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E-Book

Martin Walser

Eine Biographie

AutorJörg Magenau
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
ReiheRowohlt Monographie 
Seitenanzahl656 Seiten
ISBN9783644012813
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Ein deutsches Leben: alles über Martin Walser Die erste umfassende Biographie des großen Schriftstellers untersucht sein spannungsvolles Verhältnis zur deutschen Geschichte und zur Öffentlichkeit. Sie erzählt von Wandlungen, Werk und Wirken, zeigt ihn als Gläubigen und Skeptiker, als heimatverbundenen Familienvater und als ewigen Reisenden, als Machtkritiker und als Freund der Mächtigen, als Lesenden und als Lobenden. Mit dem Porträt des widersprüchlichen Intellektuellen entsteht zugleich eine Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Erweiterte, aktualisierte Ausgabe. «Magenau präsentiert Walser als sensiblen Seismographen, der auf sich wandelnde Verhältnisse schon reagierte, wenn andere noch nichts bemerkten. Ein höchst subjektives Walser-Porträt, das zum Widerspruch reizt und, was nicht das Schlechteste ist, zum Wiederlesen. Eine stimmige Biographie.» (taz) «Jörg Magenaus detailreiche Darstellung ist von wohltuender Objektivität.» (Die Welt) «Jörg Magenaus großartige Biographie ist ein Denkmal, für das Walser sich nicht schämen muss.» (Hannoversche Allgemeine Zeitung)

wurde 1961 in Ludwigsburg geboren. Er studierte an der FU Berlin Philosophie und Geschichte und arbeitete als Kulturredakteur und Literaturkritiker u.a. für die «FAZ», die «taz» und «Freitag». 1995 wurde er mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet. 2002 erschien seine viel beachtete Christa-Wolf-Biographie. Jörg Magenau lebt und arbeitet in Berlin, als Autor und Redakteur von «Das Magazin».

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Leseprobe

DER TEPPICH IM WOHNZIMMER.


Ein Vorwort.


Zum ersten Mal begegnete ich Martin Walser 1992. Damals war ich Redakteur der Wochenzeitung Freitag. Zusammen mit einem Kollegen reiste ich nach Kornwestheim, wo wir in einem Hotel verabredet waren. In einem Konferenzzimmer, das aussah wie ein evangelisches Gemeindezentrum, sprachen wir über das neue Deutschland und die grassierende Gewalt gegen Ausländer. Walser wehrte sich heftig dagegen, den alltäglichen Rassismus aus historischen Gründen gefährlich finden zu müssen oder darin etwas typisch Deutsches zu sehen. Unsere Fragen, die auf die Gegenwart der deutschen Geschichte und die besondere deutsche Verantwortung zielten, regten ihn sichtlich auf. Plötzlich griff er sich an die Brust, warf sich in seinen Stuhl zurück, erstarrte und verstummte. Uns schien: minutenlang. Wir fürchteten das Schlimmste und fragten so hilflos wie dümmlich, ob ihm nicht gut sei. Doch, doch, preßte er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus, es geht gleich wieder.

Die zweite, weniger dramatische Begegnung fand rund zehn Jahre später in Halle an der Saale statt, wieder in einem Hotel. Das ist der natürliche Treffpunkt mit einem, der ständig unterwegs ist. Ich hatte ihm geschrieben, daß ich eine Biographie über ihn verfassen möchte. Ihm erschien das zumindest nicht ganz und gar undenkbar. «Ich fände es auch sinnvoll zu überprüfen, ob meine Kurven nicht doch eine schwankende Gerade waren. Es müßte eine gelüftete Intimität sein», hatte er geantwortet. Nun begrüßte er mich wie einen guten, alten Freund mit herzlichem Händeschütteln und dem Satz: «Ich brauche erst mal ein großes Bier.»

Es war ein sonniger, warmer Spätsommernachmittag, Anfang September 2002. Auf einer geranienbestückten Veranda oberhalb der Saale fanden wir einen freien Tisch. Eine riesige Jacht fuhr vorbei und erregte seine Verwunderung: So ein großes Schiff auf so einem kleinen Fluß? Wo wollen die Leute denn hin? Am anderen Ufer blickten wir auf ein verfallenes Fabrikgelände mit hohem Schornstein. Ein paar Jugendliche lungerten um ein Auto herum, aus dem «Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront» in einer Punk-Version herüberdröhnte. Zu meinem Biographiebegehren sagte er nur: «Was Sie da vorhaben, habe ich auch schon dreimal gemacht. Nur habe ich es immer ‹Roman› genannt.» Weiter schien er sich nicht dafür zu interessieren – es war wohl meine Sache. Ich nahm das als eine Art Einwilligungserklärung und als Beweis souveräner Professionalität. Dieser Mann wußte, daß das Resultat biographischen Schreibens etwas Fiktives sein würde, die Konstruktion eines Lebens, mein Walser-Bild. Auf dieser Basis müßte sich doch arbeiten lassen.

Er begann dann auch gleich zu erzählen. Weil ich ihn nach seiner Freundschaft mit Uwe Johnson gefragt hatte, erklärte er mir, warum er über Uwe Johnson nicht sprechen könne, und sprach aus diesem Grund lange über Johnson. In den folgenden Stunden, in denen wir einige Biere tranken und er es sich nicht nehmen ließ, erst Salat, dann Steaks zu ordern, kam ich nur selten zu Wort. Während er sprach, streichelte er immer wieder über meinen Handrücken, faßte mir zärtlich ans Kinn, teilte freundschaftliche Tätschel-Watschen aus und fuchtelte mit seinen Händen unmittelbar vor meinem Gesicht herum. Es war ein buchstäbliches Betasten und Befühlen, eine aufwendige Näheproduktion, wie sie unabdingbar ist, wenn es um so Umfassendes gehen soll wie Leben und Werk und die Tätigkeit, die beides verbindet: das Schreiben. Um 20.15 Uhr verabschiedete er sich ins Hotelzimmer. Er mußte unbedingt das Kanzler-Kandidaten-Duell zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber verfolgen – vorausgesetzt, es gelänge ihm, das Fernsehgerät mit dieser blöden Plastikkarte in Gang zu setzen, die man in Hotels neuerdings dazu benötigt.

Eine Biographie ist eine Anmaßung. Sie geht von der Fiktion aus, man könne ein Leben in 17 Kapiteln übersichtlich ordnen und ihm eine Logik verpassen. Ein Menschenleben wird sortiert nach Maßstäben, die Weltanschauung, Geschichte oder auch bloß die gegenwärtige Zeitstimmung vorgeben. Würde man dasselbe Leben zehn Jahre früher oder später erzählen, käme etwas anderes dabei heraus. Auf pathetische Begriffe wie «Wahrheit» oder auch nur «Wirklichkeit» sollte man also von vornherein verzichten, wenn man dieses Puzzle aus unzähligen Einzelteilen zusammensetzt. Trotzdem ist eine Biographie eben kein Roman. Jedes Faktum muß stimmen, damit die Fiktion entsteht: So war es. Nichts läßt sich erfinden, alles muß gefunden werden. Seltsamerweise wachsen mit den gefundenen Teilen aber auch die Lücken. Der Porträtierte verbirgt sich im Material. Man muß in die richtige Distanz gehen, um das entstehende Bild zu erfassen. Eine Biographie will feststellen und festhalten, was doch immer im Fluß und in Bewegung ist, weil es lebt. Walser drückt das so aus: «Das Leben will nicht gerinnen in Momente, die man dann exemplarisch nennen könnte. Man muß es hineinzwingen in diese Momente. Das ist die Kühnheit der Sprache an sich. Sie hält etwas fest, was eigentlich weiter will.»1

Walser ist unentwegt damit beschäftigt, Leben in Sprache zu verwandeln. Was ihm zustößt, beantwortet er mit Literatur. Nur so, in dem er der Wirklichkeit eine andere, bessere Version entgegensetzt oder sie wenigstens in seinen Worten erzählt und formt, ist sie überhaupt auszuhalten. Seine Romane sind eine fortgesetzte Autobiographie als Chronik seines Empfindens. Das Werk ist also die wichtigste und die intimste Quelle dieser Biographie. Literaturwissenschaftlich betrachtet ist es streng verboten, von Romanen auf den sich darin ausdrückenden Lebensstoff zu schließen. Aber welche Auskünfte über die inneren Zustände eines Menschen könnte es geben, die genauer wären als die bewußtseinsseismographische Literatur Martin Walsers? Wann ist ein Schriftsteller mehr er selbst, als wenn er schreibt? Leben und Literatur hängen so unmittelbar zusammen, daß auch er selbst gelegentlich beides miteinander verwechselt. Als ich ihn einmal in Nußdorf besuchte, zeigte er voller Stolz auf einen Teppich im Wohnzimmer, einen Keshan mit dunkelblauem Grund, mit Ranken- und Blumenmuster, und sagte: «Das ist der Teppich, den Gottlieb Zürn für 8000 Mark in Stuttgart gekauft hat.» Doch wie kommt der Teppich der Romanfigur ins Wohnzimmer des Autors?

Sein Schreiben ist ein «Entblößungs-Verbergungs-Spiel»2. «Ich kann nur verbergen», sagt er. «Es muß raus, aber als Verborgenes. Verbergen heißt ja nicht verschweigen.»3 Exhibitionismus und Scham, Mitteilungsdrang und Verschwiegenheit sind in einem feinen Spiel der Kräfte ausbalanciert. Im Roman «Brandung» aus dem Jahr 1985 schrieb er über seinen Helden Helmut Halm, als der einen Konversationskurs in Kalifornien leitet: «Vor Konversation habe er Angst, das habe er gestanden, aber Konversation über Konversation ziehe ihn an. Er schlage vor, jeder sage jetzt, ob er immer das sage, was er denke, und wenn nicht, was sage er dann statt dessen, und hängt das, was man statt dessen sagt, mit dem, was man denkt, aber nicht sagt, zusammen, und wie? Will man also mit dem, was man sagt, auf das, was man denkt, hinweisen und es doch verheimlichen …»4 Im jüngsten Essayband über die «Verwaltung des Nichts» findet sich als erster Hauptsatz der «menschlichen Wärmelehre» und als Quintessenz von Walsers Denken der Grundsatz: «Man kann Menschen besser beurteilen nach dem, was sie verschweigen, als nach dem, was sie sagen.» Für einen doch eher auskunftsfreudigen Schriftsteller ist das ein merkwürdiges Bekenntnis. Es wäre falsch zitiert ohne die Ergänzung: «Dieser Satz macht es nötig zu behaupten, es sei leicht, in dem, was ein Mensch sagt, das festzustellen, was er verschweigt. Und wenn man sich angewöhnt hat, den Text eines Menschen Wort für Wort als Mitteilung eines verschwiegenen Textes zu verstehen, dann werden auch die fadesten oder banalsten Sätze dramatisch interessant.»5

Wer in Walser bloß einen dröhnenden Meinungsbekunder und Politprovokateur sieht, sollte bereit sein, sich durch solche Einsichten irritieren zu lassen. Eine Biographie ist nun eine Entbergung, die gerade das Verborgene im Werk zu lesen versucht. Sie erzählt etwas davon, was im Erzählen verschwiegen wird. Der Biograph ist damit der natürliche Feind des Autors. Er verdeutlicht, was doch verheimlicht werden sollte. Martin Walser weiß das und hat mich dennoch in dieser Arbeit freundlich unterstützt. So gespannt sein Verhältnis mit «den Medien» auch ist, so sehr bedarf er der Öffentlichkeit, in der er zu agieren und taktieren versteht wie kaum ein anderer Autor hierzulande. Es fällt ihm schwer, das Öffentliche und das Persönliche auseinanderzuhalten. Was er öffentlich vorträgt, sagt er nicht als Meinungsproduzent, sondern als einer, der erklären will, wie ihm zumute ist. Sein Empfinden ist der Maßstab, von dem aus er die Welt und sich selbst beurteilt. Das macht ihn angreifbar. Vielleicht zieht er deshalb so viele Emotionen auf sich, weil er selbst so emotional agiert. Im 4. Hauptsatz der «menschlichen Wärmelehre» schreibt er: «Jeder Mensch wird zum Dichter dadurch, daß er nicht sagen darf, was er sagen möchte.»6 Als Dichter sagt er es aber doch. Entblößung, wenn auch als Verborgenes. Der Ärger mit einer überwachenden und strafenden Öffentlichkeit ist damit vorprogrammiert.

Es geht mir weniger darum, Entsprechungen zwischen Literatur und Wirklichkeit aufzuspüren – das wäre ja banal –, als darum, literarische und politische...

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