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Der achtsame Lehrer

Achtsamkeit entwickeln - Haltung verändern - Beziehungen neu gestalten (1. bis 10. Klasse)

AutorBurkhard Günther
Verlagscolix
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl159 Seiten
ISBN9783403705062
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
zu entwickeln und Selbstwirksamkeit im Arbeitsalltag zu erleben. Sie erfahren die neurobiologischen Grundlagen für das Verhalten Ihrer Schüler, reflektieren Ihre eigene Rolle im Unterricht und in der Zusammenarbeit mit Eltern und Kollegen und lernen, sich vor unnötiger Frustration zu schützen.

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Leseprobe

3 Schüler verstehen


Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg, ein energiegeladener, achtsamer Lehrer zu werden, ist ein grundlegendes Verständnis für das Schülerverhalten. Verständnis erwächst aus dem Verstehen. Insofern ist die wohl wichtigste Voraussetzung für gelingende pädagogische Arbeit das Wissen, wie Schülerverhalten überhaupt entsteht. Wer weiß, wie unsere Gehirne funktionieren, entwickelt das nötige Verständnis für bestimmte Verhaltensweisen von Schülern. Zu den neurobiologischen Verhaltensvoraussetzungen finden Sie mehr im Kapitel 6.

3.1 Bezugspersonen haben Einfluss


Nach Bauer sind es Umwelteinflüsse, die kindliches Verhalten prägen. So ist das kindliche Gehirn sozialen Erfahrungen in Form von Erziehung und anderen Einflüssen ausgesetzt. Diese formen seine Struktur und sind verantwortlich für seine Funktionen. Wie ein Kind lebt und wie es sein Gehirn benutzt, all das beeinflusst sein Verhalten (Bauer2, S. 38 ff.). Die Bezugspersonen des Kindes spielen eine wesentliche Rolle bei seiner Entwicklung. Wirken sie zugewandt, positiv gestimmt und zukunftsoptimistisch auf das Kind ein, stärkt das sein Selbstwertgefühl und befeuert seine Grundstimmung positiv. Gute soziale Beziehungserfahrungen sind deshalb enorm wichtig für das Wohlbefinden und die Entwicklung von Kindern.

Eltern wie Lehrern stellt sich damit die Aufgabe, Kinder bei der Erkundung der Welt zu ermutigen und zu begleiten, sie bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu planvollem Vorgehen anzuleiten und ihnen deutlich zu machen, was richtig und falsch ist. Damit Kinder lernen, ihr Verhalten selbst zu kontrollieren und damit verbundene Frustrationen auszuhalten, ist es wichtig, dass Eltern wie Lehrer lernen müssen, Nein zu sagen. Diese Selbstkontrolle muss mit dem Kind in einem jahrelangen Dialogprozess gelebt und eingeübt werden (ebd., S. 53 ff.). Deshalb braucht Pädagogik einen langen Atem.

Neben den wichtigen Erfahrungen mit frustrierenden Situationen gilt es, Jugendliche nach einer angemessenen Zeit immer wieder Erfolgs- und Glückserlebnisse ernten und damit erfahren zu lassen, dass es sich tatsächlich lohnt, vorübergehende Anstrengungen und Unannehmlichkeiten für längerfristige Ziele zu akzeptieren.

Bauer sieht an unseren Schulen eine besorgniserregend mangelhafte Förderung der Selbstkontroll- und Selbststeuerungspotenziale der Kinder. So fehlt es in hohem Maße an persönlichem Gesehenwerden, an Zuwendung und Gelegenheiten zur produktiven Auseinandersetzung mit Bezugspersonen, um Selbstkontrolle und soziale Kompetenzen einzuüben und zu entwickeln (ebd., S. 57 ff.). Insofern kommt guter Betreuung von Kindern und Jugendlichen besondere Bedeutung zu, weil die Beziehungserfahrungen, die Kinder machen, direkten Einfluss auf die Ausformung ihrer Gehirne haben. Werden Kinder vernachlässigt oder machen sie Gewalterfahrungen, werden ihre emotionalen, psychischen wie neurobiologischen Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt, werden sie in der Schule stigmatisiert und ausgegrenzt, wird ihnen keine Hoffnung auf eine gute Zukunft gemacht, so hat das fatale Folgen für die Entwicklung ihrer Gehirne und damit für ihre Verhaltenssteuerung.

Auch Gerald Hüther sieht die psychosozialen Erfahrungen (Beziehungserfahrungen), die das menschliche Gehirn macht, als entscheidend für dessen Nutzung und Strukturierung an. Die Herausbildung komplexer Verschaltungen im kindlichen Gehirn kann nicht gelingen, wenn Kinder in einer Welt aufwachsen, in der die Aneignung von Wissen und Bildung keinen Wert besitzt, wenn sie nur konsumierend vor dem Fernseher oder Computer sitzen, wenn sie mit Reizen überflutet werden oder wenn man sie durch Verwöhnen hindert, eigene Erfahrungen bei der Bewältigung von Schwierigkeiten zu machen (Hüther/Hauser, S. 101).

Aus diesem Grund sollten Schüler mit Lehrern unbedingt positive Erfahrungen machen. Deshalb ist ein Lehrer, der im Konflikt Beherrschung und Haltung verliert, kein geeignetes, sondern ein kontraproduktives und obsoletes pädagogisches Modell, an dem der Schüler nichts lernen kann, sondern vielmehr leidet. Und von diesen Modellen haben viele Schüler leider schon genügend bei sich zu Hause oder in ihrem Freundeskreis. Genau deshalb rasten sie häufig aus, wenn es eng wird, wenn sie Angst bekommen, wenn sie abgewertet und nicht in ihrer noch unfertig ausgebildeten Persönlichkeit anerkannt werden. Sie rasten aus, weil ihr Gehirn in den Stressmodus umschaltet.

Der Lehrer aber ist Profi und Vorbild, er wird dafür bezahlt, sein Gehirn sollte unter Kontrolle bleiben. Er sollte eine sichere Bindungsbeziehung zu allen Mitgliedern seiner Lerngruppe aufbauen können, in der alle Schüler ihre Ressourcen angstfrei entwickeln können. Er sollte für die geeigneten pädagogischen Rahmenbedingungen das entsprechende methodisch-didaktische Handwerkszeug besitzen. Er sollte auch eine lernfördernde Lobkultur installieren können, damit die Schüler angespornt und motiviert werden und ihre gesamte Kraft dem Lernen widmen können. Andernfalls müssen sie diese auf den Nebenschauplätzen des Selbstschutzes vergeuden, um ihre Gehirne wieder in den Ruhemodus zu bringen.

Schon aus Interesse an der eigenen Gesundheit ist es für Lehrer wichtig, Beziehungsaspekte ihrer Arbeit stärker zu akzentuieren und die Beziehungen zu Schülern positiv zu gestalten.

Nur wenn Schüler Konsistenz in ihren Gehirnen spüren, können sie wirklich lernen. Deshalb braucht es Rahmenbedingungen, die so gestaltet sind, dass die persönlichen Bedürfnisse der Schüler darin einen angemessenen Platz finden. Die nötige tragfähige Beziehungsebene vermittelt sich über eine wertschätzende und respektvolle Kommunikation miteinander. Hierfür muss der Lehrer als Modell Pate stehen. Werden immer wieder Inkonsistenzsignale an die Gehirne der Schüler gesendet, kann so etwas wie eine Beziehungsebene nicht entstehen und folglich keine Lernebene. Gelingt dem Lehrer keine Beziehungsarbeit mit der Gruppe, werden auch die einzelnen Gruppenmitglieder untereinander wenig Beziehungsfähigkeit entwickeln können. Damit wird leider ein Nährboden für Mobbing geschaffen.

Im Gehirn von Kindern wirken sich nach Hüther gerade Beziehungsstörungen besonders nachhaltig aus. Weil die Verknüpfung der Nervenzellen im Frontalhirn erst noch ausgebildet und stabilisiert werden muss, entstehen Störungen, wenn dort Chaos herrscht. Chaos führt zu Lernschwierigkeiten, wichtige Kompetenzen wie Impulskontrolle, Frustrations- und Ambiguitätstoleranz, Empathie und Verantwortungsübernahme können nicht entwickelt werden (ebd., S. 54). Fehlende oder gestörte zwischenmenschliche Beziehungen, ein schlechtes Arbeitsklima und schlechte Führung durch Lehrer erhöhen die Tendenz, dass Schüler Stress empfinden. Deshalb ist es für Lehrer (schon aus Interesse an der eigenen Gesundheit) wichtig, Beziehungsaspekte ihrer Arbeit stärker zu akzentuieren und die Beziehungen zu Schülern positiv zu gestalten (Bauer2, S. 94).

Korte verweist darauf, dass Lernen mehr unbewusste als bewusste Komponenten hat. Entsprechend ist es wichtiger, die Lernatmosphäre und den Kontext des Lernens stimmig zu gestalten, als an die Schüler zu appellieren, fleißig zu lernen. Negative gefühlsmäßige Einstellungen der Schüler gegenüber dem Lehrer oder dem Lernstoff sowie mangelnde Möglichkeiten, an bestehendes Wissen anzuknüpfen, behindern die Abspeicherung und Verarbeitung von Fachwissen ebenfalls: etwa die Ablehnung eines Lehrers, Mobbing in der Klasse oder die Abneigung gegen ein bestimmtes Schulfach (Korte, S. 83 ff.).

Wenn wir jungen Menschen ermöglichen, Beziehungen zu erleben, die auf Respekt und Wohlwollen basieren, kommt dies nicht nur ihrem Wohl, ihrem Lernen und dem Wachstum ihrer Persönlichkeit zugute, sondern wir bereiten auch der Entstehung einer weniger gewaltsamen, einer gerechteren und wahrhaft demokratischen Gesellschaft den Weg (Rosenberg1, S. 17).

3.2 Schüler verarbeiten Realität produktiv


Auch Lerntheoretiker wie Albert Bandura betonen, dass der Sozialisationsprozess in Abhängigkeit von der Bedürfnisstruktur des individuellen Organismus verläuft. Weil der Sozialisationsprozess in einer bestimmten Sozialstruktur verläuft (Elternhaus, Peergruppe, Schule), verarbeitet der Schüler produktiv, was er erlebt, und kreiert daraus seine innere und äußere Realität. Er nimmt Dinge und Menschen individuell wahr, handelt und organisiert sich entsprechend. Realität ist also ein subjektives Konstrukt. Sie ist demzufolge weder gegeben noch für alle gleich. Verhalten ist das Ergebnis von Impulsen zur subjektiven Veränderung der jeweiligen Umwelt. Jeder versucht, seine Umwelt so zu verändern, dass sie den eigenen Bedürfnissen und Wünschen entspricht. Und jeder tut das mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, immer so gut er kann.

Der Schüler lernt an Modellen, die ihm zur Verfügung gestellt werden: an den Eltern, der Peergruppe und den Lehrern. Er beobachtet ihre Verhaltensweisen, bewertet sie und kann sie bei positiver Bewertung in sein vorhandenes Verhaltensrepertoire übernehmen. Je öfter der Schüler in einem bestimmten Verhalten bestärkt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er dieses Verhalten internalisiert. Je öfter er beispielsweise selbst gesteckte Ziele erreicht, desto mehr wird seine Selbstwirksamkeit gestärkt. Insofern spielen Bestärkung, Unterstützung und Lob eine wesentliche Rolle in der pädagogischen Arbeit, weil einerseits die Anstrengungsbereitschaft des Schülers dadurch zunimmt, andererseits Verhaltensveränderungen möglich werden. Beobachtet ein Schüler...

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