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E-Book

Auf Jesu Spuren

Eine Wanderung durch Israel und Palästina

AutorNils Straatmann
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783492965699
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
»Straatmann zieht einen hinein in den Alltag derer, die er unterwegs trifft.« Süddeutsche Zeitung Zwischen Jordan, Jericho und Jerusalem Der Theologiestudent Nils Straatmann reist mit einem alten Schulfreund in den Nahen Osten, um der Route des historischen Jesus zu folgen: vom vermeintlichen Geburtsort Bethlehem bis auf den Hermon an der syrisch-libanesischen Grenze. Voller Neugier erkundet der Autor, was von den Ideen des einstigen Erlösers im Heiligen Land geblieben ist, und räumt mit weitverbreitetem Halbwissen auf. Und als er bei Beduinen auf Harry Potter trifft, am Lagerfeuer im Golan die Gefechte jenseits der Grenze hört und beim Barbier im Westjordanland für einen Spion gehalten wird, ist klar, dass dies keine Reise auf den Spuren der Vergangenheit bleibt. Ein abenteuerlicher Roadtrip durch den Nahen Osten sowie zu den Wurzeln des Abendlandes - und »ein besonderes Lesevergnügen!« (Pierre Jarawan).

Nils Straatmann, 1989 bei Hamburg geboren, lebt in Leipzig und schreibt Artikel u.a. für die taz, Freemen's World und Süddeutsche Zeitung. Er ist Mitglied der Autorennationalmannschaft des DFB, tritt seit 2008 als »Bleu Broode« auf deutschen Slam-Bühnen auf und moderiert Podcasts wie »Mehr als ein Spiel« des DFB und Radiosendungen wie »Nils leichter als das«. Zuletzt erschienen von ihm bei Malik »Auf Jesu Spuren. Eine Wanderung durch Israel und Palästina« sowie gemeinsam mit Robby Clemens dessen Abenteuerbericht »Bis ans Ende der Welt und zu mir selbst«.

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Leseprobe

Die Skyline des Heilands


Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa,

aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land

zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem …

Lk 2,4

17. Mai 2016, Jerusalem


Das Licht scheint golden in die noch leeren Straßen und Kalksteingassen. Kein Tourist ist auf den Beinen. Nur gelegentlich ist das Quietschen einer Holzkarre zu hören oder das Klappern von Schritten, wenn die Händler das erste Gemüse des Tages zu ihren Ständen schaffen. Sören und ich trinken einen Kaffee an der Bab Hutta Street. Ein paar Spatzen picken nach Brotkrumen, ein Muezzin ruft in der Ferne zum Morgengebet. Der Kaffee schmeckt nach Kardamom.

Wir befinden uns abseits der üblichen Touristenrouten. Schulkinder passieren unser Café, sie tragen Kopftücher oder Baseballcaps, unterhalten sich laut auf Arabisch. Hier ist es bunter als im touristischen Bereich der Altstadt. Viele Fassaden sind weiß getüncht, darauf Graffiti in Rot, Grün und Schwarz, den Farben Palästinas. Die Straßen sind verwinkelt, überall Stufen. Strom- und Wasserleitungen ranken sich wie Efeu an den Häuserwänden empor.

In einer Ecke gegenüber unserem Café gammelt ein Haufen Müll. Ein Reinigungsmann kommt die Straße entlang, wirft ein paar Säcke dazu und verschwindet dann wieder. Über dem Haufen hängt ein Schild: »It is forbidden to throw garbage and litter here.«

Im jüdischen Viertel sind die Straßen bereits voller. An verschiedenen Orten sind stationäre Sicherheitskontrollen eingerichtet, manchmal streifen uns Männer mit Pistolen. An der Klagemauer beten die Gläubigen in wippenden Bewegungen. Manche schieben zusammengefaltete Papierzettel in die Ritzen zwischen den Steinen, mit Wünschen und Gebeten an ihren Gott darauf. Die Klagemauer bildet den Rest des Jerusalemer Tempels, der zum Ende des von 66 bis 70 n. Chr. dauernden jüdisch-römischen Krieges von den Römern niedergebrannt wurde. An seine Stelle bauten sie einige Jahrzehnte später einen Jupiter-Tempel. Die Absicht war, mit dem Tempel nicht nur ein Gebäude, sondern einen ganzen Gott und damit die Identität der Juden auszulöschen.

Als wir den Platz vor der Klagemauer verlassen, spüre ich plötzlich, wie jemand nach meinem Handgelenk greift. »Dies ist ein Segen«, flüstert ein orthodoxer Jude auf Englisch und windet mir in flinken Bewegungen einen roten Bindfaden um den Arm. Während ich ihn perplex anschaue, hält er mir die offenen Hände hin. »Gib mir eine Spende! Für den Segen!«

»Wie bitte?«, schimpfe ich. »Ich hab doch um gar keinen Segen gebeten! Wie kannst du dafür Geld verlangen?«

Die Situation erinnert mich an die Praxis der Mormonen, die im 20. Jahrhundert unzählige stellvertretende Massentaufen für Todesopfer des Holocaust durchführten, um sie nachträglich dem »wahren Glauben« zuzuführen. Anne Frank soll postum bis zu neun Mal getauft worden sein. Wie fies ist das denn?

Mein Gegenüber hält mir noch immer die Hände entgegen. Als ich nicht darauf eingehe, grummelt er mürrisch: »Gott segne dich!« Und eilt davon.

Mit einem Ruck reiße ich mir den Bindfaden vom Handgelenk. Nicht, dass ein Fluch daraus wird. So abergläubisch bin ich dann doch.

17. Mai 2016, zwischen Jerusalem und Bethlehem, Palästina


Ursprünglich hatte ich versprochen, in Jerusalem keine öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Zu gefährlich, hieß es, könnten explodieren. Ein Bekannter hatte geraten, sich im Zweifelsfall immer nach hinten zu setzen, da Selbstmordattentäter sich für gewöhnlich vorne, in der Nähe des Eingangs, in die Luft sprengten. Und so hocke ich, eingezwängt zwischen drei palästinensischen Kindern und zwei Müttern, direkt über der Hinterachse eines schwankenden Busses, der uns Richtung Bethlehem bringt. Während die Hügel Palästinas am Fenster vorbeiwackeln, bohrt sich der Zehennagel eines der Kinder unangenehm in meinen Oberschenkel. Vor mir hat Sören das Fenster aufgeschoben und filmt die Umgebung.

»Hast du deinen Reisepass griffbereit?«, rufe ich ihm zu, um gegen den Fahrtwind anzukommen.

»Alter, die Atmo!« Sören strahlt mich an.

»Was für ’ne Atmo?«

»Na, für die Aufnahme! Der Fahrtwind, das Motorengeräusch, voll geil! So journeymäßig!« Er ist voll in seinem Element.

»Hast du deinen Reisepass einstecken?«

»Wofür?«

»Für die Kontrolle! Vor Bethlehem müsste ein Checkpoint kommen! Checkpoint 300!«

»Geiler Name!«

»Hast du den Reisepass dabei?«

»Sag das noch mal in die Kamera!« Sören dreht das Objektiv in meine Richtung.

»Hast du deinen Reisepass einstecken?«

»Ja!«

Im Grunde genommen ist es inkonsequent von uns, nach Bethlehem zu reisen. Unsere Route soll den Spuren des historischen Jesus folgen. Den Spuren jenes Mannes, der nachweislich gelebt hat und später als göttlicher Heilsbringer verehrt wurde. Ein halbes Jahr lang habe ich Landkarten gewälzt, Sekundärliteratur gelesen und mich mit Professoren ausgetauscht, um eine grobe Idee von der Tour zu entwickeln. Ich wollte nicht herausfinden, welchen Weg Jesus gegangen ist. Das wäre unmöglich. Mir war wichtig, bei jedem Ort unserer Reise einschätzen zu können, ob es historisch wahrscheinlich, möglich oder legendarisch ist, dass Jesus ihn betreten hat. Bei Bethlehem ist der heutige wissenschaftliche Kenntnisstand sehr klar: Jesus ist höchstwahrscheinlich nie dort gewesen.

Natürlich kennt jeder, der schon einmal zu Weihnachten in der Kirche war, die Geburtsgeschichte: Augustus, der Kaiser in Rom, ordnet eine Volkszählung an, um seine Steuereinnahmen zu berechnen, und Josef, ein Zimmermann aus Galiläa, muss mit seiner schwangeren Frau Maria in seine Geburtsstadt Bethlehem reisen, um sich dort schätzen zu lassen. Als die beiden ankommen, ist die Stadt völlig überlaufen. Nur im Stall einer Herberge finden sie noch Platz. Dort platzt prompt die Fruchtblase Marias, und ihr Neugeborenes wird in eine Futterkrippe gebettet. Aufgrund seines intensiven Erstkontakts mit Heu und Stroh wird sich der neue Erdenbürger zwar niemals mit Heuschnupfen herumplagen – dennoch wird er eines frühen Todes sterben.

Die Geschichte ist gut erzählt, aber leider weist sie einige Ungereimtheiten auf. Warum musste jeder Bürger des Römischen Reiches in seinen Geburtsort reisen, um sich dort schätzen zu lassen? Nazareth, der Wohnort Josefs, lag im Norden des Landes, Bethlehem etwa sieben Tagesreisen weiter südlich. Eine solche Reise anzuordnen wäre wirtschaftlicher Wahnsinn gewesen. Wer sollte den Arbeitsausfall auffangen? Was, wenn die Felder bestellt werden mussten? Wenn Einzelne gar nicht reisefähig waren?

Zwar gibt es römische Quellen, die eine Steuerschätzung in Judäa belegen, allerdings erst ab dem Jahr 6 n. Chr, als Quirinius Statthalter war. Es ist möglich, dass Lukas, der Schreiber der Geburtsgeschichte, von der Schätzung des Quirinius wusste und sie in die Zeit der Geburt Jesu rückprojizierte. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es schon früher eine römische Schätzung gab, da Galiläa und Judäa bis dahin gar kein Teil des Römischen Reiches gewesen waren. Dies führt direkt zum nächsten Problem der Geschichte, denn die darin erwähnten Herrscher Augustus und Herodes der Große sowie Quirinius sind zwar unzweifelhaft historische Personen – jedoch waren sie zu ganz unterschiedlichen Zeiten aktiv: Quirinius zum Beispiel kam erst 6 n. Chr. in sein Amt, Herodes starb jedoch schon 4 v. Chr.

Offensichtlich kann man sich also nicht auf die neutestamentliche Geburtsgeschichte verlassen. Warum aber sollte sie erfunden worden sein?

Laut jüdischer Tradition sollte der kommende Messias ein Nachfahre Davids sein. Jenes Hirtenjungen, der Goliath mit einer Steinschleuder besiegt hatte und später der größte König der Juden geworden war. Dieser David war in Bethlehem geboren, und so sollte es laut den Propheten auch mit dem Messias sein. Es ist durchaus vorstellbar, dass es im Urchristentum jüdische Gruppen gab, die die Davidssohnschaft Jesu beweisen wollten. Und deshalb liegt die Vermutung nahe, dass die gesamte Geburtsgeschichte eine Legende ist, die geschaffen wurde, um Jesu Heiligkeit jüdisch zu belegen.

Na und? Sören und ich wollen trotzdem nach Bethlehem. Zum einen, weil ich der alljährlichen Weihnachtsgeschichte mindestens einen Ninja Turtle Party Van, einen Game Boy Color und eine mehrteilige Werder-Bremen-Bettwäsche zu verdanken habe; zum anderen, weil eine fast 2000-jährige christliche Tradition auf unserer Reise nicht zu ignorieren ist.

Etwa 15 Minuten später wird der Bus langsamer. Wir erreichen eine Wand, die das Ende unserer Fahrt markiert. Die Türen öffnen sich, und während die anderen Fahrgäste bereits aussteigen, ihr Gepäck einsammeln und geschäftig auf ein beiges Militärgebäude zustreben, blicken Sören und ich uns erschrocken um.

Ich muss schlucken. Denn dort, wo einst der Heiland im Bauch seiner Mutter über die Olivenhügel in die Stadt gezogen sein soll, erhebt sich heute eine riesige graue Mauer. Ein acht Meter hohes Betonungetüm, mit NATO-Draht bewehrt und alle 50 Meter von einem Wachturm unterbrochen. Links von uns liegt der Checkpoint 300. Metallzäune, Drehkreuze, Sicherheitskontrollen, Kameras. Maria und Josef müssten sich, wenn sie heute nach Bethlehem reisten, erst mal den bewaffneten Behörden aussetzen.

Nach einem kurzen Securitycheck gelangen wir über einen vollständig vergitterten Gang auf einen Innenhof. Der Platz ist asphaltiert, an allen vier Seiten stehen Wachtürme,...

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