Gesundheitskur aus der Erde
»Die Vorstellung, dass uns ein Bakterium, das im Erdboden zu finden ist, vor schweren psychischen Erkrankungen schützen kann, mag weit hergeholt klingen, aber Bakterien können sowohl auf unsere körperliche als auch auf unsere psychische Gesundheit eine profunde Wirkung haben.«31
Graham Rook, Professor für Mikrobiologie, Universitäts-College London
Zurück in den Westbalkan. Ich packte mein Anionen-Messgerät wieder ein und atmete noch einmal tief durch, ehe ich meine Wanderung zwischen den Wasserfällen der Plitvicer Seen fortsetzte. Ein Weg führte mich aus der Schlucht heraus und an anderen Gewässern vorbei in den Randbereich der paradiesischen Wasserlandschaft. Nach einiger Zeit gelangte ich in ein schattiges Waldstück mit einem türkis leuchtenden Waldsee. Die Vegetation kroch bis ganz ans Ufer heran, und hohe Gräser säumten den See. Einige krumme, aber majestätische Eichen streckten lange, ausladende Äste mit urtümlichen Wuchsformen über den Wasserrand. Ich hatte das Gefühl, mitten in einem Dschungel gelandet zu sein. Am gegenüberliegenden Ufer begrenzte eine steile, fast senkrechte Felswand den versteckten Ort im Wald, und mehrere Wasserfälle stürzten von oben herab. Das Wasser strömte über ein Bett aus herabhängenden Moos-Kolonien, ehe es im freien Fall herunterkam. Ich blickte mich um und sah, dass es auch hier einige Kiefern und Tannen gab, die in diesem Buch noch eine wichtige Rolle spielen werden.
Ich ging das Ufer am Waldrand entlang. Hier herrschte ein besonderes Kleinklima. Die Felswände an der gegenüberliegenden Seite des Gewässers beschatteten den Bereich, in dem ich mich befand. Der Boden war feucht. Die »hängenden Seen« sind zwar sonst vorwiegend von kargen Böden umgeben, doch an diesem Ort spürte ich weichen, tiefgründigen Humus unter meinen Füßen. Die Humusschicht war von teilweise vermodertem Laub, Eicheln, abgestorbenen Pflanzenteilen und ein paar Zapfen von Nadelbäumen bedeckt. Bodenlebewesen verarbeiten dieses Material allmählich zu neuem Humus.
Der Kosmos im Boden
Ich schob die Streu ein wenig zur Seite und grub mit der Hand ein Loch in den Humusboden. Dabei kamen haarfeine weiße Fäden zum Vorschein, die das Erdreich durchzogen. Es waren Pilzfäden, die von Biologen als »Hyphen« bezeichnet werden. Sie umspinnen die Wurzeln von Bäumen und anderen Pflanzen und verbinden sich mit ihnen zu einer Symbiose. Waldpilze sind vorwiegend unterirdische Lebewesen und erstrecken ihr reich verzweigtes Netzwerk über große Flächen. Die Hüte, die wir im Herbst zu sehen bekommen, sind nur ihre Fruchtkörper, die sie über die Erde strecken, um ihre Sporen zu verbreiten und sich zu vermehren. Die Pilze vernetzen Bäume im Wald oft über Quadratkilometer miteinander und versorgen sie mit Wasser, denn durch ihr extrem weitläufiges Geflecht können sie enorme Mengen davon aus dem Boden aufnehmen. Im Gegenzug dazu versorgen die Bäume ihre Pilzpartner mit einer Zuckerlösung, also mit Kohlenhydraten, die sie durch Photosynthese selbst hergestellt haben. Unter Biologen gilt die unterirdische Symbiose aus Pilzen und Pflanzenwurzeln, die als Mykorrhiza bezeichnet wird, als sicheres Zeichen für einen gesunden Kosmos im Boden und wird geradezu als Markenzeichen der Bodengesundheit gewürdigt. Die Mykorrhiza hat es sogar bis in die internationalen Massenmedien geschafft und wird auf Englisch »Wood Wide Web« genannt, also »Internet des Waldes«, da die Pilzfäden als Leitung für biologische Botschaften und Signale dienen, die Bäume untereinander austauschen, um das Ökosystem Wald mit vereinten Kräften zum Beispiel vor Schädlingen zu schützen. Wegen ihrer großen Bedeutung in unserer Umwelt beginne ich meine Betrachtungen des Ökosystems Boden mit der Mykorrhiza. Schon zu meiner Studienzeit interessierte ich mich sehr für diese Lebensgemeinschaft aus Pilz und Pflanze, und ich suchte an verschiedenen Orten auf dem Land und in der Stadt danach. In naturnahen Wäldern wurde ich immer fündig. In Fichtenplantagen, die irrtümlicherweise oft für Wälder gehalten werden, fand ich diese Symbiose fast nie. Auf ökologisch bewirtschafteten Äckern mit Mischkulturen, in denen unterschiedliche Pflanzenarten nebeneinander kultiviert wurden, erzielte ich häufig Treffer. In konventionellen Monokulturen suchte ich stets vergebens. Unter dem Mikroskop lässt sich in Bodenproben, die Mykorrhizen beinhalten, sehr gut sehen, wie die Pilzfäden mit den Pflanzenwurzeln verbunden sind und in sie hineinwachsen, um den Stoffaustausch zu ermöglichen.
Vergleichen wir einen intakten Waldboden mit dem versiegelten und asphaltierten Boden der Stadt, so wird sofort klar, dass wir in urbanen Ballungszentren in der Regel nicht von einem »Ökosystem Boden« sprechen können. Meine Suche nach Mykorrhizen verlief – wenig überraschend – auch auf städtischen Grünflächen nur in Ausnahmefällen erfolgreich, wenn man von Wäldern am Stadtrand absieht. Einbetonierte Stadtbäume können kaum Symbiosen mit Pilzen eingehen oder sich durch Mykorrhizen miteinander vernetzen. Auch in Parks ist das nur sehr eingeschränkt möglich, denn herkömmliche Parkanlagen sind keine komplexen Ökosysteme. Die Bäume stehen einzeln und werden in erster Linie nach ästhetischen Gesichtspunkten ausgewählt. Es entsteht keine natürliche Dynamik in der Vegetation. Viele Parkbäume stammen aus weit entfernten Klimaregionen oder sind das Produkt gärtnerischer Kreuzungen, die in der freien Natur nicht überlebensfähig wären. In den meisten Parks befinden sich zwischen den Gehölzen weitläufige Rasenflächen, auf denen nichts anderes als Gras wächst. Aufkommende Büsche und junge Bäume werden sofort entfernt, der Rasen regelmäßig gemäht. Zwar können auch herkömmliche städtische Parks eine positive Wirkung auf unsere Gesundheit haben, wie wir noch sehen werden, jedoch haben ihre Böden nicht die Chance, zu einem ebenso vielschichtigen und zusammenhängenden Ökosystem zu werden wie ein intakter Waldboden. Folglich entwickelt sich keine reichhaltige Bodenflora und nur wenig Mykorrhiza. In urbanen Parkanlagen entstehen allerdings durchaus einzelne und verteilte Bodenökosysteme, zum Beispiel unter Bauminseln, wo sich manchmal auch eine intakte Bodenflora bilden kann. Das hat unter anderem eine Studie der israelischen Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv ergeben.32 Wir sollten den Mut haben, unsere Parks zu »wilderen« Orten werden zu lassen und dadurch in der Stadt mehr Leben im Boden und vor allem mehr zusammenhängende Ökosysteme entstehen zu lassen.
Symbiosen mit Pilzen im Boden sind nicht nur für die Gesundheit der Pflanzen selbst von Vorteil, sondern auch für die menschliche Gesundheit. Die Biologieprofessorin Miranda Hart an der Universität von British Columbia in Kanada und der Biologieprofessor Pedro Antunes an der Algoma-Universität in der kanadischen Provinz Ontario untersuchten, wie sich die Mykorrhiza im Boden auf die Inhaltsstoffe von Nahrungspflanzen auswirkt. Sie stellten fest, dass Ackerpflanzen mit Pilzpartnern deutlich mehr sekundäre Pflanzenstoffe bilden als Ackerpflanzen ohne Pilzpartner.33 Die Pflanzenstoffe, die durch den Pilz gefördert werden, stärken unsere Gesundheit, wenn wir sie über die Nahrung aufnehmen. Darunter sind zum Beispiel Polyphenole, die den Blutdruck regulieren, die Blutfettwerte verbessern und Gefäßverkalkungen vorbeugen, von denen die Gefahr eines Herzinfarkts ausgeht. Die Symbiose der Pflanzen mit den Pilzen erhöht noch weitere sekundäre Pflanzenstoffe in unserer Nahrung, wie zum Beispiel Carotinoide. Diese Stoffe verbessern die Kommunikation zwischen unseren Zellen und können dadurch die Funktion unseres Immunsystems optimieren. Sie haben auch eine antioxidative Wirkung. Das heißt, sie machen freie Radikale, die im menschlichen Körper Krebs auslösen können, unschädlich. Die Pilzsymbiose erhöht außerdem den Gehalt an Flavonoiden in unseren Nahrungspflanzen, die Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen bieten. Antunes und Hart geben aufgrund ihrer Forschungsergebnisse im Hinblick auf die menschliche Gesundheit zu bedenken: »Es dürfte notwendig sein, konventionelle landwirtschaftliche Praktiken wie die schwere Bodenbearbeitung und den Anbau in Monokulturen zu überdenken, da dadurch die Vielfalt und die Funktion der Bodenorganismen beeinträchtigt werden.«34
Mykorrhizen auf unseren Äckern und in unseren Gärten können also über die Ernährung einen Beitrag dazu leisten, chronische Krankheiten zurückzudrängen. Gerade urbanes Gärtnern bietet eine Möglichkeit, auch auf kleinen Flächen gezielt Mischkulturen und Pilzpartner in die Stadt einzuladen, die die Entstehung der Mykorrhiza unterstützen. Wie ich in einem späteren Kapitel noch schildern werde, bergen Ballungszentren ein enormes Potenzial für den ökologischen Anbau von Lebensmitteln. Stadtbauernhöfe werden in Zukunft sogar wirtschaftlich tragfähig sein und eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Stadtbevölkerung mit gesunden, regionalen Lebensmitteln spielen. Urbane Ökogärten werden zu Keimzellen für Bodenpilze und andere wertvolle Organismen in der Erde.
So wie Ackerpflanzen werden natürlich auch Waldbäume von ihren Pilzpartnern positiv beeinflusst. Die Biologieprofessorin Manuela Giovannetti bestätigte in ihren Analysen gemeinsam mit ihrem Team an der Universität Pisa, dass die Mykorrhiza generell die Bildung von bioaktiven Pflanzenstoffen fördert, die auch für uns Menschen gesund sind.35 Die Forscherinnen sprechen von »gesundheitsfördernden Phytochemikalien«, also von chemischen Molekülen, die von Pflanzen gebildet werden und eine wichtige...