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E-Book

Das Ende

Von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht der ökologischen Katastrophe

AutorGregory Fuller
VerlagFelix Meiner Verlag
Erscheinungsjahr2017
ReiheBlaue Reihe 
Seitenanzahl118 Seiten
ISBN9783787333288
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Das weltweit dramatische Artensterben, die Wirkungslosigkeit des Pariser Klimaabkommens und nicht zuletzt der Rollback in der US-amerikanischen Klimapolitik werfen in eindringlicher Weise die Frage auf, wie mit der anscheinend unaufhaltsamen ökologischen Katastrophe philosophisch angemessen umzugehen ist. In seinem klugen, leicht verständlichen und mit Vehemenz geschriebenen Essay, der stilistisch in der Montaigne-Tradition steht und unverkennbar Anleihen etwa bei Günther Anders nimmt, konfrontiert der Autor Leserinnen und Leser in provokativer Weise mit der Diagnose: Es ist zu spät. Materialreich zeichnet er die Geschichte des Menschen und seiner Selbsterhebung über sich selbst nach und beschreibt die menschengemachten, todbringenden Prozesse, deren Folgen offenkundig weder rückgängig gemacht noch beherrscht werden können. Fuller gelangt zu der aufrüttelnden Erkenntnis, dass nur die Akzeptanz des Unabänderlichen, eine »heitere Hoffnungslosigkeit«, der Situation angemessen sein kann. Sie allein erzeugt einen »Zustand ruhiger Wachheit, der in den zivilen Ungehorsam treibt«. In einem aktuellen, umfangreichen Schlusskapitel zieht der Autor Bilanz und skizziert die Wege und Handlungsmöglichkeiten, die es dem Individuum seiner Ansicht nach im destruktiven Anthropozän ermöglichen, psychisch zu überleben. Aus den Rezensionen zur 1. Auflage: «?uller ist ein glänzender Stilist ... stark ist er vor allem in Anamnese und Diagnose unserer real existierenden ökologischen Verhältnisse.« (Badische Zeitung) «?ich mit dem Unvermeidlichen abzufinden ist das letzte, was bleibt ... Diese stille, unaufgeregte Reaktion macht das Buch eindrucksvoller als die laute Sprache, in der die Apokalyptiker, insbesondere die deutschen, für ihre Sache eintreten.« (FAZ) «?uller plädiert in seinem brillant geschriebenen Essay für Ehrlichkeit. Die Lage ist aussichtslos ... Seine Haltung erinnert an Camus: Gerade weil das Leben absurd ist, macht Moral Sinn.« (Udo Marquardt, Radio Freiburg)

Gregory Fuller, 1948 in Chicago geboren, kam 1957 nach Deutschland. Er studierte in Tübingen und Marburg Philosophie, Kunstwissenschaft und Amerikanistik; Promotion 1975. Seit 1976 hat er zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, vor allem auf dem Gebiet der Ästhetik, zwei Kunstbücher sowie zwei historische Romane veröffentlicht. Er war 35 Jahre lang Verlagsredakteur für Anglistik und lebt bei Stuttgart.

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Leseprobe

Vorspiel zum Finale Signifying nothing


FRAGTE MAN BIOLOGEN, was den Sinn des Lebens ausmacht, lautete ihre Antwort: Leben zu reproduzieren. Ein beinahe mechanischer Sinn, ein Minimalsinn. Ein schlichter Sinn, der in evolutionär normalen Zeiten genügen mag.

Wir aber, am Ende dieses Jahrtausends, leben in perversen Zeiten. Die expansive Spezies Mensch hat die Erde längst überbevölkert. Die Über-Reproduktion sichert das Überleben nicht, sondern zerstört es. Längst haben wir die Erde in eine durchchemisierte Plantage verwandelt. Alle anderen Spezies haben wir zurückgedrängt. In atemberaubendem Tempo vernichten wir die Artenvielfalt, was im Endeffekt alle gewachsenen, natürlichen Kreisläufe unterbindet und zum Aussterben aller Spezies führen wird. Wenn also evolutionäre Prinzipien sich umkehren und die Dominanz einer Spezies zum raschen Ableben aller führt, drängt sich die Hinterfragung des Sinns überhaupt auf. Das Versagen des evolutionären Sinnprinzips, Reproduktion und Ernährung zum Zweck des Überlebens, fordert das metaphysische Wesen, das wir auch sind, heraus. Der Umstand, dass sogar der biologische Minimalsinn fragwürdig geworden ist, veranlasst mich, darüber nachzudenken, ob es denn statt dessen einen metaphysischen oder theologischen Maximalsinn gibt und ob uns dieser irgendwie von Nutzen sein kann. Vielleicht wird uns die Einsicht in unsere Fehler helfen, den Sinn neu zu definieren und damit die ökologisch sich abzeichnende Katastrophe angemessen zu begreifen.

Mit philosophischen Plattitüden darf man sich dabei nicht abspeisen lassen. Sie geben Erklärungen nur vor: die Faulheit des Geistes, die Dummheit der Spezies Mensch, die ewige Indolenz der gesetzten Leute, die Unaufgeklärtheit der Massen, die Zungenschwere angesichts des irdischen Unrechts, die Naivität der Gläubigen, die Engstirnigkeit der Kleinbürger, der Opportunismus der Aufsteiger, die Machtverliebtheit der Politiker, die zerstörerische Funktionsmanie der Technokraten.

Man lasse die feine, edle, so distanzierte Aufgeklärtheit beiseite, die, stets kopfschüttelnd, zu einem scheinbar wohlbegründeten Pessimismus gelangt, schopenhauergleich und selbstgerecht. Aus der Plattitüde der Dummheit der Spezies lässt sich nur die fruchtlose philosophische Plattitüde selbst gewinnen. Die Aufklärungsphilosophie, welche sich der milden Verteufelung unserer Gattung hingab, schlägt um in seichten Pessimismus. Um diesen soll es hier nicht gehen.

Man nehme weder die Pose des späten Aufklärers noch die des Misanthropen ein. Der Mensch, heißt es, sei ein Bösewicht und ein Langweiler dazu, wenn es um das Gute geht, sei Ratte und Skorpion in einem, ein Folterknecht dem Mitmenschen. Keine Spezies verfahre so mörderisch mit der eigenen Art wie der Mensch. Homo homini lupus. Wie Recht hatte Hobbes. Kurz: Machen wir uns nicht die Haltung des Verbitterten zu eigen, dem nichts einfällt außer: der Mensch, das Untier.

Schlüpfen wir ebenso wenig in die elegante Rolle des Blasierten. Man hat vieles gesehen, man ist weit gereist, man hat Abenteuer erlebt, man hat geliebt, man war verheiratet, man kennt das Leben zur Genüge. Und zu welchem Behuf? Alles schon dagewesen, man ist postmodern, alles bekannt, alles sinnlos, l’ennui lässt grüßen. Man gähnt, man greift langsam und mit schlaffer Hand zum nächsten Espresso.

Weder die Pose des selbstgerechten, enttäuschten Aufklärers noch die Pose des Verbitterten, noch die Pose des Blasierten nützen dem Menschen, der unter dem Damokles-Schwert lebt. Posen perpetuieren nur ihr eigenes Vorurteil. Posen, Projektionen und Vorurteile, die nur Trauer gebären, nützen niemandem. Sie lähmen jeden.

Geht man in der Geistesgeschichte ein wenig zurück, entsinnt man sich vieler Sinnantworten. Da wäre zu Beginn der Neuzeit Leibniz. Seine göttliche Ordnung nannte er prästabiliert; eine sinnreiche, gottgewollte Universalordnung, in der jede Monade ihren wohldurchdachten, rechtmäßigen Platz beanspruchen durfte. Am Ende der Neuzeit setzt unser Zeitgenosse Cioran die kartesische Hypothese des genius malignus als obersten und alleinigen Gott ein. »Das Leben – dieser Kitsch der Materie.« Brutaler und zynischer lässt sich der Gegensatz zum Leibniz’schen Sinnschema nicht ausdrücken. Leibniz konstruiert am Beginn einer Entwicklung ein Sinnmaximum, Cioran würgt an ihrem Ende ein Sinndefizit aus sich heraus. Leibniz schuf auf paradigmatische Weise einen vollkommenen, stimmigen Sinn, Cioran verspottete ihn.

Leibniz und Cioran bilden die beiden Extreme im Spektrum der Sinnantworten. Leibniz impliziert, alles besitze Sinn, Cioran schreibt, nichts sei sinnvoll. Dazwischen liegen unendlich viele mögliche Antworten, von denen ich nur einige wenige aufgreife.

Man kann den theosophischen Spuren von Leibniz folgen und dessen Ordnungskonstrukt überhöhen: eine Reaktion auf die Haltlosigkeit, die uns umherschleudert, eine Reaktion auf die soziale Zerstäubung der Menschen, eine Reaktion auf die ökologische Zerstörung, die offenbar geworden ist. Man remystifiziert. Man erschafft Sinn, indem man uralten Wein in neue Schläuche gießt. Man entdeckt die Wahrheit im Altväterlichen, Autoritären, Sicheren. Im Osten lässt man sich vom Islam refanatisieren. Im Westen kapituliert man vor dem Christentum. Man wird ein unausrottbar fröhlicher Christ mit rotglühenden Wangen, kurzen Haaren und schlichten Kleidern als Ausdruck eines schlichten Gemüts – und alles wird sauber. Der wiedergeborene Christ als Werbeträger für eine saubere Zukunft mit einem Christus, der sich nur in blütenweißes, chemisch vollgereinigtes Leinen kleidet. Die Sauberkeit, der Besen gegen den Schmutz der Skepsis. Wie Nietzsche schreibt: Man wurde wieder ein Kind. Aber wer würde die Kinder um ihre Ahnungslosigkeit nicht beneiden?

Wem das Uralte gar zu dumm-reaktionär, zu dogmatisch oder zu ausgehöhlt ist von den unzähligen Verbrechen, die die Weltreligionen im Namen Gottes begangen haben, der sucht in der Ferne. Die Naturwissenschaften werden umgekehrt. Ihr manifestes Versagen stiftet den Verstand dazu an, das Heil in der Umkehrung der Durchtechnisierung zu suchen. Man schließt sich der modischen New-Age-Mystik an und übersieht dabei die Unwiederbringlichkeit mystischer Erfahrung. Längst ist sie uns abhanden gekommen. Zeitgenössische Sehnsuchtssprünge in den Mutterkuchen zurück beweisen lediglich ihre Künstlichkeit. Man ergibt sich, scheinbar kritisch auswählend, in Wahrheit voller Gefühlsnebel, dem hoffnungsfrohen Potpourri aus natura naturans, Böhme, Psi-Kräften, Naturheilverfahren, Tierliebe, Zen leicht gemacht, vagen kosmischen Kreisläufen, Gaia-Gesängen, Wiedergeburt, Naturkost, Woll socken und Ledersandalen, Akupunktur, Hexengebräu, weißer Magie. Und stets sind die Inder oder Indianer dabei, bevorzugt die Hopi. Schamanen aller Couleurs, lasst uns Fruchtbarkeitstänze wagen!

In unseren Wahlmöglichkeiten sind wir wunderbar frei. Da der Sinn zur absoluten Disposition steht, kann man die New-Age-Mystik ebenso gut verschmähen. Die Mystik hat den Nachteil, allzu mystisch zu sein und gleich den Weltreligionen vom Glauben oder Nichtglauben abzuhängen. Aber die Vernunft! Die gute alte, europäische Vernunft, um wieviel klarer ist sie, folgerichtiger, kritischer und, dank Kant, selbstkritischer als die ideologiegesättigten Religionen.

Wie der letzte Spätaufklärer Habermas erstrebt man um der ökologischen und menschlichen Rettung willen einen vernünftigen, kompetenten Dialog inmitten unvernünftiger Geschehnisse. Der Vernunftmensch weiß, dass von den drei Ideen Kants, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, die Gottesidee und die Idee der seelischen Unsterblichkeit jenseits des menschlichen Erfahrungsbereichs liegen. Allein die Freiheit ist der Erfahrung zugänglich. Um sie zu konkretisieren, wird stets das letzte große Sinnreservoir, die Geschichte, angebohrt. Mit der hohl gewordenen Fortschrittstheorie des 18. Jahrhunderts setzt man sich kritisch auseinander. Man verweist voller Abscheu auf Auschwitz, man verweist auf den Gulag, man diskutiert die chemiedurchtränkte Welt und die beispiellosen Völkermorde an Urvölkern. Man versucht, diese düsteren menschlichen Taten mit dem Begriff einer irgendwie gearteten, vernünftigen Freiheit in Einklang zu bringen. Als Resultat entsteht die Kakophonie eines Voltaire in seinem Essai sur les moeurs et l’esprit des nations. Die Geschichte sei »un ramas de crimes«, ein Haufen von Verbrechen. Und doch: »Enfin les hommes s’éclairent un peu«, wie Voltaire schreibt, als überstrahle die kurze Sekunde eines mehr oder weniger anständigen Parlamentarismus die Jahrtausende der Finsternis.

Die Geschichte erweist sich als ein weites Feld, als ein gefährliches Pflaster. Man werfe die großen Sinnentwürfe über Bord. Man suche einen näherliegenden Sinn. Man drücke den Sinn in einfachen Ist-Prädikationen aus: Sinn ist … die Selbstentfaltung des Lebens; das Glück (wessen?); die innere Ruhe; die Ataraxie; die...

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