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Harmonieren mit den Homonymen
In wohl jeder lebendigen Sprache der Erde gibt es Wörter, die gleich klingen und auch gleich buchstabiert werden, jedoch sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Diese etwas überstrapazierten Wörter heißen Homonyme. Ein Beispiel im Deutschen ist das Wort «Strauß», dessen Mehrdeutigkeit mir klarwurde, als mir ein Bekannter sagte, er wolle seiner Freundin zum Geburtstag einen Strauß schenken, und ich ihn fragte, ob sie denn genügend Platz für so einen Riesenvogel hätte. Daraufhin schaute er mich an, als ob ich einen Vogel hätte.
Sollten die Wörter nur gleich klingen, jedoch unterschiedlich buchstabiert werden, heißen sie hingegen Homophone. Bei diesen hat man zumindest beim Lesen weniger Verwechslungsprobleme; die Gefahr bleibt aber beim mündlichen Kommunizieren bestehen. Ein Beispiel sind die Wörter «vage» und «Waage». Welches eigentlich gemeint ist, wage ich manchmal nicht einmal zu fragen …
Da diese sogenannten Homowörter das Risiko von Missverständnissen erhöhen, würde man eigentlich erwarten, dass die großen Kultursprachen dazu neigen würden, diese Wörter zu vermeiden beziehungsweise durch Neuschöpfungen zu ersetzen. Merkwürdigerweise ist dies jedoch weder im Englischen noch im Französischen der Fall. Die englische Sprache verfügt zum Beispiel über eine viel höhere Anzahl von Homonymen und Homophonen als die deutsche, auch wenn Englisch den größten Wortschatz aller Sprachen hat. Ein Beispiel ist das Verb «to spoil», das sowohl «verderben» als auch «verwöhnen» bedeutet! Weitere bekannte Beispiele sind die Wörter «there», «their» und «they’re», welche trotz unterschiedlicher Schreibweisen und Bedeutungen alle genau gleich ausgesprochen werden. Und sollte man einen Englischlehrer nach dem Grund für so etwas Unlogisches fragen, bekommt man sogar oft noch zu hören: «There, there!» (Na, na!)
Noch extremer ist die Lage im Französischen, wo es zahlreiche gleichklingende Wörter gibt, die mehrere Bedeutungen haben. Zum Beispiel werden die Wörter «vain» (eitel), «vint» (kam), «vin» (Wein) und «vingt» (zwanzig) alle gleich – etwa so wie «wä» – ausgesprochen! Als mir meine liebe Bekannte Claire mal wieder erzählte, dass Französisch die schönste Sprache der Welt sei, bat ich sie, den folgenden Satz ins Französische zu übersetzen: «Der eitle Franzose kam mit zwanzig Flaschen Wein.» Für mich klang das Resultat wie das Geschnatter einer energischen Ente.
Obwohl es im Deutschen weniger dieser Doppeldeutigkeiten gibt, lauern auch hier einige überstrapazierte Wörter, die Deutschlernenden Probleme bereiten. Im Folgenden einige der üblicheren Verdächtigten:
Schätze
Auch wenn ich das Wort «Schätze» schätze, schätze ich, dass es im deutschen Wortschatz leicht überschätzt wird.
Schein
Der Schein trügt nicht: Scheinbar kann die deutsche Sprache eine große Scheinwelt sein. Mir scheint es, dass nicht nur Studenten Scheine machen. Wenn man den Schein gut wahrt, kann man als ein Scheinheiliger bezeichnet werden. Man muss nur aufpassen, dass man nicht nach dem Motto «Mehr Schein als Sein» agiert. Meine Lieblingsantwort auf die Frage: «Ist dort gerade ein sonniger Tag, wo du bist?», lautet: «Ja, es scheint so!»
sie
Oft kann das Wort «sie» ein Buch mit sieben Siegeln sein. Sagt mir zum Beispiel ein Mann: «Ach, wenn ich sie wäre!», weiß ich nicht zwangsläufig sofort, ob er dabei mich meint, eine Frau oder vielleicht irgendeine unbestimmte Anzahl von anderen Dingen. Siehste?
klatschen
Manchmal erfährt man etwas dermaßen Interessantes beim Klatschen über andere Leute, dass man dabei spontan laut klatschen will.
Zug
Im Zuge der Zeit bemerkt der Deutschlernende Zug um Zug die Zugkraft des Wortes «Zug». Man kann schließlich in einem Zug im Zug in einem Zug in Zug sein Getränk austrinken (zumindest wenn man in der Bahn mit offenem Fenster durch die deutschsprachige Schweiz fährt). Deutsche Züge haben viele Vorzüge: Man fährt in Schnellzügen sowie Bummelzügen bequem umher und erfährt dabei sogar manchmal, was die Phrase «das Leben in vollen Zügen genießen» eigentlich bedeutet. Es gibt sogar eine Art «Zugsprache». Zum Beispiel ist der Bahnhof in Frankfurt ein Sackbahnhof, dafür aber keine Sackgasse. Und wenn man den Zug verlassen will, sagt man «Aussteigen!» – und NICHT «Auszug!». Sonst könnten die Mitreisenden ja denken, dass man einen Zug ins Lächerliche hat …
unter
Beim Wort «unter» werden nicht nur Ausländer irritiert, sondern auch Kinder, was mir an meinem ersten Weihnachten in Deutschland auffiel. Als der Familienvater nämlich erzählte, dass «das Christkind nun unter uns wohnt», fragte seine junge Tochter, ob es ein neues Schlafzimmer im Keller gebe.
reizen
Wenn mir jemand sagt, dass ihn etwas reizt, weiß ich nie, ob ich ihn nun beneiden oder bemitleiden soll.
Zeug
Manchmal wirkt die deutsche Sprache leicht überzeugt. Man hat alle möglichen Arten von Zeug: altes Zeug, solches Zeug, dieses Zeug und dummes Zeug. Als Kind hat man seine Spielzeuge, als Erwachsener seine Werkzeuge, und über beiden fliegen die Flugzeuge. Im Deutschen gibt es Zeughäuser, Zeugämter, Zeugenbänke und Zeugenstände. Und keiner freut sich über das Ablegen eines falschen Zeugnisses. Also, man legt sich ins Zeug, was das Zeug hält.
kosten
Wenn der Menageriebesitzer sagt: «Dieser Löwe hat mich leider zu viel gekostet», weiß man lediglich anhand der Narben und fehlenden Glieder, dass es sich dabei nicht um den Preis des Löwen handelte.
einstellen
Pessimisten behaupten seit Jahren, dass sehr viel in Deutschland eingestellt wird. Ich stimme ihnen zu, aber nicht weil es der Wirtschaft schlechtgeht, sondern weil das Wort «einstellen» überall auftritt … Dessen Vielfältigkeit wurde mir erst bei meiner Einstellung als Praktikant bei der Firma Wirtschaftsprüferpalast (kurz WP-Palast) in Hamburg im Januar 1997 bewusst. Zu jener Zeit hatte ich leider noch keine Arbeitserlaubnis. Die Firma war einfach davon ausgegangen, dass ich als Student für einen Hungerlohn arbeiten dürfte. Das Arbeitsamt hatte aber eine andere Einstellung, sodass WP-Palast deswegen Strafe bezahlen musste, während ich verschont blieb, was mir das Arbeitsamt später wie folgt mitteilte: «Herr Bergmann, das Verfahren gegen Sie wird eingestellt.» Ich wusste zunächst nicht, ob ich mich freuen sollte oder nicht. Erst nachdem ich das Schreiben meinem damaligen Mitbewohner Bodo gezeigt hatte, verstand ich die Einstellung des Arbeitsamtes. Glücklicherweise entschied sich meine Firma daraufhin nicht für einen Ausländereinstellungsstopp, denn schließlich war ich inzwischen auf bezahlte Arbeit eingestellt …
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Zum Glück war es dann Aufgabe meiner Firma, mir eine Arbeitserlaubnis für den Start als Festangestellter zum 1. Mai 1997 zu besorgen. Die Beschaffung dauert in der Regel ein paar Monate, da sich das Ausländeramt zuerst einmal in allen Ländern der EU erkundigen muss, ob es nicht doch eventuell irgendwo einen EU-Bürger gibt, der die Voraussetzungen für die offene Arbeitsstelle erfüllt. Für meine Stelle gab es bestimmt viele, auf die dies zutraf, allerdings war offenbar keiner von denen arbeitslos – oder sie hatten einfach keine Lust, sich unter so vielen Wirtschaftsprüfern aufzuhalten. Auch wenn ich schon ein wenig neugierig war, entschied ich mich doch dagegen, den Obdachlosen vor dem Ausgang des WP-Palastes zu fragen, ob sich das Ausländeramt wegen meiner Stelle auch bei ihm erkundigt hatte.
Ein paar Monate später bekam ich aus Versehen meinen Antrag auf Arbeitserlaubnis in die Hände – und war erstaunt, was ich doch alles konnte! Ich habe mich selbst kaum wiedererkannt. Mit einer Kopie davon wollte ich sofort neue Gehaltsverhandlungen starten, bis die Personaldame mir erklärte, dass «leichte» Übertreibungen seitens der Firmen üblich seien, um so das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Dann warf sie einen Blick auf das Papier in meiner Hand und sagte: «Na ja, manchmal reicht eine ‹leichte› Übertreibung eben nicht aus …»
In jenem ersten Jahr bei der Arbeit hatte ich noch mächtig mit den Homonymen zu kämpfen. Als mich einmal ein Kollege informierte: «David, der Kopierer ist nun repariert. Du kannst ihn jetzt anmachen», fragte ich ihn etwas verwundert: «Meinst du, ich kann ihn beschimpfen, jetzt, wo er wieder gesund ist?» Darauf erwiderte er: «Nein! Nicht so anmachen! Das andere ‹Anmachen›!» Ich zuckte die Schultern und begab mich, leicht skeptisch, zum Kopierer: «Ähm … he, du süßer Kopierer, machst du mir mal ein paar heiße Kopien?» Der Kollege seufzte verzweifelt: «Nein! Auch nicht so ‹anmachen›! Das Ding einfach einschalten!» Ach so … (Zum Glück gab es keine Salatsoße im Raum …)
Beim Wort «lecken» erging es mir ähnlich. Eine Kollegin erzählte mir, dass es ihrer Katze nicht gutginge, und ich fragte, woran sie das merken würde. Sie antwortete, dass ihre Katze lecke, worauf ich erstaunt erwiderte: «Aber alle Katzen lecken doch!» Ihre Antwort: «Ja, aber meine Katze leckt nicht nur mit dem Maul, sondern auch am...