Die vergessenen Orte:
Izola. Slowenien. Oder: Ein Abschied.
Wie so oft hatte es das Leben entschieden und nicht ich: Auf unserer allerersten Reise auf LEVJE waren wir die istrische Küste hinuntergesegelt. Zum ersten Mal auf einem Boot im Mittelmeer, das mir gehörte. Wir fühlten uns mutig, als wir zum ersten Mal draußen ankerten, vor den glamourösen Lichtern der Hotels, Casinos und Nachtclubs von Portoroz – und nicht im Hafen. Und ängstlich, als genau in jener ersten Nacht ein Gewitter über uns aufzog. „Was für eine blöde Idee, genau vor dem Hafen zu ankern, wär ich doch bloß …“ Mutig, als wir nach überstandenem Gewitter nur noch draußen ankerten. Mutig, als wir zum ersten Mal über den Quarner segelten, über den großen Meeeresarm, der die kroatischen Inseln vom nördlichen Festland trennt, nach Cres. Und dort auf LEVJE in einer einsamen Bucht ankernd zehn Tage und Nächte blieben. Ein kleiner Küstenstreifen, ein Paradies, das wir uns nur mit zwei Schlauchboot-Leuten teilten, im Schatten der Olivenbäume, an denen an langen Schnüren Muscheln hingen. Nichts fehlte. Das Leben: Es war unglaublich gut.
Auf dem Rückweg stellte sich die Frage: „Wo LEVJE über den Winter lassen? Wo bleiben?“ Italien war Land unserer Wahl, wegen Sprache und Küche und Wein. Aber je weiter wir im späten August nach Norden kamen, umso zugeknöpfter waren die Häfen um Monfalcone und Triest, umso unattraktiver erschien uns der „Porto Turistico“ von Lignano. Wohin? Am Ende sagte Izola ja. Und da waren wir dann.
In Izola gab es auf der Uferpromenade drei Restaurants. Die Spaghetti Frutti di Mare schmeckten, als wären sie in der Waschmaschine bei 90 Grad gewaschen. Antipasti? Gab es nicht. Und wenn, dann war’s zäh gekochter Tintenfisch mit etwas Käse drüber gerieben. „Hobotnica“, stand auf der Karte. Rund um uns nur Slowenen. Die paar Italiener, die sich über die Grenze verirrt hatten, rückten schnell wieder ab. „Wir bleiben erst mal für ein Jahr. Und dann gehen wir nach Italien“, sagte Katrin. Und beide jammerten wir Italien hinterher.
Hinzu kamen meine Bootsnachbarn. Man hatte uns in die lauteste Ecke des Hafens von Izola gesteckt, unter laute Slowenen, die lärmend lachten, Männlein und Weiblein, die betrunken auf dem Steg feierten und tanzten, wenn die Sonne weg war, und morgens, wenn die Tramonta ihre Kaltluft wie aus einer Trillerpfeiffe über den Hafen von Izola presste. Merkwürdig. Zu allem Unheil hatte man LEVJE neben die Lautesten im Hafen gelegt: Rejko und die wie ein Schlot unentwegt qualmende Vlasta. Sie lärmten fröhlich mit ihren Gästen neben LEVJE. Bis es mir eines Nachts zu bunt wurde. Ich den Motor startete und samt schlafender Katrin einfach ablegte und mich in der Dunkelheit in eine andere, ruhigere Ecke des Hafens verholte.
Die Sprache war uns fremd. Die Menschen. Das Essen. Nicht, was wir gewollt hatten.
Irgendwann stellte ich fest, dass Rejko und Vlasta Italienisch sprachen – wie die meisten Bewohner Istriens. Sie behandelten mich nach meinem nächtlichen Manöver respektvoll, nein, nicht deswegen. Sondern weil ich immer noch da war, nicht Ärger gemacht hatte im Marina-Büro wie alle anderen vor mir. Die Slowenen rund um Rejko und Vlasta nickten mir freundlich zu. Ich hatte meine Feuertaufe bestanden, war angekommen. Von da an reichte es, wenn Rejko und Vlasta samt Sippe mal wieder bis Zwei ihr fröhliches „Eii jeiii jeiii jeeeeiiiii jeeii jeeii“ in die Nacht gröhlten, wenn ich einfach nur an LEVJEs Deck erschien und „Per Favore“ sagte. Rejko verschluckte sich dann am Rotwein und Vlasta schwieg qualmend sofort still hinter schweren Brillengläsern. Slowenien begann, uns zu gefallen.
Und nicht bloß wegen Rejko und Vlasta. Izola war nett, vergessen von Zeit und Welt und Wirtschaft. Wie man das Wort „Einkaufszentrum“ schrieb, war unbekannt. Am Samstag war Bauernmarkt und wir merkten, dass wir die Oma, die ihre Ernte der letzten Woche, eine Kiste Tomaten, Spinat, Knoblauch dort anbot, mehr liebten als den fahrenden Händler neben dran mit einem Angebot, wie wir es aus Deutschland kannten. Wir gingen mit Vorliebe am Samstag ins „Suzie Cafe“, um zu frühstücken. Unser Essen durften wir mitbringen, denn außer zu Trinken gab es im „Suzie Cafe“ nichts. Dort saßen am Morgen Fischer, Rentner und Arbeiter über ihrem zweitem Glas Wein, aus dem Cafe erscholl fröhliche Humptata-Humptata-Musik und die Oma kam vom Markt, um lärmend ihren Prosecco zu leeren. Den wievielten weiß ich nicht. Nettes Land.
Wir kamen uns näher. Schritt für Schritt. „Wann fahren wir eigentlich wieder nach Izola?“, fragte Katrin, wenn es Frühjahr wurde. Slowenien begann uns zu interessieren: Vollmitglied der EU seit 2004. Weniger Einwohner als der Großraum München. Aber so groß wie Hessen. Mit einer Meeresküste von 46,6 Kilometer Länge. Und ganzen vier Hafenstädten. Unter Europäern ist Slowenien so gut wie unbekannt. Es wird bestenfalls mit der Slowakei verwechselt. Bis 2008 war Slowenien ein Musterknabe in der EU mit besten Wirtschaftszahlen. Vor Jahren ist das Land unter den EU-Rettungsschirm geschlüpft, die Angst geht um bei meinen Bootsnachbarn, allesamt gesetzte, ältere Slowenen. Wenn ich mit Vlasta darüber rede, wie es in Slowenien geht, dann ruft Rejko aus dem Inneren von ALICE LA MERAVIGLIOSA hoch: dass er es nicht hören mag.
Die Party, die wir jedes Wochenende auf unserem Steg erlebt hatten, findet nur noch selten statt. Mittlerweile ist es leise geworden, gefeiert wird nicht mehr so oft. Es ist alles bescheidener geworden auf dem „Pontile C“. Der Fabrikbesitzer aus Kranj im Norden Sloweniens, der vor ein paar Jahren im Vollrausch seinen nagelneuen A5 vor meinen Augen im Hafenbecken versenkte – der Audi schwamm tatsächlich ein paar Minuten an der Wasseroberfläche, der luftgefüllte Kofferraum hielt ihn oben, als der platzend aufging, sank er auf mehrere Meter Wassertiefe, mit eingeschaltetem Fernlicht, das den Grund leuchtend blau erleuchtete und nach fünf Minuten erlosch, zwei Koffer schaukelten noch friedlich an der Wasseroberfläche – aber das ist eine andere Geschichte vom Meer! – der Fabrikbesitzer hat seine GRAND SOLEIL vom Steg an die viel günstigere Boje im Hafen verlegt. Als ich ihn neulich traf, sagte er, er wisse jetzt wieder, was das Brot im Laden koste. Der Stuhlfabrikant hat Krach mit den Bootsnachbarn, weil er Leute entlassen musste. Rejko und Vlasta trinken kaum noch. Vlasta hat nach schwerer Krankheit das Rauchen aufgegeben. Von einem Tag auf den anderen. Und joggt jeden Morgen drei Kilometer. Wiegt nur noch die Hälfte. Sieht aus wie ein Model.
Und wie die Menschen, so hat sich auch das alte Izola in der Krise der letzten Jahre gewandelt. Vor 100 Jahren war es einfach ein bettelarmer Fischerort, einstiges Venedig, dahindämmernd wie seine einstige Beherrscherin. Nach dem zweiten Weltkrieg dem Staatenbund verschiedener Balkan-Ethnien namens Jugoslawien zugeschlagen. In der Planwirtschaft „Erholungsort“ mit zu erfüllenden Planzahlen. Und daraus wurde, was wir 2009, nur wenige Kilometer von Italien, antrafen: Keine gute Pasta. Kaum guter Wein. Postsozialistische Urlaubsatmosphäre mit muffigem Essen. Und muffligen Kellnern. Urlaubsort für die Hauptstädter aus dem eine Autostunde entfernten Lubljana.
Heute gibt es in Izola ein wunderbares Weinlokal und mindestens zwei Restaurants, deren Betreiber Berufsfischer sind, die darin kein Auskommen mehr fanden. Und die heute ihren eigenen, am Vortag gefangenen Fisch (und keine Aquakultur) auf den Tisch bringen. Ich bin sicher, dass die fast 50 Kilometer Küste in zehn Jahren ein sehr begehrtes Fleckchen sein werden. Es ist – von München und Wien aus gesehen – tatsächlich die kürzeste Distanz zum Mittelmeer, die man fahrtechnisch zurücklegen kann: 500 Kilometer.
Nun breche ich auf. Was ich von Slowenien mitnehme? Wie folgt:
Die erfolgreichsten slowenischen Exportartikel:
1. Slavko Avsenik und seine Original-Oberkrainer. Kennt man den noch? Aber ja, war doch in jedem Musikantenstadel. Und ist typisch für das Humptata, das einem an jeder Ecke Sloweniens um die Ohren fliegt. Musikalisch betrachtet IST Slowenien ein Musikantenstadel.
2. Giuseppe Tartini. Naja. Im 18. Jahrhundert in Piran geboren, das wie die ganze Küste von den Venezianern weniger „beherrscht“ als vielmehr wirtschaftlich „verwertet“ wurde.
3. Slowenischer Honig. Als Exportartikel noch unentdeckt. Aber auch für einen Nicht-Honigesser wie mich ein Genuss – und etwas ganz anderes als das, was unter goldgelbem Logo mit kleingedrucktem Vermerk „Honig kann auch aus nichteuropäischen Ländern und Südamerika stammen“ bei uns auf den Tisch kommt.
4. Fuzi. Schon gesprochen ist das Wort ein Genuss und pure Sinnlichkeit: „Fuuuuuusi“. Mit stimmhaftem „S“. Eine istrische Pasta-Spielart. Am liebsten mit Frutti di Mare.
Meine fünf Vorurteile über Slowenien:
1. Slowenien ist ein bisschen wie Auenland, Slowenen sind wie Hobbits. Am liebsten sitzen sie zusammen in größerer Gesellschaft, mit Humptata-Humptata, sind fröhlich, tanzen auf den Tischen und stoßen mit einem laut ansteigenden „Ooooooooooooobba“ an. Sie feiern gerne. Und wenn’s in der Ecke irgendeines Hafens an der kroatischen Küste...