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E-Book

Als ich vom Himmel fiel

Wie mir der Dschungel mein Leben zurückgab

AutorJuliane Koepcke
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl294 Seiten
ISBN9783492952828
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
»Für mich war der Dschungel nie eine grüne Hölle, sondern ein Ort, der mich am Leben hielt.« Die Geschichte der Juliane Koepcke, die als 17-Jährige nach einem Flugzeugabsturz elf Tage lang allein im Dschungel überlebte   In »Als ich vom Himmel fiel« schildert Juliane Koepcke ihren beeindruckenden Überlebenskampf im peruanischen Regenwald und erzählt, wieso sie der »Grünen Hölle« ihr Leben verdankt.   Was Juliane Koepcke passierte, als sie gerade einmal 17 Jahre alt war, grenzt an ein Wunder: Bei einem Flugzeugabsturz über dem peruanischen Regenwald fiel sie 3000 Meter in die Tiefe. Das dichte Blätterdach des Dschungels federte den Sturz ab. Sie war die einzige Überlebende des Crashs - das Flugzeug riss 91 Menschen in den Tod, unter ihnen auch Juliane Koepckes Mutter.  Doch damit begann ein Überlebenskampf, der elf Tage dauern sollte - fernab jeglicher Zivilisation und ohne Versorgung, ganz allein mitten im tropischen Dschungel. Am Ende, sagt Koepcke, war es trotz allem der Regenwald, der ihr das Leben rettete.  Viel ist über die beeindruckende junge Frau seit dem Flugzeugabsturz im Jahr 1971 bisher berichtet worden. In ihrem Buch erzählt Juliane Koepcke Jahrzehnte später selbst die unfassbare Geschichte ihres Unfalls, wie die Autorin den Absturz nennt, und ihres Kampfs zurück ins Leben. Denn erst nach ihrer Rückkehr konnte sie anfangen, den Verlust ihrer Mutter zu verarbeiten.   Medienstar wider Willen: Jetzt erzählt Juliane Koepcke ihre Lebensgeschichte selbst   In den ersten Jahren rissen sich die Medien um die junge Frau, die als einzige den furchtbaren Absturz überlebte und sich elf Tage lang allein in der Wildnis durchschlug. Gemeinsam mit Koepcke verfilmte der prämierte Regisseur Werner Herzog die Geschichte unter dem Titel »Julianes Sturz in den Dschungel« (1998).   Flammendes Plädoyer für die Bewahrung des Regenwaldes   Man könnte meinen, nach ihrem Überlebenskampf hätte Juliane Koepcke dem unwirtlichen Dschungel für immer den Rücken gekehrt. Doch ganz im Gegenteil: Die Tochter zweier Biologen studierte selbst Biologie und wurde später stellvertretende Direktorin der Zoologischen Staatssammlung München und engagierte Umweltschützerin. »Als ich vom Himmel fiel« ist eine berührende Liebeserklärung an die Lebenskraft der Urwälder. 

Juliane Koepcke, verheiratete Diller, 1954 geboren, wuchs in Lima und im Urwald auf, wo ihre Eltern die Forschungsstation Panguana gründeten. Sie arbeitet als promovierte Biologin an der Zoologischen Staatssammlung München und kehrt jedes Jahr nach Peru zurück. Heute leitet sie Panguana. Ihre Geschichte wurde von Werner Herzog unter dem Titel »Schwingen der Hoffnung« verfilmt.

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Leseprobe
Mein neu geschenktes Leben Viele Menschen wundern sich, wie ich es schaffe, noch immer in Flugzeuge zu steigen. Denn ich gehöre zu den wenigen, die einen Flugzeugabsturz aus großer Höhe überlebt haben. Eine Katastrophe, die sich 3000 Meter über dem peruanischen Regenwald ereignete. Doch damit nicht genug: Danach schlug ich mich elf Tage lang auf mich allein gestellt durch den Dschungel. Damals, als ich vom Himmel fiel, war ich gerade mal 17 Jahre alt. Heute bin ich 56. Ein gutes Alter, um sich zu erinnern. Ein guter Zeitpunkt, um sich alten, nie verheilten Wunden zu stellen und die Erinnerungen, die nach all den Jahren genauso frisch und lebendig sind, mit anderen Menschen zu teilen. Der Absturz, den ich als Einzige überlebte, hat mein weiteres Leben geprägt, ihm eine neue Richtung gewiesen und mich dahin geführt, wo ich heute bin. Damals waren die Zeitungen in aller Welt voll mit meiner Geschichte. Darunter waren aber auch viele Halbwahrheiten und Berichte, die mit den tatsächlichen Begebenheiten wenig zu tun hatten. Sie sorgten dafür, dass mich auch heute noch ständig Menschen auf den Absturz ansprechen. Jeder scheint meine Geschichte zu kennen, und doch hat kaum jemand eine echte Vorstellung davon, was damals wirklich geschah. Natürlich ist es nicht so einfach zu verstehen, dass ich nach elf Tagen Überlebenskampf in der »Grünen Hölle des Dschungels« den Regenwald immer noch liebe. Die Wahrheit ist: Für mich war er niemals eine »Grüne Hölle«. Damals, als ich aus so großer Höhe auf die Erde stürzte, rettete mir der Wald das Leben. Ohne die abmildernde Wirkung der Blätter von Bäumen und Büschen hätte ich den Aufprall auf den Boden niemals überleben können. Während meiner Ohnmacht hat er mich vor der tropischen Sonne beschirmt. Und später half er mir, aus der unberührten Wildnis meinen Weg zurück in die Zivilisation zu finden. Wäre ich ein reines Stadtkind gewesen, die Rückkehr ins Leben wäre mir nicht gelungen. Mein Glück war es, dass ich bereits einige Jahre meines jungen Lebens im Urwald verbracht hatte. Meine Eltern hatten 1968 ihren Traum in die Tat umgesetzt und mitten im peruanischen Regenwald eine biologische Forschungsstation gegründet. Damals war ich 14 Jahre alt und nicht sonderlich begeistert davon, meine Freundinnen in Lima zurückzulassen und mit Eltern, Sack und Pack und Hund und Wellensittich in die »Einöde« zu ziehen. Jedenfalls stellte ich es mir damals so vor, obwohl mich meine Eltern schon von Kindesbeinen an auf ihre Expeditionen mitgenommen hatten. Der Umzug in den Urwald war ein echtes Abenteuer. Dort angekommen, verliebte ich mich sofort in dieses Leben, so einfach und bescheiden es auch sein mochte. Fast zwei Jahre lang lebte ich in Panguana, wie meine Eltern die Forschungsstation nach einem einheimischen Vogel getauft hatten. Ich wurde von ihnen unterrichtet und ging ansonsten in die Schule des Urwalds. Dort lernte ich seine Regeln, seine Gesetze und Bewohner kennen. Ich machte mich mit der Pflanzenwelt vertraut, erschloss mir die Welt der Tiere. Nicht umsonst war ich die Tochter zweier bekannter Zoologen: Meine Mutter, Maria Koepcke, war die führende Ornithologin Perus. Und mein Vater, Hans-Wilhelm Koepcke, ist der Verfasser eines wichtigen Gesamtwerks über die Lebensformen der Tier- und Pflanzenwelt. In Panguana wurde der Urwald zu meinem Zuhause, und dort lernte ich, welche Gefahren in ihm drohen und welche nicht. Ich war vertraut mit den Verhaltensregeln, mit denen ein Mensch in dieser extremen Umgebung überleben kann. Bereits als kleines Kind wurden meine Sinne geschärft für die unglaublichen Wunder, die dieser Lebensraum in sich birgt, der im Hinblick auf die biologische Vielfalt, die Biodiversität, weltweit eine Spitzenposition einnimmt. Ja, schon damals lernte ich, den Urwald zu lieben.   Jene elf Tage fernab von Siedlungen mitten im Tropischen Regenwald, elf Tage, während deren ich keine menschliche Stimme hörte und nicht wusste, wo ich mich befand, jene ganz besonderen Tage haben meine Verbundenheit noch vertieft. Damals bildete sich ein Band zwischen mir und dem Urwald, das mein späteres Leben entscheidend beeinflusst hat und es auch heute noch tut. Früh lernte ich, dass man nur vor Dingen Angst hat, die man nicht kennt. Der Mensch hat die Tendenz, alles zu vernichten, wovor er sich fürchtet, selbst wenn er dessen Wert noch gar nicht ermessen kann. Während meines einsamen Wegs zurück in die Zivilisation habe ich mich oft gefürchtet, aber niemals vor dem Urwald. Er konnte nichts dafür, dass ich in ihm gelandet war. Die Natur ist immer gleich, ob wir da sind oder nicht, es kümmert sie nicht. Wir aber - auch das habe ich während jener elf Tage am eigenen Leib erfahren - können ohne sie nicht überleben. Das alles ist für mich Grund genug, die Erhaltung dieses einzigartigen Ökosystems zu meiner zentralen Lebensaufgabe zu machen. Meine Eltern hinterließen mir mit Panguana ein Erbe, das ich aus ganzem Herzen angenommen habe. Und heute führe ich dort ihr Werk in eine entscheidende Phase: Panguana, größer denn je, soll zum Naturschutzgebiet erklärt werden. Damit erfüllt sich nicht nur der Lebenstraum meines Vaters, für den er jahrzehntelang gekämpft hat, sondern wir leisten so auch einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung des Amazonas-Regenwalds, nicht zuletzt, um der globalen Klimakatastrophe entgegenzuwirken. Der Regenwald steckt nicht nur voller Wunder, von denen wir die meisten noch nicht einmal kennen. Seine Erhaltung als grüne Lunge der Erde ist auch entscheidend für den Fortbestand einer äußerst jungen Spezies auf diesem Planeten: des Menschen. 2011 jährt sich die Flugzeugkatastrophe von 1971 zum vierzigsten Mal. In all diesen Jahren wurde viel über meinen »Unfall«, wie ich den Absturz nenne, geschrieben. Unzählige Zeitungsseiten wurden mit dem gefüllt, was die Menschen für »Julianes Geschichte« halten. Darunter waren mitunter gute Beiträge, aber leider auch viele, die wenig mit der Wahrheit zu tun hatten. Es gab eine Zeit, als mich die Aufmerksamkeit der Medien fast erdrückte. Um mich zu schützen, habe ich jahrelang geschwiegen, habe ich jedes Interview abgelehnt und mich ganz zurückgezogen. Nun aber ist es an der Zeit, mein Schweigen zu brechen und zu erzählen, wie es wirklich war. Deshalb sitze ich jetzt am Flughafen München auf gepackten Koffern, um eine Reise anzutreten, die für mich aus zwei Gründen wichtig sein wird: um das Ziel zu erreichen, das Naturschutzgebiet Panguana zu errichten. Und um mich meiner Vergangenheit zu stellen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden so sinnvoll zusammengeführt. Das, was mir damals zustieß, und die Frage, warum ausgerechnet ich als Einzige die Katastrophe der LANSA überleben durfte - all das erhält nun endlich eine tiefere Bedeutung.   Und dann sitze ich im Flugzeug. Ja, die Menschen wundern sich sehr, wie ich es schaffe, immer wieder in Flugzeuge zu steigen. Ich schaffe es durch Willenskraft und Disziplin. Ich schaffe es, weil ich es schaffen muss, will ich in den Dschungel zurückkehren. Doch es ist schwer. Das Flugzeug rollt an, wir heben ab, wir steigen auf, wir tauchen tief ein in die dichte Wolkendecke am Himmel über München. Ich sehe aus dem Fenster, und auf einmal sehe ich ... Eine Kindheit unter Tieren ... diese schwarzen, undurchdringlichen Wolken und zuckende Blitze. Wir sind in ein schweres Gewitter geraten, und der Pilot fliegt geradewegs in diesen Hexenkessel hinein. Das Flugzeug wird zum Spielball des Orkans. Aus Ablagen fallen Gepäckstücke und weihnachtlich verpackte Geschenke auf uns herab, Blumen und Spielsachen. Das Flugzeug stürzt unvermittelt in tiefe Luftlöcher und steigt dann rasant wieder an. Die Menschen kreischen vor Angst. Und plötzlich ist da dieser grelle Blitz über dem rechten Flugzeugflügel ...   Ich atme tief durch. Über mir erlischt das Zeichen, ich kann meinen Gurt lösen. Wir sind kurz hinter München, und unser Flugzeug hat seine reguläre Flughöhe erreicht. Nach einer Zwischenlandung in Madrid werden mein Mann und ich die Maschine nach Lima besteigen. Zwölf Stunden liegen dann noch vor mir, zwölf Stunden höchster Anspannung rund zehn Kilometer über der Erde. Über Portugal werden wir dann das Festland hinter uns lassen und den Atlantik überqueren. Will ich zurück in das Land, in dem ich geboren wurde, bleibt mir keine andere Wahl. Auch im Zeitalter des Billigflugs ist eine Reise um den halben Globus kein Kinderspiel. Ich wechsle nicht nur den Kontinent, ich wechsle auch die Zeitzone, das Klima und die Jahreszeit. Ist bei uns Frühling, bricht in Peru der Herbst an. Und selbst innerhalb Perus erlebe ich zwei verschiedene Klimazonen: die gemäßigte in Lima und die tropische im Regenwald. Vor allem aber ist es jedes Mal für mich eine Reise in die Vergangenheit, denn in Peru kam ich zur Welt, in Peru wuchs ich auf, und in Peru geschah jenes Ereignis, das mein Leben von Grund auf ändern sollte: Ich stürzte mit einem Flugzeug ab, überlebte wie durch ein Wunder sogar noch viele Tage ganz allein auf mich gestellt inmitten des Dschungels und fand den Weg zurück zu den Menschen. Damals wurde mir mein Leben ein zweites Mal geschenkt, es war wie eine zweite Geburt. Nur dass diesmal meine Mutter ihr Leben verlor. Meine Mutter erzählte mir oft, wie glücklich sie war, damals, als sie mit mir schwanger wurde. Meine Eltern betrieben ihre intensiven Forschungen gemeinsam und liebten ihre Arbeit über alles. Sie hatten sich in Kiel während des Studiums kennengelernt, und da es im Nachkriegsdeutschland für promovierte und leidenschaftliche Biologen schwierig war, eine angemessene Stelle zu finden, hatte mein Vater sich dazu entschlossen, in ein Land mit einer hohen, noch nicht erforschten Biodiversität auszuwandern. Seine damalige Verlobte, Maria von Mikulicz-Radecki, war begeistert von dem Plan und kam nach ihrer Promotion nach, was damals ein unerhörtes Unterfangen für eine unverheiratete junge Dame war. Meinem Großvater war es gar nicht recht, dass meine Mutter die weite Reise ganz allein antrat. Doch wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte man es ihr nicht mehr ausreden. Mein Mann behauptet übrigens, das hätte ich von ihr geerbt. In der Kathedrale des Stadtteils Miraflores in Lima heirateten sie bald nach ihrer Ankunft in der Neuen Welt. Enttäuscht war meine Mutter darüber, dass sie als Katholikin meinem Vater, der evangelisch war, nicht am Hauptaltar, sondern in einer kleinen Nebenkapelle angetraut wurde. Damals waren ökumenische Heiraten in der Minderzahl, und der katholische Pfarrer versuchte in der Folge, sehr auf meine Mutter einzuwirken, dass sie meinen Vater »zum rechten Glauben führen möge«. Dieses Insistieren verärgerte meine Mutter derart, dass sie aufhörte, den katholischen Gottesdienst zu besuchen, und sich nach meiner Geburt auch entschloss, mich nicht katholisch, sondern evangelisch taufen zu lassen. Damals, als meine Eltern getraut wurden, sprach meine Mutter noch kein Spanisch, und darum konnte sie der Trauungszeremonie nicht folgen. Irgendwann wurde es seltsam still in der Kirche, und dann sagte der Priester: »Señora, Sie müssen jetzt sí sagen.« Und »Sí« - also »Ja« - haben beide aus vollem Herzen gesagt. Nicht nur zueinander, sondern auch zu der Art von Leben, das sie gemeinsam führen wollten. Aus ihrer kleinen Wohnung zogen sie bald in ein größeres Haus, das Freunden gehörte, und hier kam ich zur Welt. Später gründeten sie ein paar Straßen weiter das damals in Forscherkreisen bekannte »Humboldt-Haus«, in dem sie Zimmer an durchreisende Wissenschaftler aus aller Welt untervermieteten. Ihren privaten Teil trennten sie einfach mit Vorhängen ab. Das »Humboldt-Haus« in Miraflores sollte als Treffpunkt und Basisstation namhafter Wissenschaftler in die Geschichte eingehen. Obwohl also beide mit Leib und Seele an ihrer Arbeit hingen, war ich ein absolutes Wunschkind. Mein Vater freute sich auf ein Mädchen, und als ich an einem Sonntag im Jahr 1954 abends um sieben in der Clínica Delgado im Stadtteil Miraflores von Lima zur Welt kam, ging sein Wunsch in Erfüllung. Ich war ein Achtmonatskind, kam viel zu früh und musste erst in den Brutkasten. Vielleicht war es ein gutes Omen, dass meine Eltern beschlossen, mir den Namen Juliane zu geben. Es bedeutet »die Heitere« - ich finde, der Name passt gut zu mir. Zu jener Zeit lebten auch die Mutter meines Vaters und seine Schwester Cordula bei uns in Peru. Meine Großmutter wollte einige Jahre in jenem Land verbringen, in das zwei ihrer Söhne ausgewandert waren. Denn nachdem mein Vater hier Fuß gefasst hatte, entschied sich auch sein jüngerer Bruder Joachim im Jahr 1951 dafür, sich hier eine Existenz aufzubauen. Er arbeitete als Verwalter auf verschiedenen großen Haciendas im Norden des Landes, eine war sogar so groß wie ganz Belgien. Meine Eltern besuchten Onkel Joachim mehrere Male dort in Taulís, das für sie als Zoologen ein ungemein interessantes Gebiet war. Da nämlich hier die Anden mit 2000 Metern Höhe relativ niedrig sind, findet ein ungewöhnlicher Floren- und Faunen-Austausch zwischen der Ost- und Westseite dieses Gebirges statt, und meine Eltern entdeckten dort einige neue Tierarten. Doch völlig unerwartet und während der Abreiseplanungen meiner Großmutter und Tante in Deutschland verunglückte mein Onkel Joachim in Taulís tödlich. Eben noch kerngesund, verstarb er innerhalb von weniger als zwei Stunden unter Krämpfen, und bis heute ist nicht geklärt, ob er an Tetanus erkrankte oder möglicherweise einer Vergiftung durch Schlafmohnbauern, denen er auf die Schliche gekommen war, zum Opfer fiel. Mutter und Schwester hatten aber zuhause bereits alles aufgelöst und beschlossen nun, trotzdem zu kommen. So hatte ich das Glück, in den ersten Jahren meiner Kindheit nicht nur Vater und Mutter, sondern auch Großmutter und Tante um mich zu haben. Die beiden blieben sechs Jahre in Peru, meine Tante arbeitete zeitweise als Chefredakteurin der »Peruanischen Post«, einer deutschen Zeitung in Lima. Dann kehrten sie wieder in ihre Heimat zurück, meine Tante wegen besserer beruflicher Möglichkeiten und meine Großmutter aus gesundheitlichen Gründen und wohl auch, weil sie Heimweh nach Deutschland hatte. Ich wuchs mit beiden Sprachen auf, mit Spanisch und Deutsch. Letzteres sprach man zuhause, und meine Eltern legten großen Wert darauf, dass ich ihre Muttersprache perfekt lernte. Das war gar nicht selbstverständlich, einige meiner deutschstämmigen Schulfreundinnen beherrschten die Sprache ihrer Vorväter nur fehlerhaft. Spanisch sprach ich mit meinen peruanischen Freundinnen, mit unserem Hausmädchen und später auch in der Schule. Meine Eltern hatten diese Sprache erst richtig in Peru gelernt, und obwohl sie geschickt damit umgingen, schlichen sich immer wieder ein paar Fehler ein. Doch die Peruaner sind höfliche Menschen. Als meine Mutter einmal erzählen wollte, wie ein Auto »mit Karacho um die Ecke bog«, und es ziemlich wörtlich übersetzte, da wurde sie sanft darauf hingewiesen: »Natürlich können Sie das so sagen, Señora, aber vielleicht sollten Sie es nicht«, denn »carajo« ist im Spanischen ein ziemlich vulgärer Ausdruck, den eine Dame eigentlich nicht in den Mund nehmen darf. Eines Tages, da war ich schon fast erwachsen, fiel mir auf, dass mich mein Vater auf Spanisch siezte. Da sagte ich zu ihm: »Das kannst du doch nicht machen, ich bin doch deine Tochter!« Er aber wurde ganz verlegen und gestand mir, dass er die »Du-Form« nie richtig gelernt habe. Er war ein sehr förmlicher Mensch, hatte wenige Duzfreunde und gebrauchte daher ausnahmslos die Höflichkeitsform.
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