es war auch nicht so, dass die deutsche Fahrzeugindustrie sehnsüchtig darauf gewartet hätte und bei ihm die Auftraggeber Schlange standen. Eher das Gegenteil war der Fall: Für das neue Unternehmen war es schwer, sich auf dem hart umkämpften Feld der Konstruktionsleistungen zu behaupten. Es ist daher begründungsbedürftig, warum sich dieses Unternehmen nach Anfangsschwierigkeiten prächtig entwickelte und schon nach einigen Jahren zu einem Komplettanbieter von Entwicklungsaufträgen avancierte. Seit 1937 bestand es nicht mehr allein aus dem Konstruktionsbüro, sondern war auch räumlich zu einem Versuchsbetrieb gewachsen, der Fahrzeuge bis hin zur Serienreife in Eigenregie entwickelte. Der Name Ferdinand Porsche war in diesem Zeitraum zu einem Markenzeichen für besonders attraktive Fahrzeuge geworden und hatte eine symbolische Aufwertung erfahren.

Dieser rasante Aufstieg bedarf der Erklärung – und dabei muss man sich davor hüten, den beruflichen Lebensweg Porsches einer mehr oder weniger verkappten Teleologie zu unterwerfen. Die bisher vorliegenden, stark biographisch ausgerichteten Studien zu Porsche folgen im Grunde alle einem Musternarrativ, das in Kurzform folgenden Inhalt hat:1 Der begnadete Autodidakt Ferdinand Porsche entflieht der Enge seiner nordböhmischen Heimat und macht sich in Wien schon in jungen Jahren mit aufsehenerregenden technischen Innovationen einen Namen. Es folgt ein unaufhaltsamer beruflicher Aufstieg: Ferdinand Porsche wird zum Technischen Direktor bei Austro-Daimler, einer in Wiener Neustadt angesiedelten Schmiede technisch innovativer Automobile. Nach dem Ersten Weltkrieg verlässt er das viel zu kleine Österreich und wendet sich nach Stuttgart, wo in der Tradition eines Gottlieb Daimler und Carl Benz, den Pionieren des Automobils schlechthin, die europäische Marktführerschaft angestrebt wird. Porsche bereichert die Angebotspalette des Stuttgarter Automobilherstellers Mercedes mit richtungweisenden Innovationen und krönt nach einem kurzen Zwischenspiel in seiner österreichischen Heimat (bei der Steyr-Werke AG) seine Stuttgarter Karriere mit der Gründung eines selbstständigen Konstruktionsbüros in der Automobilmetropole. Die Gründung eines eigenen Unternehmens erscheint mithin als logischer Karriereschritt, denn ein technisches Genie wie Porsche kann auf Dauer nicht fremden Herren dienen, sondern benötigt ein eigenes Unternehmen, um seine vielfältigen Ideen ohne großbetriebliche Reibungsverluste der Welt präsentieren zu können. Es ist nicht verwunderlich, dass Porsche sein berufliches Leben rückblickend nach diesem Erzählmuster präsentiert hat. Im Frühjahr 1943 stellte er seinen Weg in die Selbstständigkeit als zwangsläufige Konsequenz von Entwicklungen in seinem beruflichen Leben dar, die er stets selbst gelenkt habe: »In diesem Augenblick hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, das zu verwirklichen oder, besser und richtiger, zu wagen, was mir schon lange als Wunschbild vorschwebte: ein eigenes selbständiges Konstruktionsbüro zu besitzen, das allen Automobilfabriken zur Verfügung stehen sollte. Es wurde Wirklichkeit unter dem heute wohl nicht mehr unbekannten Firmenschild: ›Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH.‹ mit dem Sitz in Stuttgart.«2

Der Historiker wird solchen retrospektiven Entwürfen des eigenen Lebens immer mit besonderer Skepsis gegenüberstehen, wenn er dem tatsächlichen Geschehen auf die Spur kommen möchte. Denn autobiographische Konstruktionen des eigenen Lebens sagen oft mehr über das retrospektive Feilen am eigenen Ich aus als über faktisch verbürgte Geschichte. Rückblicke auf die eigene Vita im Abstand von vielen Jahren zum tatsächlichen Geschehen enthüllen die Selbstwahrnehmung des Verfassers und die Art und Weise, wie er retrospektiv Vergangenheit nach gegenwartsabhängigen Kriterien strukturiert und damit zwangsläufig verformt. Nur eine naive, die Erkenntnisse der historischen Memorik3 ignorierende Herangehensweise wird solche Erinnerungen für bare Münze nehmen. Gewiss besitzen Erinnerungen einen Wert als historische Quelle, aber weniger als valide Dokumentation der Vergangenheit, sondern vielmehr als nachträgliche Organisation des eigenen Lebens. Dies gilt auch für die von Ferdinand Porsche und seinen engen Mitarbeitern verfassten autobiographischen Zeugnisse.

Wenn wir die historischen Dokumente von den Staubschichten solcher nachträglichen Erzählungen reinigen, dann gelangt man zu dem Ergebnis, dass für Ferdinand Porsche die Gründung eines Unternehmens keineswegs die Krönung seines beruflichen Lebenswegs bedeutete, denn er fühlte in sich keine wirkliche Berufung zum klassischen Unternehmer. Dazu fehlte ihm der kommerzielle Sinn, technische Erzeugnisse unter dem Aspekt ihrer Gewinnaussichten herzustellen. Zeit seines Lebens blieb er im Kern ein Ingenieur, der nach der technischen Vollkommenheit des Produktes strebte und nicht nach dessen Absatzchancen fragte. Seine Wunschposition war die eines leitenden Angestellten, genauer eines Technischen Direktors bei einem renommierten Automobilproduzenten. Als solcher konnte man seine technischen Ideen umsetzen, wenn die Eigentümerseite einen gewähren ließ. Aus dieser Konstellation ergab sich für Porsche aber unvermeidlich eine Kollision, wenn die Geschäftsführung seine ambitionierten Pläne auf den betriebswirtschaftlichen Prüfstand stellte und ihnen bei zu großen finanziellen Risiken eine Absage erteilte. Aus genau diesem Grund kehrte er Austro-Daimler im Jahr 1923 den Rücken, nachdem dort mit Camillo Castiglioni ein auf kurzfristige Gewinne zielender Geschäftsmann4 die Ausrichtung des Unternehmens immer mehr bestimmte. Castiglioni verkörperte für Porsche den Inbegriff des an schnellen Profiten interessierten Spekulanten, einen Typ von Unternehmer, der ihm besonders unsympathisch war. Zu dieser Spezies ging Porsche fortan auf Distanz; und auch nach seinem erzwungenen Einstieg in die unternehmerische Selbstständigkeit hielt er sich konsequent fern von allen sozialen Verkehrskreisen des Wirtschaftsbürgertums.

Porsche ist in seiner Zeit bei Austro-Daimler allerdings auch dem Pendant von Castiglioni begegnet: dem Motorsportenthusiasten Alexander Graf Kolowrat-Krakowsky, der sein Engagement als Verwaltungsratsmitglied von Austro-Daimler unter Rückgriff auf eine gut gefüllte Privatschatulle betrieb. Kolowrat ermöglichte Porsche die Konstruktion, Entwicklung und Produktion der Prototypen eines Kleinwagens, der unter dem Namen »Sascha« Motorsportgeschichte schrieb.5 Doch auch ein so edler Sponsor wie Kolowrat taugte kaum als unternehmerisches Vorbild für Porsche, da der Graf sich vor lauter Begeisterung für die nach ihm benannten »Sascha«-Kleinwagen finanziell übernahm und seine Familie nach seinem frühen Tod nur noch einen Bruchteil des einstigen Vermögens vorfand. Dazu hatte allerdings erheblich beigetragen, dass der Verstorbene auch in das von ihm geradezu obsessiv betriebene Filmgeschäft beträchtliche private Mittel investiert hatte.6

In technischer Hinsicht drang Porsche mit dem »Sascha« in neue Dimensionen beim Kleinwagenbau vor; und auch die eigens für das anspruchsvolle Rundrennen »Targa Florio« im Jahr 1922 gebaute Rennausführung fiel mehr als ansprechend aus. Allerdings vermochte selbst die Anschubfinanzierung durch den uneigennnützigen Sponsor das strukturelle Kernproblem des Konstrukteurs Ferdinand Porsche nicht zu lösen: Der Aufbruch zu neuen technischen Ufern stand immer unter dem Vorbehalt, dass sich solche ambitionierten Projekte aus Sicht der Geschäftsführung rechneten. Da Austro-Daimler keine ausreichenden Absatzchancen für den 1,1-Liter-»Sascha«-Kleinwagen sah, kam es nicht zur Serienproduktion. Damit blieb Porsches Arbeit unvollendet: Er hatte zwar auf dem zukunftsträchtigen Gebiet der Kleinwagenherstellung dank des edlen Mäzens Kolowrat außergewöhnlich günstige Arbeitsbedingungen vorgefunden und verheißungsvolle Prototypen konstruieren und entwickeln können, aber in Serie gingen sie allesamt nicht. Es war kaum vorstellbar, dass er ein zweites Mal einen privaten Geldgeber fand, der einem börsennotierten Automobilhersteller das finanzielle Risiko der Konstruktion und Entwicklung eines neuartigen Fahrzeugtyps abnehmen würde.

Die Geschichte des »Sascha«-Kleinwagens zeigt, wie eingeschränkt die Gestaltungsspielräume selbst des für die technische Entwicklung Zuständigen bei einem anerkannten Automobilhersteller waren. Porsches Herz aber schlug für ungewöhnliche, ja aufregende technische Lösungen; eine routinemäßige Verbesserung der laufenden Produktion war nicht seine Welt. Bot daher nicht der Sprung in die Selbstständigkeit die einzige Möglichkeit, den ständigen Kompromissen zu entfliehen, die der Alltag bei einem Automobilhersteller mit sich brachte? Porsche hätte diese Frage zweifellos bejaht, wenn er sicher gewesen wäre, es als selbstständiger Konstrukteur nur mit Auftraggebern vom Schlage eines Grafen Kolowrat zu tun zu haben: Enthusiasten, die er mit seiner Begeisterung für neuartige technische Lösungen anstecken konnte und die in nie endendem Langmut den Glauben an die innovative Kraft der Porsche-Projekte auch dann nicht verloren, wenn sich bei der Realisierung Rückschläge einstellten.

Die Zukunft sollte zeigen, dass Porsche von 1933 an für mehr als ein Jahrzehnt tatsächlich unter derartig privilegierten Bedingungen an der optimalen technischen Lösung feilen konnte, wobei die Politik die Rolle...

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