A. PUBLIZISTISCHE ARBEITEN UND MANUSKRIPTE AUS VERSCHIEDENEN QUELLEN (1946-1959)
[A.1]
Vordergrund und Hintergrund
Aus einer Dokumentenmappe
(ca. 1946)
Materialsammlung: Georg Heidingsfelder
Die folgenden Dokumente zeigen die zwei Seiten des Hitler-Regimes mit einer erschreckenden Deutlichkeit. Im VORDERGRUND steht der gedunsene, phrasenreiche Pseudo-Idealismus, der zuweilen – auch das wollen wir nicht verkennen – aus gläubigem Herzen, aber leider zugleich kenntnislosen, unklaren Hirnen kam. Der HINTERGRUND zeigt das eigentliche Element des Faschismus: die Bestialität. Beiden, Vordergrund wie Hintergrund, gemeinsam war die grauenvolle, der übrigen Welt unbegreifliche Wirklichkeit des „Dritten Reichs“. Mögen die Dokumente zu weiterer Erkenntnis und innerer Klärung unserer Situation und damit zu einer wirklichen Erneuerung unseres Volks beitragen!
VORDERGRUND
Der Führer ist mir der Inbegriff aller Tugenden, die das deutsche Volk besitzt. Er ist mir das Vorbild schlechthin; er ist mein Vater, der mich erlöst hat von dem Druck und der Schlacke, die auf meiner Seele lasteten, der mich gelehrt hat, über den Daseinszweck meines Lebens nachzudenken und der meinem Leben neuen, wertvollen Inhalt gegeben hat.
Fritz K., Berlin-Charlottenburg, zum 50. Geburtstag des „Führers“
HINTERGRUND
Aus einem Bericht geht hervor, daß in Plötzensee, in einer Nacht 186 Personen hingerichtet wurden, während der Befehl nur für 180 Personen galt. Ein anderer Bericht beschreibt, wie die Familie eines Opfers versehentlich zwei Urnen mit Asche erhielt. Lagerinsassen wurden gezwungen, sich gegenseitig hinzurichten. Im Jahre 1942 erhielten sie 5 Mark je Hinrichtung, aber am 27. Juni 1942 wies SS-Brigadeführer und General der Waffen-SS Glücks die Lagerkommandanten an, dieses Honorar auf 3 Zigaretten herabzusetzen.
Aus der großen Rede des amerikanischen Hauptanklägers Jackson im Nürnberger Prozeß
VORDERGRUND
Er war arm wie der ärmste Deutsche an irdischem Besitz, an Titeln und Würden und staatlichen Prüfungen, er hatte nichts als seine unbändige Liebe zum Volk und seinen unerschütterlichen Glauben an seine Sendung, und er überwand damit das Kapital der ganzen Welt, die Lüge, die Heuchelei einer entarteten Gesellschaft, und er setzte an deren Stelle die Großmacht seines reinen Herzens.
Werner Jansen zum 50. Geburtstag des „Führers“
(Auflageartikel für die deutsche Presse)
HINTERGRUND
Ich entschloß mich, nunmehr die totale Vernichtung des jüdischen Wohnbezirks durch Abbrennen sämtlicher Wohnblocks vorzunehmen ...
Dieses Unternehmen vernichtete nachgewiesenermaßen 56.065 Personen. Dieser Zahl hinzuzusetzen sind noch die Juden, die durch Sprengung, Brände usw. ums Leben gekommen sind, aber zahlenmäßig nicht erfaßt werden konnten.
Bericht des Polizeigenerals Stroop über
ein Unternehmen gegen Warschau
VORDERGRUND
Der Führer hat mich erst zu einem Menschen gemacht, er hat mich denken gelehrt, er hat mich gelehrt, was eigentlich die richtige Vaterlandsliebe überhaupt ist. Ich liebe meinen Führer mehr als mein Leben. Ich habe den einzigen Wunsch, einmal etwas Großes für ihn tun zu dürfen. Wilhelm P., Landau
Ich möchte hier einmal sagen, daß die hohe Lehre des Führers für mich Religion ist. Die deutsche Religion! Und ich kann mir keine schönere denken.
Frau Ilse G., Hamburg (Aus „Schwarzes Korps“)
HINTERGRUND
Ich sehe noch die Männer des 20. Juli ihren letzten Weg gehen, in Sträflingskleidern und mit Holzpantinen, einige übel zerschlagen und geschunden, umgeben von Männern des Volksgerichts und Gestapoleuten, die sich keine Phase dieses seltenen Schauspiels entgehen lassen wollten und mit ihrer Filmkamera jeden Augenblick festhielten, bis zu den letzten Zuckungen ihrer Opfer. Hier wurde verweigert, was selbst einem schlimmen Lustmörder nicht versagt blieb; durch ein besonderes Verbot Hitlers war der seelsorgliche Zuspruch vor dem Tod versagt worden ...
Pfarrer Buchholz, in einer Rundfunkansprache
VORDERGRUND
Wenn ich gegenüber den Großen unserer deutschen Geschichte ein Gefühl der Ehrfurcht habe, so ist dies unserem Führer gegenüber ein ganz anderes Gefühl; ich glaube es am besten mit Liebe bezeichnen zu können.
Er ist einer der Unseren, mitten aus dem Volke, der das unendlich Große schaffte und dabei der gleiche blieb vom ersten Tage, als ich ihn sah, bis auf den heutigen. Ich bin diesem Manne so verfallen, daß ich [ihn?] verteidigen würde, auch wenn er Unrecht hätte, aber er kann ja gar nicht Unrecht haben, denn er ist die Wahrheit und die Gerechtigkeit selbst.
Gr. F., München – zum 50. Geburtstag des „Führers“ (Aus: „Schwarzes Korps“)
HINTERGRUND
Am 20. Mai 1942 ermächtigte Generalfeldmarschall Milch den SS-Obergruppenführer Wolff, im Lager Dachau mit sogenannten Kälteversuchen zu beginnen ... Aus den Berichten des leitenden Arztes von Dachau geht hervor, daß die Opfer in kaltes Wasser getaucht wurden, bis ihre Körpertemperatur auf 28 Grad Celsius sank, worauf sie alle augenblicklich starben ... Im Februar 1943 konnte der Arzt berichten, daß 30 Personen auf 27 bis 29 Grad abgekühlt worden waren, wobei ihre Hände und Füße weiß froren, und daß ihre Körper dann durch ein heißes Bad wieder völlig aufgewärmt worden waren. Der Triumph der Naziwissenschaft waren jedoch Erwärmungsversuche durch animalische Wärme. Um das Opfer, das beinahe erfroren war, wurden Körper lebender Frauen gelegt, bis es wieder zu sich kam und auf seine Umgebung mit Geschlechtsverkehr reagierte.
Bericht von Dr. Rascher (Dokument Nr. 1616 im Nürnberger Prozeß)
VORDERGRUND
In Ermangelung jeglicher Unmutsäußerungen von seiten der Karpfensetzlinge urteilte das Gericht nach eigenem menschlichem Gefühle und erklärte, daß es für einen Karpfen eine Qual sei, zwei Meter weit geschleugert [sic] zu werden und dann, wenn auch nur aus geringer Höhe, auf die Erde zu fallen. Um dem Angeklagten diese Untugend abzugewöhnen und auch andere Leute, die mit Fischen in dieser Weise umzugehen belieben, zu warnen, verurteilte ihn das Gericht zu einer Geldstrafe von 20 Mark bzw. vier Tagen Gefängnis.
Es ist, wie das Gericht sagte, eine neue Zeit angebrochen, auch für die Tiere.
(Prozeßbericht des „Fränkischen Kurier“)
HINTERGRUND
Eine deutsche Mutter hatte ihrem Sohn ins Feld geschrieben, er solle nicht mutlos werden und sich vom Heimweh übermannen lassen, es dauere ohnehin nicht mehr lange, dann höre das Morden auf. Für dieses Wort besorgter Mütterlichkeit wurde sie zum Tode verurteilt. Der heimkehrende Sohn wird nicht einmal mehr das Grab seiner Mutter finden.
Frau Hildegard Coppi, die mit ihrem Mann und vielen anderen im Harnack-Prozeß zum Tode verurteilt worden war, schenkte in der Todeszelle einem Kinde das Leben, und nun hofften alle mit ihr: jetzt ist sie gerettet. Aber der Richter schickte auch sie zum Schafott.
Pfarrer Buchholz (nach der Zeitschrift „Die Lücke“)
VORDERGRUND
Wenn die Kinderhände sich Abend um Abend falten: „Lieber Gott, beschütze unseren Führer!“, dann durchflutet mich ein grenzenloser Dank an das Schicksal, das uns diesen Mann gab. Aus der Qual, Mutter zu sein, Kinder in ein Leben stellen zu sollen, das einem selbst sinnlos erschien, machte Adolf Hitler eine beglückende heilige Lebensaufgabe. Der Führer gab meinem Leben Richtung und Ziel!
Es gibt ja nur einen einzigen Dank, den ich jemals abstatten könnte: auch dann, wenn ich einmal die Begründung der Entschlüsse des Führers nicht erkenne oder gar verkennen sollte, gerade dann ihm blindlings zu vertrauen. Erst wenn ich dazu bereit bin, habe ich die Berechtigung zu sagen: „Mein Führer.“
Frau Erna W., Berlin (Aus Schwarzes Korps“)
HINTERGRUND
Ende April 1945 waren im KZ Neuengamme 20 unschuldige Kinder zwischen 5 und 12 Jahren umgebracht worden. Nachdem die Kinder, an denen vorher Experimente mit Tuberkulosebazillen vorgenommen wurden, mit Morphiumspritzen eingeschläfert worden waren, hat ein SS-Mann sie in einem Keller erhängt.
Der Angeklagte, SS-Standortarzt Dr. Trzebinski, erzählte leise den Vorgang. Abschließend sagte er: „Ich habe in meiner ganzen KZ-Laufbahn unendlich viel menschliches Leid gesehen und war wohl abgestumpft, aber Kinder erhängen hatte ich noch nicht gesehen. Mir wurde übel, ich ging aus dem Gebäude heraus, ein paarmal um den Block. Nach einer halben Stunde ging ich zu den Kindern zurück. Einige fehlten, einige schliefen noch immer nicht und fragten mich: ‚Werden wir auch noch gebadet?‘ Ich ging jetzt in den Raum, in dem die erste Erhängung stattgefunden hatte, und sah an einem Haken ein Mädchen hängen. In einem Verschlag daneben lagen die...