Martin Haberkorn, 17. Juni 1943, Lorient, Biskaya
Nach der vorletzten Reise, die wenigstens die Versenkung von zwei Frachtern mit insgesamt 12.300 Tonnen nach extrem langen und gefährlichen Anläufen zum Ergebnis gehabt hatte, war das Boot zwar erheblich beschädigt in den Stützpunkt eingelaufen, aber den immer mehr zunehmenden Verfolgungen und Angriffen durch den Gegner doch noch einmal relativ glimpflich entkommen, doch einen Versenkungserfolg hatte es wieder nicht gegeben. Die Schäden waren diesmal glücklicherweise nicht so schwerwiegend wie bei der Unternehmung davor gewesen. Die Werft in Lorient war rund um die Uhr in Betrieb und vollständig ausgelastet, weil eigentlich nur noch von Wasserbombenangriffen, Artilleriewaffenbeschuss oder Flugzeugkanonengeschossen schwer mitgenommene Boote zurückkamen, so dass Haberkorns Boot längere Zeit in Warteposition liegen musste, ehe die Arbeiten überhaupt erst beginnen konnten. Die letzten Wochen waren für die deutsche U-Boot-Waffe rabenschwarze Tage gewesen. Nach dem Angriff von drei U-Boot-Rudeln im März konnten die 43 U-Boote 22 Schiffe aus zwei Konvois südlich von Grönland versenken, 9 weitere Fahrzeuge waren torpediert worden. Die Erfolgsbilanz von 142.000 Tonnen hatte sich sehen lassen können und die Hoffnung geweckt, dass die Massierung der Boote doch noch eine effektive Bekämpfung der Geleitzüge zuließ. Allerdings relativierte sich die beachtliche Tonnagezahl für die Boote um die durch die Luftwaffe versenkten Schiffe doch noch erheblich. Den Booten war auch zugutegekommen, dass die Alliierten diesen Seeraum noch nicht aus der Luft überwachen konnten. Das hatte sich allerdings grundlegend geändert, als auf Grönland und Island gegnerische Langstreckenbomber stationiert worden waren, so dass die Alliierten dann die Lufthoheit über den gesamten Nordatlantik erringen konnten. Dabei war es nicht geblieben, denn der britische Oberbefehlshaber der Western Approaches hatte etliche taktische Änderungen in der Geleitzugsicherung eingeführt. Im Ergebnis dieser veränderten Bedingungen waren allein im Mai 1943 43 deutsche U-Boote versenkt worden. Fast alle waren sogenannte „Totalverluste“ gewesen und das hieß auch, dass mehr als 2.000 Männer jämmerlich in ihren sinkenden Booten ertrunken waren, vielleicht noch aus der Stahlröhre hatten entkommen können aber ohne jegliche Rettungsmöglichkeiten im Wasser treibend erfroren, am Öldunst des aus den auslaufenden Tanks hochsteigenden Treibstoffs erstickt, qualvoll verdurstet oder sonst wie ums Leben gekommen waren. 2.000 Schicksale vor allem noch junger Männer und die der mit diesen Seemännern verbundenen Familien, Freunden, ersten Lieben und Bekannten hatten sich in nicht einmal einem kurzen Lebensmonat entschieden, endgültig und unumkehrbar für die U-Boot-Männer, für die anderen wahrscheinlich ewig furchtbar bedrückend.
Genau zu dieser Zeit war Haberkorns Boot zu einer neuen Unternehmung in dieses Gebiet hinausgeschickt worden. Alle an Bord waren sich ihrer äußerst schlechten Rückkehrchancen bewusst gewesen und hatten auch genau gewusst, dass schon allein der Marsch durch die Biskaya ein äußerst hohes Risiko darstellte. Natürlich kannten die Alliierten die Ein- und Auslaufrouten der Boote ziemlich genau und damit war es eigentlich auch praktisch nahezu unmöglich geworden, eine Passage dieses Seegebietes über Wasser zu versuchen. Dönitz als BdU hatte die noch im Atlantik operierenden U-Boot-Rudel auflösen lassen und Einzelangriffe befohlen. Der drohenden Gefahr aus der Luft, die nicht nur in der Nähe der Konvois stark war, sondern eben auch insbesondere den An- und Abmarsch zu und von den Häfen betraf, sollte mit einer neuen Taktik begegnet werden. Die Idee war die gewesen, mehrere Boote gleichzeitig im Überwassermarsch auslaufen zu lassen und diese sollten auch im Falle eines Luftangriffes nicht wegtauchen, sondern durch die Massierung des Feuers ihrer Flakwaffen die angreifenden Flugzeuge abschießen oder zumindest abdrängen. Von der Papierform her waren die Typ IX Boote gar nicht so schlecht mit einer Abwehrbewaffnung ausgestattet. Die meisten der Boote besaßen auf dem Turm zwei 2-Zentimeter Zwillingsflaks und eine 3,7-Zentimeter Flak 37 auf dem Wintergarten. Die 2-Zentimeter Waffen waren wenig durchschlagkräftig, aber die größere 3,7-Zentimeter Flak stellte für die Flugzeuge eine ernstzunehmende Bedrohung dar.
Als der Kommandant nach der Besprechung vom Flottillenchef wieder an Bord gekommen war hatte er die Offiziere mit saurer Miene zum „Schlachtplanentwurf“, wie er zynisch sagte, befohlen. Ohne große Umschweife hatte er den Männern das geplante Auslauf- und Marschmanöver erläutert und strengste Verschwiegenheit verlangt. Bis zum Einsatz würde es noch einen Weile dauern, da insgesamt vier Boote gemeinsam in See stechen sollten, aber zwei davon noch nicht einsatzbereit wären. Den durch die lange Gammelei gelangweilten Matrosen würde er durchaus zutrauen im Puff oder in den Kneipen irgendetwas auszuplaudern, und so sollten die Lords erst nach dem Losmachen der Boote vom Pier informiert werden. Prinzipiell würde es also darum gehen, im Verbund der Boote in Kiellinie auszulaufen, und in jedem Falle im Überwassermarsch zu bleiben. Auch nachts. Sollte der Gegner aus der Luft angreifen würde man ihn unter konzentriertes Flakfeuer nehmen und das würde auch bedeuten, dass die Bedienungen dieser Waffen ständig auf dem Turm und dem Wintergarten sein müssten. Wegtauchen wäre generell ausgeschlossen, man müsste die Sache also so oder so, egal wie es denn kommen würde, eben durchstehen. Wie es denn sei, hatte der II WO dann nach der Aufforderung Fragen zu stellen wissen wollen, wie im Falle eines, nun ja, Verlustes eines Bootes zu verfahren wäre, denn dann wäre die Feuerkraft ja doch vermindert. Das würde an der Sache nichts ändern hatte der Kommandant mit kühler Stimme geantwortet, denn die Führung würde davon ausgehen, dass die Boote selbst bei reduzierter Abwehrkraft die Angreifer abwehren könnten, schließlich sei die 3,7 Zentimeter ja eine ausgesprochen brachiale Waffe und nicht so eine lahme Spritze wie die 2-Zentimeter-Kanonen. Danach war es still geblieben. Da ja nun alles klar wäre, hatte der Kommandant die Besprechung beendet, könnte man sich also nun schon gedanklich auf eventuell denkbare Situationen einstellen und sich seine dann je nach Situation erforderlichen Handlungsweisen zurechtlegen.
Am 17. Juni 1943 waren vier Boote ohne jegliche offizielle Verabschiedung im Hafen sofort nach dem Losmachen in aller Herrgottsfrühe um 4 Uhr von ihren Liegeplätzen ausgelaufen und hatten sich auf der offenen See in Kiellinie auf den Marsch begeben. Haberkorns Boot fuhr als letztes. Sie sollten das Tageslicht für ein schnelles Vorankommen nutzen, aber nur so lange in dieser Formation zusammenbleiben, bis sie gemeinsam die schlimmste Gefahrenzone passiert hätten und dann einzeln operieren. Man ging davon aus, dass dieser Bereich bis 150 Meilen von Lorient entfernt reichen würde und diese Strecke bei ordentlicher Fahrt in ungefähr 10 Stunden hinter den Booten liegen könnte. Das Wetter war gut, der Seegang nur mäßig, und so kam die Gruppe mit großer Fahrt gut voran, nach etwas mehr als drei Stunden waren schon knapp 50 Meilen zurückgelegt worden und damit wurde auch die angestrebte Marschgeschwindigkeit von rund 16 Knoten erreicht. In der vierten Stunde war ein Flugzeug gesichtet worden, das aber in sicherer Entfernung abgedreht hatte. Den erfahrenen Männern an Bord musste jedoch niemand sagen, dass diese Maschine den Standort und den vermuteten Kurs der Boote weitergemeldet hatte und ein Angriff durch andere Flugzeuge jetzt sehr wahrscheinlich war und vermutlich nicht lange auf sich warten lassen würde. Die Nervosität an Bord der Boote war spürbar, denn eigentlich war so ein Seefahrzeug wie ein U-Boot von der Sache her als stabile Waffenplattform schon bei ruhiger See nicht sonderlich geeignet, und die an den Flakwaffen stehenden Matrosen auch keine speziell ausgebildeten Artilleristen. Außerdem waren die an der Oberfläche recht reaktionsträgen Boote kaum in der Lage bei einem Angriff schnelle Ausweichmanöver zu fahren. Alles sprach eigentlich gegen diese Taktik, aber die Männer an Bord hatten sich wieder einmal in das für sie wohl Unvermeidliche gefügt. Gedanken an Befehlsverweigerung aufgrund eines nahezu selbstmörderischen Befehls in Hinblick auf die Lufthoheit der Alliierten kamen noch nicht auf, allzu tief war immer noch der Geist einer Elitetruppe anzugehören im Denken der Männer verwurzelt. Dass immer mehr Offiziere, Maate und Matrosen von Bord genommen werden mussten, weil sie zu nervlichen Wracks geworden waren und ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen konnten und damit das ganze Boot gefährdeten, stand auf einem anderen Blatt. Martin Haberkorn fühlte sich im Inneren der Stahlröhre diesmal wie eingesperrt und er sah, dass es den anderen Männern auch so ging.
Der Angriff hatte nach den Aufzeichnungen des Obersteuermanns um 10 Uhr 38 begonnen. Für die Briten musste es eine äußerst willkommene Gelegenheit gewesen sein, die verhassten deutschen U-Boote sogar im Viererpack an der Oberfläche angreifen zu können. Wie sich später dann aus übereinstimmenden Beobachtungen verschiedener Männer ergab, waren an dem Luftüberfall 3 Bristol Blenheim und 4 Hawker Hurricane beteiligt gewesen. Die Flugzeugbesatzungen hatten wohl damit gerechnet, dass die Boote bei Sichtung der Angreifer wie sonst üblich wegtauchen würden und waren nicht auf eine zusammengefasste Luftabwehr des an der Oberfläche bleibenden Gegners gefasst gewesen. So eine Situation war den Briten bislang noch nicht begegnet und sie blieben deshalb beim...