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Ach, sie haben ihre Sprache verloren

Filmautoren im Exil

Verlagedition text + kritik
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl190 Seiten
ISBN9783869166377
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Nach 1933 flüchteten zahlreiche Menschen aus Deutschland vor den Nationalsozialisten in europäische Nachbarländer oder nach Übersee, darunter viele Filmschaffende. Der vorliegende Band konzentriert sich auf Drehbuchautoren und Schriftsteller, die ins Exil getrieben wurden. Für sie war es besonders schwer, in einer fremdsprachigen Umgebung ihre gewohnte Arbeit fortzusetzen. In den Beiträgen dieses Buches beleuchten Filmhistoriker und -wissenschaftler die Werdegänge und Schicksale verschiedener Autoren, stellen deren Werke in einen zeitgenössischen Zusammenhang und veranschaulichen dabei auch die Besonderheiten einzelner Exilländer wie Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien sowie den USA.

Hans-Michael Bock, geb. 1947 in Wilhelmshaven. Autor und / oder Herausgeber zahlreicher Publikationen zur deutschen und internationalen Filmgeschichte. Aus der Arbeit an der Loseblatt-Enzyklopädie 'CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film' entstand das Institut CineGraph - Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V., dessen Vorstand Bock angehört.

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Leseprobe

Réka Gulyás

THE HUMAN TOUCH
Autoren des Films TALES OF MANHATTAN und ihre Beiträge


Wer sich mit ungarischer Filmgeschichte beschäftigt, stößt irgendwann auf den Satz: »It is not enough to be Hungarian, you need talent, too!« Diese Devise soll in Hollywood über dem Eingang der Metro-Goldwyn-Mayer Studios (M-G-M) und – laut anderen Quellen – auch auf dem Schreibtisch von Adolph Zukor (Paramount Studios) gestanden haben. László Görög – einer der Autoren des Films TALES OF MANHATTAN (SECHS SCHICKSALE, 1942, Julien Duvivier) – behauptete, dass diese Aussage sogar im Radio formuliert wurde und erst später in den Studios auf Schildern gedruckt erschien.1

Der legendäre Satz verweist darauf, dass im »Goldenen Zeitalter« Hollywoods zahlreiche ungarische Exilanten ihr Glück in der amerikanischen Filmindustrie versuchten. Obwohl in der »Neuen Welt« viele von ihnen eine erfolgreiche Karriere machten, sind bis heute nur die Lebensläufe derjenigen ungarischen Filmkünstler erforscht, die als internationale Größen in die Filmgeschichte eingingen, wie Adolph Zukor (Produzent), George Cukor (Regisseur), Michael Curtiz (Regisseur, Autor), Alexander Korda und Joe Pasternak (Produzenten, Regisseure). Weitaus weniger bekannt sind die Lebens- und Arbeitsumstände von Drehbuchautoren, die meist im Schatten von Produzenten, Regisseuren und Schauspielern standen. Der Episodenfilm TALES OF MANHATTAN ist ein Paradebeispiel für die Zusammenarbeit emigrierter und einheimischer Drehbuchautoren in den USA, denn an seiner Entstehung waren insgesamt 17 Autoren, davon neun Exileuropäer, unter ihnen fünf Ungarn, beteiligt.2

Emigrationswellen aus Ungarn


Der eingangs zitierte Satz impliziert zunächst die massive Präsenz ungarischer Filmkünstler in Hollywood. In ihrem Buch »De Budapest à Hollywood« unterscheidet die Kulturwissenschaftlerin Katalin Pór drei große Auswanderungswellen aus Ungarn nach Amerika.3 Die erste Welle datiert sie auf den Zeitraum 1871–1918 als Folge der 1848er Revolution bzw. des sogenannten Ausgleichs im Jahre 1867, der Ungarn innerhalb der k.u.k. Monarchie eine Teilautonomie sicherte. Da die vollständige Unabhängigkeit Ungarns nicht erreicht wurde und zunächst keine wirtschaftliche Besserung eintrat, brachen in diesem Zeitraum ca. 1,5 Millionen Ungarn nach Amerika auf.4 Unter diesen Emigranten befanden sich auch die Familien der späteren Mitbegründer Hollywoods, William Fox, George Cukor und Adolph Zukor.

Die zweite Welle war Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs und der Niederschlagung der Räterepublik. Das Horthy-Regime verfolgte linke Intellektuelle, vor allem solche, die in den 133 Tagen der Räterepublik wichtige Posten bekleidet hatten, wie Alexander Korda, Béla Balázs und Edmund Pauker.5 Diese Emigranten machten auf ihrer Flucht Zwischenstation in Wien und/oder Berlin. Andere wanderten 1919 direkt nach Amerika aus. So auch der Abenteurer Joseph Hermann Pasternak, der als Jugendlicher emigrierte, allerdings 1928–36 als Produktionsleiter der Deutschen Universal nach Europa zurückkehrte.6

Diese Auswanderungswelle dauerte ungefähr bis zum »Black Thursday« am 24.10.1929, da durch den Börsenkrach und die darauffolgende »Great Depression« die USA als Einwanderungsland vorübergehend an Attraktivität verloren. Während in der ersten Hälfte der 1930er Jahre Ungarns primäres politisches Ziel noch die Konsolidierung innerhalb Europas war, wurde ab der zweiten Hälfte die Orientierung an der nationalsozialistischen Politik Deutschlands immer offensichtlicher. Ereignisse wie der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich (12.3.1938), der Erlass der drei Judengesetze in Ungarn (1938, 1939, 1941) und schließlich Ungarns Eintritt an der Seite des Deutschen Reichs in den Zweiten Weltkrieg (27.6.1941) förderten die dritte Auswanderungswelle nach Amerika. Diese dritte Welle wies nach Katalin Pórs Aussage eine Besonderheit auf: »In dieser Zeit gingen zwischen Budapest und Hollywood nicht nur Personen auf Wanderschaft, sondern auch ihre Werke.«7 Sie weist darauf hin, dass zwischen 1930 und 1943 insgesamt 20 sogenannte »Erfolgsstücke«, die von ungarischen Autoren zwischen 1909 und 1937 geschrieben wurden, von Hollywoodstudios für den Film adaptiert worden sind.

Vor dem Exil: »New York« und »Klein-Hollywood« in Budapest


Alle ungarischen Drehbuchautoren, die in Amerika später erfolgreich waren, begannen in Ungarn als Journalisten und Schriftsteller – meist als Dramatiker. Der zentrale Ort in Budapest, der später in Hollywood für die Emigranten zum Erinnerungs- und Sehnsuchtsort par excellence wurde, war das 1894 gegründete Café »New York«. Tag und Nacht wurden hier Manuskripte und Nachrichten ausgetauscht. Es war ein wichtiger Treffpunkt, ein Umschlagplatz, an dem Empfehlungen ausgesprochen, Vorstellungsgespräche geführt und Verträge abgeschlossen wurden. Auch die ersten Filmvorführungen fanden hier statt.

Für die ungarischen Autoren war es Brauch, sich regelmäßig an einem Ort zu treffen und auszutauschen. Es gab unter ihnen ein sehr enges und effizientes Netzwerk. Die Emigranten führten diese Tradition in Wien und Berlin fort, es gab in beiden Städten bevorzugte Etablissements für ungarische Künstler. Da die meisten Intellektuellen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgrund ihrer Schulbildung in der österreich-ungarischen Monarchie gut Deutsch sprachen, gelang es vielen Autoren, in der wiener Filmindustrie oder in Berlin Fuß zu fassen. Sie wurden beliebte Stofflieferanten deutschsprachiger Produktionen – in dieser Zeit entstanden erste Arbeitsbeziehungen u.a. mit Ernst Lubitsch und Billie/Billy Wilder, die später in Hollywood für die Emigranten von Bedeutung waren. Nach dem Machtantritt Hitlers 1933 kehrten jedoch mehrere ungarische Filmkünstler nach Budapest zurück, da sie in Deutschland durch die Juden- und Ausländergesetze über Nacht zur »Persona non grata« wurden. Einige ihrer jüdischen Kollegen aus Deutschland und Österreich folgten ihnen. Zwischen 1933 und 1938 wurden in den Hunnia Studios in Budapest zahlreiche Filme in Mehrsprachenversionen gedreht. Diesen florierenden Filmbetrieb nannte Viktor Gertler, der Cutter von DIE DREI VON DER TANKSTELLE (1930, Wilhelm Thiele), »Klein-Hollywood«.8

Ungarische Exilautoren des Films TALES OF MANHATTAN


Von den 17 an TALES OF MANHATTAN beteiligten Autoren waren fünf Ungarn. Sie waren zwischen 1935 und 1940 in Amerika eingetroffen und hatten nach und nach angefangen, in Hollywood als Drehbuchautoren zu arbeiten. Als erster übersiedelte Melchior Lengyel in die Neue Welt.9 Wie man seinem Tagebuch entnehmen kann, stellte ihn das Verlassen seiner Heimat vor eine schwierige Wahl: »Hoffnung aus Amerika, eine Ausreisemöglichkeit nach Hollywood, als die einzige Chance, die Unsicherheit loszuwerden. Ein ewiges Dilemma: In Budapest zu bleiben und zusammen mit den anderen in einem Gulaschkessel zu schmoren, oder außer Landes nach Lebensmöglichkeiten und Erfolgschancen zu suchen – währenddessen vergehen die Jahre und das chancenlose Alter stellt sich ein.«10 Doch er ergriff rechtzeitig die Gelegenheit, nach Hollywood zu gehen, indem er 1935 dem Ruf von Ernst Lubitsch folgte. Er sollte das Drehbuch »Hotel Imperial« seines Landsmanns Lajos/Ludwig Bíró für ein Remake überarbeiten.11 Das Projekt scheiterte zwar, Lengyel blieb jedoch in Amerika und wirkte als Drehbuchautor an zahlreichen Filmen mit, u.a. an Lubitschs ANGEL (ENGEL, 1937) und TO BE OR NOT TO BE (SEIN ODER NICHTSEIN, 1941/42).

Tales of Manhattan (1942, Julien Duvivier): aus dem Vorspann

László Vadnay12 kam 1938 in Hollywood an, nachdem er ein Jahr zuvor von den M-G-M Studios engagiert worden war. In Ungarn hatte er sich vor allem mit seinen Komödien und Sketchen einen Namen gemacht, ab 1936 schrieb er Drehbücher für österreichische Filmproduktionen. Ladislas Fodor13 brach kurz nach dem Anschluss Österreichs auf und kam via Nizza am 1.12.1938 in Amerika an. Fodor hatte sich zuvor in seiner Heimat in erster Linie mit Komödien hervorgetan, die schnell ins Deutsche übersetzt und für den Film adaptiert worden waren. Im wiener Exil lernte er die Autorin Gina Kaus (geb. Regina Wiener) kennen, die beiden arbeiteten von da an häufiger zusammen. Der dritte László, László Görög, neigte der leichten Muse zu. Er schrieb Sketche für budapester Kabarett-Theater, bevor er 1939 nach Hollywood ging und dort Karriere machte.14

Der Prominenteste unter den ungarischen Drehbuchautoren war Ferenc Molnár, der bis heute als der erfolgreichste ungarische Dramatiker gilt.15 Der internationale Durchbruch gelang ihm mit dem Stück »Az ördög« (»Der Teufel«, 1907), sein größter Erfolg wurde »Liliom« (1909). »Az ördög« wurde von Michael Kertész/Curtiz bereits 1918 als Stummfilm adaptiert, drei Jahre später gab es bereits ein Remake in Hollywood, und 1934 verfilmte Fritz Lang »Liliom« im französischen Exil. All diese Adaptationen zeigen, dass seine Vorlagen »filmtauglich« waren.

Auch wenn sich Molnár ab Anfang der 1930er Jahre mehr im Ausland als in Ungarn...

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