2 Sinne an! Achtsamkeit im Alltag
Kinder spielen häufig voller Hingabe und sind in ihr augenblickliches Tun versunken. Das Leben im Augenblick hat viel mit Achtsamkeit zu tun.
Achtsamkeit spielte ursprünglich in fernöstlichen Meditationen eine bedeutende Rolle, wobei das unmittelbare Erleben des Hier und Jetzt mit allen Sinnen betont wird. Hierzu gehört eine nicht wertende und von innerer Offenheit geprägte Haltung. Es geht also bei Achtsamkeit, um aufmerksames und wertfreies Beobachten des Augenblicks, der gegenwärtigen Situation (das aktuell sichtbare, hörbare, riechbare, fühlbare Umfeld) oder der eigenen Innenwelt (Gedanken, Gefühle, Stimmung).
Der amerikanische Professor Jon Kabat-Zinn kam bereits als junger Mann mit dem Buddhismus in Berührung. Er entwickelte Ende der 1970er-Jahre ein achtwöchiges Achtsamkeitstraining zur Stressbewältigung, dessen Effekte bisher in mehr als 100 Studien belegt sind: Die Stressbewältigungskompetenz und die Selbstwahrnehmung verbessern sich, Selbstvertrauen, Gelassenheit und Lebensfreude werden gefördert. Außerdem kann durch das Training das Immunsystem gestärkt und psychosomatische Beschwerden sowie Schmerzen verringert werden.
2.1 Achtsamkeitsübungen für Kinder
Ihre ursprüngliche Fähigkeit zur Achtsamkeit geht den meisten Kindern im Laufe der Zeit verloren. Wenn Kinder in die Schule kommen und mit dem Vergleichen, dem Bewerten, den vielen neuen Eindrücken aufgrund von Medienkonsum und Lernstoff überflutet werden, verändert sich ihre Wahrnehmung von sich selbst und ihrer Umgebung. Eine Neigung zu Ablenkbarkeit, Konzentrationsmängeln und grüblerischen Selbstzweifeln ist weit verbreitet. Auch die zahlreichen Routinehandlungen des Alltags lassen die Achtsamkeit untergehen. Automatismen erleichtern zwar den Alltag, aber sie können unsere Aufmerksamkeit lähmen.
Auch für Kinder ist es daher sehr wertvoll, innere Stille und wache Präsenz zu kennen und abrufen zu können. So kann es hilfreich sein zu lernen, bei starken Emotionen für einen Moment die Augen zu schließen, tief zu atmen und Gefühle anzuerkennen, anstatt sie zu verdrängen. Daher werden in diesem Kapitel Achtsamkeitsübungen für Kinder vorgestellt. Diese Übungen bieten folgende Vorteile:
Durch verbesserte Achtsamkeit können das Wohlbefinden, die körperliche und seelische Gesundheit gefördert werden.
Die in kurzer Zeit durchführbaren Übungen können als Sofortmaßnahme zur Stressbewältigung dienen.
Achtsamkeitsübungen sind zur Einstimmung und Förderung der in den folgenden Kapiteln vorgestellten Entspannungsverfahren sehr gut geeignet.
Einfach loslegen
Du brauchst nicht viel für die Achtsamkeitsübungen und kannst einfach anfangen, wann immer Du Lust darauf hast, aber auch wenn es gerade stressig ist oder Du dich unwohl fühlst. Manche Übungen kannst Du allein machen, andere funktionieren nur in der Gruppe. Dadurch sind sie wie kleine Spiele.
2.2 Wie lange kannst Du es hören?
Für dieses Spiel benötigt man eine Klangschale, die lange und schön klingt. Die Kinder werden gebeten, die Augen zu schließen und auf den Ton der Klangschale zu lauschen. Sie sollen die Augen erst dann öffnen, wenn sie den Ton nicht mehr hören.
Die Neugier der Kinder kann durch die Frage geweckt werden: »Was glaubt Ihr, wie lange der Ton der Klangschale zu hören ist?«
2.3 Das lautlose Papier
Für dieses Spiel benötigt man lediglich ein leeres Blatt Papier, am besten im DIN-A4-Format. Dieses soll möglichst lautlos weitergegeben werden.
Falls mehrere Kinder mitspielen, lautet die Frage: »Was glaubt Ihr, können wir das Blatt Papier so leise von Hand zu Hand weitergegeben, dass kein Laut zu hören ist?«
Falls nur ein oder zwei Kinder mitspielen, lautet die Frage: »Was glaubst Du/was glaubt Ihr, wie oft können wir das Blatt Papier von Hand zu Hand weitergegeben, ohne dass ein Laut zu hören ist?«
2.4 Wo war es?
Mit diesem Spiel können Konzentration und Körperwahrnehmung geschult werden. Es sollen leichte Berührungen erspürt und möglichst genau lokalisiert werden. Ein Erwachsener oder ein Kind berühren ein mit geschlossenen Augen sitzendes oder liegendes Kind sanft mit einem Finger. Dieses zeigt daraufhin auf die Stelle, die berührt worden ist. Wie gut ist es in der Lage, die genaue Berührungsstelle zu zeigen?
Anleitung:
Augen schließen
Eine Stelle am Körper (Arme, Oberkörper) wird mit dem Finger sanft angetippt.
Mit geschlossenen Augen soll das Kind mit den Fingern möglichst genau die Berührungsstelle zeigen.
Wiederholung mit weiteren Stellen.
Als Variante für ältere Kinder können auch zwei Stellen nacheinander oder gleichzeitig angetippt werden.
Das Spiel kann auch leicht abgewandelt werden, sodass Berührungen auf Unterarm und Armbeuge gespürt und möglichst genau lokalisiert werden sollen. Ein Erwachsener oder ein Kind berühren ein mit geschlossenen Augen sitzendes oder liegendes Kind sanft mit einem Finger an der Innenseite eines Unterarms. Der Finger wandert dabei tippend vom Handgelenk in Richtung der Armbeuge. Das Kind soll die Augen öffnen, sobald es das Gefühl hat, dass die Armbeuge erreicht ist. Wie gut ist es in der Lage, die genaue Berührungsstelle zu lokalisieren?
2.5 Mein Erste-Hilfe-Stein
»Ein Stein kann eine überraschend gute Hilfe sein. Vielleicht hast Du schon einen Stein, der einigermaßen rund ist und gut in Deine Hand passt. Falls nicht, dann suche Dir einen. Er sollte so groß sein, dass er gut in die Hand passt, wenn Du eine Faust machst.
Nun probiere einmal aus, ob Du mithilfe des Steins Ärger, Frust oder Schmerzen abbauen kannst. Erinnere Dich an eine Situation, in der Du Dich geärgert hast oder genervt warst. Spüre den Ärger und vielleicht auch andere unangenehme Gefühle wie Wut, Schmerz und Genervtsein. Wo spürst Du diese Gefühle in deinem Körper?
Nun nimm Deinen Stein in die Hand und umschließe ihn mit Deiner Faust. Drücke den Stein ganz fest. Drücke ihn einige Atemzüge lang ganz fest …
Dann lasse die Hand locker und öffne die Faust. Achte einmal darauf, ob sich Deine Gefühle verändert haben. Sind der Ärger und andere unangenehme Gefühle gleich geblieben, weniger geworden oder stärker?
Nun probiere es einmal mit der anderen Hand. Nimm den Stein in diese Hand und drücke ihn wieder ganz fest einige Atemzüge lang …
Auf welcher Seite wurden der Ärger und die anderen unangenehmen Gefühle weniger? Gingen sie vielleicht sogar auf einer Seite ganz weg? Oder auf beiden?
Falls der Stein Dir dabei geholfen hat, Ärger und andere unangenehme Gefühle abzubauen, trage ihn am besten immer bei Dir. Du hast dann immer eine Möglichkeit dabei, Dir bei unangenehmen Gefühlen selbst zu helfen.
Vielleicht tut es auch gut, den Stein ab und zu abzuspülen, damit die unangenehmen Gefühle ganz weg sind und der Stein wieder schön frisch und sauber ist.«
2.6 Stampfe mit den Füßen
Bei dieser Übung geht es darum, mit den Füßen mehrere Minuten lang kräftig auf den Boden zu stampfen. Abwechselnd rechts, links wird kräftig auf den Boden gestampft. So, als sollte der Boden festgestampft werden. Besonders gut fühlt es sich barfuß im Gras oder im warmen Sand an. Aber es geht natürlich auch auf normalem Fußboden mit Schuhen.
Anspannung, Ärger und Frust können auf diese Weise ausagiert werden. Muskulatur, Herz, Atmung und Kreislauf werden angeregt. Außerdem werden Nerven an den Fußsohlen wie bei einer Klopfmassage stimuliert. Dies setzt Impulse frei, die im Gehirn für größere Wachheit, Aufmerksamkeit und Energie zuständig sind.
Stampfen, stampfen, stampfen!
2.7 Das Autospiel
Bei diesem Spiel geht es darum, dass ein Kind ein Auto darstellt und das andere Kind der Fahrer ist. Dieses Spiel kann mit offenen oder geschlossenen Augen gespielt werden. Falls kein zweites Kind dabei ist, kann es natürlich auch mit einem Erwachsenen gespielt werden. Der Fahrer fasst das Auto von hinten an die Schultern. Durch sanfte Impulse mit den Händen wird das Auto gesteuert. Auf diese Weise kann es vorwärts und rückwärts sowie nach links und rechts gesteuert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass das Vertrauen des Autos in den Fahrer gestärkt wird. Es soll immer eine sichere Fahrtroute gewählt werden, bei der keinerlei Kollisionen vorkommen. Das gesteuerte Kind soll in seinem Vertrauen gefördert werden, dass es sich ganz auf die Impulse des Fahrers verlassen kann. Dies ist natürlich umso wichtiger, wenn mit geschlossenen Augen geübt wird. Das Kind, das das Auto spielt, kann bei Bedarf seine Hände in Höhe der Brust wie eine...