2) Benachteiligte Kinder in der Schule
a) Kinder mit "Lernstörungen"
Ich gebrauche den Ausdruck "Lernstörungen" nur ungern da sich hinter diesen "Lernstörungen" oft ein komplexes System von zusammenhängenden, die Lernleistung des Schülers beeinflussenden Faktoren verbirgt. Zu diesen Faktoren gehören in erster Linie die soziale Situation des Kindes in seiner Familie, des Vorhandenseins psychosozialer Konflikte, die Lerngeschichte sowie die materiellen und psychischen Bedingungen unter denen Lernen stattfindet.
Unabhängig davon, ob wir es mit luxemburgischen oder ausländischen, behinderten oder nicht behinderten Kindern zu tun haben, der Einfluss der Familie auf die Lernleistungen des Kindes ist entscheidend. Kinder aus " gestörten " sozialen Verhältnissen stellen seit jeher den größten Teil unserer Sonderschüler. Der Mangel an positiven Lernmöglichkeiten in diesen Familien bestimmt weitgehend das soziale Verhalten dieser Kinder sowie ihre Einstellung zur Schule und zum Lernen. Die Sonderschule hat sich als Sackgasse erwiesen: Ebenso wenig wie wir diesen Kindern zu einem befriedigenden Schulabschluss verhelfen können, können wir verhindern, dass Sonderschulklassen zu Ghettos wurden in denen sozial abweichendes Verhalten in der peer-group eingeübt wird. Aus diesen Gründen sind alle Bestrebungen, aus dem engen Wirkungskreis der Schule herauszutreten begrüßenswert. Besonders das Konzept der " Schulsozialarbeit " ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben.
"Schulsozialarbeit" heißt, dass der Lehrer versucht, sich aktiv an dem außerschulischen Leben sozial benachteiligter Kinder zu beteiligen, ihnen hilft, ihre Freizeit sinnvoll zu organisieren sowie durch häufige Kontakte mit ihren Eltern deren Interesse an der Schule zu erwecken um ihnen eine aktive Beteiligung am Schulgeschehen zu ermöglichen.
Selbstverständlich müssen die materiellen Bedingungen geschaffen werden, die dem Lehrer eine derartige Arbeit ermöglichen.
Oft sind " Lernstörungen " auch Ausdruck psychosozialer Konfliktsituationen die nicht unbedingt gestörte Familienverhältnisse als Grundlage haben. Jeder weiß, dass besonders in äußerlich intakten, gesellschaftlich gut angepassten Familien besonderer Wert auf gute Leistungen in der Schule gelegt wird. Dies führt oft zu unrealistischen Erwartungshaltungen der Eltern gegenüber ihren Kindern. Genügen diese jenen Erwartungen nicht oder nur teilweise, dann entstehen Spannungen in der Familie deren Opfer das " lernunwillige " oder einfach " faule " Kind ist. Dies kann bei Schülern zu regelrechten Verhaltungsstörungen oder zu einer Beeinträchtigung der Lernfähigkeit führen. Auch Spannungen zwischen den Eltern, Geschwisterrivalitäten, der Einfluss von Freunden sowie bedrückende und traumatisierende Erlebnisse haben ähnliche Auswirkungen.
In diesen Fällen müssen schulische oder außerschulische Beratungsdienste ihre Verantwortung übernehmen.
Die "Lerngeschichte" eines Kindes ist oft schon allein eine ausreichende Erklärung für seine Schulschwierigkeiten. Anfängliche Misserfolge im 1. und 2. Schuljahr, bedingt durch mangelnde Schulreife, einen allgemeinen Entwicklungsrückstand oder psychische belastende Umstände in dieser Periode führen beim Kind zu vornehmlich negativen Erfahrungen in der Schule. Häufige Misserfolge führen oft dazu, dass das Kind als " schlechter Schüler " abgestempelt wird und vom Lehrer und seinen Kameraden mehr und mehr in diese Rolle hineingedrängt wird. Je niedriger die Erwartungen sind, die an es gestellt werden umso grösser wird die Tendenz, durch "Fluchtverhalten" jeder Anstrengung zu entweichen. Damit beginnt ein Teufelskreis der die individuelle Lerngeschichte eines Schülers dauerhaft bestimmen kann. Gezielte Fördermaßnahmen durch Beratungsstellen und Psychologen können solchen Kindern helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Schulstress, Schulangst, verursacht durch überlastete Programme, autoritäre oder unfähige Lehrer; Mangel an qualitativ hochwertigem didaktischem Material, Belastung durch Lärm und Mangel an Bewegung fahren ebenfalls bei Kindern zu Lernstörungen. Aus alledem was z.B. während dem Internationalen Jahr des Kindes 1979 gesagt und geschrieben wurde geht hervor, dass in unseren westlichen Industriestaaten die materielle Lage unserer Kinder zwar meistens abgesichert ist, dass auf der anderen Seite aber die psychische Belastung der Kinder im Alltagsleben ständig zunimmt. Die Schule wird in diesem Zusammenhang als einer der wichtigsten, Stress-verursachenden Faktoren betrachtet. Vom Schüler werden beständig Leistungen abverlangt; Zeit zum Entspannen bleibt wenig. Unsere vor allem verbal orientierte Schule beeinträchtigt die Bedürfnisse des Kindes, motorisch oder manuell-kreativ tätig zu sein. Da die Wohn-und Verkehrsverhältnisse besonders in den Städten diese Aktivitäten ebenfalls nicht begünstigen leben viele Kinder in einem Dauerstresszustand der sich als „Nervosität“, „Unkonzentriertheit“ und „Mangel an Ausdauer“ im Schulalltag bemerkbar macht.
Es gibt ebenfalls Lernstörungen, die auf die defizitäre Ausbildung verschiedener sensorischer und kognitiver Fähigkeiten zurückzuführen sind. In diesen Fällen ist es angebracht, mittels spezieller diagnostischer und therapeutischer Verfahren diese Mängel soweit wie möglich zu beheben. Psychologie und Sonderpädagogik haben in diesen Fällen ein breites Angebot von Förderungsmaßnahmen anzubieten.
b) Ausländerkinder
Ausländerkinder stellen einen großen Teil unserer Schülerpopulation. In den größten Gemeinden unseres Landes erreicht ihr Anteil 35 % aller Schüler7. Am Problem der Ausländerkinder sieht man wie wenig flexibel die Strukturen unseres Schulsystems sind.
Versucht man die Diskussion über dieses Problem auf die Begriffe "Integration" versus "Segregation" zu reduzieren so stellt dies eine grobe Vereinfachung dar.
Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass Luxemburg bzw. die luxemburgische Industrie Ausländer braucht um Arbeiten zu verrichten, die keine Qualifikation erfordern. Die Ausländer leben in unserem Lande in sozialer und kultureller Isolation. Eine Beteiligung am politischen sozialen oder kulturellem Leben ist nicht oder nur kaum möglich. Dadurch, dass sie auch meistens in schlechten Wohnverhältnissen getrennt von der luxemburgischen Bevölkerung leben, verstärkt sich ihre Isolation. Dies wirkt sich selbstverständlich auf die Persönlichkeit des ausländischen Kindes aus.
Ein Teil der ausländischen Arbeiter wird nach einigen Jahren in sein Heimatland zurückkehren; ein Teil wird hierbleiben. Setzt man nun in der Schulpolitik auf optimale Integrationsförderung, so ist sicherlich dem letzten Teil gedient. Die Kinder aber, die mit ihren Eltern zurückkehren, sind denn Fremde in ihrem eigenen Land. Da die ausländischen Familien sich jedoch nicht festlegen wollen - oder können - ob sie hierbleiben oder nicht, ist es schwierig, eine bestimmte Richtung in der Schulpolitik zu verfolgen.
Das Hauptproblem ist die Sprache. Momentan werden Ausländerkinder im Vorschulunterricht verstärkt in Luxemburgisch unterrichtet (Förderung des Vokabulars, Formulieren einfacher Sätze ...). Im Primärschulunterricht sollen sie wie einheimische Kinder Deutsch und Französisch lernen. Neben dem normalen Unterricht besuchen ausländische Kinder dann meistens noch die portugiesische bzw. italienische Schule wo sie an den freien Nachmittagen unter oft unzumutbaren Bedingungen in ihrer Heimatsprache und -kultur unterrichtet werden. Da ihre Eltern oft alle beiden arbeiten und ihren Kindern kaum zusätzlich fördern können ist es unvermeidlich, dass Ausländerkinder in unserem Schulsystem am meisten benachteiligt sind.
Im Zusammenhang mit diesem Problem ist oft das oben erwähnte Konzept der Schulsozialarbeit erwähnt worden. Sicher kannten durch eine verstärkte Einbeziehung der ausländischen Eltern und Kinder in schulische Prozesse viele Barrieren abgebaut werden. Mir scheint aber, dass es au einem globalen Konzept von "Ausländerpolitik" fehlt, von dem der eben erwähnte Ansatz ein Teil sein könnte.
c) körperlich und geistig benachteiligte Kinder
Ich gebrauche den Ausdruck " behindert " nicht gern, da er zu sehr betont, dass geistig und körperlich benachteiligte Menschen nicht normgerecht funktionieren können. In dem Wort „benachteiligt“ hingegen ist schon die Frage nach dem „benachteiligt im Hinblick auf wen bzw. auf was?“ enthalten und damit ist die gesellschaftliche und zwischenmenschliche Dimension des Problems angesprochen.
Seit einigen...