1 Adieu Pürierstab, Tschüss Gläschen
Da tut Scheiden nicht weh: Verabschieden Sie sich vom
Extra-Kochen und staunen Sie über die genialen, angeborenen Fähigkeiten Ihres kompetenten Babys.
Breifrei – ein neuer Trend in der Babyernährung? Nein, ganz und gar nicht! Eher eine Babyernährung mit Tradition. Statt spezielle Babynahrungsmittel zuzubereiten oder gar zu kaufen, bekamen und bekommen die meisten Babys auf der Welt einfach eine geeignete Auswahl vom Familientisch. Um den sechsten Lebensmonat sind Babys reif für Beikost und zur gleichen Zeit entwickelt sich ihre Fähigkeit, gezielt Dinge zu greifen und in den Mund zu stecken. Das Besondere: Gesunde Babys, die ihre Nahrungsmittel selbst auswählen und selbstständig zum Mund führen dürfen, haben quasi einen eingebauten Ernährungsberater und greifen genau zu den Dingen, die der kleine Körper benötigt und führen sie sich in genau der richtigen Menge zu. Kein Grund mehr nach irgendwelchen Tabellen zu kochen, die sowieso alle paar Jahre komplett über den Haufen geworfen werden.
Verabschieden Sie sich vom planmäßigen Kaufen, Wiegen, Abmessen. Dünsten, Garen, Kochen. Matschen, Pürieren, Stampfen und Befüllen. Das muss nicht sein. Denn ein gesundes Kind muss Essen eben gar nicht »lernen«. Oder üben Sie mit Ihrem Baby Laufen, weil Sie Angst haben, es krabbelt sonst irgendwann einmal zur Schule?
Noch als mein erstes Kind schon auf der Welt war, dachte ich, dass Beikost ungefähr so funktioniert: Stillmahlzeiten auf fünf Stück runterfahren und dann nach und nach eine Mahlzeit nach der anderen durch Brei ersetzen.
Dass das Quatsch ist, dämmerte mir ziemlich schnell, weil ein nach Bedarf ernährtes Baby überhaupt nicht mit fünf Mahlzeiten auskommt. Meistens eher mit zehn ... oder zwanzig...
Ich hatte damals schon lockeren Kontakt zu einer us-amerikanischen Stillorganisation (hier in Deutschland vertreten durch http://www.lalecheliga.de/ und dort war »baby-led weaning« bereits ein Begriff. Ich verschlang die wenigen Informationen, die ich bekommen konnte – und merkte sofort: Das ist genau das Richtige für uns! Die Pastinaken, die mein Mann in vorauseilendem Gehorsam bereits im Garten gezogen hatte, aßen wir natürlich trotzdem, aber unpüriert und am Familientisch. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir die Pastinaken in dem Fall sogar ganz alleine gegessen, denn das Baby aß viel lieber etwas vom gleichzeitig servierten Rinderbraten. Durfte es auch. Und wir waren nicht sauer/enttäuscht/besorgt/was auch immer und mussten nichts wegschmeißen/aufheben/in Eiswürfelbehältern einfrieren, weil wir es eben einfach selbst aßen und mochten. Allen ging und geht es mit dieser Methode gut. Ob das »Baby« inzwischen Pastinake essen würde, weiß ich übrigens nicht, denn die kam bei uns seither gar nicht mehr auf den Tisch. Baby Nummer zwei lebt ohne Pastinaken, »Früh-«Karotten und Belöffelung bisher übrigens ebenfalls glücklich und zufrieden.
Beikost war für uns also von Anfang an völlig unspektakulär, anders als bei fast allen unseren Freunden und Bekannten. Wenn die uns besuchten, brachten sie immer ein ganzes Gläser, Tupper und Löffelarsenal mit, ließen sich irgendwann zu einer vorgegebenen Zeit in unsere Mikrowelle einweisen, hantierten, rührten, kühlten und belöffelten fleißig und nicht selten schweißgebadet. Und eigentlich blieb jedes Mal ein ⅔ gefülltes Gläschen bei uns stehen. Nun ist es eine selten dämliche Idee zu seinen Freunden zu sagen: Hey, warum tut ihr euch das an – ich weiß da was viel Geileres! Jedenfalls sollte man das nicht tun, wenn man seine Freunde behalten will. Aber dass ich diese »neue, alte Beikost« ohne Tabellen und ohne Belöffeln mehr Menschen nahebringen wollte, stand für mich schnell fest. Und so gab ich 2012 meine ersten Breifrei-Workshops und bin seit Anfang 2015 bundesweit mit meinen Fortbildungen für Fachpersonal unterwegs –und die Eltern der ersten Stunde haben fast alle seitdem noch weitere Kinder bekommen, zu vielen meiner Klienten habe ich dank sozialer Medien weiter Kontakt und keiner ist, soweit ich weiß, jemals wieder zurückgekehrt zum Belöffeln nach Plan.
1.1 Welcher Breifrei-Typ sind Sie?
Jede Ähnlichkeit mit realen Personen ist rein zufälliger Natur – viel Spaß:
1.1.1 Meggie Makellos
Es ist Meggies erstes Kind und Sie hat alles durchgeplant und sich hervorragend informiert. Meggie hat schon vor der Geburt einen neuen Pürierstab, eine elektronische Präzisionswaage und einen Dampfgarer gekauft. Später hat sie die besten, teuersten und frischesten Bioprodukte besorgt und mit dem speziellen Beikostöl verfeinert, das Sieger bei Ökotest war. Als der Kalender den geplanten Beikoststart-Tag anzeigt, ist alles perfekt. Alles. Bis auf eine Kleinigkeit: Meggies Baby mag den perfekten Brei nicht. Aber Meggie Makellos, wäre nicht Meggie Makellos, wenn sie jetzt aufgeben würde. Alternativen müssen her – und da stößt sie bei einer Google-Suche auf baby-led weaning. Hmm, klingt gar nicht schlecht, aber so wirklich klar ist ihr das alles noch nicht. Mehr Informationen müssen her...
Meggies Breifrei-Style: So systematisch wie Meggie sich vorher mit dem Breikochen beschäftig hat, geht sie jetzt Breifrei an. Wenn irgendwo Pommes frites-Größe als Faustregel für von Essanfängern meist gut zu greifende Beikost angeben wird, zückt Meggie die Kunstschnitzutensilien, findet die DIN-Norm für ein Kartoffelstäbchen heraus und – handelt danach! Denn so ein bisschen Maß, Regel und Kontrolle braucht Meggie schon.
1.1.2 Rita Relaxed
Rita Relaxed hat erst ein Kind. Aber weil sie einfach immer entspannt bleibt, meint man fast, sie hätte schon sieben. Rita macht eigentlich das meiste nach Gefühl, und ihr Gefühl sagt ihr fast immer, dass weniger mehr ist. Im Babyfachmarkt sieht man Rita eigentlich nie, dafür auf Flohmärkten, Partys, Konzerten oder Grillfesten. Ritas Motto: Das passt schon. Und Gläser kaufen passt genau so wenig zu Ritas Lebensstil, wie für ihr Baby nach Plan zu kochen. Da erzählt Ritas Kollegin ihr von Breifrei...
Ritas Breifrei-Style: Rita liest einmal quer durch dieses Buch, versteht die Beikostreifezeichen und die Sicherheitsregeln und – legt los! Sie verschwendet weiter keinen Gedanken an Happengröße oder gar Rezepte. Das klappt bei Rita prima und sie versteht überhaupt nicht, wer über Breifrei mehr als eine Seite an Info braucht.
1.1.3 Frieda Freundeskreis
Frieda hat auch schon ein Kind und das mit dem Brei lief aus ihrer Sicht durchwachsen bis gut. Aber alle ihre Freundinnen machen jetzt »Breifrei« und da möchte sie nicht als Ewig-Gestrige dastehen. Deshalb guckt Sie sich das jetzt mal näher an, kann sich aber noch nicht so recht vorstellen, völlig auf den gewohnten Weg zu verzichten und denkt über Mischformen nach. Auf jeden Fall backt sie schon mal die hübschesten und leckersten Dinkelstangen – viel besser als die all ihrer Freundinnen!
Friedas Breifrei-Style: Frieda kauft oft Gläser und kocht ab und zu mal selber Brei. Immer mal wieder bietet sie ihrem Baby auch etwas zum in die Hand nehmen vom Familientisch an. Etwas Radikaleres kann sie sich im Moment nicht vorstellen: Sie ist mit vorsichtigen Ausflügen in die Breifrei-Welt total zufrieden und ihr Baby freut sich, dass es jederzeit essen darf, aber nicht muss.
1.1.4 Nelly Neu
Nelly ist vor ein paar Monaten zum zweiten Mal Mutter geworden und hat mit ihrem ersten Kind alle Akte eines echten Beikostdramas erlebt. Nachdem Kind 1 erst gar keinen Brei essen wollte und jede Mahlzeit Stress und manchmal Tränen bedeutete, wollte Kind 1 später dann nur noch gefüttert werden. Heute ist es vier und isst außer Äpfeln (nur Pink Lady), Knäckebrot (nur das ...