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Im Winter des Lebens

Aus acht Jahrzehnten gesammelte Erinnerungen

AutorHans Thoma
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783744843461
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Lebenserinnerungen des berühmten Malers Hans Thoma. Von ihm selbst verfasst.

Geboren am 2. Oktober 1839 in Oberlehen, Bernau im Schwarzwald (heute Landkreis Waldshut). Der Maler und Graphiker verstarb am 7. November 1924 in Karlsruhe.

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Leseprobe

3


Nun will ich aber in sachlicher Art und, so viel ich es kann, der Zeitfolge nach erzählen, und da meine ich, daß ich einen guten Anfang finde, wenn ich meine Gedanken nach der Mutter hin wende, daß, wie mein Leben von ihr seinen Ursprung genommen auch diese Erzählung von meinem Leben in ein richtiges Geleise kommen könnte, wenn ich bei der Mutter anfange.

In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1839 kam ich zur Welt. Meine Mutter starb am Vorabend ihres dreiundneunzigsten Geburtstages, den 23. Februar 1897 in Frankfurt – sie ist geboren am 24. Februar 1804 – ich stand also etwa 60 Jahre unter ihrem Schutz – denn sie betrachtete mich, als ich schon einen weißen Bart hatte, noch immer als ihren Bub, den sie gerne auf Schritt und Tritt behüten wollte. Sie hat erzählt, daß ihr dies hohe Alter von Nachbarsleuten prophezeit worden sei. Infolge eines Falles, den sie durch Unaufmerksamkeit einer sie hütenden Person als einjähriges Kind machte, wurde sie schwer krank und lernte erst im vierten Jahre gehen. Weil sie das überstanden, prophezeite man, daß sie ein steinaltes Weiblein würde. – Weiblein, denn sie ist recht klein geblieben. Ihre Eltern waren Franz Joseph Maier, der aus Menzenschwand nach Bernau kam, und Agathe Langenbacher, die Ochsenwirtstochter von Höchenschwand. Ihr Vater war Uhrenmacher, ein stiller frommer Mann, an dem seine zahlreichen Kinder mit inniger Liebe hingen. – Meine Mutter hat viel von ihm erzählt – von seiner friedlichen Art und dem glücklichen Familienleben. – Am Abend, wenn er den Werktisch aufgeräumt hatte, so drängten sich die Kinder um ihn auf die Ofenbank. Er mußte dann Geschichten erzählen vom ägyptischen Joseph, von der Genoveva, er wußte gar viel Geschichten, er spielte auch Geige und Klarinette – er ging nie ins Wirtshaus, außer wenn er dort zum Tanz aufspielte, wobei ihm seine heranwachsenden Söhne mit Klarinette und Baßgeige Beistand leisteten. – Meine Mutter erzählte gern, wie auch sie einmal in Stellvertretung für einen Bruder die Baßgeige spielen mußte, wie sie, fast noch Kind, auf einem Schemelchen stehend, eine weiße Schürze umgebunden, den Brummbaßtanztakt strich. – Am Tanze hatte sie große Freude auch in ihren alten Tagen noch, sie wußte auch, was gut tanzen heißt. Meine Frau, die eine vorzügliche Tänzerin war, gewann sehr an Ansehen in den Augen der Mutter, als sie dieselbe einmal tanzen gesehen. Und sie sagte voll Bewunderung, so habe sie den Walzer lang nicht mehr tanzen sehen – aber sie sei in ihrer Jugend auch eine der besten Tänzerinnen gewesen – und wenn sie mit ihrem Bruder, dem Franzkarle, getanzt habe, habe der Schwanenwirt die anderen Paare zurückgehalten und gesagt, da seht lieber einmal zu und seht was Tanzen ist. –

Ein fröhliches Gemüt war ihr eigen, und das half ihr durch alle die Mühseligkeiten, welche das Leben ihr gebracht hat; sie ließ sich nicht niederdrücken, sie hatte eine Naturfrömmigkeit, und sie durfte auf ihre große Arbeitskraft, die keine Mühe scheute, vertrauen.

Die Familie der Großeltern war arm; die Großmutter trug die Uhren, die der Mann machte, hausierend ins Land hinunter, wie man die Gegend im Breisgau und im Markgräflerland zum Unterschied vom Wald oben nannte. – Schwere Hausarbeit und Sorge um jüngere Geschwister lag nun auf der ältesten Tochter, und ihre mütterliche Sorge bewährte sich da schon, als sie etwa 12 Jahre alt war. Es kamen die Hungerjahre 1816 und 1817, da versuchte sie oft den jungen Geschwistern durch Geschichtenerzählen über den Hunger hinwegzuhelfen.

Mein Großvater starb frühe, ich habe ihn nicht mehr gekannt. An die Großmutter erinnere ich mich noch, ich war etwa 5 Jahre alt, als sie starb.

Mein Vater Franz Joseph Thoma war Nachbarsohn meiner Mutter – er hat das Müllerhandwerk gelernt und war lange in der Fremde, hauptsächlich im Elsaß – , er erzählte öfters vom Krieg, so z. B. sehr lebhaft, wie ein paar ungarische Husaren in die Stadt Thann eingeritten seien und sie in Besitz genommen haben. Er war geboren im Jahre 1794. – Seine Eltern Jakob Thoma und Martha sind, wie ich hörte, wohlhabend gewesen, sie seien ein gar schönes Paar gewesen, flott und leichtlebig, und man erzählte noch meist lustige Geschichten wie übermütig er mit seinem Gelde umgesprungen ist; so z. B., als der Abt vom Kloster St. Blasien nach kirchlichem festlichen Umzuge Geldmünzen unter die Leute werfen ließ – sei mein Großvater hinterher auch über den Platz und habe nach links und rechts Geldstücke geworfen, indem er sagte das kann ich auch. – Freilich konnte er mit dem Fürstabt nicht wetteifern und so kam es, daß er seinen Kindern nicht viel hinterlassen konnte, soviel ich weiß, war er Schweine- und Viehhändler. – So hatten denn meine Eltern kein eigenes Haus, geschweige denn eine Mühle – sie wohnten in dem Hause, das den älteren Brüdern gehörte – sie gründeten einen kleinen Brot-, Mehl- und Spezereiwarenhandel. Der Vater wurde, wie es die meisten Einwohner sind, Holzarbeiter, und so spaltete er aus Tannenholz Schindeln, wie sie im hohem Schwarzwald zur Dachdeckung gebraucht werden.

Mein Bruder Hilarius war mehrere Jahre älter als ich – er kam mit 15 Jahren als Kaufmannslehrling nach Freiburg, er geriet dort in leichtsinnige Bubengesellschaft, entfloh aus der Lehre nach Straßburg und wollte zur Fremdenlegion, da er aber noch nicht 16 Jahre alt war, wurde er ohne Einwilligung der Eltern nicht angenommen – er kam bei Nacht und Nebel heim. – Später wurde es meinen Eltern möglich, ihn ins Lehrerseminar nach Meersburg zu schicken, er wurde Lehrer in kleinen Schwarzwalddörfern, in Schönau, Herrenschwand, Stadel, Ehrsberg, Müggenbrunn, Adelhausen – man setzte Hoffnung auf ihn, auf eine schöne Zukunft, in die er hineinwachsen würde. – Als er in Herrenschwand als Hilfslehrer bei einem alten, mir sehr ehrwürdig erscheinenden Schulmeister war, besuchte ich ihn öfters – er unterrichtete mich. Ein etwa zwei Stunden langer Weg, meist durch Wald, führte nach Herrenschwand – ich war etwa elf Jahre alt, und eine nicht unangenehme Bangigkeit vor dem Waldesdunkel und den in ihm möglichen Begebenheiten begleitete mich. – Mein Bruder war ein frischer lebhafter Mensch – blondhaarig und blauäugig – er war ein eifriger Turner – er hatte auch dichterisches Talent – er sehnte sich aber sehr aus der Enge des Schulmeistertums hinaus, er wollte voll Wagemut in die Welt hinaus und hatte eine Zeitlang den Plan, durch Basler Beziehungen veranlaßt, Missionar zu werden. Es kam aber anders, er hatte schon längere Zeit Schmerzen in der linken Hüfte, die wurden nun so arg, daß er seine Stelle aufgeben mußte, er kam im August 1851 heim und lag dann an einer Hüftgelenkentzündung unter meist fürchterlichen Schmerzen zu Bett – bis ihn am Sonntag, 20. Juni 1852, der Tod erlöste. – Wir standen um sein Sterbebett, als gerade an einem sonnighellen Nachmittage die Nachbarsleute vor dem Kreuz vor unserem Haus, wie es an Sonntagen gebräuchlich war, ihren Rosenkranz beteten.

Was meine Mutter gelitten hat die ganze Krankheit hindurch, will ich nicht beschreiben. – Sie kam die ganze Zeit über nie mehr ins Bett – sie war seine Pflegerin – , und so legte sie sich auf die Ofenbank in der Stube des Krankenlagers. Dabei gerieten wir in die drückendste Armut. Während seiner Krankheit wurde er zum Hauptlehrer ernannt. Die Hoffnung meiner Eltern war zerstört. –

Zur nähern Kennzeichnung dieses tiefveranlagten Jünglings möge hier die von ihm auf seinem Schmerzenslager selbst verfaßte Grabschrift Platz finden. – In seinen schmerzfreien Stunden las und schrieb er, so ist außer dieser Grabschrift noch manch anderes Gedicht entstanden. Die Schrift wurde auf eine Tafel geschrieben und an einem Holzkreuz auf sein Grab gesetzt:

Pilgrim hier steh und lies, glaub es, es ist gewiß

Was dir aus dieser Gruft ein Heimgegangner ruft,

Es lebt ein Gott in Ewigkeit. Auch du wirst ewig leben,

Dem Guten wird dort hohe Freud, dem Bösen Angst und Beben. Sieh in die Gruft, beschau mich nur. Was ich bin, wirst du werden;

Mein Geist ist höherer Natur mein Leib nur Staub und Erden.

Was hilft jetzt Schönheit mir und Geld? Was Ehre, Macht im Grabe?

Das braucht man nicht in jener Welt, ist alles fahrend Habe.

Ach Mitmensch, werde klug, denk an den schnellen Flug

Von aller Erdenfreud, denk an die Ewigkeit.

Leb fröhlich rein und still, tu nur was Jesus will,

Den Nächsten lieb in Gott trotz allem Hohn und Spott.

Geschwistern, Eltern, Freunde weint nicht über mich,

Wein, jedes über sich; ihr lebt ja noch im Lande,

Wo Tod und Sünde ist. Geht stets den Pfad der Tugend,

Übt Recht, das ihr ja wißt. – Schnell ist der Lauf der Zeit,

Bald komm ich euch entgegen, führ euch zur Ewigkeit.

Ostern 1853 kam ich aus der Schule – ich war ein guter Schüler, war in allen Fächern immer der Erste – , nur...

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