1. Kapitel Die Macht der Phantasie
In meiner Phantasie wie beim wirklichen Vögeln bin ich an einem entscheidenden Punkt angelangt … Wir schauen bei einem Fußballspiel zu. Es ist bitterkalt. Vier oder fünf von uns haben sich unter einer großen Wolldecke zusammengedrängt. Plötzlich springen wir auf, um den Mittelstürmer besser zu sehen, der auf die Ziellinie zurennt. Während er übers Feld rast, drehen wir uns in die Decke eingehüllt wie ein Mann in seine Richtung und schreien laut vor Aufregung. Irgendwie ist einer der zuschauenden Männer – ich weiß nicht, welcher es ist, und will auch nicht nachsehen, weil ich viel zu gespannt bin – ganz dicht hinter mich gerückt. Ich schreie weiter; meine Stimme ist wie ein Echo von ihm, dessen Atem ich heiß auf der Haut spüre. Ich kann seinen steifen Penis durch seine Hosen hindurch fühlen, als er mir durch eine Berührung zu verstehen gibt, ich solle meine Hüften weiter zu ihm herum drehen. Das Spiel ist so, daß wir alle immer noch zur Seite gewandt bleiben, um zuzuschauen. Die Menge gerät völlig außer sich. Jetzt hat er seinen Schwanz herausgeholt, und plötzlich ist er zwischen meinen Beinen. Er hat ein Loch in meinen Slip unter dem kurzen Rock gerissen, und ich schreie noch lauter, weil die Spieler jetzt nah beim Tor sind. Wir springen alle ständig vor Begeisterung hoch, und ich muß ein Bein auf die nächsthöhere Sitzreihe stellen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Nun kann der Mann hinter mir leichter in mich eindringen. Wir hüpfen alle herum und klopfen uns gegenseitig auf den Rücken. Er legt mir den Arm um die Schultern, damit wir uns im gleichen Rhythmus bewegen. Jetzt ist er in mir drin, ist wie ein Rammbock in mich hineingestoßen. Mein Gott, mir kommt’s vor, als wäre er schon in meiner Kehle! «Weiter so! Los, los …!» schreien wir gemeinsam. Wir sind lauter als alle anderen und bringen sie dadurch dazu, noch verrückter zu brüllen. Wir zwei heizen die Begeisterung an wie die Anführer einer Claque, während ich in mir spüre, wie er – wer auch immer er sein mag – steifer und steifer wird und mit jedem Hochspringen immer tiefer reinstößt, bis das Hurrageschrei für die Spieler den Rhythmus unseres Fickens annimmt, und alle um uns herum sind auf unserer Seite, jubeln uns und dem Tor zu … es ist jetzt schwer, beides voneinander zu trennen. Es ist der letzte Angriff des Mittelstürmers, alles hängt von ihm ab. Wir beide rasen wie die Wahnsinnigen, unserem eigenen Ziel schon nahe. Meine Erregung steigert sich, gerät fast außer Kontrolle, als ich dem Fußballer zujuble, der es wie wir machen soll, damit wir alle gemeinsam das Ziel erreichen. Und als der Mann hinter mir aufschreit und mich in lustvollen Zuckungen umkrampft, schießt der unten ein Tor … und ich …
«Erzähl mir, an was du gerade denkst», sagte der Mann, mit dem ich in Wirklichkeit gerade schlief. Seine Worte wirkten so erregt wie das Geschehen in meiner Phantasie. Da ich nie lange überlegte, bevor ich im Bett etwas mit ihm tat (so sicher waren wir uns unserer Spontaneität und Reaktion), machte ich mir auch diesmal nicht die Mühe, meine Gedanken zu zensieren. Ich erzählte ihm, was ich mir da ausgemalt hatte.
Er stieg aus dem Bett, zog sich an und ging.
Ich lag auf den zerwühlten Kissen, urplötzlich zurückgestoßen und völlig im unklaren darüber, wieso. Ich hatte zugeschaut, wie er sich anzog, und ihm zu erklären versucht, daß alles nur Phantasie war. In Wirklichkeit wollte ich diesen anderen Mann vom Fußballplatz doch gar nicht. Er war gesichtslos, ein Niemand! Außerdem hätte ich solche Gedanken nie gehabt und schon gar nicht laut ausgesprochen, wenn ich nicht so erregt gewesen wäre. Und das lag nur an ihm, meinem wirklichen Liebhaber, der mich so sehr erregt hatte, daß ich meinen ganzen Körper, alles von mir, selbst meine Gedanken preisgegeben hatte. Konnte er es denn nicht begreifen? Weil er mich so wild und wunderbar fickte, waren diese Gedanken in mir ausgelöst worden, die mich wiederum noch sinnlicher machten. Im Grunde – ich versuchte zu lächeln – müßte er stolz sein und glücklich für uns beide …
Ich hatte meinen Liebhaber immer bewundert, weil er zu den wenigen Männern gehörte, denen klar war, daß Humor und Spaß auch im Bett am Platze sind. Doch meine Fußball-Phantasie hielt er nicht für lustig. Wie gesagt, er ging einfach weg.
Seine Empörung und die Scham, die er mich empfinden ließ – das Verfassen dieses Buches ließ mich erkennen, daß ich mich noch immer darüber ärgere –, bedeutete den Anfang vom Ende für uns beide. Bis zu diesem Augenblick hatte er von mir immer verlangt: «Mehr!» Er hatte mich davon überzeugt, daß es keine sexuelle Grenze für mich gab, deren Überschreitung ihn nicht noch mehr erregen würde. Sein Ansporn glich dem Peitschenschlag, den ein Kind ab und zu einem Kreisel gibt, auf daß er sich immer schneller drehe. Ebenso trieb er mich immer weiter, Dinge zu tun, nach denen es mich schon immer verlangt hatte. Früher war ich jedoch viel zu scheu gewesen, um im Beisein eines anderen auch nur daran zu denken. Scheuheit war sonst nicht unbedingt meine Sache, aber auf sexuellem Gebiet war ich immer noch die Tochter meiner Mutter. Er hatte mich eindeutig von dieser unangebrachten sittsamen Befangenheit befreit, mit der ich mich zwar intellektuell nie identifizierte, der ich jedoch körperlich auch nicht entfliehen konnte. Er hatte mich durch seinen Stolz auf meine Bemühungen auch stolz auf mich selbst gemacht. Ich liebte uns beide.
Wenn ich jetzt an meinen «Alles-ist-erlaubt»-Liebhaber zurückdenke, erkenne ich, daß ich nur zu bereitwillig seine indirekt eingestandenen Pygmalion-D.H. Lawrence-Phantasien in Szene gesetzt hatte. Und meine? Von denen wollte er nichts wissen. Ich durfte nicht als Co-Autor seines faszinierenden Drehbuchs «Wie Nancy sein soll» mitwirken, obwohl es schließlich um mein Leben ging. Ich sollte nicht handeln, sondern alles mit mir geschehen lassen.
Wo bist du nun, mein verflossener Freund? Wenn du schon durch mein Phantasiegebilde des «anderen Mannes» geschockt wurdest, was hättest du dann wohl von meinem Wachtraum mit dem Dalmatiner meines Großonkels Henry gehalten? Oder nehmen wir das einzige Mitglied meiner Familie, das dir gefallen hat, nämlich Großonkel Henry selbst. Erinnerst du dich noch an sein Porträt, das über dem Klavier meiner Mutter hängt? Damals trugen die Männer noch kitzlige Schnurrbärte, die Frauen lange Röcke. Wenn du wüßtest, was der Großonkel unter dem Tisch mit mir anstellte! Allerdings war nicht ich es, ich war wie ein Junge gekleidet.
Oder war ich’s doch? Ganz egal! In der Phantasie spielt es keine Rolle. Phantasien zeichnen sich durch Flexibilität und durch die Fähigkeit aus, jederzeit irgendeinen neuen Charakter, ein Bild oder eine Idee zu verkörpern. Oder sie enthalten wie die Träume, mit denen sie eng verwandt sind, simultan widersprüchliche Ideen. Sie erweitern, erhöhen, verzerren oder übertreiben die Realität und führen uns weiter und schneller in die Richtung, wo das schamlose Unbewußte hin will (was es auch schon weiß). Phantasien beschenken das erstaunte Selbst mit etwas Unglaublichem: mit der Möglichkeit, das Unmögliche zu erleben.
Ich hatte andere Liebhaber und andere Phantasien, doch ich machte die beiden nie mehr miteinander bekannt. Das änderte sich erst, als ich meinen Ehemann kennenlernte. Der «richtige Mann» verfügt über die Fähigkeit, das Beste in einer Frau zu fördern, alles an ihr zu begehren, sie in ihrem Wesen zu erfassen und nicht nur alles zu akzeptieren, was er vorfindet, sondern sich geradezu mit nichts weniger zufriedenzugeben. Bill holte meine Phantasien wieder aus jenen Tiefen empor, in die ich sie als vernünftig denkender Mensch verbannt hatte. Dort führten sie zwar ein so intensives Eigenleben wie immer, waren aber nichts, über das je wieder offen geredet werden durfte. Ich werde nie Bills Reaktion vergessen, als ich ihm dann doch schüchtern, ängstlich und etwas beschämt erzählte, was ich gerade phantasiert hatte.
«Was für eine Vorstellungskraft!» sagte er. «So etwas hätte ich mir nicht mal im Traum ausmalen können.»
Sein Blick, der amüsierte Bewunderung ausdrückte, wirkte auf mich unendlich erleichternd. Ich erkannte, wie sehr er mich liebte. Da er mich liebte, liebte er auch alles, was mir ein reicheres Leben verschaffte. Meine Phantasien bedeuteten für ihn den Zugang zu einem neuen Garten der Lust, der ihm bisher unbekannt geblieben war und in den ich ihn einladen würde.
Die Ehe befreite mich von vielen Dingen und führte mich neuen entgegen. Wenn meine Phantasien auf Bill so aufschlußreich und imaginativ wirkten, konnte ich sie ja vielleicht in den Roman einbauen, den ich gerade schrieb, überlegte ich mir. Er handelte natürlich von einer Frau … Sicher gab es Frauen und auch Männer außer Bill, die von einem neuen Weg zum Verständnis weiblicher Phantasievorstellungen fasziniert wären! Also widmete ich ein ganzes Romankapitel einer idyllischen Träumerei über die sexuellen Phantasien der Heldin. Mir gefiel diese Passage am besten vom ganzen Buch. Sie war annähernd von der Art, die die von mir am meisten bewunderten Romane auszeichnete. Doch mein Verleger war schockiert. So etwas hätte er noch nie gelesen, erklärte er mir. (Ich halte gerade dies für den Grund schlechthin, einen Roman zu schreiben!) «Diese Phantasien lassen die Heldin wie eine Art von sexueller Mißgeburt wirken», behauptete er. «Wenn sie so verrückt nach diesem Kerl ist und wenn er sie wirklich so phantastisch bumst, warum denkt sie sich dann all diese anderen verrückten Sachen aus …...