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E-Book

Deutsche Geschichte

AutorAndreas Fahrmeir
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2017
ReiheBeck'sche Reihe 2875
Seitenanzahl126 Seiten
ISBN9783406715143
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eine deutsche Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart auf knappstem Raum – das bietet dieser Band. Andreas Fahrmeir behandelt darin u. a. die sich wandelnde geographische Gestalt deutscher Staaten, den allmählichen Aufstieg Mitteleuropas von der Peripher der mediterranen Welt zum machtpolitischen Zentrum des Kontinents im 20. Jahrhundert, die zahlreichen Wendepunkte der deutschen Politik und die Entwicklung vom Reich über die Monarchie zu Republik, Diktaturen und Demokratie. Das ebenso informative wie lesbare Buch endet mit einem Kapitel zu den Besonderheiten der deutschen Geschichte.

Andreas Fahrmeir ist Professor für Neuere Geschichte an der Goethe Universität Frankfurt/Main.

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Leseprobe

2. Reformation und Glaubenskriege


Im 16. Jahrhundert endete die konfessionelle Homogenität des Reichs.

Im Verlauf des 15. Jahrhunderts wuchs die Kritik am Zustand der römischen Kirche und den Verhaltensweisen zahlreicher Geistlicher. Der große Wohlstand und das üppige Leben vieler geistlicher Würdenträger, Mätressen und Kinder der eigentlich zu Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit verpflichteten Kleriker sowie die Dominanz der weltlichen politischen Interessen der Päpste und geistlichen Fürsten gegenüber ihren seelsorgerischen Aufgaben bildeten dazu zahlreiche Ansatzpunkte. Die Auseinandersetzung zwischen Papst und Konzil hatte Unsicherheiten bei der Interpretation der heiligen Texte und die Wandelbarkeit kirchlicher Traditionen sichtbar werden lassen und die Frage aufgeworfen, ob überhaupt eine Institution innerhalb der lateinischen Christenheit die letzte Deutungshoheit in theologischen Fragen beanspruchen konnte. Besonders kontrovers war die starke Kommerzialisierung des Ablasswesens. Ein Ablass stellt die Möglichkeit dar, für bestimmte Handlungen, vorwiegend aber gegen Geldspenden, Zertifikate zu erwerben, welche beanspruchten, für Sünden fällige Bußstrafen zu erlassen – und dadurch beispielsweise die Dauer des Aufenthalts im Fegefeuer zu verkürzen oder die zwischen der letzten Beichte und dem Tod begangenen Sünden im Voraus zu erlassen. Ablässe für lebende oder bereits verstorbene Personen wurden im Rahmen sorgfältig inszenierter, umfangreicher Kampagnen vertrieben, die der Finanzierung des Baus des Petersdoms in Rom sowie dem Unterhalt der Bischöfe dienten. Obgleich auch die Landesfürsten an den Erlösen beteiligt wurden, wurden so doch immer größere Summen aus Deutschland nach Italien abgezogen.

Keiner dieser Punkte war prinzipiell neu, wenn auch die Renaissance-Päpste in manchem besonders anstößig agierten und der Bau des Petersdoms besonders große Summen verschlang. Neu war aber, dass sich Mitte des 15. Jahrhunderts die Medienwelt durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern verändert hatte, die dem Mainzer Drucker Johannes Gutenberg (1394/1399–1468) gelang. Auch längere Texte konnten nun rascher in höheren Auflagen verbreitet werden, als das durch manuelle Abschrift oder den Druck von Holzschnitten möglich gewesen war. Das Bildungsprogramm des auf Italien zentrierten, aber in weite Teile Europas ausstrahlenden Humanismus stellte eine weitere Veränderung dar. Sein Rückbezug auf die antike Tradition führte dazu, dass viele der in der karolingischen Renaissance erstellten Abschriften nun neu entdeckt und im Druck herausgegeben wurden, um so die Urfassungen von Texten zu verbreiten, die in den dazwischenliegenden Jahrhunderten vergessen oder durch zahlreiche Abschriften korrumpiert worden waren. Die dabei eingeübten Praktiken der Textkritik sowie das Studium des Griechischen und Hebräischen wurden auch auf die Ermittlung eines originalen Bibeltextes in der ursprünglichen Sprache angewandt, wodurch die lateinische Bibel zu einer Übersetzung unter anderen wurde. Diese Erkenntnis verlieh wiederum der Diskussion darüber Auftrieb, ob die individuelle Lektüre der Bibel in der jeweiligen Volkssprache und die individuelle Gestaltung des Lebens nach ihren Vorgaben nicht der sicherste Weg zur Erlösung seien. Ein solch individueller Zugang zur Offenbarung wurde aber, obgleich zahlreiche Übersetzungen existierten, von der Kirche untersagt, um häretische Interpretationen auszuschließen – etwa Zweifel an der tatsächlichen Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Gottes durch die Wandlung.

Der Blick auf den biblischen Text stellte auch die Annahme in Frage, ob gute Werke, der Erwerb von Ablässen oder die Berührung von Reliquien die Aufnahme in den Himmel garantieren konnten. Denn wenn Gott allwissend war, stand das Schicksal aller Menschen von vornherein fest – es war also prädestiniert. Die Entscheidung über Erlösung oder Verdammnis konnte sich also nicht aus Taten, die auf Erden aus freien Stücken begangen wurden, ergeben, sondern musste anders begründet werden: allein aus der Gnade, dem Wort Gottes, dem Opfer Christi oder dem Glauben.

Die Forderung nach eigenständiger Bibellektüre in den Volkssprachen, Begründungen einer Prädestinationslehre und Zweifel an der Transsubstantiation waren bereits im ausgehenden 14. Jahrhundert von John Wyclif (verstorben 1381) in England und im frühen 15. Jahrhundert von Jan Hus (1370/1–1415) in Böhmen vertreten, allerdings von der geistlichen und weltlichen Macht unterdrückt worden. In den Reformationen des 16. Jahrhunderts vertraten hochgebildete Kleriker diese Positionen auf der Basis einer intimen Kenntnis der verschiedenen sprachlichen Fassungen der Heiligen Schrift erneut. Wichtige Akteure dieser Reformation der Theologie und der kirchlichen Praxis waren Martin Luther (1483–1546) in Wittenberg seit 1517, Huldrych/Ulrich Zwingli (1484–1531) in Glarus und Zürich seit 1518 sowie Jean Calvin (1509–1564) seit 1536 in Genf und der Reichsstadt Straßburg.

Dass das Reich dabei eine Schlüsselrolle spielte, lag einerseits an der wachsenden Kritik an der italienischen Kirche von Seiten der deutschen Reichsstände, die sich Ende des 15. Jahrhunderts in den «Gravamina der Deutschen Nation» kristallisiert hatte. Andererseits schufen die komplexen Machtverhältnisse des Reichs ebenso wie die Autonomie der Schweiz Freiräume, in denen sich Reformatoren bewegen konnten. Die fortgeschrittene Verrechtlichung der Verhältnisse und die Existenz der Reichstage schufen öffentliche Foren für theologische Debatten mit politischen Implikationen. Dazu kam, dass der Zugriff der Habsburger auf die Kaiserwürde zu dieser Zeit umstritten war. In der Königswahl von 1519 konkurrierte der Habsburger Karl I. von Spanien (1500–1558) gegen Franz I. von Frankreich (1494–1547). Das brachte für die Kurfürsten besonders große Handlungsoptionen mit sich, nicht zuletzt, weil sie für ihre Stimmen für den Habsburger (der im Reich als Karl V. regierte) erhebliche Summen erhielten.

Als Martin Luther 1517 seine in 95 Thesen kondensierte Kritik an Ablasswesen und Rechtfertigungslehre bekannt machte, setzte der Kurfürst von Sachsen durch, dass das Häresieverfahren gegen den im Prinzip der päpstlichen Justiz unterstehenden Mönch zunächst mit einem Verhör am Rande eines Reichstags in Augsburg 1518 begann, wo Luther kaiserlicher Schutz zugesagt wurde. Trotz der Exkommunikation 1520 gewährte der Kaiser für den Disput auf dem Reichstag in Worms wiederum freies Geleit, was Luther nach seiner Verurteilung den Rückzug auf die Wartburg ermöglichte, wo er seine deutsche Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen anfertigte.

Luthers Kritik stieß auf große Resonanz. Wo ihre Implikationen endeten, war zunächst unklar, denn sie betraf etwa die Legitimität klösterlichen Lebens oder die Zulässigkeit von Heiligenbildern in Kirchen, die Sprache der Predigt und Messe oder die Form des Gottesdienstes. Die Identifikation des Zölibats als Tradition des 11. Jahrhunderts erlaubte die Eheschließung von Priestern, wie Luther, Zwingli und Calvin sie praktizierten, aber auch ganz andere Familienstrukturen ließen sich biblisch begründen. So heiratete der früh zum Protestantismus übergetretene Landgraf Philipp von Hessen (1504–1564) mit Luthers Zustimmung gleichzeitig zwei Frauen. Anhänger einer besonders radikalen Reformation wie die Täufer, die zwischen 1533 und 1535 Münster kontrollierten, favorisierten die Polygamie ebenfalls. Reformatorische Argumente konnten als Begründung einer egalitären Gesellschaft ohne Herren und Knechte herangezogen werden, wie das im «Bauernkrieg» im deutschen Südwesten, Thüringen, Sachsen und Tirol zwischen 1524 und 1526 der Fall war, in dem der Theologe Thomas Müntzer (1490?–1525) die Partei der Bauern ergriff. Die dominanten Strömungen des lutherischen und reformierten Protestantismus votierten dagegen für eine Stärkung der weltlichen Obrigkeit in ihrer hergebrachten Form, der sie die Aufsicht über die Kirche und die Herrschaft über ihren Besitz zuerkannten.

Die neue Theologie und die reformierte religiöse Praxis verbreiteten sich in weiten Teilen Deutschlands rasch; 1530 schien es sogar möglich, auf einem Reichstag in Augsburg ein protestantisches Glaubensbekenntnis für das Reich beschließen zu lassen, was allerdings am Widerstand des Kaisers und der geistlichen Reichsstände scheiterte.

Fortan war das Reich konfessionell gespalten. In protestantischen Gebieten wurden Klöster aufgelöst, deutschsprachige Gottesdienste eingeführt, Gemeinden an der Wahl von Priestern beteiligt, Kirchen mehr oder weniger grundlegend von Elementen des katholischen «Aberglaubens» wie Reliquien oder Heiligenbildern befreit. Dazu...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Zum Buch2
Über den Autor2
Impressum4
Inhalt5
1. Entstehung des Alten Reichs7
2. Reformation und Glaubenskriege24
3. Das Reich der Westfälischen Ordnung34
4. Revolutionszeit und Deutscher Bund44
5. Das Zweite Kaiserreich59
6. Die Weimarer Republik75
7. «Drittes Reich» und Holocaust90
8. Bundesrepublik und DDR102
9. Bundesrepublik112
10. Deutsche Geschichte117
Literaturhinweise121
Personenregister122
Karten124

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