...erreicht unser Flieger frühmorgens Windhoek
Am Abend meines 65. Geburtstags war es also soweit: unser Flugzeug hob um 20:10 Uhr in Frankfurt ab. Am Morgen des 7. Juli kamen wir um 5:30 Uhr in Windhoek im namibischen Winter an.
Wir mussten über das Rollfeld laufen, um die Abfertigungshalle zu erreichen. Die Visum-Beantragung geschah an Ort und Stelle ohne weitere Probleme. Auch der Geldumtausch und eine namibische Sim-Karte erforderten nur Geduld in langen Warteschlangen.
Unsere Abholung durch unseren Autovermieter Norbert von Pegasus-Car funktionierte ebenfalls reibungslos. Er holte gleichzeitig mit uns seine Tante mit deutschen Wurzeln, seit drei Generationen in Namibia lebend, ab, die bei ihrer Tochter in einem Dorf nahe Dortmund Urlaub gemacht hatte, aber heute in einem Altenheim in Swakopmund wohnt.
Zuvor hatte sie mit ihrem Mann eine Farm in Otjiwarongo, nördlich von Windhoek, betrieben. Als die Arbeit ihrem Mann zu anstrengend wurde, hatten sie die Farm verkauft und sich im kühleren Swakopmund zur Ruhe gesetzt. Jetzt ist ihr Mann bereits seit einigen Jahren tot, und sie lebt in Swakopmund in einem Altenheim, wo es „naua“ (schön, gut) ist.
Die etwa 40 minütige Fahrt vom Flughafen zum Grundstück von Norbert vergeht wie im Fluge. Wir bestaunen die afrikanische Farm-Landschaft mit den braunen Tafelbergen, die Buschlandschaft und geraten regelrecht in Verzückung, wenn wir einen Springbock sehen. Norbert warnt uns vor ihnen, denn sie können etwa zwei Meter über das Auto springen und hässliche Unfälle verursachen.
Die Fahrt ist auch wegen Norberts Redefluss so kurzweilig. Ihm geht der Gesprächsstoff nicht aus. In Windhoek führt er uns zunächst noch an den herausragenden Wahrzeichen der Stadt vorbei. Wir passieren die von Norbert und der Tante ehrfürchtig so bezeichnete Christuskirche, ein scheußliches Gemäuer in der Tradition schlechten deutschen Geschmacks.
Dann geht es vorbei am Office of the Prime Minister, einem riesigen Hügelkomplex mit dem State Office und dem dahinter angelegten riesigen Palace, dem neuen State House auf einem 26 ha großen Gelände, eingefasst in einen zwei Kilometer langen Stahlzaun. Es dient als Privatresidenz für den Präsidenten und seine Familie.
Norbert lässt seinem Widerwillen freien Lauf. In den 1960er Jahren wurde dieser riesige Komplex ausschließlich von den Nordkoreanern angelegt, ohne dass einheimische Namibier daran beteiligt wurden, berichtet er uns. Der Teil des State House dagegen wurde 2002 begonnen und erst 2010 eingeweiht. Es soll nach inoffiziellen Schätzungen zwischen 400 bis 600 Millionen N$ (ca. 28-42 Millionen Euro) gekostet haben. Für das neue State House waren wiederum nur die Chinesen zuständig und sie sollen auch die Kosten dafür getragen haben.
Es geht weiter vorbei am National Theater of Namibia sowie an der National Art Gallery.
Viel Wärme und Sympathie zeigt Norbert nun beim nächsten Objekt, der Turnhalle. Denn hier fanden ab 1973 nach dem Umbau des aus 1913 stammenden Gebäudes die sogenannten Turnhallenkonferenzen statt. Zweck dieser Vereinigungen von Kräften reaktionärer bis konservativer Gesinnung war die Verhinderung einer schwarzen Regierung unter der Swapo, was allerdings nicht gelungen ist, wie Norbert bedauernd darlegt. Es geht zum Tintenpalast, einem Gebäude, von dem aus vor der Unabhängigkeit die südafrikanische Apartheit-Administration das Zepter führte und in dem heute die Regierungsbürokratie ihren Platz gefunden hat. Wir sehen noch das Nationalmuseum, die im Volksmund nach ihrer Form benannte „Kaffeemaschine“.
Zur Situation der Bevölkerung und insbesondere der schwarzen Bevölkerung befragt, betont Norbert sehr bestimmt, „niemand muss in Namibia hungern“.
Nora ist inzwischen schon bedient und schläft. Es wird mir nicht deutlich, ob es der Müdigkeit der Flugnacht geschuldet ist oder dem Mix aus, wie Nora es nennt, Altherrenwitzen von Norbert und seiner hervorlugenden, kolonial geprägten Sichtweise.
Norbert besorgt nun Brötchen an einer Straßenbude. Bei ihm angekommen im vornehmen Stadtteil Olympia, mit Blick auf den gegenüberliegenden Präsidentenhügel, gibt es erst mal ein Frühstück. Brötchen, verschiedenen Wurstsorten, Honig und Kaffee wird zur unverdrossen weiter geführten Unterhaltung serviert. Zwischenzeitlich ist auch Uschi, seine freundliche Angestellte, eingetroffen, die beim Frühstück mit von der Partie ist.
Norbert erklärt, er wolle uns erst einmal von unserer Hektik herunterholen und auf das afrikanische Zeitgefühl einstimmen. Denn in Afrika habe man alle Zeit der Welt. Was man heute nicht schaffe, das mache man eben morgen. Inzwischen hat auch er Noras Widerwillen gespürt und versucht sie zu neutralisieren. Das gelingt ihm allerdings nicht. Nora zieht sich einfach in ihr Schneckenhaus zurück und schläft bei der ersten Gelegenheit einfach weiter vor sich hin.
Ich verfolge aufmerksam die Argumente und bin neugierig auf alles, was gesprochen wird. So verblüfft mich die Urteilsweise der Tante, die sich darüber empört, als ich bedauernd erzähle, wir wollten bei unserer Flugzeuglandung die Flugzeugdecken mitgehen lassen, um uns damit in unseren Schlafsäcken gegen die vorausgesagte nächtliche Kälte zu wappnen, nur gelang es uns leider nicht. Der Stuart achtete peinlichst darauf, dass alle Decken abgegeben wurden.
Norbert erzählt, er habe viele dieser Decken im Schuppen liegen. Er sieht es als ebenso selbstverständlich wie wir an, solche Decken mitzunehmen. Aber die Tante insistiert, das mache man nicht, das gehöre einem ja nicht.
Die erwartete Übergabe des Autos findet immer noch nicht statt. Norbert muss nun einen anderen Gast abholen und übergibt uns an Uschi. Sie soll mit uns zunächst das Vertragliche regeln.
Uschi klärt auf, dass trotz Vollkaskoversicherung beschädigte Reifen oder die Windschutzscheibe nicht abgedeckt sind. Sie geht mit mir unsere beabsichtigte Reiseroute durch, gibt uns eine Straßenkarte und zwei Reisebücher mit und empfiehlt immer wieder Unterkünfte und Verhaltensmaßnahmen. Vor allem warnt sie uns vor den vielfältigen Situationen, in die wir gegenüber der schwarzen Bevölkerung kommen können, die uns vielleicht ausrauben könnte. Wir sollen immer sogleich beim Einstieg alle Türen verriegeln.
Als Norbert bei seiner Rückkehr den anderen Kunden, einen deutschen Lehrer und seine heranwachsende Tochter, abgefertigt hat, der Lehrer hatte einige Jahre in Windhoek unterrichtet und wollte nun mit seiner Tochter durchs Land reisen, wendet er sich endlich uns zu.
Mein Kopf ist nun leider nicht mehr aufnahmebereit. Nach einer Nacht im Flugzeug und den stundenlagen Gesprächen mit für uns vielleicht wichtiger Informationsaufnahme passen die technischen Anweisungen kaum noch in meinen Kopf.
Da ist neben der technischen Funktionsweise und der Übergabe des Navi-Systems auch die Handhabung des Wagenhebers zu erklären, mir eh ein Ding mit sieben Siegeln, die Reservereifen, wo der Griff für den Benzintank oder die Motorhaube ist, was man machen muss, wenn die Fernbedienung an dieser und jener Tür versagt, das alles ist so schnell einfach nicht mehr in meiner begrenzten Hirnkapazität abrufbereit.
Noras jedoch kann alles schnell aufnehmen und bietet sich auch an, die erste Fahrt zu unserem Übernachtungsort Penduka zu übernehmen.
Ganz bedenkliche Gesichter machen nun Norbert und Uschi als sie hören, dass wir uns ausgerechnet Penduka in Katatura als erste Übernachtung ausgewählt haben, halten sich dann aber professionell zurück.
Uschi bemerkt lediglich, dass bereits andere Kunden dort übernachtet hätten, während Norbert feststellt: ihr wollt also gleich voll einsteigen?!
Penduka1 im Township Katatura am Goreangab Dam gelegen, ist ein bereits seit 25 Jahren bestehendes Frauenprojekt. Es enstand seinerzeit auf Initiative einer Namibierin und einer Niederländerin. Der Name Penduka heißt so viel wie „Wach auf“.
Zwar ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Verfassung festgeschrieben. Aber Papier ist geduldig und außerdem gibt es daneben gleichwertig das Gewohnheitsrecht für die verschiedenen Ethnien und das zementiert meist die Benachteiligung der Frau. So läuft zum Beispiel eine Frau, deren Mann stirbt, Gefahr, dass die Familie des Mannes die Frau und deren Kinder aus ihrer Hütte und von dem durch sie bis dahin bewirtschafteten Land vertreibt, weil das Erbe nach dem Tod an die Familie des Verstorbenen fällt.
Frauen haben es dann schwer, eine lebensauskömmliche Arbeit für sich und ihre Kinder zu finden. Die Initiative Penduka unterstützt insbesondere alleinerziehende oder auch behinderte Frauen aus dem Township Katatura.
Die Frauen werden ausgebildet, durch das Herstellen von besonderen landestypischen Erzeugnissen sich eine Lebensexistenz aufzubauen und in der Nähe ihrer Kinder zu bleiben.
Mehr als 500 Frauen konnte bisher bereits eine Ausbildung ermöglicht werden. Sie sollen in einer Art Dominoeffekt ihr Wissen...