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E-Book

Erika Mann

Eine Lebensgeschichte

AutorIrmela von der Lühe
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783644444119
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Thomas Mann nannte sie sein «kühnes, herrliches Kind»: die älteste Tochter Erika, geboren am 9. November 1905 und gestorben am 27. August 1969. Sie machte Schlagzeilen als Schauspielerin und Autorin, als Autorennfahrerin, Kabarettistin und Vortragsrednerin, schließlich sogar als Kriegsreporterin. Und sie faszinierte ihre Zeitgenossen durch ihren Scharfsinn, ihren Mut und ihre Wortgewandtheit. Irmela von der Lühe veröffentlichte 1993 die erste große Biographie Erika Manns, die zum Standardwerk wurde. Der vorliegende Band ist eine stark erweiterte, grundlegend überarbeitete Fassung des Buches - mit zahlreichen bisher unbekannten Dokumenten.

Irmela von der Lühe, geb. 1947, lehrt als Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Studien, vor allem über Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Uwe Naumann gibt sie die Werke Erika Manns heraus.

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Leseprobe

Vorwort


In seinem Buch Thomas Mann und die Seinen hat Walter A. Berendsohn schon 1973 die Ansicht geäußert, für die «Geschichte unseres Zeitalters» seien «Bild, Lebenslauf und Werk» Erika Manns «fesselnd und repräsentativ». Berendsohn hat damals vorgeschlagen, eine «Monographie» über Die Pfeffermühle und ein «Buch» über deren Initiatorin zu schreiben sowie eine «Auswahl ihrer besten Werke in einigen Bänden zu vereinigen».1 Gut zehn Jahre später erwies sich erstmals, wie berechtigt Berendsohns Urteil war, als Anna Zanco Prestel eine Auswahl von Briefen von und an Erika Mann herausgab. Bis dahin kannte man sie «nur» als älteste Tochter Thomas Manns, als Nichte Heinrich Manns, als Schwester des inzwischen wiederentdeckten Klaus Mann.

Die Situation hat sich in den folgenden zwanzig Jahren noch einmal gründlich gewandelt. Auf die erste Ausgabe dieser Biographie Erika Manns im Jahr 1993 folgten zwei umfangreiche Editionen mit Essays und Aufsätzen;2 es folgten Neuausgaben ihrer großen, im Exil entstandenen Bestseller Zehn Millionen Kinder (1938) und Wenn die Lichter ausgehen (1940);3 auch Erika Manns Kinderbücher wurden neu entdeckt und zum Teil wieder gedruckt.4 Zahlreiche Ausstellungs 5 - und Filmprojekte haben in den letzten Jahren das öffentliche Interesse an der Mann-Familie weiter gesteigert; nicht ganz zu Unrecht hat Marcel Reich-Ranicki 1999 geäußert: «Was den Briten ihre Windsors, das sind den Deutschen, jedenfalls den Intellektuellen, die Manns.»6

Erika Mann selbst, in der Reaktion auf Medien und Öffentlichkeit so routiniert wie kaum ein anderes Mitglied der Familie, schrieb 1965 an Albrecht Goes, aus Anlass ihres 60. Geburtstages habe man in einer Zeitung lesen können, «manche Leute in der Bundesrepublik seien bei uns schon fast so zu Hause wie in der Familie Hesselbach»,7 der seinerzeit beliebtesten Fernsehserie. Über die erwähnten Editionen hinaus sind in der Zwischenzeit die Kenntnisse zu Leben und Werk einzelner Familienmitglieder und auch des familialen Umfeldes erheblich gewachsen: die Bücher von Inge und Walter Jens über Hedwig und Katia Pringsheim,8 die biographischen Arbeiten zu Golo Mann, die Auswahlausgabe seiner Briefe bzw. die Erstveröffentlichung von Texten Monika Manns,9 schließlich die intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit Klaus Mann, mit Leben und Werk Annemarie Schwarzenbachs,10 die Veröffentlichung von Texten Erich Ebermayers.11 All dies sowie einige Arbeiten, die direkt Erika Mann galten, haben zu dem Plan der nun vorliegenden überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe der Biographie geführt.

Sie orientiert sich im Aufbau und in der Entfaltung des Materials im Wesentlichen an der Erstausgabe von 1993. Freilich konnten bisher unbekannte und unveröffentlichte Quellen für die Neuausgabe benutzt werden: so zum Beispiel Bruno Walters Briefe an Erika Mann aus den Jahren 1949/​50 und der Bericht über Erika Mann, den ihre Freundin Signe von Scanzoni, eine ausgebildete Schauspielerin und Sängerin, 1969 nach Erika Manns Tod verfasst hat.12

«Sie hat sich selber nie so ganz ernst genommen, andere viel ernster»,13 hat Golo Mann zum 60. Geburtstag seiner älteren Schwester geschrieben. Nicht zuletzt im Umgang mit ihrer eigenen Arbeit im Exil bestätigt sich die Wahrheit dieser Aussage. Während der Bruder Klaus alle Zeugnisse seiner schriftstellerischen Arbeit aufhob und auf diese Weise die Arbeit der Forschung erheblich erleichterte, war Erika Mann an einer solchen Spurensicherung herzlich desinteressiert. Über den Tag hinaus waren ihr die eigenen Manuskripte, Texte und Materialien nicht wichtig, an einem Nachruhm als Schriftstellerin hat sie nicht gearbeitet. Seit 1933 galt ihre alltägliche Arbeit dem satirischen, dem publizistischen Kampf gegen Hitler, nach dem Exil bestimmte die Arbeit für Werk und Nachlass des Bruders und des Vaters ihren Alltag. Von sich selbst erzählte sie gelegentlich in Interviews, ihre Autobiographie blieb Fragment, ein Tagebuch hat sie nicht geführt. Tausende von Briefen an Familienmitglieder und Freunde, Autoren und Lektoren, Kollegen und Rechtsberater zeigen sie nicht nur als engagierte Zeitgenossin, sondern – ähnlich wie Großmutter Hedwig Pringsheim und Mutter Katia – als Meisterin einer Gattung, die zu Unrecht noch immer gern als bloße Privatäußerung abgetan wird. Erika Manns Briefe an Vater und Bruder, an befreundete Autoren wie Hans Habe, Hermann Hesse oder Ludwig Marcuse, an Rudolf Hirsch (S. Fischer Verlag) oder Martin Gregor-Dellin (Nymphenburger Verlagshandlung) sind – mit Signe von Scanzoni gesprochen – «ein Rankenwerk von Spiel und Spott»,14 sofern freundschaftliche Verbundenheit mit ihnen bekräftigt wurde; sie sind epistolarische Giftspritzen, sofern – wie im Falle von Carl Zuckmayer, Alfred Döblin, Theodor W. Adorno, Klaus Schröter oder auch Inge Jens – die Empfänger in Erika Manns gelegentlich einseitiger Sicht abgestraft werden mussten.

Schon zu Lebzeiten hat Erika Mann die Gemüter in ihrem Umfeld polarisiert, moderate Positionen hat sie selten eingenommen, und am harmonischen Gleichklang in- und außerhalb der Familie war ihr nie gelegen. Es verwundert daher nicht, dass sich bis heute in der interessierten Öffentlichkeit die Gemüter an ihr scheiden. An der bewunderten Aktivistin gegen Hitler, an der engagierten Kriegskorrespondentin und eigenständigen Publizistin irritiert die anscheinende Selbstaufgabe zugunsten von Vater und Bruder nach dem Ende des Exils; der Verzicht aufs ‹Authentisch-Eigene› zugunsten des ‹Familienunternehmens›. Während man der Arbeit Erika Manns für das väterliche Werk häufig und bisweilen zu Recht den Vorwurf gemacht hat, es habe ihr an kritischer Distanz und philologischer Kompetenz gefehlt, sie habe sich als «Protokollchef» mit wahrer «Nibelungentreue» vor Person und Werk des Vaters gestellt,15 hält sich in der Klaus-Mann-Forschung beharrlich die Behauptung, ihre Arbeit für den Vater habe die Geschwisterbindung bedroht und Klaus weiter in Einsamkeit und Verzweiflung getrieben. Richtet sich der Vorwurf im einen Fall auf die allzu unkritische Verehrung des väterlichen Werkes, so lautet er im anderen Fall auf zu wenig Einfühlung ins Lebensleid des Bruders. So wenig wie im ersten Fall die heftigen Kontroversen berücksichtigt werden, die in politischer Hinsicht zwischen Vater und Tochter während des Exils und danach ausgetragen wurden, so wenig werden im zweiten Fall die tatsächlichen Lebensumstände im Exil und die dafür einschlägigen Passagen aus der Geschwister-Korrespondenz berücksichtigt.16

Aus ganz unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Perspektiven wurden Erika Manns berufliche und persönliche Lebensentscheidungen im letzten Jahrzehnt auf den Prüfstand gestellt. Als 1993 die ebenso publikumswirksame wie haltlose Behauptung verbreitet wurde, Erika Mann sei eine Agentin des FBI gewesen und habe nicht nur den Vater, sondern auch die amerikanische Emigrantenszene ausspioniert, und zwar aus «Eitelkeit und Opportunismus»,17 da ließ sich die seinerzeit heftig geführte Debatte um die Stasi-Tätigkeit intellektueller IMs auf selbstentlastende Weise in die Vergangenheit verlagern. Die Behauptungen entbehren jeder Grundlage, das publizistische Strohfeuer erlosch denn auch schnell.

Nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen waren Erika Mann und ihre Geschwister ‹Halbjuden›; dass sie alle – wie schon Katia Mann und ihre Mutter Hedwig Pringsheim – protestantisch getauft waren, war nach diesen Gesetzen ohne Belang. Dennoch hat sich Erika Mann nicht als rassisch verfolgte Gegnerin Hitlers verstanden. Eine Rückbesinnung auf ihre mütterlicherseits jüdische Herkunft hat sie sich durch Hitler nicht aufzwingen lassen. Eine andere Position als jene, die Klaus Mann in seinem 1937 erschienenen Essay Lob der gemischten Rasse18 vertrat, hat sie wohl auch nicht eingenommen. Darin karikiert Klaus Mann den nationalsozialistischen Rassenwahn und seine abwegigen identitären Gewissheiten.

Offenbar hat Erika Mann weder vor noch nach der Shoah Über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein19 nachgedacht. Dies hat vor einigen Jahren zu Irritation und zugleich zu der Behauptung geführt, Erika Mann habe ihre jüdische Herkunft verdrängt, ja verleugnet.20 Keinerlei Belege gab und gibt es für solche pathologisierenden Spekulationen, die denn auch eher vom identitätspolitischen Normdenken einer späteren Generation zeugen. Erika Mann retrospektiv eine Verdrängungsschuld anzulasten, ignoriert mehr als nur ihre persönliche Sicht auf sich selbst und ihre Herkunft.

Erika Mann hat – und dafür gibt es viele Zeugnisse – in der Verfolgung und Entrechtung der deutschen und europäischen Juden ein Herzstück der nationalsozialistischen Politik gesehen. Songs aus der Pfeffermühle, die Passagen über die Situation der jüdischen Kinder in Zehn Millionen Kinder, Kapitel aus Wenn die Lichter ausgehen, Erzählungen wie Siebzehn Postkarten aus Deutschland,21 ihre Mitarbeit in verschiedenen Hilfskomitees für jüdische Flüchtlinge, schon ihr erster Auftritt als politische Rednerin bei einer Großdemonstration des American Jewish Congress im März 1937, wo sie die verbrecherische Absurdität der ‹Nürnberger Gesetze› demaskiert;22 all diese und viele weitere publizistische und praktische Aktivitäten sprechen eine deutliche Sprache. Vor Tausenden von Zuhörern, in Vorträgen und Reden hat Erika Mann die sozialpsychologische und die...

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