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E-Book

Tagebuch eines Abenteuers

Mit Pferdeschlitten quer durch Grönland

AutorAlfred Wegener
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783744825580
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Als vor dem Aufstieg zum Inlandeis der Gletscher unmittelbar über dem Expeditionslager kalbte, befanden sich der dänische Kartograph Johan Peter Koch, der deutsche Wissenschaftler Alfred Wegener und ihre beiden Helfer in einer Lage, die vor ihnen noch nie ein Mensch lebend überstanden hat. Überhaupt war diese Grönlanddurchquerung 1912 bis 1913 ein echtes Abenteuer: Moschusochsen machten die Packpferde scheu, Eisbären zerstörten Depots, Wegener brach sich eine Rippe, Koch stürzte in eine Gletscherspalte, ein Pferd nach dem anderen ging an Erschöpfung zugrunde. Hinzu kamen noch die Belastungen durch den langen stockdunklen Polarwinter in einer Hütte auf dem grönländischen Inlandeis. Selten waren Wissenschaft und Abenteuer so eng miteinander verquickt. Wegeners Tagebücher lassen die Ereignisse noch heute so lebendig erscheinen, wie sie damals waren.

Alfred Wegener wurde 1880 als Sohn eines märkischen Geistlichen in Berlin geboren. Er studierte Astronomie, Physik und Meteorologie in Heidelberg, Berlin und Innsbruck. Schon als Student trieb es ihn, seine Wissenschaft praktisch im Freien zu erproben. Mit Ballonfahrten fing es an; 1906-08 nahm er als Meteorologe an der dänischen Grönlandexpedition von Mylius-Erichsen teil; 1912-13 durchquerte er Grönland zusammen mit Hauptmann Koch. Daneben veröffentlichte er schon Anfang 1912 den ersten Entwurf seiner Verschiebungstheorie der Kontinente. Im Herbst 1913 heiratete er Else Koppen, die Tochter des Meteorologen der Deutschen Seewarte in Hamburg, und ließ sich als Privatdozent in Marburg nieder. 1914 wurde er Soldat und war ab 1916 Leiter mehrerer militärischer Wetterwarten. 1919 wurde er Nachfolger seines Schwiegervaters in Hamburg, 1924 Professor für Meteorologie in Graz. 1930 zog er als Leiter einer großen deutschen Expedition noch einmal nach Grönland. Auf der Rückreise von der Station Eismitte, der er in letzter Minute den rettenden Nachschub zuführte, erlag Wegener den unerhörten Anstrengungen. Im ewigen Eis hat ihm sein Eskimobegleiter das Grab gegraben.

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Leseprobe

II


DAS HAUS AUF DEM EIS

Wegeners Unfall – Übergang über den Borgfjord – Fast eine Katastrophe: Der Gletscher kalbt – Aufstieg zum Inlandeis – Aufbau der »Borg« – Erkundung des Dronning-Louise-Landes – Kochs Sturz in die Gletscherspalte – Wissenschaftliche Arbeit – Anlage von Depots

17. September. Ich liege hier mutterseelenallein in einer engen Kluft im kalbenden Steilrand des Inlandeises im Borgfjord und kann mich nicht aufrichten, geschweige denn gehen. Koch ging heute früh ohne Bagage von hier nach Kap Stop zurück, um mich im Verein mit Vigfus mit einem Pferdeschlitten zurückzuholen.

Er nahm unseren Karabiner mit, so daß ich hier ohne Waffe bin. Frühestens heute abend um 10 Uhr, vielleicht aber auch erst morgen, erwarte ich ihn und Vigfus zurück.

Die Geschichte kam durch Ausgleiten auf dem glatten Meereise. Ich fiel dabei höchst unglücklich auf meinen Photoapparat, den ich auf dem Rücken trug, und dieser bohrte seine eine Ecke in meinen Rücken links oberhalb des Bekkenknochens ein. Was dabei entzweigegangen ist, weiß ich nicht, vielleicht werde ich es auch nie erfahren. Aber beim Versuch, aufzustehen, hatte ich starke Schmerzen und war nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren. Ich mußte mich erst wieder auf das Eis hinlegen. Nach einer Erholungspause konnte ich mich aber in tief gebückter Stellung, auf meine eigenen Knie und einen Skistock gestützt, langsam vorwärtsbewegen. Koch überließ mir nun den Karabiner und ging zu unserm Schlitten zurück, der eine Meile südöstlich von uns stand, und holte diesen. Als er zurückkam, war ich ihm zirka zwei Kilometer entgegengekrochen, wobei ich allerdings eine 20 Minuten lange Pause hatte machen müssen und die Lebensgeister durch Kolapastillen und Singen munterhalten mußte. Nun packte Koch mich im Schlafsack auf den Schlitten und zog mich bis zu unserm Zeltplatz zurück, wo er mir mit großer Umsicht und mit Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst jede nur denkbare Erleichterung verschaffte. Heute befinde ich mich zwar sonst ganz wohl, kann aber noch immer nicht gehen. Gott sei Dank scheint es ja, daß ich mit einigen Tagen Schlafsackarrest davonkomme. Wenn so etwas auf der großen Tour passiert, ist man wohl fertig und tut am besten, sich zu erschießen. Jetzt ist natürlich kein Anlaß zur Befürchtung vorhanden, daß die andern drei durch meine Erkrankung in unmittelbare Gefahr kommen.

18. September. Seit gestern abend wieder bei Kap Stop. Koch und Vigfus kamen unerwartet früh, um mich mit dem großen Schlitten abzuholen, so daß wir abends wieder beim Depot bei Kap Stop ankamen. Mit meinem Rücken ist leider alles noch unverändert, ich kann mich nicht aufrichten, also auch nicht auf dem Rücken liegen, und namentlich nur sehr langsam und nur in gebückter Stellung gehen. Koch untersuchte heute meinen Rücken und legte mir eine Bandage an, zu sehen ist fast nichts. Koch meinte zuerst, es müßte eine Muskelzerreißung oder so etwas sein, doch deutet die Art der Schmerzen wohl mehr darauf hin, daß die unterste Rippe eingebrochen ist, denn außer bei bestimmten Bewegungen habe ich gar keine Schmerzen. Eine schöne Bescherung! …

Koch sorgt im übrigen für mich in der aufopferndsten Weise; heute nacht konnte ich es in meinem hiesigen, sehr kleinen Schlafsack nicht mehr aushalten, da mir die rechte Seite, auf der ich nun dauernd liege, schließlich lahm wurde; da stand er auf und holte mir einen anderen, größeren Schlafsack, in dem ich mich relativ wohl befand. Hoffentlich kommen nicht viele Nächte dieser Art, sonst komme ich auch mit meinem Allgemeinbefinden auf den Hund.

Nun aber Schluß mit der Jeremiade. Ich habe noch gar nichts von der Tour erzählt, welche für mich ein so fatales Ende nahm. Am 16. September brachen Koch und ich von unserm Zeltplatz am Bagfjord (diesen Namen schlägt Koch eben vor) auf und passierten die kurze Strecke Inlandeis, die uns am Vortage soviel Schwierigkeiten machte, jetzt ziemlich leicht. Im Borgfjord zogen wir die immer imposanter werdende kalbende Steilwand des Inlandeises entlang, bis wir einen Aufstiegspunkt fanden. Von weitem sah er geradezu ideal aus, bei näherer Untersuchung zeigte sich allerdings, daß man hier einige Spalten zu überschreiten hat, welche wohl zu etwas Ingenieurarbeit Anlaß geben werden. Trotzdem werden wir hier den Aufstieg vornehmen … Überhaupt ist hier fortwährend etwas los, man hört fast unausgesetzt das Krachen neuer Spaltenbildungen oder herabfallender Stücke, und wenn man sich auf dem Inlandeis befindet, so knistert es dauernd um einen herum. An dem Vormittag, an dem ich allein im Zelt lag, bekam ich geradezu einen Nervenschock durch ein fürchterliches Getöse, welches unmittelbar neben dem Zelt entstand und die Eisscholle, auf der das Zelt stand, erzittern ließ. Es hatte sich, wie nachher festgestellt wurde, in der Eiswand, zehn Meter vom Zelt, eine mächtige neue Spalte von einem Meter Öffnung gebildet. Hoffentlich werden wir an dieser Stelle mit unseren Transporten nicht durch allzu lebhafte Bildung neuer Spalten geniert … Heute beladen die andern die Schlitten, morgen wollen sie mit dem ersten Transport zum Inlandeis beginnen. Ich selbst bin zwar »auf«, halte mich aber fast immer im Zelt auf, in dem jetzt dauernd der Primus brennt, und kann mich nur beim Kochen und andern »häuslichen« Arbeiten nützlich machen. Gehen kann ich praktisch noch nicht.

19. September. Larsens Geburtstag. Wir standen um 5 Uhr morgens auf, weil die anderen drei heute mit den Transporten zum Inlandeis beginnen wollten. Aber schon morgens schneite es ziemlich stark, zunächst bei Windstille; um 9 1/2 Uhr morgens, als sie endlich aufbrachen, begann nordwestlicher Wind, und der Schneefall wurde noch stärker. Sie zogen daher mit den Schlitten nur bis zum Beginn des glatten Neueises und ließen sie dort stehen. Jetzt sitzen wir im Zelt und feiern Larsens Geburtstag, während draußen richtiger Schneesturm – der erste in diesem Winter – herrscht. Die Temperatur war heute früh (noch bei Windstille gemessen) -7,8°. Dies Kap Stop hält uns wirklich lange fest. Wir werden spät unter Dach kommen. Mit meinem Rücken scheint es ein klein wenig besser zu gehen, ich werde jetzt von dem Herumkriechen nicht mehr so müde, zumal ich mir heute einen Stock gezimmert habe, der mir große Erleichterung beim Gehen verschafft. Aufrichten kann ich mich natürlich noch immer nicht.

20. September. Bei herrlichem Wetter (windstill, wolkenlos, morgens -10,2°) zogen die drei anderen heute früh aus, um den ersten Schlittentransport, der gestern infolge des Schneesturmes aufgegeben wurde, weiterzuführen. Ich wäre brennend gern mitgegangen, konnte ihnen aber nur zum Abschied »gutes Eis« wünschen. Selten dürfte ein Wunsch so aus dem Herzen kommen wie dieser. Bricht einer der großen Schlitten ein, so haben wir wieder acht Tage Aufenthalt, und vielleicht sogar ernste Schwierigkeiten. Nun hat uns dies Kap Stop 20 volle Tage festgehalten! Sobald aber der erste Transport glückt, sind wir in acht Tagen mit Sack und Pack an der nächsten Haltestelle, dem Rande des Inlandeises.

21. September. Der gestrige Transport ist geglückt, Gott sei Dank! Freilich mußten sie die Nansen-Schlitten, die sie ursprünglich hinter den großen Schlitten herschleppen wollten, stehenlassen; das Neueis ist überall mit Schnee bedeckt, und dieser Schnee ist infolge des auf der Eisoberfläche ausgeschiedenen Salzes feucht und klebt wie Gift. Die Pferde konnten nur mit Mühe die großen Schlitten allein ziehen. Larsen als dritter kutschierte einen der Nansenschlitten, statt der in Aussicht genommenen drei, die von demselben Gespann gezogen werden sollten. Aber das Eis hielt, und die großen Schlitten kamen hinüber, und das ist die Hauptsache. Um 6 1/2 Uhr abends kamen sie alle zurück, und damit war mein Einsiedlerfrieden gestört. Weil die Bahn so schlecht ist, soll nun der Versuch gemacht werden, täglich, aber nur mit den beiden großen Schlitten, zu fahren. Heute sind Koch und Vigfus draußen, und Larsen leistet mir daher Gesellschaft.

Larsen hat mich heute »am Stock« photographiert, nachdem ich gestern das Objektivbrett meines Apparates mit Wachs wieder zusammengeklebt hatte. Es hat sich nämlich nachträglich herausgestellt, daß dasselbe bei dem bewußten Fall in zwei Teile zersprungen war – es war mir eine ordentliche Genugtuung zu sehen, daß auch der Photographieapparat, nicht nur ich selbst, dabei Schaden genommen hat. Über meinen Rücken ist leider nichts Neues von Bedeutung zu berichten.

22. September. Auch der gestrige, zweite Transport ist geglückt, und heute sind Vigfus und Larsen mit dem dritten draußen, nach dessen Erledigung die Hälfte unserer Bagage an der Inlandeis-Kante liegt. Mit drei weiteren Transporten hoffen wir, alles hinüber zu haben, ausgenommen die Heusäcke am Bistrupstal, die dann noch geholt werden müssen. Der gestrige Tag hat die Arbeit gut vorwärts gebracht, die Schlitten kamen schon um 5 Uhr zurück, so daß noch...

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